Leben und Werk Dietrich Bonhoeffers
Dietrich Bonhoeffer war ein
herausragender Theologe. Aber das allein erklärt nicht seine Bedeutung und sein
außerordentliches Ansehen. Entscheidend ist der enge Zusammenhang zwischen dem,
was er gelehrt hat und dem, was er getan hat. Das ist auch der Grund dafür,
dass dieser Vortrag biographisch aufgebaut ist.
1. Kindheit, Jugend und
Studienjahre
1.1 Kindheit und Jugend
Dietrich Bonhoeffer und seine
Zwillingsschwester Sabine werden am 4. Februar 1906 als sechstes und siebtes
von insgesamt acht Kindern des Ehepaares Karl und Paula Bonhoeffer in Breslau
geboren. Karl Bonhoeffer ist dort Professor für Psychiatrie und Neurologie.
Die Familie ist großbürgerlich,
bildungsbürgerlich – mit einem Hauch von Aristokratie. Seine Großmutter
mütterlicherseits war musisch sehr begab, sein Großvater mütterlicherseits Professor
für Praktische Theologie und Hofprediger bei Wilhelm II und der Großvater
väterlicherseits Landgerichtspräsident. Seine Brüder erlangen Professuren in
Physik oder Jura; auch seine Schwestern studieren und heiraten namhafte
Juristen und Theologen.
Das lässt natürlich Rückschlüsse
auf das Klima im Elternhaus zu. Und wir wissen, dass bei Bonhoeffers die
Hausmusik hoch im Kurs stand und regelmäßig Vorleseabende mit den Klassikern
der Literatur durchgeführt wurden.
1912 zieht die Familie nach Berlin,
wo der Vater eine Professur an der berühmten Charité übernimmt. Sie wohnen im
Professorenviertel Berlins, das damals das geistige und kulturelle Zentrum
Deutschlands ist. Die Familien der intellektuellen Eliten kennen sich und
treffen sich regelmäßig.
Dietrich Bonhoeffer wird zunächst
von seiner Mutter selbst unterrichtet – zu Hause. Als er später das
humanistische Gymnasium besucht, wird er aufgrund seines Lernstandes höher
eingestuft, als es seinem Alter entsprechen würde.
Die Kirche spielt bei Bonhoeffers
kaum eine Rolle. Die Familie geht nicht einmal an den Feiertagen zur Kirche.
Aber die Mutter erzählt die biblischen Geschichten. Auch das Tisch- und
Abendgebet geht zum Tagesablauf. Das Christentum wird nicht abgelehnt, aber die
Kirche spielt kaum eine Rolle.
Trotzdem entscheidet Dietrich
Bonhoeffer sich bereits als Kind dafür, Pfarrer und Theologe zu werden. Im
Alter von 15 Jahren bekräftigt er diese Entscheidung und beginnt, theologische
und philosophische Fachliteratur zu lesen. Fortan geht er gelegentlich zum
Gottesdienst, manchmal von seiner Mutter begleitet. Das Interesse an der
Theologie ist aber überwiegend weltanschaulich-philosophisch – und weniger
existentiell-persönlich.
1.2 Die Studienjahre
1923 – also im Alter von 17 Jahren
– beginnt er in Tübingen sein Theologiestudium. Von 1924 bis 1927 setzt er
seine Studien in Berlin fort.
Die Berliner Fakultät wird vom
Protestantismus des 19. Jahrhunderts geprägt, der ganz in der Tradition der
Aufklärung steht. Er legt großen Wert auf die Feststellung, dass der Glaube
nicht unvernünftig ist, sondern philosophisch begründet werden kann.
Ansatzpunkt ist der Mensch. Man ist der Auffassung, dass der Mensch von Natur
aus religiös ist und es deshalb darauf ankommt, das religiöse und sittliche
Potential des Menschen zu entfalten. Wenn das so ist, besteht natürlich eine
enge Verbindung zwischen Philosophie und Theologie und man geht
selbstverständlich davon aus, dass es sich bei der Theologie um eine angesehene
Wissenschaft handelt.
Mitte der zwanziger Jahre aber wird
Dietrich Bonhoeffer auf Karl Barth und die sog. „Dialektische Theologie“
aufmerksam. Der erste Weltkrieg hatte gezeigt, wozu der angeblich von Natur aus
religiöse Mensch fähig ist. So war die Zeit reif für eine Theologie, bei der
nicht der religiöse und sittliche Mensch, sondern Gott im Mittelpunkt steht.
Karl Barth nennt Gott den „ganz
Anderen“. Er betont, dass zwischen uns und ihm ein „unendlich-qualitativer
Unterschied“ besteht und er für uns unzugänglich ist. Von Gott können wir nur
reden, weil er sich uns zu erkennen gegeben hat – weil er sich in Jesus
Christus offenbart hat. Theologie hat nicht die Aufgabe, über Gott und die Welt
zu spekulieren, sondern auf Gottes Offenbarung zu hören. Während Philosophie
und Religion den Weg von „unten“ nach „oben“ – also vom Menschen zu Gott – zu
beschreiten, geht es in der Theologie um die Einsicht, dass Gott von „oben“
nach „unten“ gekommen ist und das dies allein zählt. Daraus folgt
natürlich die Trennung von Philosophie und Theologie – und auch der Hinweis,
dass die Theologie keine Wissenschaft im üblichen Sinne sein kann.
Für Bonhoeffer werden diese
Gedanken prägend. An seiner Universität hält man allerdings nicht viel davon.
Das hält ihn aber nicht davon ab, seine wissenschaftliche Karriere weiter zu
verfolgen. Im Dezember 1927 wird er mit „summa cum laude“ promoviert.
Anschließend dient er für ein Jahr als Viktor an der deutschen Gemeinde in
Barcelona. 1929 wird er Assistent an der theologischen Fakultät der Berliner Universität
und beginnt, an seiner Habilitation zu arbeiten. Im Sommer 1930 schließt er sie
erfolgreich ab und hält seine Antrittsvorlesung als Privatdozent. Ein
einjähriger Studienaufenthalt in den USA schließt seine Studienzeit ab.
