Einleitung in das
Johannesevangelium
Folgende Kommentare wurden bei der Erarbeitung bevorzugt herangezogen und werden z.T. im Rahmen der Auslegung zitiert:
Becker, Jürgen. (zit. als Becker). |
Das Evangelium des Johannes. 2 Bde. Ökumenischer Taschenbuchkommentar zum Neuen Testament. Würzburg 1979. |
Bultmann, Rudolf. (zit. als Bultmann). |
Das Evangelium des Johannes. Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament. Göttingen 1986. |
Schnackenburg, Rudolf. (zit. als Schnackenburg) |
Das Johannesevangelium. 3 Bde. Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Freiburg, Basel, Wien 1979. |
Schnelle, Udo. (zit. als Schnelle) |
Das Evangelium nach Johannes. Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament. Leipzig 2016. |
Schneider, Johannes. (zit. als Schneider) |
Schneider, Johannes. Das Evangelium. Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament. Berlin 1978. (zit. als Schneider) |
Wengst, Klaus. (zit. als Wengst). |
Wengst, Klaus. Das Johannesevangelium. Theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Stuttgart 2019. |
Zumstein, Jean. (zit. als Zumstein). |
Zumstein, Jean. Das Johannesevangelium. Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament. Göttingen 2016. |
Abkürzungen:
EB |
Elberfelder Bibel |
EÜ |
Einheitsübersetzung |
LB |
Luther-Bibel (2017) |
LXX |
Septuaginta |
LXX-D |
Septuaginta
Deutsch |
NGÜ |
Neue Genfer Übersetzung |
SEB |
Stuttgarter Erklärungsbibel |
Schl2000 |
Schlachter 2000 (Bibelübersetzung) |
StrBill |
Strack, Hermann/Billerbeck, Paul. Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 5 Bde, München 1924ff. |
ThBlNT |
Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament (Studienausgabe 1983) |
ThWNT |
Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament |
ZB |
Zürcher Bibel |
Die vorliegende Auslegung zitiert den Bibeltext – wenn nicht anders erwähnt – nach der Luther-Bibel 2017.
1 Die
Einzigartigkeit des Johannesevangeliums
„Wer von der Lektüre der ersten drei Evangelien zu der des vierten übergeht, betritt eine andere Welt. Er hört eine ganz eigene Sprache. Er sieht eine Geschichte Jesu ganz eigener Art. Er begegnet Jesus, handelt und redend in der Ruhe und Klarheit des vom Himmel auf die Erde gekommenen Sohnes Gottes, der überall mit dem Vater unmittelbar verbunden und darum allen Menschen unendlich überlegen ist … So haben die großen Theologen aller Jahrhunderte das Johannesevangelium als das ‚geistliche Evangelium‘ von den drei anderen Evangelien unterschieden, bewundert und geliebt. Zugleich aber hat es in seiner wunderbar-einfachen Sprache auch die schlichten Frommen angesprochen. Es gleicht den Ikonen der Kirchen des Ostens, in denen Gelehrte wie Ungelehrte, Arme wie Reiche in gleicher Ergriffenheit dem gleichen Mysterium Gottes im Schauen begegnen.“ (Ulrich Wilckens, Theologie des Neuen Testaments, Band 1.4, Neukirchen-Vluyn 2005, 151f.).
1.1 Der Vergleich mit den anderen Evangelien
Natürlich gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen dem Johannesevangelium und ersten drei Evangelien, die sich sehr ähneln und daher als „synoptische“ Evangelien (von συνόψις, zusammenschauen) bezeichnet werden. Dazu gehört zunächst, dass es „Evangelium“ genannt wird und – wie die anderen Evangelien – die Geschichte vom Auftreten Johannes des Täufers bis zur Auferstehung Jesu erzählt.
Bei dieser Erzählung werden außerdem Begebenheiten erwähnt, von denen auch in den anderen drei Evangelien die Rede ist:
„In den Kapiteln 1-12 sind dabei zu nennen: 1,29-34 (die Begegnung Jesu mit dem Täufer); der Vorfall im Tempel (2,14-22); der Hauptmann von Kapernaum/der königliche Beamte (4,46-54); die Worte an den Gelähmten (5,8-9); das Brotwunder (6,1-15), gefolgt vom Seewandel (6,16-21), der Überquerung des Sees (6,22-25) und der Zeichenforderung (6,26); das Petrusbekenntnis (6,66-71); die Salbung in Bethanien (12,1-8) und der Einzug in Jerusalem (12,12-19).
In der Passionserzählung (18-19) sind neben der Tatsache, dass sich die mk [markinische] Erzählstruktur bei Joh wiederfindet, folgende gemeinsame Elemente zu erwähnen: die Festnahme Jesu (18,3-12), die Verleugnung des Petrus (18,25-27), die Passahamnestie (18,39.40), die Auspeitschung Jesu und seine Verspottung (19,1-3), die Kreuzigung (19,16b-19), die Zeugen unter dem Kreuz (19,24b-27) und die Grablegung (19,38-42).“ (Zumstein, 30).
Darüber hinaus finden sich im Johannesevangelium einige Jesus-Worte, die auch bei den Synoptikern erscheinen. „Die eindeutigsten Beispiele sind: 1,27.33b.43.51; 2,19; 3,35; 4,44; 6,42; 12,25; 13,16.20; 16,32.“ (Zumstein, 30).
Nicht zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass alle vier Evangelien darin übereinstimmen, dass sie nicht einen distanzierten historischen Bericht über das Leben und Wirken Jesu geben wollen, sondern „ihre Darstellung des historisch Geschehenen mit dem Glauben an Jesus den Christus und Gottessohn durchtränken“ (Schnackenburg I, 14).
