2.3.3      Die Macht der Zunge (3,1-12)  

 

3,1 Liebe Brüder, nicht jeder von euch soll ein Lehrer werden; und wisst, dass wir ein desto strengeres Urteil empfangen werden. 2 Denn wir verfehlen uns alle mannigfaltig. Wer sich aber im Wort nicht verfehlt, der ist ein vollkommener Mann und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten.

3 Wenn wir den Pferden den Zaum ins Maul legen, damit sie uns gehorchen, so lenken wir ihren ganzen Leib. 4 Siehe, auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und von starken Winden getrieben werden, werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wohin der will, der es führt. 5 So ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an.

Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an! 6 Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. So ist die Zunge unter unsern Gliedern: sie befleckt den ganzen Leib und zündet die ganze Welt an und ist selbst von der Hölle entzündet.

7 Denn jede Art von Tieren und Vögeln und Schlangen und Seetieren wird gezähmt und ist gezähmt vom Menschen, 8 aber die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel, voll tödlichen Giftes.

9 Mit ihr loben wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind. 10 Aus einem Munde kommt Loben und Fluchen. Das soll nicht so sein, liebe Brüder. 11 Lässt auch die Quelle aus einem Loch süßes und bitteres Wasser fließen? 12 Kann auch, liebe Brüder, ein Feigenbaum Oliven oder ein Weinstock Feigen tragen? So kann auch eine salzige Quelle nicht süßes Wasser geben. 

 

Nach den grundsätzlichen Aussagen über die Zusammengehörigkeit von Glauben und Werken geht es wieder um ein ganz praktisches Thema: die Macht der Zunge.

 

(1) Die Verse richten sich vor allem an Gemeindeglieder, die dabei sind, sich zu Lehrern der Gemeinde aufzuschwingen. So sehr Jakobus einerseits von der Notwendigkeit der Lehre überzeugt ist und sich auch selbst als Lehrer sieht, so sehr betont er andererseits, dass dies keine Aufgabe für jedermann ist und weißt darauf hin, dass die Lehrer im Jüngsten Gericht ein strengeres Urteil zu erwarten haben (vgl. Mt.12,36.37). (2) Der Grund dafür ist, dass sich Lehrer immer wieder verfehlen. Die richtigen Worte zu finden ist eine so große Herausforderung, dass diejenigen, denen in diesem Bereich keine Fehler unterlaufen, vollkommene Menschen sind, die sich voll und ganz im Griff haben (vgl. Spr.10,19).

 

Die folgenden Verse begründen, warum die richtige Wortwahl so wichtig ist. (3-5a) Jakobus illustriert das mit Hilfe von zwei Beispielen. Zaumzeug und Ruder zeigen, dass derjenige, der die Macht über diese vergleichsweise kleinen Steuerungsmittel hat, in der Lage ist, große Dinge in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. So ist das auch mit der Zunge. Obwohl sie ein vergleichsweise kleines Körperteil ist, kann sie große Dinge bewirken.

 

(5b-6) Diese Wirkung muss nicht immer positiv sein. So wie ein kleines Feuer ausreicht, um einen ganzen Wald in Flammen zu setzen, so kann auch die Zunge alles in Brand setzen. Die Zunge ist – so wörtlich – „die Welt der Ungerechtigkeit“, d.h. das Böse schlechthin. Sie bekommt ihre zerstörerische Kraft direkt aus der Hölle (höllisches Feuer: Mt.5,22; ewiges Feuer: Mt.25,41) und „befleckt“ den ganzen Menschen. Außerdem wird – so wörtlich – „das Rad des Werdens“ (die LÜ übersetzt ungenau mit „die ganze Welt“) in Brand gesetzt. Dieser Ausdruck bezieht sich auf das Leben des Menschen und betont dessen Veränderlichkeit. Gemeint ist: Die Zunge „vernichtet … den ganzen Verlauf des menschlichen Lebens in seiner Entwicklung“. (Frankemölle, 509).

 

(7f.) Wie kommt es, dass die Zunge eine solche Wirkung hat? Das liegt daran, dass der Mensch seine Zunge – im Unterschied zu den Tieren – nicht zähmen kann. Die Zunge kann von niemandem zur Ruhe gebracht werden. Überall verbreitet sie ihr tödliches Gift (vgl. Ps.140,4).

 

Andererseits kann sie auch viel Gutes tun. Deshalb kommt es darauf an, diese Zwiespältigkeit zu überwinden. (9f.) Es kann nicht sein, dass wir in den höchsten Tönen von Gott sprechen und gleichzeitig unsere Mitmenschen verfluchen, die doch nach dem Bild Gottes geschaffen wurden (1.Mos.1,26f.; 9,6). (11f.) Wie unmöglich das ist, wird abschließend mit drei Beispielen aus der Natur unterstrichen. Dort herrscht die Eindeutigkeit, die auch von Christen gefordert ist.

 

Zusammenfassung: Alle Christen, aber insbesondere diejenigen, die in der Gemeinde als Lehrer auftreten wollen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass von der Zunge eine gewaltige Wirkung ausgeht – im positiven wie im negativen Sinn – und niemand sie zähmen kann. Immer wieder wird ihre Zwiespältigkeit deutlich. Aber diese Zwiespältigkeit ist unmöglich bzw. widernatürlich und darf nicht einfach hingenommen werden.