2. Der Mann der Kirche
(1931-1940)
2.1 Der Ruf in die Verantwortung
Bisher war Dietrich Bonhoeffer
nahezu ausschließlich als Akademiker unterwegs. Aber nachdem er alle
akademischen Weihen erlang hat, beschränkt er sich nicht mehr auf den Bereich
der Wissenschaft. Zwar ist er nach wie vor Assistent und Privatdozent an der
theologischen Fakultät. Darüber hinaus aber ist er als Pfarrer tätig und
engagiert sich im Bereich der Ökumene.
Auch bei seiner Lehrtätigkeit kommt
es zunehmend darauf an, Farbe zu bekennen. Ein großer Teil der Berliner
Theologiestudenten sympathisiert mit dem Nationalsozialismus. Bonhoeffer hält
von Anfang an dagegen und wird schnell zu einer Anlaufstelle für Studenten, die
es genauso sehen.
Dabei geht es nicht nur um Politik,
sondern vor allem um den theologischen Ansatz. Die sog. „Deutschen Christen“,
also diejenigen, die Christentum und Nationalsozialismus für vereinbar halten
und miteinander vermischen wollen, sind – wie die Theologie des 19. Jahrhunderts
– der Auffassung, dass der Menschen mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt
stehen soll. Sie haben natürlich ganz besondere Vorstellungen von diesen
Bedürfnissen und verstehen darunter z.B. den Wunsch nach einem Wiederaufstieg
Deutschlands. Und so sind sie der Auffassung, dass der Nationalsozialismus ganz
im Sinne Gottes ist.
Für Bonhoeffer aber ist Gott
beziehungsweise die Offenbarung Gottes der Ausgangspunkt. Das macht unabhängig
von Einflüsterungen des Zeitgeistes – auch des Ungeistes des Nationalsozialismus.
Im November 1931 wird Dietrich
Bonhoeffer ordiniert und arbeitet fortan auch als Studentenpfarrer an der
Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Außerdem unterstützt er einen
älteren Pfarrer beim Konfirmandenunterricht.
Dessen Konfirmanden-Kurs, eine
reine Jungs-Klasse, ist aus den Fugen geraden. Als der Pfarrer ihnen Dietrich
Bonhoeffer vorstellt, werden sie auf dem Weg zum Unterrichtsraum mit allerlei
Unrat beworfen. Aber Bonhoeffer stellt sich minutenlang schweigend vor die „Meute“.
Als es etwas ruhiger wird, fängt er mit leiser Stimme an, von seiner Zeit in
New York zu erzählen. Plötzlich sind alle ganz Ohr. Bonhoeffer hat den Kurs für
sich gewonnen. Auch außerhalb des eigentlichen Unterrichts setzt er sich für
die Kinder ein. Er lädt sie in sein Elternhaus ein und unternimmt Fahrten und
Freizeiten. Aufgrund dieser Erfahrungen eröffnet er auch eine „Jugendstube“ –
ein Begegnungszentrum für Jugendliche.
Auch in seinen Predigten wird sein
theologischer Ansatz deutlich – und die damit verbundene Ablehnung
nationalistischer und nationalsozialistischer Auffassungen. Im Juni 1932
predigt er in der „Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“. Franz von Papen, der
wenige Monate später entscheidend dazu beitragen sollte, Adolf Hitler an die Macht
zu bringen – war gerade Reichskanzler
geworden.
Und was predigt Bonhoeffer? Wir lesen, dass eine Regierung proklamiert,
es solle ein ganzes Volk aus dem Zusammenbruch gerissen werden - durch die
christliche Weltanschauung. „Im Namen Gottes, Amen“, soll es wieder heißen,
Religion soll wieder gepflegt und christliche Weltanschauung ausgebreitet werden
... Versteckt sich nicht gerade hinter unseren religiösen Tendenzen unser
unbändiger Drang nach ... Willkür -, im Namen Gottes das zu tun, was uns gefällt? Mit anderen Worten:
Gott ist der ganz Andere – und darf nicht für unsere menschlichen Interessen
missbraucht werden.
Bonhoeffers ökumenische Aktivitäten
beginnen damit, dass er im Sommer 1931 Mitglied der deutschen Jugenddelegation
auf der Jahrestagung des „Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen“ ist,
die in Cambridge stattfindet.
Innerhalb der ökumenischen Bewegung
kann man zwischen drei Strömen unterscheiden. Da sind zunächst die
Missionskonferenzen, bei denen es u.a. um Absprachen zwischen den Missionsgesellschaften
und um eine punktuelle Zusammenarbeit im Missionsfeld geht. Außerdem gibt es die „Bewegung für praktisches
Christentum“ (Life and Work), die sich dafür einsetzt,
dass sich Christen aus unterschiedlichen Konfessionen ungeachtet ihrer
theologischen Differenzen gemeinsam zu ethischen Fragen äußern. Schließlich ist
da die „Bewegung für Glaube und Kirchenverfassung“ (Faith and
Order), die sich mit Übereinstimmungen und Unterschieden in Lehrfragen befasst.
Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich diese drei Ströme zum „Ökumenischen Rat
der Kirchen“ vereinigt.
Der „Weltbund für
Freundschaftsarbeit der Kirchen“ gehört zum zweiten Strom der ökumenischen
Bewegung – zur „Bewegung für praktisches Christentum“. Es geht darum, dass die
Kirchen sich in ihren jeweiligen Ländern für die Erhaltung des Friedens
einsetzen.
Aus heutiger Sicht klingt das wenig
spektakulär. Das ist damals ganz anders. Im Hinblick auf die in Cambridge
stattfindende Konferenz verfassen Paul Althaus und Emanuel Hirsch, zwei
renommierte lutherische Theologen, eine Erklärung zum Thema „Evangelische
Kirche und Völkerverständigung“, die von der rechtsgerichteten Presse gefeiert
wird.