Diesen Gemeinsamkeiten mit den synoptischen Evangelien stehen aber grundlegende Unterschiede gegenüber:
|
Synoptiker |
Johannesevangelium |
Dauer
des Wirkens |
ca.
1 Jahr |
ca.
3 Jahre |
Zentrum
des Wirkens |
Galiläa |
Jerusalem |
Tempelreinigung |
am
Ende des Wirkens |
am
Anfang des Wirkens |
Stil |
meist
kurze Aussagen |
lange
Reden |
Hauptthema |
Reich
Gottes, Auslegung der Tora |
Jesus
als Offenbarung Gottes |
Außerdem findet sich im Johannesevangelium ein „beachtliche Anzahl von Erzählungen, die bei den Synoptikern keine Entsprechung haben“ (Zumstein, 30):
„Zum joh Sondergut gehören die Hochzeit zu Kana (2,1-12), das Gespräch mit Nikodemus (3,1-21) und das mit der Samariterin (4,4-42), der Gelähmte am Teil von Bethesda (5), Jesus und seine Brüder (7,1-10), der Blindgeborene (9), die Auferweckung des Lazarus (11), Jesus und die Griechen (12,20-23), die Fußwaschung (13,4-17). Die Passionserzählung ist vollkommen umgearbeitet (vgl. besonders die große Szene der Vorführung vor Pilatus oder jene vom Tod Jesu). Dasselbe gilt für den Osterzyklus (20; vgl. die Erscheinung vor Maria von Magdala und die Thomas-Episode). Auch der Epilog (21) hat keine synoptische Parallele (mit Ausnahme des wunderbaren Fischzugs).“ (Zumstein, 30).
Zusammenfassend kann man sagen: Die Gemeinsamkeiten mit den Synoptikern zeigen, dass dem Verfasser die anderen Evangelien nicht unbekannt waren. Aber er „hat eine beachtliche Freiheit bewiesen, indem er das ganze Material, das ihm zur Verfügung stand, neu konfiguriert und in seine eigene Erzählstruktur und seine theologische Auffassung integriert hat“ (Zumstein, 47).
1.2 Die Absicht des Verfassers
Welches Ziel verfolgt der Verfasser? Darüber gibt er selbst in 20,30-31 Auskunft: „(30) Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. (31) Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.“
Nun ist davon auszugehen, dass der Verfasser sich an Christen wendet. Wenn er sein Evangelium schreibt, damit sie glauben, „dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“, hat er dafür sicher gute Gründe. Offenbar ist dieser Glaube nicht selbstverständlich. Zumindest gibt es diesbezüglich bei den Adressaten einige Unklarheiten, die nach einer eindeutigen und klaren Antwort verlangen – nach einer Antwort, die über das hinaus geht, was allgemeines christliche Glaubensgut war und sich in den anderen Evangelien findet.
Was könnte konkret gemeint sein? „Wie Jesu Christi Göttlichkeit und Menschlichkeit zu verstehen sind, wie sie sich zueinander verhalten und worin sie sich zeigen, darauf gab weder das Markus- noch das Lukasevangelium eine hinreichende Antwort.“ (Schnelle, 38f.). Das kann den Verfasser motiviert haben, ein Evangelium zu schreiben, dass von Anfang bis Ende vor allem eine Botschaft hat: „dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ und „dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (3,16).
Daraus folgt:
„Der 4. Evangelist verfolgt mit seiner Darstellung einen eigenen Zweck, der … das Verhältnis zur synoptischen Tradition erklärt. Wenn er sich mit den synoptischen Darstellungen z.T. berührt, mehr aber noch von ihnen nach Stoffauswahl, Aufbau und Anordnung, Wiedergabe und erzählerischer Gestaltung divergiert, wenn er eigene Informationen bietet …, so beruht das nicht nur auf einer eigenständigen und andersartigen Tradition, sondern vor allem auch auf seiner theologischen Zielsetzung. Wie immer man diese bestimmt, sein Hauptanliegen ist es sicher, im irdischen Wirken und Reden Jesu die hoheitsvolle Gestalt des eschatologischen Offenbarers und Heilbringers hervortreten, die Herrlichkeit des auf Erden weilenden, unter uns wohnenden Logos aufstrahlen zu lassen und die unvergängliche Heilsbedeutung der geschichtlich zurückliegenden Ereignisse aufzuzeigen.“ (Schnackenburg I, 31f.).
Deshalb hebt der Verfasser – ungleich stärker als dies die Synoptiker tun – hervor, dass der irdische Jesus der Sohn Gottes ist.
An einigen Stellen zeigt auch das Johannesevangelium, dass den Gläubigen erst nach Ostern deutlich wurde, was es mit Jesus auf sich hat:
2,22 |
Als er nun auferstanden war
von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und
glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte. |
12,16 |
Das verstanden seine Jünger
zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass
dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte. |
13,7 |
Jesus
antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du
wirst es aber hernach erfahren. |
20,9 |
Denn sie verstanden die
Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen müsste. |
(vgl. dazu auch den Hinweis auf die Aufgabe des Parakleten, z.B. 14,26: „Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“)
Das Johannesevangelium aber legt Wert auf die Feststellung, dass Jesu schon immer der Sohn Gottes war. Auch „der irdische Jesus redet … stets … im Vollbewusstsein seines göttlichen Ursprungs (…) und seiner Rückkehr zum Vater, … oder anders ausgedrückt: im Vollbewusstsein seiner Einheit mit dem Vater, die auch auf Erden nicht aufgehoben ist, sondern sich im Inkarnierten nur anders darstellt.“ (Schnackenburg I, 13f.).