Darin heißt es: Das deutsche Volk ist in einem von ihm nicht
gewollten, ihm aufgezwungenen Kriege niedergerungen und durch Friedensdiktat
des Anteils an der Verwaltung von Raum und Gütern der Erde beraubt worden, den
es braucht, um auch nur atmen und leben zu können. In dieser Lage gibt es nach
unserem Urteil zwischen uns Deutschen und den im Weltkriege siegreichen
Nationen keine andere Verständigung als ihnen zu bezeugen, dass während ihres
fortgesetzten Krieges wider uns eine Verständigung nicht möglich ist ... Hier bekommt
die Forderung volle Wucht: durch allen künstlichen Schein der Gemeinschaft hindurchzustoßen
und rückhaltlos zu bekennen, dass eine christliche und kirchliche Verständigung
und Zusammenarbeit in den Fragen der Annäherung der Völker unmöglich ist,
solange die Anderen eine für unser Volk mörderische, Politik gegen uns treiben.
Auf der Konferenz von Cambridge wird
Bonhoeffer zu einem von drei ehrenamtlichen Jugendsekretären gewählt und wird
Mitglied des ständigen Rates des Weltbundes. Fortan nimmt er regelmäßig an ökumenischen
Konferenzen und Ausschüssen teil – auf nationaler und auf internationaler
Ebene.
Auch hier ist Bonhoeffers
theologische Grundhaltung entscheidend. Sie verhindert, dass er vom Strudel der
Zeit mitgerissen wird. Er weiß um den Auftrag, den Gott ihm gegeben hat und
steht dazu.
So wird das Jahr 1931 für ihn zu einem
Jahr mit entscheidenden Weichenstellungen. Bonhoeffer übernimmt Verantwortung.
Eng damit verbunden ist die „Wende“ vom akademischen Theologen zum Christen,
der aus seiner Theologie praktische Schlussfolgerungen zieht.
1936 beschreibt Bonhoeffer diese „Wende“
in einem Brief an seinen Bruder Karl-Friedrich folgendermaßen: Als ich anfing mit der Theologie, habe ich
mir etwas anderes darunter vorgestellt - doch vielleicht eine mehr akademische
Angelegenheit. Es ist nun etwas ganz anderes daraus geworden. Aber ich glaube
nun endlich zu wissen, wenigstens einmal auf die richtige Spur gekommen zu sein
- zum ersten Mal in meinem Leben. Und das macht mich oft sehr glücklich … Dann
kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen
hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel ... Ich hatte schon oft gepredigt, ich
hatte schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und geschrieben - und
ich war noch kein Christ geworden.
Die neue Bedeutung der Heiligen
Schrift betont er auch in einem Brief an seinen Schwager Rüdiger Schleicher vom
April 1936: Ist es Dir nun verständlich,
wenn ich die Bibel als dieses fremde Wort Gottes an keinem Punkt preisgeben
will, dass ich vielmehr mit allen Kräften danach frage, was Gott hier zu uns
sagen will? Jeder andere Ort außer der Bibel ist mir zu ungewiss geworden. Ich
fürchte, dort nur auf einen göttlichen Doppelgänger von mir selbst zu stoßen …
Und ich will Dir nun auch noch ganz persönlich sagen: seit ich gelernt habe,
die Bibel so zu lesen - und das ist noch gar nicht so lange her - wird sie mir
täglich wunderbarer. Aber Du glaubst gar nicht, wie froh man ist, wenn man von
den Holzwegen so mancher Theologie wieder zurückgefunden hat zu diesen primitiven
Sachen.
Bonhoeffer entdeckt damals das
„meditative“ Bibellesen für sich. Er kann Andachten halten, denen man nicht
anmerkt, dass der Sprecher ein habilitierter Theologe ist. So bezeichnet er die
Bibel seinen Studenten gegenüber einmal einfach als „Liebesbrief Gottes an uns
persönlich“ und stellt ihnen überraschenderweise die Frage, ob sie Jesus lieb
haben.
Bonhoeffer entdeckt, dass der
Glaube mehr ist, als eine Meinung über Gott und die Welt. Er entdeckt, dass
Gott in sein Leben spricht.
2.2 Der Kampf beginnt
Am 30. Januar 1933 wird Adolf
Hitler zum Reichskanzler ernannt. Schon bald wird klar, dass es sich hier nicht
um ein kurzes Intermezzo handelt. Auch in die Kirchen zieht der Nationalsozialismus
immer mehr ein. Im Magdeburger Dom wird eine „Hakenkreuzpredigt“ gehalten, in
der es heißt: Es ist einfach das Symbol
der deutschen Hoffnung geworden. Wer uns dieses Symbol schmäht, der schmäht
unser Deutschland ... Um den Altar die Fahnen mit dem Hakenkreuz, sie strahlen
die Hoffnung aus. Es wird einmal licht werden.
Bonhoeffer predigt wenig später: Wir haben in der Kirche nur einen Altar, und
das ist der Altar des Allerhöchsten, -. vor dem alle Kreatur auf die Knie muss
... Wer etwas anderes will als dies, der bleibe fern, der kann nicht mit uns im
Hause Gottes sein ... Wir haben in der Kirche auch nur eine Kanzel, und von
dieser Kanzel aus wird vom Glauben an Gott geredet und sonst von keinem
Glauben, und keinem noch so guten Willen.
Der Konflikt ist unvermeidlich. Die
Anhänger des Nationalsozialismus innerhalb der evangelischen Kirche nennen sich
„Deutsche Christen“. Ihre wichtigsten Ziele lauten:
·
Erstens: Aufbau einer Reichskirche – anstelle der 28
verschiedenen evangelischen Landeskirchen.
·
Zweitens: Einführung des Führerprinzips in der Kirche
– anstelle der Synodalverfassung.
·
Drittens: Gleichschaltung der Kirche – anstelle einer
Unabhängigkeit der Kirche vom Staat.
·
Viertens: Artgemäßheit – anstelle einer Gemeinschaft,
die über die Grenzen von Kultur und Rasse hinweggeht. Konkret geht es dann vor
allem um den „Arierparagraphen“ in der Kirche („Nicht-Arier“
dürfen nicht mehr Pfarrer sein).
Am 25. April 1933 setzt Adolf
Hitler Ludwig Müller zu seinem „Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der
evangelischen Kirche“ ein. Er wird damit beauftragt, „alle Arbeiten zur
Schaffung einer evangelischen Reichskirche zu fördern.
Daraufhin erarbeiten die
evangelischen Kirchen eine eigene Verfassung für eine Reichskirche und wählen
den allseits beliebten Friedrich von Bodelschwingh zum Reichsbischof.
Aber dann ordnet Hitler kurzfristig
für den 23. Juli 1933 kirchliche Neuwahlen an. Die NSDAP macht ihren
Parteimitgliedern die Teilnahme an der Kirchenwahl zur Pflicht. Außerdem werden
alle Kritiker des Nationalsozialismus behindert. Die Folge ist ein hoher
Wahlsieg für die Anhänger der „Deutschen Christen“. Kurz darauf wird innerhalb
der evangelischen Kirche der „Arierparagraph“
eingeführt und Ludwig Müller wird neuer Reichsbischof.
Daraufhin aber organisiert sich ein
„Pfarrernotbund“. Im Mittelpunkt steht zunächst die Solidarität mit den „nicht-arischen“
Pfarrern. Die Verpflichtungserklärung des Pfarrernotbundes lautet:
·
Ich
verpflichte mich, mein Amt als Diener des Wortes auszurichten allein in der
Bindung an die Hl. Schrift und an die Bekenntnisse der Reformation als die
rechte Auslegung der HL Schrift.
·
Ich
verpflichte mich, gegen alle Verletzung solchen Bekenntnisstandes mit
rückhaltlosem Einsatz zu protestieren.
·
Ich weiß
mich nach bestem Vermögen mit verantwortlich für die, die um solchen Bekenntnisstandes
willen verfolgt werden.
·
In solcher
Verpflichtung bezeuge ich, dass eine Verletzung des Bekenntnisstandes mit der
Anwendung des Arierparagraphen im Raum der Kirche
Christi geschaffen ist.
Diese Initiative findet ein großes
Echo. Ende 1933 sind bereits 6.000 Pfarrer dabei. Im Oktober 1933 werden
entsprechende organisatorische Strukturen geschaffen.
In den zahlreichen Diskussionen
über die angemessene Reaktion auf die Versuche zur Gleichschaltung der Kirche
tritt Dietrich Bonhoeffer für ein konsequentes Handeln der Kirche ein. So
befürwortet er nach der Einführung des Arierparagraphen
die Gründung einer Freikirche, in der Kirche und Staat getrennt sind, die
Pfarrer keinen Beamtenstatus haben und die Kirche auch finanziell unabhängig
ist.
Auf den internationalen
ökumenischen Konferenzen erreicht Bonhoeffer, dass die Mitgliedskirchen aus
anderen Ländern ihre Sorgen über die Entwicklungen innerhalb der deutschen
evangelischen Kirche öffentlich zum Ausdruck bringen. Das führt natürlich zu
entsprechenden Meldungen in der internationalen Presse und übt wenigstens etwas
Druck auf das NS-Regime aus, das in den ersten Jahren großen Wert darauf legt,
nicht als diktatorisch regiertes Land wahrgenommen zu werden.
Bonhoeffer wird stark vom
Tageskampf in Anspruch genommen. Im Oktober 1933 aber zieht er sich plötzlich
daraus zurück und wird Auslandspfarrer für zwei deutsche Gemeinden in London.
Dadurch ist er nicht mehr direkt am Geschehen beteiligt, steht aber in einem
regen Briefwechsel mit denen, die den Kampf gegen den Nationalsozialismus im
kirchlichen Gewande führen. Außerdem kehrt er bereits 1935 nach Deutschland
zurück, um sich noch konsequenter und radikaler als zuvor für das einzusetzen,
was ihm jetzt wichtig erscheint. Er wird Leiter eines Predigerseminars der
zwischenzeitlich entstandenen „Bekennenden Kirche“.
2.3 Das Predigerseminar
Am 11. November 1933 ist auf einer
Kundgebung der „Deutschen Christen“ im Berliner Sportpalast von der „Befreiung
vom Alten Testament mit seiner jüdischen Lohnmoral, von diesen Viehhändler- und
Zuhältergeschichten“ die Rede. Einen Monat später verfügt der
Reichsbischof Ludwig Müller die
Eingliederung der Evangelischen Jugend in die Hitlerjugend. Im Januar verbietet
er die Erörterung des Kirchenkampfes in kirchlichen Räumen und Publikationen und
droht den Pfarrern für den Fall der Nichtbeachtung mit Amtsenthebung.
Dann kommt es im Frühjahr sogar zur
Auflösung von Synoden, in denen die „Deutschen Christen“ nicht in der Mehrheit
waren, mit Hilfe der Polizei. Daraufhin bilden sich frei Bekenntnissynoden.
Vom 29. bis 31. Mai 1934 findet in
Barmen eine erste gesamtdeutliche Bekenntnissynode statt. Daran nehmen
Vertreter der freien Bekenntnissynoden teil und auch Vertreter von Landeskirchen,
die noch nicht von den „Deutschen Christen“ dominiert werden. Es wird ein
„Bruderrat“ gebildet. Und es wird ein Bekenntnis verabschiedet – die „Barmer
Theologische Erklärung“:
Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch
die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen
Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden
evangelischen Wahrheiten:
I.
Jesus Christus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;
niemand kommt zum Vater denn durch mich. (Joh. 14, 6)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall,
sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und Räuber. Ich bin die Tür;
wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden. (Joh
10,1.9)
Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das
eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu
vertrauen und zu gehorchen haben.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als
Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch
andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung
anerkennen.
II.
Durch Gott seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur
Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung. (1. Kor
1,30)
Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden
ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser
ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen
Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in
denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen
wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn
bedürften.
III.
Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken
zu dem hin, der das Haupt ist, Christus, von dem aus der ganze Leib zusammengefügt
ist. (Eph 4, l5. 16)
Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus
Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr
gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit
ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die
Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist,
allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung
lebt und leben möchte.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer
Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden
weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.