2 Mögliche
Anlässe für die Niederschrift des Johannesevangeliums
Warum setzt der Verfasser des Johannesevangeliums alles daran zu zeigen, dass der irdische Jesus „der Christus ist, der Sohn Gottes“? Oder anders gefragt: Welche Konflikte waren der Anlass, dieses Evangelium zu verfassen?
Dabei ist zunächst zu fragen, welche (indirekten) Hinweise das Johannesevangelium selbst gibt.
2.1 Die Täuferbewegung
Hier fallen zunächst die Aussagen über Johannes den Täufer auf, dessen Bewegung nach seinem Tod weiterging und bis nach Ephesus wirkte (Apg 18,24ff.; 19,1ff.):
1,6-8 |
(6) Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes. (7) Der kam zum Zeugnis, damit er von dem Licht zeuge, auf dass
alle durch ihn glaubten. (8) Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem
Licht. |
1,19-36 |
(19) Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden zu ihm
sandten aus Jerusalem Priester und Leviten, dass sie ihn fragten: Wer bist
du? (20) Und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte: Ich bin
nicht der Christus. (21) Und sie fragten ihn: Was dann? Bist du Elia? Er sprach: Ich
bin's nicht. Bist du der Prophet? Und er antwortete: Nein. (22) Da sprachen sie zu ihm: Wer bist du dann?, dass wir Antwort
geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? (23) Er sprach: »Ich bin die Stimme eines Predigers in der Wüste:
Ebnet den Weg des Herrn!«, wie der Prophet Jesaja gesagt hat (Jesaja
40,3). (24) Und sie waren abgesandt von den Pharisäern, (25) und sie fragten ihn und sprachen zu ihm: Warum taufst du denn,
wenn du nicht der Christus bist noch Elia noch der Prophet? (26) Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser;
aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. (27) Der wird nach mir kommen, und ich bin nicht wert, dass ich
seine Schuhriemen löse. (28) Dies geschah in Betanien jenseits des Jordans, wo Johannes
taufte. (29) Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und
spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! (30) Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein
Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich. (31) Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er offenbar werde für
Israel, darum bin ich gekommen zu taufen mit Wasser. (32) Und Johannes bezeugte es und sprach: Ich sah, dass der Geist
herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. (33) Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich gesandt hat zu taufen
mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du siehst den Geist herabfahren
und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. (34) Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn. |
1,35-40 |
(35) Am nächsten Tag stand
Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; (36) und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist
Gottes Lamm! (37) Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus
nach. (38) Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu
ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt:
Meister –, wo wirst du bleiben? (39) Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und
blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. (40) Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus
nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. |
3,22-36: |
(22) Danach kam Jesus mit
seinen Jüngern in das Land Judäa und blieb dort eine Weile mit ihnen und taufte. (23) Aber auch Johannes taufte in Änon, nahe bei Salim, denn es war
da viel Wasser; und sie kamen und ließen sich taufen. (24) Johannes war ja noch nicht ins Gefängnis geworfen. (25) Da erhob sich ein Streit zwischen den Jüngern des Johannes und
einem Juden über die Reinigung. (26) Und sie kamen zu Johannes und sprachen zu ihm: Rabbi, der bei
dir war jenseits des Jordans, von dem du Zeugnis gegeben hast, siehe, der
tauft, und alle kommen zu ihm. (27) Johannes antwortete und sprach: Ein Mensch kann nichts nehmen,
wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist. (28) Ihr selbst seid meine Zeugen, dass ich gesagt habe: Ich bin
nicht der Christus, sondern ich bin vor ihm her gesandt. (29) Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam; der Freund des
Bräutigams aber, der dabeisteht und ihm zuhört, freut sich sehr über die
Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist nun erfüllt. (30) Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen. (31) Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist,
der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, ist über allen. (32) Was er gesehen und gehört hat, das bezeugt er; und sein
Zeugnis nimmt niemand an. (33) Wer aber sein Zeugnis annimmt, der besiegelt, dass Gott
wahrhaftig ist. (34) Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott
gibt den Geist ohne Maß. (35) Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand
gegeben. (36) Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem
Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn
Gottes bleibt über ihm. |
4,1-3: |
(1) Als nun Jesus erfuhr,
dass den Pharisäern zu Ohren gekommen war, dass Jesus mehr zu Jüngern machte
und taufte als Johannes – (2) obwohl Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger
–, (3 )verließ er Judäa und zog wieder nach Galiläa. |
5,33-36 |
(33) Ihr habt zu
Johannes geschickt, und er hat die Wahrheit bezeugt. (34) Ich aber nehme nicht von einem Menschen Zeugnis an; sondern
ich sage das, damit ihr selig werdet. (35) Er war ein brennendes und strahlendes Licht; ihr aber wolltet
eine kleine Weile fröhlich sein in seinem Licht. (36) Ich aber habe ein größeres Zeugnis als das des Johannes; denn
die Werke, die mir der Vater gegeben hat, damit ich sie vollende, eben diese
Werke, die ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt hat. |
10,41 |
Und viele kamen zu ihm und
sprachen: Johannes hat zwar kein Zeichen getan; aber alles, was Johannes von
diesem gesagt hat, das ist wahr. |
Diese Verse zeigen einerseits die enge Verbindung zwischen Jesus und Johannes dem Täufer, betonen andererseits aber die Überlegenheit Jesu bzw. dass Johannes ein Vorläufer und Zeuge Jesu ist. Im Mittelpunkt seines Zeugnisses steht die Aussage: „Dieser ist Gottes Sohn“ (1,34). Das gibt Anlass zu der Vermutung, dass diese Hinweise aus der Sicht des Verfassers für den Dialog mit Anhängern Johannes des Täufers wichtig sind.