IV.
Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker
niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter
euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. (Mt 20, 25.26)
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der
einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde
anvertrauten und befohlenen Dienstes.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche
abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete
Führer geben und geben lassen.
V.
Fürchtet Gott, ehrt den König. (1. Petr 2,17)
Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die
Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach
dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung
von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und
Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an
Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung
der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes,
durch das Gott alle Dinge trägt.
Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über
seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen
Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen
die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag
hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und
damit selbst zu einem Organ des Staates werden.
VI.
Jesus Christus spricht: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt
Ende. (Mt 28,20) Gottes Wort ist nicht gebunden. (2.
Tim 2,9)
Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin,
an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt
und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles
Volk. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne die Kirche in menschlicher
Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher
eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.
Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche erklärt, dass sie
in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die
unumgängliche theologische Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche als
eines Bundes der Bekenntniskirchen sieht. Sie fordert alle, die sich ihrer Erklärung
anschließen können, auf, bei ihren kirchenpolitischen Entscheidungen dieser
theologischen Erkenntnisse eingedenk zu sein. Sie bittet alle, die es angeht,
in die Einheit des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zurückzukehren.
Im Herbst 1934 werden die noch
„intakten“ Landeskirchen mit Gewalt in die Reichskirche Ludwig Müllers
gedrängt. Es kommt zu einer zweiten Bekenntnissynode, auf der auch eine
„vorläufige Kirchenleitung“ gewählt wird. Sie erhebt den Anspruch, anstellt der
Reichskirche die wahre evangelische Kirche zu sein. Die Gemeinden werden
aufgerufen, sich allein an die Weisungen der „vorläufigen Kirchenleitung“ zu
halten.
Nun muss die „vorläufige
Kirchenleitung“ auch die Ausbildung ihrer Pfarrer selbst in die Hand nehmen. Es
kommt zur Gründung von eigenen Predigerseminaren. Dietrich Bonhoeffer erhält
den Auftrag, ein Predigerseminar der „Bekennenden Kirche“ für den Bereich der
evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zu gründen und zu leiten. Er nimmt
diese Arbeit im April 1935 auf – zunächst in Zingst,
dann in Finkenwalde.
Aufgabe der Predigerseminare ist
es, ausgebildete Theologen auf das Pfarramt vorzubereiten. Dazu werden
halbjährliche Kurse durchgeführt. Bis zur Schließung Finkenwaldes im September
1937 werden dort fünf Kurse mit jeweils 20 bis 30 Teilnehmern durchgeführt.
In Finkenwalde muss viel
improvisiert werden. Man nutzt einen verlassenen Gutshof. Die Einrichtung
besteht aus Möbelspenden. Zu Beginn muss erst mal renoviert werden. Die Bibliothek
besteht überwiegend aus Bonhoeffers eigenen Büchern.
Der Tagesablauf ist klar geregelt –
und enthält einige Elemente, die für alle Beteiligten eher überraschend sind.
Der Tag beginnt mit einer gemeinsamen Morgenandacht, in dessen Rahmen auch Raum
für freie Gebete ist. Anschließend folgt eine 30minütige Meditationszeit, für
die Bonhoeffer Bibeltexte ausgibt. Natürlich wird auch unterrichtet und
studiert. Abends findet wieder eine Andacht statt. Dann ist aber auch Raum für
geselliges Miteinander mit Spiel, Musik und Literatur. Außerdem finden offene
Diskussionsabende statt.
Bonhoeffer möchte im
Predigerseminar nicht nur für den Beruf des Pfarrers ausbilden, sondern
zugleich eine „brüderliche Lebensform“ vermitteln. In diesem Zusammenhang
stellt er einige Gemeinschaftsregeln auf, wozu auch die Anweisung gehört, nicht
über andere in deren Abwesenheit zu reden und bei Missachtung dieser Regel dies
dem Betroffenen zu gestehen. Darüber hinaus führt er die Möglichkeit der
Beichte ein.
Um dieses gemeinsame Leben auf eine
stabile Grundlage zu stellen, gründet er ein „Bruderhaus“ – also eine Gruppe
von Personen, die auf längere Zeit zusammenbleibt und dafür sorgt, dass das
Leben im Predigerseminar von den Regeln des Gemeinschaftslebens geprägt wird.
Nach der Auflösung des
Predigerseminars fasst Bonhoeffer seine Überlegungen in dem Buch „Gemeinsames
Leben“ zusammen.
Inhaltlich stellt Bonhoeffer in
Finkenwalde das Thema Nachfolge in den Mittelpunkt. Auch daraus entsteht ein
Buch mit dem gleichnamigen Titel – das vielleicht bekannteste Buch Bonhoeffers.
Die Krise der Kirche – so
Bonhoeffer – führt automatisch zur Frage nach Jesus: Hinter den notwendigen Tages- und Kampfparolen der kirchlichen Auseinandersetzung
regt sich ein stärkeres Suchen und Fragen nach dem, um den es allein geht, nach
Jesus selbst. Was hat Jesus uns sagen wollen? Was will er heute von uns? (7)
Die Antwort lautet, dass Jesus
Menschen in seine Nachfolge ruft: Und da Jesus vorrübergeht, sah er Levi,
den Sohn des Alphäus am Zoll sitzen und sprach zu
ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach (Mk
2,14). Der Ruf ergeht, und ohne jede
weitere Vermittlung folgt die gehorsame Tat des Gerufenen ... Jesus ruft in die
Nachfolge, nicht als Lehrer und Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn
Gottes.(28f.)
Was ist Nachfolge? Nachfolge ist
Bindung an Jesus Christus: Was wird über
den Inhalt der Nachfolge gesagt? Folge mir nach, laufe hinter mir her! Das ist
alles ... Nachfolge ist Bindung an Christus; weil Christus ist, darum muss
Nachfolge sein. Eine Idee von Christus, ein Lehrsystem, eine allgemeine
religiöse Erkenntnis von der Gnade oder Sündenvergebung macht Nachfolge nicht
notwendig, ja schließt sie in Wahrheit aus, ist der Nachfolge feindlich. Zu
einer Idee tritt man in ein Verhältnis der Erkenntnis, der Begeisterung,
vielleicht auch der Verwirklichung, aber niemals der persönlichen gehorsamen
Nachfolge. (29f.)
Nachfolge hat also mit Gehorsam zu
tun: Nur der Glaubende ist gehorsam, und
nur der Gehorsame glaubt. Es ist eine schwere Einbuße an biblischer Treue, wenn
wir den ersten Satz ohne den zweiten lassen. (35) Du beklagst dich darüber,
dass du nicht glauben kannst? Es darf sich keiner wundern, wenn er nicht zum
Glauben kommt, solange er sich an irgendeiner Stelle in wissentlichem Ungehorsam
dem Gebot Jesu widersetzt oder entzieht. Du willst irgendeine sündige
Leidenschaft, eine Feindschaft, eine Hoffnung, deine Lebenspläne, deine Vernunft
nicht dem Gebot Jesu unterwerfen?... Du bist
ungehorsam, du verweigerst Christus den Gehorsam, du willst ein Stück eigener
Herrschaft für dich behalten. Du kannst Christus nicht hören, weil du
ungehorsam bist ... Verlasse, was dich bindet und folge ihm nach! (39.42)
Dabei geht es um einen „einfältigen
Gehorsam“: Was Gehorsam ist, lerne ich
allein im Gehorchen, nicht durch Fragen. Erst im Gehorsam erkenne ich die
Wahrheit. Aus dem Zwiespalt des Gewissens und der Sünde trifft uns der Ruf Jesu
zur Einfalt des Gehorsams. (52)
Die Nachfolge schließt die
Leidensnachfolge mit ein: Wie Christus
nur Christus ist als der leidende und verworfene, so ist der Jünger nur Jünger
als der leidende und verworfene, als der Mitgekreuzigte. Die Nachfolge als die
Bindung an die Person Jesu Christi stellt den Nachfolgenden unter das Gesetz
Christi, d.h. unter das Kreuz. (62)
Gott und sein Wille stehen im
Mittelpunkt – nicht der Mensch mit seinen Bedürfnissen. Das führt zu einem
radikalen Christsein. Daher lässt Bonhoeffer diesen grundsätzlichen Aussagen
eine Auslegung der Bergpredigt folgen. Aber er redet nicht nur von Nachfolge –
er lebt sie und weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass die Leidensnachfolge
zu seinem persönlichen Schicksal werden wird.
Im September 1937 wird das
Predigerseminar in Finkenwalde von der Gestapo geschlossen. Dazu haben auch
Entwicklungen innerhalb der „Bekennenden Kirche“ beigetragen.
Zwischen 1935 und 1937 lässt der
äußere Druck etwas nach. Der zuständige Minister will die Einheit der
evangelischen Kirche wieder herstellen. Sog. „Reichskirchenausschüsse“ werden
gegründet. An der Haltung gegenüber diesen „Reichskirchenausschüssen“ aber spaltet
sich die „Bekennende Kirche“. Die Folge: Wer sich der Mitarbeit in den
„Reichskirchenausschüssen“ verweigert, ist mehr denn je isoliert. Seine Arbeit
wird als illegal betrachtet und behindert. Davon ist auch Finkenwalde
betroffen. Kurz vorher war auch Martin Niemöller, der Kopf der Kompromisslosen
innerhalb der „Bekennenden Kirche“ verhaftet worden (er wurde zum „persönlichen
Gefangenen“ Adolf Hitlers).
Trotzdem macht Bonhoeffer weiter.
Pfarramtskandidaten werden bei verschiedenen Pfarrern als Vikare getarnt
untergebracht, aber an zwei Orten Hinterpommerns gemeinsam unterrichtet
(„Sammelvikariat“). Nun ist noch mehr Improvisation nötig. Aber es funktioniert
noch bis März 1940.
Im Juni 1939 aber befindet sich
Dietrich Bonhoeffer plötzlich in den USA. Der zweite Weltkrieg kündigt sich an.
Bonhoeffer ist Pazifist und würde sich dem Wehrdienst verweigern. Gleichzeitig
scheint der Kirchenkampf immer aussichtsloser zu werden. Und dann erhält er
Angebote für eine Dozententätigkeit in den USA.
Dort angekommen wird Bonhoeffer
aber von einer großen inneren Unruhe geplagt. Mit seinen Gedanken und Gefühlen
ist er bei seiner „Bekennenden Kirche“. Da begegnet ihm in seiner
Morgenmeditation, die er seinen Studenten verordnet, aber natürlich auch selbst
praktiziert hat, ein ganz besonderer Bibeltext (aus den Losungen der Herrnhutter Brüdergemeine): Darum spricht Gott der Herr: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein,
einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist. Wer glaubt der flieht nicht.
(Jes.28,16)
Daraufhin kehrt Bonhoeffer nach
Deutschland zurück – als ein Akt des einfältigen Gehorsams und der Nachfolge
Jesu. Er führt seine Arbeit für die „Bekennende Kirche“ weiter. Darüber hinaus
aber beteiligt er sich am Widerstand gegen Adolf Hitler.
3. Im Widerstand (1940-1945)
3.1 Die Verschwörung (1940-1943)
Im März 1940 muss das
„Sammelvikariat“ aufgegeben werden. Dietrich Bonhoeffer erhält den Auftrag, der
„Bekennenden Kirche“ als „Visitator“ zu dienen – also
die verschiedenen Gemeinden regelmäßig zu besuchen. Im September wird ihm
jedoch Redeverbot erteilt. Außerdem muss er alle Reisen vorher anmelden.
Daraufhin wird Bonhoeffer von der „Bekennenden Kirche“ für wissenschaftliche
Arbeiten freigestellt. Aber auch das ist nur eine Notlösung.