2.2 Das Judentum
Ab Kapitel 2,13 werden Konflikte mit dem Judentum geschildert, die sich immer mehr zuspitzen. Nach Auffassung von Wengst ist der „entscheidende Ansatzpunkt für das Verständnis des Johannesevangeliums … damit gegeben, dass es im Kontext einer scharfen Auseinandersetzung entstanden ist“, die „zwischen jüdischen Menschen, die den gekreuzigten Jesus für den Messias hielten, und der Mehrheit ihrer Landsleute, die diesen Glauben entschieden ablehnten“ geführt wurde (Wengst, 13).
Hier ist bereits Wortwahl von Interesse. Während in den synoptischen Evangelien von Auseinandersetzungen mit den „Schriftgelehrten und Pharisäern“ die Rede ist, werden die Gegner oft einfach „Juden“ genannt (1,19; 2,18.20; 5,16.18; 6,41; 7,1.11; 8,48.52; 10,24.31.33; 19,7). An einigen Stellen wird deutlich, dass die Begriffe „Juden“ und „Pharisäer“ identisch sind (1,19 – 1,24; 7,31 – 7,35; 9,13.16.40 – 9,18).
Außerdem stellt das Johannesevangelium – stärker als dies die synoptischen Evangelien tun – die „Juden“ als die treibende Kraft hinter der Verurteilung Jesu heraus (vgl. die Verse der Passionserzählung, die ohne Parallele bei den Synoptikern sind: 18,36-38; 19,7.12).
Vor allem aber ist an drei Stellen vom Ausschluss aus der Synagoge die Rede:
9,22 |
Das sagten seine Eltern,
denn sie fürchteten sich vor den Juden. Denn die Juden hatten sich schon
geeinigt: Wenn jemand ihn als den Christus bekennt, der soll aus der Synagoge
ausgestoßen werden. |
12,42 |
Doch auch von den Oberen
glaubten viele an ihn; aber um der Pharisäer willen bekannten sie es nicht,
um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu werden. |
16,2 |
Sie werden euch aus der
Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen
wird, er tue Gott einen Dienst. |
Sowohl die Rede von den „Juden“ und die Gleichsetzung von „Juden“ und „Pharisäern“ als auch der Hinweis auf die Gefahr eines Ausschlusses aus der Synagoge passt zur Situation der Christen nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Wengst skizziert die Situation folgendermaßen:
„Das Jahr 70 mit dem Ende des vierjährigen jüdisch-römischen Krieges bildet einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Judentums … Wie konnte in dieser katastrophalen und trostlosen Situation jüdisches Überleben möglich sein?
Noch vor dem Ende des Krieges schmuggelten zwei Schüler ihren sich tot stellenden Lehrer Jochanan ben Sakkaj im Sarg aus dem belagerten Jerusalem. Der erwirkte beim römischen Feldherrn Vespasian, dem späteren Kaiser, dass dieser ihm die Eröffnung eines Lehrhauses in dem in der Küstenebene gelegenen kleinen Ort Javne erlaubte. Dieses Lehrhaus wurde zur Keimzelle jüdischen Überlebens nach der Katastrophe des Jahres 70. In der Bindung an die Tora und in Aufnahme und Weiterführung der Tradition wurden Wege jüdischer Identitätsbildung in veränderter Situation gesucht und gefunden. …
Dabei gab es eine breite Diskussion … Die Lehrer von Javne waren nicht auf scharfe Abgrenzung aus, sondern auf Sammlung. Doch gab es auch Gruppen, die sich nicht integrieren ließen. Zu ihnen gehörte diejenige jüdische Gemeinschaft, die Jesus für den Messias hielt und darauf aus war, dass alle anderen sich diesem Glauben anschlössen, und für den Fall, dass sie es nicht täten, mit dem Gericht Gottes drohte.
Gerade in der Phase der Neukonsolidierung nach dem Krieg schien es für die Vertreter der jüdischen Mehrheit schon aus politischen Überlebensgründen geboten, sich von einer messianischen Bewegung zu distanzieren … Darüber hinaus gab es theologische Gründen, dem Anspruch zu widersprechen, Jesus sei der Messias. In der auf Jesus als Messias bezogenen Gemeinschaft wurden gewiss Erfahrungen von schon bestehender Gegenwärtigkeit des messianischen Reiches gemacht. Aber für die Menschen außerhalb ihrer war es ein wesentlicher Punkt, dass für sie vom messianischen Reich nichts zu bemerken war …
Gruppen, die einen exklusiven Anspruch vertraten und damit die jüdische Gemeinschaft zu sprengen drohten und sie gefährdeten, wurden von den Lehrern des sich herausbildenden und die Mehrheit repräsentierenden pharisäisch-rabbinischen Judentums als Häretiker bezeichnet und negativer eingeschätzt als Nichtjuden … Rabbinische Stellen halten dazu an, gegenüber Häretikern alle Bindungen abzuschneiden … Solche Erfahrungen der Distanzierung dürfen im Blick sein, wenn Johannes von aposynágogos [aus der Synagoge ausgeschlossen] spricht …
Setzt man diese Situation für die Abfassung des Johannesevangeliums voraus …, wird ein weiteres Textphänomen verstehbar, das sonst unbegreiflich bleibt: die eigenartig pauschale Redeweise von ‚den Juden‘ und ‚den Pharisäern‘ … Dabei können im selben Zusammenhang dieselben handelnden Personen einmal als ‚die Juden‘ und dann als ‚die Pharisäer‘ bezeichnet werden, auch in umgekehrter Reihenfolge. Das ist als Wiedergabe von historischer Wirklichkeit sowohl für die Zeit Jesu als auch für die Zeit nach Jesu Tod bis zum Ende des jüdisch-römischen Krieges im Jahr 70 ausgeschlossen … So abwegig die Darstellung des Johannesevangeliums auf den ersten Blick … erscheint, gilt es doch wahrzunehmen: Ein pharisäisch bestimmtes Judentum ist keine Fiktion. Ein solches Judentum hat es zwar nicht vor dem Jahr 70 gegeben, aber es hat sich danach herausgebildet …
Die theologische Gegenargumentation und die Erfahrungen sozialer Isolierung … haben offenbar dazu geführt, dass Glieder der Gemeinde sich von ihr abwandten und den Weg zurück zur Mehrheit einschlugen (vgl. 6,66; 8,31).“ (Wengst, 16-21).