Gleichzeitig wird er bei der
Abwehr, dem militärischen Geheimdienst, angestellt. Durch seine Familie war er
schon früh mit Kreisen des Widerstands gegen Hitler in Berührung gekommen – vor
allem durch seinen Schwager Hans von Dohnanyi, der zunächst im Justizministerium
gearbeitet hatte, dann aber in den engeren Führungskreis der Abwehr kam, deren
Leiter (Admiral Canaris und General Oster) die Abwehr zu einer Zentrale des
Widerstandes gegen Hitler umfunktionierten.
Als die berufliche Situation
Bonhoeffers immer unklarer wird, kommt er zur Abwehr. Das hat natürlich zur
Folge, dass er „UK“ gestellt wird (er ist „unabkömmlich“ – darf also nicht in
die Wehrmacht eingezogen werden).
Bonhoeffer wird der Münchener
Dienststelle der Abwehr angegliedert. Offiziell lautet sein Auftrag, dass er
seine ökumenischen Kontakte für den Geheimdienst nutzen soll. Tatsächlich
besteht sein Auftrag darin, mit Hilfe seiner ökumenischen Kontakte die
Alliierten über den deutschen Widerstand zu informieren. Man hofft, dass die
Alliierten für den Fall eines erfolgreichen Putsches gegen Hitler einigermaßen
erträgliche Friedensbedingungen in Aussicht stellen. Diese Perspektive soll
dann weitere deutsche Militärs dazu ermutigen, sich dem Widerstand gegen Hitler
anzuschließen.
In diesem Sinne unternimmt Bonhoeffer
einige Auslandsreisen. Am wichtigsten ist sein Kontakt mit Bischof Bell von der
anglikanischen Kirche. Bell hat Zugang zum britischen Außenminister und
versucht, dort etwas zu bewegen.
Bonhoeffer hofft von einem
Umsturzversuch zum nächsten. Außerdem engagiert er sich in der Fluchthilfe für
Juden und setzt sich für die UK-Stellung wichtiger Pastoren über die Abwehr
ein.
In dieser Situation schreibt
Bonhoeffer an Entwürfen für eine Ethik, die später in dem gleichnamigen Buch
zusammengestellt wurden. Seine Ausführungen reflektieren auch sein damaliges Engagement.
Ausgangspunkt ist das „einheitliche
Wirklichkeitsverständnis“: Seit den Anfängen
christlicher Ethik nach der neutestamentlichen Zeit ist die vorherrschende,
bewusst oder unbewusst alles bestimmende Grundvorstellung des ethischen Denkens
die des Aneinanderstoßens von zwei Räumen, von denen der eine göttlich, heilig,
übernatürlich, christlich, der andere aber weltlich, profan, natürlich,
unchristlich ist ... Es gibt nicht zwei Wirklichkeiten, sondern nur eine Wirklichkeit
... (208ff.)
Schon in Finkenwalde hatte er
gesagt: „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“ Es
kann keine Trennung zwischen dem Bereich des Glaubens und dem Engagement für
die Gesellschaft geben.
Angesichts der Krise stellt er das
Versagen der traditionellen Ethik fest: Erschütternd
ist das Versagen der Vernünftigen ... Bitter enttäuscht über die Unvernünftigkeit
der Welt sehen sie sich zur Unfruchtbarkeit verurteilt, treten resigniert zur
Seite ... Erschütternder noch ist das Scheitern alles ethischen Fanatismus ...
Weil es zum Wesen des Fanatismus gehört, dass er das Ganze des Bösen aus den
Augen verliert und wie der Stier auf das rote Tuch statt auf dessen Träger
zustößt, muss er schließlich ermüden und unterliegen ... Einsam erwehrt sich
der Mann des Gewissens ... Aber das Ausmaß der Konflikte, in denen er zu wählen
hat - durch nichts beraten und getragen als durch sein eigenstes
Gewissen -, zerreißt ihn ... Aus der verwirrenden Fülle der möglichen
Entscheidungen scheint der sichere Weg der Pflicht herauszuführen ... Die
Verantwortung für den Befehl trägt der Befehlsgeber ... Der Mann der Pflicht
wird schließlich auch dem Teufel gegenüber noch seine Pflicht erfüllen müssen
... Auf der Flucht vor der öffentlichen Auseinandersetzung erreicht dieser und
jener die Freistatt einer privaten Tugendhaftigkeit ... Nur auf Kosten eines
Selbstbetruges kann er seine private Untadelhaftigkeit
vor der Befleckung durch verantwortliches Handeln in der Welt erhalten. (
69ff.)
Daher ist ein ganz neuer Ansatz
erforderlich – die Orientierung an Gottes Gebot: Das Wissen um Gut und Böse scheint das Ziel aller ethischen Besinnung
zu sein. Die christliche Ethik hat ihre erste Aufgabe darin, dieses Wissen
aufzuheben ... Das Gebot ist die einzige Ermächtigung zur ethischen Rede.
(19.293)
Dabei plädiert er für die
Kombination von Einfalt und Klugheit: Nur
wer hier Einfalt und Klugheit miteinander zu verbinden vermag, kann bestehen
... Einfältig ist, wer in der Verkehrung, Verwirrung und Verdrehung aller
Begriffe allein die schlichte Wahrheit Gottes im Auge behält ... Klug ist, wer
die Wirklichkeit sieht, wie sie ist, wer auf den Grund der Dinge sieht. (72f.)
Es geht also einerseits darum, sich
nicht selbst zum Maßstab zu erheben und selbst über Gut und Böse zu entscheiden
und andererseits darum, einen Blick für die Situation zu haben.
1943 kommt ein kleiner Teil seiner
illegalen Tätigkeiten an Licht – seine Fluchthilfe für Juden. Am 5. April wird
er zusammen mit seinem Schwager Hans von Dohnanyi verhaftet.
3.2 In Haft (1943-1945)
Nach seiner Verhaftung kommt er
zunächst ins Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Tegel. Nun kommt es für ihn
darauf an, den gesamten Umfang seiner subversiven Tätigkeit zu verschleiern.
Bisher war ja nur die Spitze des Eisbergs sichtbar geworden.