Wenn dies der Hintergrund für die Abfassung des Johannesevangeliums ist, will der Verfasser seine Leser „zum Bleiben veranlassen und die Gebliebenen dessen vergewissern, ‚dass Jesus der Gesalbte ist, der Sohn Gottes‘ (20,31).“ (Wengst, 21).
2.3 Innerchristliche Konflikte um Jesus als
Christus
Gibt es zur Zeit der Abfassung des Johannesevangeliums auch innerchristliche Konflikte über christologische Fragen? Schließlich ist nicht nur in den Streitgesprächen mit den „Juden“, sondern auch in den „Abschiedsreden“ (13-17) davon die Rede, dass Jesus der Christus ist bzw. das er untrennbar mit dem Vater verbunden ist (14,1.9-11; 16,15.28; 17,21f.) Hat das einen besonderen Grund?
In diesem Zusammenhang sind die Johannesbriefe von besonderem Interesse. Sie zeigen, dass es in den Gemeinden des Johannes aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zur Christologie zu Trennungen kam:
1
Joh 2,19-22 |
(19) Sie sind von uns
ausgegangen, aber sie waren nicht von uns. Denn wenn sie von uns gewesen
wären, so wären sie ja bei uns geblieben; aber es sollte offenbar werden,
dass sie nicht alle von uns sind. (20) Doch ihr habt die Salbung von dem, der heilig ist, und habt
alle das Wissen. (21) Ich habe euch nicht geschrieben, als wüsstet ihr die Wahrheit
nicht, sondern ihr wisst sie und wisst, dass keine Lüge aus der Wahrheit
kommt. (22) Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, der leugnet, dass Jesus
der Christus ist? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn
leugnet. |
1
Joh 4,1-3 |
(1) Ihr Lieben, glaubt
nicht einem jeden Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind;
denn viele falsche Propheten sind hinausgegangen in die Welt. (2) Daran
erkennt ihr den Geist Gottes: Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus
Christus im Fleisch gekommen ist, der ist von Gott; (3) und ein jeder Geist, der Jesus nicht bekennt, der ist nicht
von Gott. Und das ist der Geist des Antichrists, von dem ihr gehört habt,
dass er kommen werde, und er ist jetzt schon in der Welt. |
Welche Auffassung die
Irrlehrer vertreten haben bzw. von welcher religiösen bzw. philosophischen
Strömung sie beeinflusst waren, ist umstritten. Diskutiert werden:
Trennungschristologie
(Kerinth) |
Ein
himmlisches Geistwesen Christus geht mit dem irdisch-fleischlichen Menschen
Jesus von Nazareth nur eine zeitweilige Verbindung ein, die mit der
Johannestaufe beginnt und unmittelbar vor der Kreuzigung endet (dazu Irenäus,
advHaer I 21,1; 24,4; 26,3). |
Doketismus |
Christus
hat nur einen Scheinleib besessen (dazu Ignatius, Brief an die Smyrnäer 2;
4,2; 5,2). |
Gnosis |
Erlösung
durch „Erkenntnis“ einer Gottesidee. Diese Gedankengänge „machten aus der
geschichtlich einmaligen Erlösergestalt (Inkarnation) mit ihrem unersetzbaren
und unwiederholbaren blutigen Sühnetod für das Heil der Welt eine mehr oder
mindert mythologisch eingekleidete Idee“ (Rudolf Schnackenburg, Die
Johannesbriefe, Freiburg, 1975, 100). |
Zusammenfassend stellt Schnackenburg fest:
„Nach allem müssen wir feststellen, dass sich die in 1 und 2 Joh abgewehrte Irrlehre mit keiner der uns sonst aus jener Zeit bekannten häretischen Erscheinungsformen gleichsetzen lässt, wohl aber mit mehr als einer verwandte Züge aufweist. Gemeinsam ist all jenen Irrgeistern die Entwertung der geschichtlichen Person Jesu als des einzigen und wirklichen Erretters und die Leugnung des Erlösungsweges durch sein Fleisch und Blut.“ (Rudolf Schnackenburg, Die Johannesbriefe, Freiburg, 1975, 22).
Das Johannesevangelium antwortet dann auch auf diese christologischen Irrlehren, z.B. mit folgenden Aussagen:
1,14 |
Und das Wort ward Fleisch
und wohnte unter uns … |
19,30 |
… Es ist vollbracht … „Das
Kreuz ist für Johannes der Ort des Heils (…).“ (Schnelle, 12). |
19,34 |
„… einer der Soldaten stieß
mit einer Lanze in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus.“ „Der
Gekreuzigte hatte wirklich einen Menschenleib und dieser Leib hat den
Gnadenstoß erhalten.“ (Zumstein, 731). |
3 Der
geistige Hintergrund des Johannesevangeliums
Das Johannesevangelium
ist nicht nur eine Reaktion auf konkrete Herausforderungen der Gemeinde,
sondern auch auf dem Hintergrund geistiger Strömungen seiner Zeit entstanden. In
der Forschung werden dabei vor allem folgende Hauptströme genannt:
·
Theologische
Impulse alttestamentlicher Schriften.