Das gelingt ihm auch. Schließlich
wird die ursprüngliche Anklage auf Hoch- und Landesverrat fallen gelassen. Es
geht „nur noch“ um Wehrkraftzersetzung (Fluchthilfe für Juden, Mitwirkung an
der UK-Stellung von Pfarrern der Bekennenden Kirche). Ihm werden einige Freiheiten
gewährt. Er kann sogar über aktuelle Umsturzpläne informiert werden. Als sich
der Prozess immer mehr hinzieht, beginnt er, theologisch zu arbeiten.
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944
(„Staufenberg-Attentat“) aber verschärft sich die Lage dramatisch. Jetzt fliegt
die ganze Verschwörung auf. Es werden auch die Akten von Hans von Domanyi
entdeckt, in denen er bisherige Putschversuche und auch Berichte über die
Kontakte mit der britischen Regierung dokumentiert hatte. Auch die Beteiligung
Bonhoeffers wird nun offensichtlich. Er wird ins Reichssicherheitshauptamt der
Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße überführt.
Die Haftbedingungen verschärfen sich dramatisch.
Während der Zeit seiner Haft
befasst er sich mit der Frage nach der Bedeutung des Christentums in der
modernen Gesellschaft. Seine Notizen sind später unter dem Titel „Widerstand
und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft“ veröffentlicht worden.
Bonhoeffer stellt fest: Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus.
Wir müssen auch wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit
der Welt. Wir müssen es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn
dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden. (411)
Was heißt das? Bonhoeffer fordert
ein religionsloses Christentum – ein Christentum, das nicht an den Grenzen,
sondern in der Mitte des Lebens steht und für die Welt da ist: Die Religiösen sprechen von Gott, wenn
menschliche Erkenntnis zu Ende ist oder wenn menschliche Kräfte versagen ...
Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den
Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im
Leben und im Guten des Menschen sprechen ... Die Kirche steht nicht dort, wo
das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf. (307f.)
Nicht um das Jenseits, sondern um diese Welt, wie sie geschaffen, erhalten, in
Gesetze gefasst, versöhnt und erneuert wird, geht es doch. Was über diese Welt
hinaus ist, will im Evangelium für
diese Welt da sein. (312)
Kirche muss daher eine Kirche für
andere sein: Die Kirche ist nur Kirche,
wenn sie für andere da ist. Um einen Anfang zu machen, muss sie alles Eigentum
den Notleidenden schenken. Die Pfarrer müssen ausschließlich von den
freiwilligen Gaben der Gemeinden leben, evtl. einen weltlichen Beruf ausüben.
Sie muss an den weltlichen Aufgaben des menschlichen Gemeinschaftslebens
teilnehmen, nicht herrschend, sondern helfend und dienend. Sie muss den Menschen
aller Berufe sagen, was ein Leben mit Christus ist, was es heißt, „für andere dazusein“. (415f.)
3.3 Das Ende
Im Februar 45 wird Bonhoeffer von
Berlin ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar verlegt. Grund sind die
zunehmenden Luftangriffe und das Nahen der Roten Armee.
Am 3. April wird er von Buchenwald
nach Schönberg (bei Passau) verlegt. Auf dem Transport wird er mit einem
anderen Gefangenen verwechselt. Bonhoeffer hat die Hoffnung, dass die Reise im
Nichts endet – zumal der NS-Staat in Auflösung begriffen ist.
Aber am 5.4. fasst Hitler einen
Vernichtungsbeschluss, der noch einmal eine Reihe seiner Gegner betrifft. Auch
Bonhoeffer steht auf der Todesliste. Nun wird seine Verwechslung entdeckt.
Bonhoeffer wird ins Konzentrationslager Flossenbürg in Nordbayern
transportiert. Dort findet ein Standgericht statt – u.a. über Mitarbeiter der
Abwehr (unter ihnen auch Canaris und Oster). Auch über Bonhoeffer wird das
Todesurteil verhängt.
Die letzten von Bonhoeffer
überlieferten Worte lauten: „Das ist das Ende – für mit der Beginn des Lebens.“
Am Morgen des 9. April 45 wird er
hingerichtet. Der Lagerarzt hat darüber später berichtet: Am Morgen des betreffenden Tages etwa zwischen 5 und 6 Uhr wurden die
Gefangenen, darunter Admiral Canaris, General Oster ... und Reichsgerichtsrat
Sack aus den Zellen geführt und die kriegsgerichtlichen Urteile verlesen. Durch
die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der
Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien.
Die hingebungsvolle und erhöhrungsgewisse Art des Gebetes
dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste
erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes
Gebet und bestieg dann mutig und gefasst die Treppe zum Galgen. Der Tod
erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen
Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.
4. Was bleibt?
1.
Die Einheit von Lehre und Leben.
Bonhoeffer hat vom „einfältigen Gehorsam“ gesprochen. Am 20. Juni 1939 hat er
ihn praktiziert – und hat sich von einem Bibelwort zur Rückkehr nach
Deutschland bewegen lassen. Er hat über Leidensnachfolge geschrieben – und ist
diesen Weg bis zum Ende gegangen.
2.
Sein konsequentes Christsein. Er
hat gezeigt, dass es um mehr geht, als eine bestimmte Meinung über Gott und die
Welt zu haben und nach dem Motto „Tue recht und scheue niemand“ zu leben.
3.
Das weltliche Christsein.
Christlicher Glaube hat nichts mit Weltflucht zu tun, sondern führt zum Einsatz
für die Welt. Auch darüber hat er nicht nur geschrieben; auch das hat er
gelebt.
4.
Die Geborgenheit in Gott als Basis
eines standhaften Lebens. Das hat er in seinem wohl bekanntesten Text
unnachahmlich ausgedrückt, den er zur Jahressende 44/45 geschrieben hat – also
zu einem Zeitpunkt, an dem es ihm sehr bewusst ist, was auf ihn zukommen kann:
Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seelen
das Heil, für das Du uns bereitet hast.
Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz.
Lass warm und still die Kerzen heute flammen,
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all Deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.