·
Das zeitgenössische
Judentum: pharisäisch-rabbinisches Judentum, hellenistisches Judentum, Qumran
und ggf. andere Randgruppen des Judentums.
·
Das frühe
Christentum (incl. Paulus).
·
Popular-philosophische
Traditionen des griechisch-römischen Hellenismus.
Umstritten ist, ob und inwieweit das Johannesevangelium von Vorstellungen des griechisch-römischen Hellenismus inspiriert wurde. Dabei geht es vor allem um die Gnosis. Für Rudolf Bultmann war der gnostische Erlösermythos „der hermeneutische und historische Schlüssel zur Interpretation des Johannesevangeliums“ (Schnelle, 23).
Aus historischer Sicht ist festzuhalten, dass „die ältesten literarischen Dokumente der Gnosis, die uns vorliegen, aus dem 2. Jh. n.Chr. stammen“ und „der Erlösermythos … erst in eine spätere Phase des Gnostizismus“ gehört (Zumstein, 52).
Inhaltlich ist die Frage entscheidend, was man denn unter „Gnosis“ versteht:
Innovativ sind … nur Definitionen, die präzis benennen, welche Grundkonzeption vorhanden sein muss, um von Gnosis zu sprechen … Kennzeichen gnostischer Systeme sind … in der Regel vier Grundprinzipien: 1) Die völlige Jenseitigkeit Gottes und des Offenbarers; 2. ein protologischer Dualismus, der die Spaltung in Gut und Böse in den allerersten Anfang verlegt und 3) kosmologische Spekulationen, die zwischen oberen und niederen Welten unterscheiden. 4) Die Erfahrung der Weltfremdheit und der Wunsch nach Weltüberwindung; gestützt durch das Bewusstsein, eigentlich einer ‚anderen‘, ‚besseren‘ und ‚höheren Welt anzugehören, in die man mit Hilfe des Erlösers zurückkehrt.“ (Schnelle, 24).
Wenn man diese Definition von Gnosis auf das Johannesevangelium an, werden die Unterschiede zwischen beiden deutlich:
„Schon im Prolog ist von einer Vorzeitigkeit des Guten die Rede, die Schöpfung verdankt sich dem Wirken des präexistenten Logos, durch den alles Seiende geschaffen wurde (vgl. Joh 1,1-4). Aus Liebe sandte Gott seinen Sohn in die Welt, um die an Jesus Christus Glaubenden zu retten (Joh 3,16; 1Joh 4,9). Jesus erscheint als der … ‚Retter der Welt‘ (Joh 4,42, vgl. 1Joh 2,2, er ist das ‚Brot des Lebens‘ (Joh 6,30-50) und das ‚Licht der Welt‘ (Joh 8,12). Grundlegend unterscheidet sich das Johannesevangelium ferner vom gnostischen Denken durch seine kreuzestheologische Ausrichtung. Es verankert das Heil in einem einmaligen geschichtlichen Geschehen und hebt sich damit radikal von gnostischem Daseins- und Erlösungsverständnis ab.“ (Schnelle, 24f.).
Daher scheidet die Gnosis als Hintergrund des Johannesevangeliums aus.
4 Aufbau
und Redaktion des Johannesevangeliums
Der Aufbau des Johannesevangeliums ist unschwer erkennbar. Dem einleitenden Prolog (1,1-18) folgt der erste Hauptteil (1,19-12,50), in der es um die Offenbarung Jesu vor der Welt geht. Er ist nur schwer zu gliedern, endet aber auf jeden Fall mit einer Bilanz (12,37-43) und einem zusammenfassenden Nachtrag (12,12,44-50). Im zweiten Hauptteil (13,1-20,29) geht es um „Jesu Offenbarung vor den Seinen, Passion, Erhöhung und Erscheinungen des Auferstandenen“ (Schnelle, 14). Ein kurzer Epilog (20,30-31), der mit dem Prolog korrespondiert (Schnelle, 12), nennt das Ziel des Johannesevangeliums: „… damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.“ Es folgen zwei Nachträge (21,1-14: Die Erscheinung des Auferstandenen am See Tiberias; 21,15-24: Der Auftrag Jesu an Petrus und die Stellung des Lieblingsjüngers) und ein weiteres Schlusswort (21,15).
Daraus ergibt sich folgende Gliederung:
1,1-18 |
Prolog:
Jesus der Logos |
|
1,19-12,50 |
Die
Offenbarung Jesu vor der Welt |
|
|
1,19-34 |
Das
Zeugnis des Täufers |
|
1,35-51 |
Die
ersten Jünger |
|
2,1-4,54 |
Jesu
erstes öffentliches Wirken: Die Kana-Ringkomposition |
|
5,1-47 |
Jesu
erste Auseinandersetzung mit den Juden |
|
6,1-71 |
Jesus
in Galiläa: Das Brot des Lebens |
|
7,1-11,54 |
Der
Konflikt mit den Juden eskaliert |
|
11,55-12,50 |
Das
Ende des öffentlichen Wirkens Jesu in Jerusalem und dessen Beurteilung |
13,1-20,29 |
Jesu
Offenbarung vor den Seinen, Passion, Erhöhung und Erscheinungen des
Auferstandenen |
|
|
13,1-17,26 |
Die
Offenbarung vor der Jüngerschaft |
|
18,1-19,24 |
Die
Passionsgeschichte |
|
20,1-29 |
Der
Osterzyklus |
20,30-31 |
Epilog |
|
21,1-25 |
Nachträge |
|
|
21,1-14 |
Die
Erscheinung des Auferstandenen am See Tiberias |
|
21,15-23 |
Der
Auftrag Jesu an Petrus und die Stellung des Lieblingsjüngers |
|
21,24-25 |
Weiteres
Schlusswort |
Nun hat der Text des Johannesevangeliums, wie er uns in seiner Endgestalt vorliegt, sicher verschiedene Bearbeitungen erfahren. Über deren Ausmaß und Umfang gibt es unter Bibelauslegern allerdings unterschiedliche Auffassungen.
Unstrittig ist, dass die Verse 5,3b-4 und der Abschnitt 7,53-8,11 in den ältesten uns überlieferten Handschriften nicht enthalten sind. Das spricht dafür, dass es sich hier um spätere Zusätze handelt.
Klar ist auch, dass das Johannesevangelium ursprünglich mit dem Epilog 20,30-31 endete: „(30) Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. (31) Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr, weil ihr glaubt, das Leben habt in seinem Namen.“ Das ist ein klassisches Schlusswort.
Auch Tertullian sah in diesen Worten den Abschluss des Johannesevangeliums:
„Und zu welchem Zweck bescheinigt er gerade am Schluss des Evangeliums durch sein Siegel diese Urkunde? Nur darum, ‚damit Ihr glaubt, dass Jesus Christus der Sohn Gottes sei.‘ Wenn Du also gemeint hast, dass Dir irgend etwas daraus zum Beweise der Identität von Vater und Sohn dienen könne, so setzest Du Dich in Widerspruch mit der Schlusssentenz des Evangeliums. Es steht alles nur deshalb geschrieben, damit Du glaubest, Christus sei nicht der Vater, sondern der Sohn.“ (Gegen Praxeas 25,4)
Fest steht außerdem, dass 21,24-25 nicht von dem „Jünger“ stammt, „der das bezeugt und aufgeschrieben hat“, sondern von einer anderen Person, die sich hinter dem „Wir“ und dem „Ich“ verbirgt: „(24) Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. (25) Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“
Umstritten ist, ob auch an folgenden Stellen spätere Bearbeitungen (eines anderen Redaktors) vorliegen:
· Ist der Abschnitt 3,31-36 wirklich Teil einer Rede Johannes des Täufers? Folgte er ursprünglich auf 3,12 (so Schnackenburg I, 35f.; 374ff.; 393ff.)?
· Folgte Kapitel 6 ursprünglich auf Kapitel 4, weil Jesus sich nach 4,43ff. in Galiläa bzw. Kana befindet und der Hinweis aus 6,1 („Danach ging Jesus weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres …“) gut dazu passt, während Kapitel 5 in Jerusalem spielt (so Schnackenburg I, 34; II, 6ff.).
· Folgte der Abschnitt 7,15-24 ursprünglich auf Kapitel 5, weil er zur Auseinandersetzung über die Heilung am Teich Betesda gehört und gut an den Hinweis auf Mose und die Schrift anknüpft (so Schnackenburg I, 34f.; II, 183f.)?
· Sind die Kapitel 15-17 spätere Einfügungen eines Herausgebers, da die Abschiedsrede 14,1-31 mit dem Satz „steht auf und lasst uns von hier weggehen“ endet, dann aber eine weitere Rede folgt und der Aufbruch erst in 18,1 („Als Jesus das geredet hatte, ging er hinaus mit seinen Jüngern über den Bach Kidron …“) stattfindet? (so Schnackenburg I, 34; III, 101ff.).
Die Kommentare folgen in ihrer Auslegung oft dem von ihnen in die – ihrer Meinung nach – ursprüngliche Reihenfolgefolgt gebrachten Text des Johannesevangeliums.
Neuere Kommentare sind hier jedoch sehr zurückhaltend:
„Dieses Vorgehen wurde in der neueren Exegese zu Recht auf methodologischer Ebene problematisiert, denn es muss gefragt werden, ob es diese ursprüngliche Gestalt des Evangeliums überhaupt einmal gab, die es vor allem mit Hilfe der Literarkritik wiederherzustellen gilt. Die Behauptung eines besseren Textsinnes und literarkritisch verwertbarer Spannungen in der Textfolge reichen allein keineswegs aus, um durch Textumstellungen und das Ausscheiden angeblich sekundärer Passagen die ursprüngliche Gestalt des Johannesevangeliums wiederzugewinnen. Bei der Rekonstruktion der ursprünglichen Ordnung dominieren das subjektive Empfinden des Exegeten, seine Rekonstruktions- und Kombinationsfreude, seine theologische Gesamteinschätzung, was die zahlreichen, sehr komplizierten und teilweise einander widersprechenden Entstehungstheorien zum Johannesevangelium belegen. Methodisch ist eine neue Textanordnung deshalb erst dann gerechtfertigt, wenn die Unmöglichkeit der überlieferten Textfolge sowohl auf literarkritischer als auch auf theologischer Ebene erwiesen werden kann.“ (Schnelle, 16).
Bei der Auslegung ist daher davon auszugehen, dass die jetzige Gestalt bzw. Reihenfolge gewollt ist (Schnelle, 16). Anstatt sie zu verändern, ist zu fragen, welche Überlegungen dahinter stehen.
5 Verfasser,
Zeit und Ort der Abfassung
5.1 Der Verfasser
Die wichtigste außerbiblische Quelle zur Verfasserfrage ist eine Aussage des Kirchenvaters Irenäus:
„Nicht eher nämlich zogen sie [die Evangelisten] aus bis an die Grenzen der Erde, allen die frohe Botschaft zu bringen und den himmlischen Frieden den Menschen zu verkünden, als unser Herr von den Toten auferstanden war und sie alle die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hatten, der über sie kam. Dadurch empfingen sie die Fülle von allem und die vollkommene Erkenntnis, und so besitzt auch jeder einzelne von ihnen das Evangelium Gottes. Matthäus verfasste seine Evangelienschrift bei den Hebräern in hebräischer Sprache, als Petrus und Paulus zu Rom das Evangelium verkündeten und die Kirche gründeten. Nach deren Tod zeichnete Markus, der Schüler und Dolmetscher Petri, dessen Predigt für uns auf. Ähnlich hat Lukas, der Begleiter Pauli, das von diesem verkündete Evangelium in einem Buch niedergelegt. Zuletzt gab Johannes, der Schüler des Herrn, der an seiner Brust ruhte, während seines Aufenthaltes zu Ephesus in Asien das Evangelium heraus. (advHaer III,1,1-2).“
Demnach stammt das vierte Evangelium von Johannes.
Die Belastbarkeit dieser Aussage der Tradition wird von einigen Bibelauslegern in Frage gestellt. Zur Begründung wird auch behauptet, dass Johannes nach Mk 10,35-40 schon früh zum Märtyrer geworden sei und dass das vierte Evangelium nicht von einem Augenzeugen Jesu geschrieben worden sein könne, weil es sich so sehr von den synoptischen Evangelien unterscheide (Schnelle, 4ff.; Zumstein, 56).
Richtig
ist sicher der Hinweis, dass die „Glaubwürdigkeit dieser Tradition … am inneren
Zeugnis des Johannesevangeliums überprüft werden“ muss (Schnelle, 5).
Was sagt das Johannesevangelium selbst? Hier ist natürlich vor allem die Aussage von 21,24-25 von Bedeutung: „(24) Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. (25) Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“
Wer ist mit dem „Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat“ gemeint? Unmittelbar vorher ist von dem „Jünger“ die Rede, „den Jesus lieb hatte, der auch beim Abendessen an seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist's, der dich verrät?“ (21,20). Demnach ist das vierte Evangelium, abgesehen vom Schlusswort 21,24-25, vom „Jünger …,„den Jesus lieb hatte“ verfasst worden.
Wer aber ist der „Jünger …,„den Jesus lieb hatte“? Er wird an keiner Stelle mit Namen genannt. Von ihm ist aber noch an folgenden Stellen die Rede:
13,23 |
Es war aber einer unter
seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. |
19,26-27 |
(26)
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte,
spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! (27) Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter!
Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. |
20,1-3 |
(1) Am
ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war, zum
Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. (2) Da läuft sie und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern
Jünger, den Jesus lieb hatte, und spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn
weggenommen aus dem Grab, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt
haben. (3) Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus, und sie kamen
zum Grab. |
21,7 |
Da spricht der Jünger, den
Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! … |
Die Identifizierung es Jüngers, „den Jesus lieb hatte“, bereitete denen keine großen Schwierigkeiten, „die um die Mitte des 2. Jh.s in der eigenen Gemeinschaft entstandene und in den Gemeinden gelesene Schriften zu einem neutestamentlichen Kanon zusammenstellten und zusammen mit der dabei ‚Altes Testament‘ genannten jüdischen Bibel als christliche Bibel herausgaben“ und „die Überschriften und Unterschriften der Evangelien einheitlich mit ‚Evangelium nach […]‘ gestalteten … Wollte man den … noch namenlos Gelassenen identifizieren, fiel das bei Kenntnis der anderen Evangelien und der Apostelgeschichte nicht schwer. Es musste einer von den drei Schülern sein, die von den anderen Evangelisten in einer besonderen Nähe zu Jesus geschildert werden: Simon Petrus, Jakobus und Johannes. Simon Petrus scheidet aus, weil er mehrfach im Gegenüber zu dem Schüler, den Jesus liebte, erscheint. Auch Jakobus, der Sohn des Zebedäus, kann es nicht sein, weil er nach Apg 12,1f. von König Herodes Agrippa I. schon früh hingerichtet wurde. So bleibt nur sein Bruder Johannes.“ (Wengst, 592f.).
Dementsprechend setzte man die Überschrift „Evangelium nach Johannes“ über das vierte Evangelium. Sie findet sich bereits bei frühen Textzeugen (P66, um 200; P75, 3. Jh.).
Trotzdem wird die johanneische Verfasserschaft des vierten Evangeliums von den meisten Bibelwissenschaftlern abgelehnt. Schnackenburg nimmt immerhin an, dass der Verfasser zwar „auch selbst Theologe und Verkündiger für die angesprochenen Leser“ war, aber eben auch „Tradent der Überlieferung und Verkündigung des Apostels Johannes“ (Schnackenburg I, 86).
Das „innere Zeugnis“ des vierten Evangeliums legt jedoch die johanneische Verfasserschaft nahe (21,24-25), wobei man ggf. annehmen kann, dass der Verfasser des Schlusswortes (21,24-25) möglicherweise auch eine Endredaktion des ganzen Evangeliums vorgenommen hat.
5.2 Ort und Zeit der Abfassung
Als möglicher Abfassungsort werden neben Ephesus bzw. Kleinasien auch Syrien (Zumstein, 54) und das nördliche Ostjordanland (Wengst, 19f.) vermutet.
Hinsichtlich der Abfassungszeit besteht Einigkeit darüber, dass es aufgrund des in Ägypten gefundenen Textfragmentes P52, der auf das Jahr 125 n.Chr. datiert wird, spätestens zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben muss. Als frühestmöglicher Termin der Abfassung gilt i.d.R. das Jahr 80 n.Chr., da ab diesem Zeitpunkt vermehrt mit dem Ausschluss der Christen aus der Synagoge zu rechnen ist. Meistens geht man davon aus, dass es im letzten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde.