8 Die Vision von Widder und
Ziegenbock und vom Horn (8,1-27)
Ab dem achten Kapitel ist der Text wieder in hebräischer Sprache verfasst. Der Grund für den Sprachwechsel ist unklar. Möglicherweise zeigt die besondere Bedeutung dieser und der folgenden Visionen für das jüdische Volk (Lebram, 97). Richtig ist, dass sich die Kapitel 8-12 sehr intensiv mit dem Schicksal Israels befassen.
Neu gegenüber den bisherigen Kapiteln ist, dass Daniel selbst hier als derjenige erscheint, der den Bericht gibt.
Auch das achte Kapitel besteht, wie das vorangegangene Kapitel, aus zwei Hauptteilen: der Vision (8,1-14) und ihrer Deutung (8,15-27). Dabei fällt die Deutung recht kurz aus – vor allem im Hinblick auf den Widder und den Ziegenbock. Jedenfalls liefert sie nur die Informationen, die für das Verständnis der Vision nötig sind und verzichtet darauf, die einzelnen Elemente der Vision im Detail auszulegen. Deshalb werden bei der Auslegung der Vision bereits auf die entsprechenden Hinweise der Deutung einbezogen (die Auslegung der Deutung fällt dementsprechend kurz aus).
In der Vision ist – nach Informationen über Zeit und Ort der Vision – von einem Widder und einem Ziegenbock die Rede.
(1) Im dritten Jahr der Regierung des Königs Belsazar erschien mir, Daniel, ein Gesicht nach dem, das mir im Anfang erschienen war. (2) Und ich sah im Gesicht: Und es geschah, während ich sah, da war ich in der Burg Susa, die in der Provinz Elam ist; und ich sah im Gesicht, dass ich am Fluss Ulai war. (3) Und ich erhob meine Augen und sah: Und siehe, ein Widder stand vor dem Fluss, der hatte zwei Hörner; und die zwei Hörner waren hoch, und das eine war höher als das zweite, und das höhere stieg zuletzt auf. (4) Ich sah den Widder nach Westen und nach Norden und nach Süden stoßen, und kein Tier hielt ihm stand, und niemand rettete aus seiner Hand; und er handelte nach seinem Belieben und wurde groß. (5) Und während ich achtgab, siehe, da kam ein Ziegenbock von Westen her über die ganze Erde, und er berührte die Erde nicht; und der Bock hatte ein ansehnliches Horn zwischen seinen Augen. (6) Und er kam zu dem Widder mit den zwei Hörnern, den ich vor dem Fluss hatte stehen sehen; und im Zorn seiner Kraft rannte er auf ihn zu. (7) Und ich sah ihn neben dem Widder eintreffen, und er ergrimmte gegen ihn, und er stieß den Widder und zerbrach seine beiden Hörner; und in dem Widder war keine Kraft, vor ihm zu bestehen. Und er warf ihn zu Boden und zertrat ihn, und niemand rettete den Widder aus seiner Hand. (8) Und der Ziegenbock wurde überaus groß. Und als er stark geworden war, zerbrach das große Horn, und vier ansehnliche Hörner wuchsen an seiner Stelle nach den vier Winden des Himmels hin.
(1-2) Zwei Jahre nach seiner ersten Vision hat Daniel eine weitere Erscheinung. Während der Vision befindet er sich „in der Burg Susa, die in der Provinz Elam ist“. Von der „Burg Susa“ ist auch im Buch Ester die Rede (Est.1,5). Es handelt sich offenbar um eine Residenz der persischen Könige – was dazu passt, dass es sich bei dem Widder um die „Könige von Medien und Persien“ handelt (8,20). Die Burg liegt in der östlich von Babylon gelegenen medischen „Provinz Elam“, die sich vom persischen Gebirge bis hinunter zum persischen Golf zieht (Maier, 298). Außerdem ist vom „Fluss Ulai“ die Rede. Es handelt sich vermutlich um einen Kanal, der in der Nähe von Susa die Flüsse Choaspes und Corates miteinander verbunden hat.
Nach Aussage von Daniel hat er „im Gesicht“ festgestellt, dass er sich dort befindet. Dazu „gibt es zwei Möglichkeiten des Verständnisses: a) Daniel wurde während seines Gesichts zuerst in die Festung Susa, danach an den außerhalb Susa befindlichen Kanal versetzt; b) Daniel befand sich dienstlich in Susa und erlebte dort in einem Gesicht, dass er an den Ulai versetzt wurde.“ (Maier, 299).
(3-4) Jedenfalls sieht er dort einen „Widder … vor dem Fluss“ stehen. Er hat „zwei Hörner“. Sie sind unterschiedlich hoch, wobei das höhere „zuletzt“ aufsteigt. In Vers 20 wird Daniel erklärt: „Der Widder mit den zwei Hörnern, den du gesehen hast, das sind die Könige von Medien und Persien.“ Dementsprechend handelt es sich bei dem Horn, das zuletzt aufsteigt und höher ist als das erste, um das Perserreich.
Nun berichtet Daniel, dass er den Widder „nach Westen und nach Norden und nach Süden stoßen“ sieht. Und tatsächlich hat das Perserreich seinen Machtbereich in all diese Himmelsrichtungen vergrößert (nach Westen: Kleinasien, Babylonien; nach Norden: Medien, Parther, Baktrien; nach Süden: Ägypten). Der Osten – das persische Reich drang bis nach Indien vor – konnte vermutlich „für einen Betrachter in Palästina … ausgeklammert bleiben, da das Tier von Osten her vorstieß.“ (Plöger, 124). Dass kein anderes Königreich ihm standhalten und niemand aus seiner Macht befreien konnte, beschreibt seine zwei Jahrhundert andauernde Machtstellung. Es kann „nach seinem Belieben“ handeln und wird „groß“.
(5-8) Noch während Daniel auf den Widder achtet, kommt „ein Ziegenbock“, der „ein ansehnliches Horn zwischen seinen Augen“ hat. In der Deutung wird Daniel erklärt: „Und der zottige Ziegenbock ist der König von Griechenland. Und das große Horn, das zwischen seinen Augen war, das ist der erste König.“ (8,21). Dazu passt die Aussage, dass er „vom Westen her über die ganze Erde“ kommt. Außerdem wird die außergewöhnliche Schnelligkeit seiner Eroberungen betont („und er berührte die Erde nicht“), was auf die „Blitzkriege“ Alexanders des Großen anspielt, dem ersten König des griechischen Weltreichs.
Entscheidend ist nun, dass es zu einem Kampf zwischen dem Widder und dem Ziegenbock kommt. Der Ziegenbock rennt „im Zorn seiner Kraft“ auf den Widder zu, trifft ihn und zerbricht seine beiden Hörner. Der Widder kann dem Ziegenbock nichts entgegensetzen (vgl. die entsprechende Aussage über den Widder in 8,4). Der Ziegenbock wirft den Widder zu Boden, zertritt ihn und wird „überaus groß“.
Dann aber geschieht etwas Überraschendes: Das große Horn, also der erste König des griechischen Weltreichs, Alexander der Große, zerbricht (Alexander stirbt überraschend im Alter von nur 32 Jahren im Babylon). „An seiner Stelle“ wachsen „vier ansehnliche Hörner … nach den vier Winden des Himmels“. Der Engel erklärt dazu in Vers 22: „Und dass es zerbrach und dass vier andere an seiner Stelle auftraten, bedeutet: vier Königreiche werden aus der Nation aufstehen, aber nicht mit seiner Macht.“ Gemeint sind natürlich die Nachfolgestaaten des alexandrinischen Weltreichs (Makedonien und Griechenland, Kleinasien, Syrien mit Babylonien und Persien, Ägypten). „Obwohl es andere kleinere Staaten gab, so war doch keines von ihnen den genannten vier großen Staaten ebenbürtig, und es kann nicht überraschen, dass diese schematische Betrachtung der Verhältnisse sich dem Gedächtnis breiter, volkstümlicher Kreise einprägte.“ (Porteous, 101).
Dann aber tritt „ein einzelnes Horn hervor“.
(9)
Und aus dem einen von ihnen kam ein einzelnes Horn hervor, zunächst klein, aber
es wurde übermäßig groß gegen Süden und gegen Osten und gegen die Zierde. (10)
Und es wuchs bis an das Heer des Himmels, und es warf einige von dem Heer und
von den Sternen zur Erde herab und zertrat sie. (11) Selbst bis an den Obersten
des Heeres wuchs er empor. Und er nahm ihm das regelmäßige Opfer weg, und die
Stätte seines Heiligtums wurde gestürzt. (12) Und ein Opferdienst wurde
verbrecherisch gegen das regelmäßige Opfer eingerichtet. Und das Horn warf die
Wahrheit zu Boden, und hatte Erfolg. (13) Und ich hörte einen Heiligen reden.
Und es sprach ein Heiliger zu jemandem – dem Redenden nämlich –: Bis wann gilt
das Gesicht von dem regelmäßigen Opfer und von dem entsetzlichen Verbrechen, dass
sowohl das Heiligtum als auch der Opferdienst zur Zertretung
preisgegeben sind? (14) Und er sagte zu mir: Bis zu 2 300 Abenden und Morgen;
dann wird das Heiligtum wieder gerechtfertigt.
Daniel 8 „ist dasjenige Kapitel, über dessen Inhalt am wenigsten Streit herrscht. Sowohl die konservativ-evangelikale als auch die kritizistische Forschung deutet das kleine Horn bzw. den König von Dan 8,23ff. auf Antiochus IV. Epiphanes.“ (Maier, 297).
Dessen Wirken wird im ersten Kapitel des ersten Makkabäerbuchs ausführlich geschildert. Die ersten Verse schildern die Zeit von Alexander bis Antiochus (der Text wird nach der LB zitiert):
(1) Alexander, der Sohn Philipps,
König von Makedonien, der zuerst über Griechenland herrschte, ist aus dem Lande
Kittim ausgezogen und hat Darius, den König der
Perser und Meder, geschlagen und wurde König an seiner statt. (2) Er hat viele Kriege geführt,
befestigte Städte erobert und die andern Könige der Erde umgebracht (3) und ist immer weitergezogen bis an
die Enden der Erde und hat Beute bei vielen Völkern gemacht, und die Erde
musste still sein vor ihm. Da wurde er stolz und sein Herz hochmütig. (4) Er brachte eine gewaltige Heeresmacht
zusammen und nahm alle Länder und Reiche ein, und sie mussten ihm Tribut
zahlen. (5) Dann aber warf ihn eine Krankheit aufs Lager und er merkte, dass
er sterben würde. (6) Da rief er seine Hauptleute zu sich, die mit ihm von Jugend auf
erzogen worden waren, und teilte sein Reich noch zu seinen Lebzeiten unter sie
auf. (7) Darauf starb Alexander, nachdem er zwölf Jahre regiert
hatte. (8) Dann übernahmen seine Hauptleute das Reich, jeder in seinem
Gebiet. (9) Nach seinem Tod setzten sie sich die Krone auf und regierten mit
ihren Nachkommen lange Zeit, und sie vermehrten die Schlechtigkeit auf
Erden. (10) Aus ihnen ging ein sündhafter Spross hervor, Antiochus Epiphanes. Der war zuvor Geisel in Rom für seinen Vater
Antiochus den Großen gewesen. Er begann im 137. Jahr der griechischen
Herrschaft zu regieren.
Bevor der Bericht auf das zerstörerische Wirken des Antiochus in Israel eingeht, schildert er, wie dort eine griechenfreundliche Partei entsteht, die sich seine Unterstützung sichert.
(11) Zu dieser Zeit traten in Israel
frevelhafte Leute auf; die überredeten viele und sagten: Lasst uns ein Bündnis
mit den Völkern ringsum schließen; denn wir haben viel leiden müssen seit der
Zeit, da wir uns von den Völkern abgesondert haben. (12) Diese Meinung gefiel ihnen gut. (13) Und einige aus dem Volk entschlossen
sich, zum König zu gehen; der gestattete ihnen, heidnische Lebensweisen
einzuführen. (14) Da richteten sie in Jerusalem ein Gymnasion
her, wie es auch die Heiden hatten, (15) ließen ihre Vorhaut wieder herstellen
und fielen vom heiligen Bund ab, passten sich den andern Völkern an und gaben
sich dazu her, allen Lastern zu frönen.
Auf der Rückkehr von einem erfolgreichen Feldzug gegen Ägypten begibt Antiochus sich nach Jerusalem, betritt den Tempel (was Nichtjuden verboten ist), plündert ihn, richtet ein Blutbad an und verlästert den Gott Israels.
(16) Als nun Antiochus seine Herrschaft
gefestigt hatte, gedachte er, auch das Königreich Ägypten an sich zu bringen, damit
er über beide Königreiche herrschte, (17) und zog nach Ägypten, gut gerüstet
mit großem Heer, mit Wagen und Elefanten und einer großen Flotte, (18) und führte Krieg gegen Ptolemäus, den
König von Ägypten. Aber Ptolemäus wandte sich vor ihm zur Flucht und viele
Ägypter sind umgekommen. (19) Und Antiochus hat die befestigten Städte in Ägypten eingenommen
und große Beute im Land gemacht. (20) Als aber Antiochus in Ägypten gesiegt
hatte und wieder heimzog im 143. Jahr, zog er hinauf gegen Israel und kam nach
Jerusalem mit einem großen Heer, (21) ging frech und ohne Scheu in das
Heiligtum und ließ wegnehmen den goldenen Altar, den Leuchter und alle Geräte,
die dazugehören, (22) den Tisch, auf dem die Schaubrote lagen, die Kannen, die
Schalen, die goldenen Kellen, den Vorhang, die Kronen. Auch den goldenen
Schmuck an der Vorderseite des Tempels rissen sie ab. (23) Er nahm das Silber und Gold, die kostbaren
Gefäße und verborgene Schätze, so viel er fand, (24) und führte alles mit sich in sein
Land. Dann richtete er ein Blutbad an und führte lästerliche Reden. (25) Da herrschte tiefe Trauer in ganz Israel: (26) Die Oberen und Ältesten trauerten,
junge Mädchen und junge Männer wurden kraftlos, und die Schönheit der Frauen
verfiel. (27) Ein jeder Bräutigam wehklagte, und die im Brautgemach warteten,
fielen in Trauer; (28) und das ganze Land war erschüttert über die Unterdrückung seiner
Bewohner; und das ganze Haus Jakob war mit Schmach bedeckt.
Zwei Jahre später lässt Antiochus Jerusalem plündern und besetzen. Auch die freie Religionsausübung wird in Frage gestellt. Viele Gläubige verlassen die Stadt.
(29) Nach zwei Jahren sandte der König den
obersten Steuereinnehmer in die Städte Judäas; der kam mit einer großen Schar
Bewaffneter nach Jerusalem. (30) Und er redete voll Hinterlist
friedliche Worte zu ihnen, und sie glaubten ihm. Er aber überfiel die Stadt
unversehens, hauste übel in ihr und brachte viele aus Israel um. (31) Und er plünderte die Stadt, steckte
sie in Brand und riss die Häuser und Mauern ringsum nieder. (32) Die Feinde führten Frauen und Kinder
weg und raubten das Vieh. (33) Sie befestigten die Stadt Davids mit
starken Mauern und Türmen, und machten sie zu ihrer Burg. (34) Dann legten sie eine heidnische Besatzung
dorthin, frevelhafte Leute, deren Zahl immer größer wurde. (35) Sie brachten Waffen und Vorräte
hinein, und was sie in der Stadt Jerusalem zusammenrafften, brachten sie auf
die Burg; damit wurden sie zu einer großen Gefahr. (36) So entstand eine ständige Bedrohung
für das Heiligtum und eine schlimme Bedrängnis für Israel. (37) Sie entweihten das Heiligtum und
vergossen viel unschuldiges Blut ringsum. (38) Da flohen die Bürger Jerusalems
ihretwegen. Die Fremden aber blieben in der Stadt, sodass sie denen fremd
wurde, die in ihr geboren waren, und ihre Kinder sie verließen. (39) Das Heiligtum wurde öde wie die
Wüste, die Feiertage wurden zu Trauertagen, die Sabbate zur Schmach, und alle
ihre Herrlichkeit wurde zunichte. (40) So groß ihr Ruhm einst war, so groß
war nun ihre Schande; aus ihrer Hoheit wurde Trauer.
Antiochus will in seinem Reich eine Einheitsreligion einführen und sie auch in Israel durchsetzen. Viele Israeliten machen mit, andere fliehen oder werden verjagt. Der Tempeldienst wird eingestellt.
(41) König Antiochus erließ ein Gebot für
sein ganzes Reich, dass alle zu einem Volk werden (42) und ihre Gesetze aufgeben sollten.
Und alle Völker willigten in das Wort des Königs ein. (43) Und auch viele aus Israel willigten
ein und opferten den Götzen und entweihten den Sabbat. (44) Auch sandte Antiochus Boten mit
Briefen nach Jerusalem und in alle Städte Judäas; in ihnen gebot er, die
Gebräuche der Heiden anzunehmen, (45) die Brandopfer, Speisopfer und Sündopfer im Heiligtum einzustellen, Sabbate und andere
Feste abzuschaffen, (46) das Heiligtum und das heilige Volk Israel zu entheiligen, (47) Altäre, Tempel und Heiligtümer für
die Götzen zu errichten, Schweine und andere unreine Tiere zu opfern. (48) Auch die Beschneidung ihrer Söhne
verbot er. So brachte er die Leute dazu, sich in allem mit Unreinheit und
Gräuel zu beflecken, (49) damit sie Gottes Gesetz vergäßen und alle seine Rechtsordnungen
abschafften. (50) Und wer dem König Antiochus nicht gehorsam wäre, der sollte
sterben. (51) Dies Gebot ließ er ausgehen durch sein ganzes Königreich und
setzte Aufseher ein, die das ganze Volk zwingen sollten, dies zu halten. Den
Städten Judäas befahlen sie zu opfern, Stadt für Stadt. (52) Viele aus dem Volk schlossen sich
denen an, die das Gesetz verlassen hatten, und trieben ihr Unwesen im
Lande. (53) Und sie verjagten das Volk Israel, sodass es sich an verborgenen
Fluchtorten verstecken musste.
Höhepunkt ist die Aufstellung des „Gräuelbilds der Verwüstung“ auf dem Altar, die Vernichtung der Gesetzbücher und die Verfolgung aller, die sich an das Gesetz halten.
(54) Im 145. Jahr, am fünfzehnten Tage des
Monats Kislew, ließ König Antiochus das Gräuelbild
der Verwüstung auf den Altar Gottes setzen und in allen Städten Judäas Altäre
für Götzen errichten, (55) damit man öffentlich auf dem Markt und jeder vor seinem Haus
räucherte und opferte. (56) Fand man Bücher des Gesetzes, wurden sie von ihnen zerrissen und
verbrannt, (57) und alle, bei denen man Bücher des Bundes fand, und alle, die
das Gesetz hielten, wurden nach dem Gebot des Königs totgeschlagen. (58) So ließen sie Monat für Monat ihre
Kraft an den Israeliten aus, die sie in den Städten entdeckten. (59) Am fünfundzwanzigsten Tage des Monats
opferten sie auf dem Götzenaltar, der auf dem Altar des Herrn stand. (60) Die Frauen, die ihre Söhne hatten
beschneiden lassen, wurden getötet, wie Antiochus befohlen hatte; (61) man hängte ihnen die Knäblein an den
Hals und tötete die, die zu ihnen gehörten, und die, die sie beschnitten
hatten. (62) Aber viele vom Volk Israel blieben standhaft und wollten nichts
Unreines essen (63) und ließen sich lieber töten, als sich durch Speisen unrein zu
machen, und wollten den heiligen Bund nicht entweihen; darum wurden sie
umgebracht. (64) So kam ein gewaltiger Zorn über Israel.
Entgegen dem allgemeinen Konsens konservativer und moderner Bibelausleger bezieht die traditionelle adventistische Deutung die Verse in Daniel 8,9ff. auf die Zeit der römischen Weltherrschaft der Kaiser und der Päpste. Diese Interpretation kann mit Shea folgendermaßen zusammengefasst werden:
„Je länger das Römische Reich bestand, desto schwächer wurde es. Als es unterging, hatte sich in Rom bereits eine religiöse Macht entwickelt, die fest im Sattel saß und immer mehr Macht gewann. In dieser Ära steht das ‚kleine Horn‘ als Bild für die Kirche, die über die Jahrhunderte des Mittelalters hinweg von Rom aus ganz Europa beeinflusste, nicht selten sogar tyrannisierte. Leider kam es unter ihrer Herrschaft auch immer wieder zu blutigen Verfolgungen. Ein Blick in die Geschichte der römischen Kirche belegt das. Aber nicht nur das, auch die Theologie der römisch-katholischen Kirche ist an entscheidenden Stellen nicht mit der Bibel vereinbar: Das Erlangen des Heils ist an menschliche Mittler gebunden, von denen die Bibel nichts weiß. Damit wurde die Kirche in gewisser Hinsicht zu einem Rivalen und Gegner des göttlichen Heilsplans, obwohl sie vorgab, diesem zu dienen. Diese Organisation, die so vielversprechend begonnen hatte, stand aufgrund ihres Machtstrebens schließlich im totalen Widerspruch zu den Zielen Gottes.
So entwickelte sich allmählich eine Feindschaft. Einerseits existierte das wahre himmlische Heiligtum, von dem aus der göttliche Heilsplan durch den wahren Hohenpriester, Jesus Christus, ausgeführt wurde. Im Gegensatz dazu setzte eine religiöse irdische Macht alles daran, die Menschen von dem himmlischen Heiligtum und dem Wirken des göttlichen Hohenpriesters abzulenken. Stattdessen sollten sie sich auf einen irdischen Ersatz verlassen.
Wie lange würde diese Feindschaft dauern? Wie könnte sie beseitigt werden? Wie wirken sich die beiden unterschiedlichen Heilspläne aus?
All diese Fragen werden im Gericht beantwortet werden. Mit dem Gericht am Ende der Zeiten wird sich erfüllen, was Daniels Prophezeiung angekündigt hat: Das (himmlische) Heiligtum wird am Ende der 2300 Abende und Morgen gereinigt, wiederhergestellt und gerechtfertigt werden. Über diesen ‚jährlichen‘ Dienst, der jedes Jahr den Abschluss der ‚täglichen‘ Dienste bildete, erfahren wir mehr, wenn wir uns mit den Parallelen im dritten Buch Mose beschäftigen. Dort geht es in den Kapiteln 1 bis 15 um den täglichen, in Kapitel 16 um den jährlichen Dienst. Der jährliche Dienst, auch ‚großer Versöhnungstag‘ genannt, war für das damalige Israel ein Tag des Gerichts. Ebenso rückt der antitypische große Versöhnungstag das Gericht im himmlischen Heiligtum ins Blickfeld. Dort wird entschieden, wer wirklich zu den Heiligen des Höchsten gehört.“ (Shea II, 106f.).
(9) Die Schilderung des Horns und seines gottfeindlichen Wirkens beginnt mit dem Hinweis, dass es „aus dem einen von ihnen“ kommt. Die meisten Bibelausleger deuten die Aussage so, dass es aus einem der vier Hörner kommt, von denen in Vers 8 die Rede ist. Da es sich bei den vier Hörnen unzweifelhaft um die Diadochenreiche handelt, würde es sich um einen König handeln, der aus einem der Diadochenreiche stammt. Das trifft auf Antiochus Epiphanes zu – passt aber nicht zur Deutung auf das kaiserliche und päpstliche Rom.
Daher haben adventistische Ausleger vorgeschlagen, die Formulierung „aus dem einen von ihnen“ auf die „vier Winde des Himmels“ zu beziehen, von denen ebenfalls in Vers 8 die Rede ist. Zur Begründung weisen sie darauf hin, dass „von ihnen“ im Maskulinum steht, der Begriff „Horn“ aber im Femininum, während „Wind“ in einer Form steht, die sowohl das Maskulinum als auch das Femininum bezeichnet (ABC 4, 841). In neuerer Zeit hat Stefanovic darauf hingewiesen, dass dies kein starkes Argument ist (Stefanovic, 300).
In der Deutung der Vision heißt es an entsprechender Stelle einfach: „Und am Ende ihrer Königsherrschaft, wenn die Abgefallenen das Maß vollgemacht haben, wird ein König aufstehen …“ (8,23). Das spricht dafür, das Auftreten des kleinen Horns in einem engen Zusammenhang mit den Diadochenreichen zu sehen.
Nun wird gesagt, dass diesen Horn „zunächst klein“ ist, dann aber „übermächtig groß“ wird – und zwar „gegen Süden und gegen Osten und gegen die Zierde“. Mit der „Zierde“ ist Israel gemeint (vgl. 11,16.41.45; Jer.3,19; Hes.20,6.12; Mal.3,12). Üblicherweise werden diese Aussagen auf Feldzüge von Antiochus Epiphanes gegen Ägypten, Mesopotamien und Israel bezogen, während die traditionelle adventistische Deutung sie auf territoriale Eroberungen des kaiserlichen Rom im Richtung Süden, Osten und in Palästina deutet (Shea II, 86).
Dass er „übermächtig groß“ wird, kommentiert die Deutung in den Versen 23 und 24 folgendermaßen:
(23) Und am Ende ihrer
Königsherrschaft, wenn die Abgefallenen das Maß vollgemacht haben, wird ein
König aufstehen, mit hartem Gesicht und erfahren in Ränken. (24) Und seine
Macht wird stark sein, jedoch nicht durch seine eigene Macht; und er wird
entsetzliches Verderben anrichten und wird erfolgreich sein und handeln. Und er
wird die Starken und das Volk der Heiligen vernichten.
(10-11a) Das Horn breitet aber nicht nur sein irdisches Herrschaftsgebiet aus; es richtet sich auch gegen den Himmel. Es wächst „bis an das Heer des Himmels“. Die Folge: Es wirft „einige von dem Heer und von den Sternen zur Erde herab“ und zertritt sie.
Was ist gemeint? Der Begriff „Heer des Himmels“ meint an anderer Stelle die Sterne (z.B. 5.Mos.4,19: „… und die Sterne, das ganze Heer des Himmels …“), aber auch himmlische Wesen (z.B. 1.Kön.22,19: „… Ich sah den HERRN auf seinem Thron sitzen, und das ganze Heer des Himmels stand um ihn, zu seiner Rechten und zu seiner Linken.“). Möglicherweise sind Sternengel gemeint (vgl. Offb.9,1: „und ich sah einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; und es wurde ihm der Schlüssel zum Schlund des Abgrundes gegeben.“ mit Offb.20,1: „Und ich sah einen Engel aus dem Himmel herabkommen, der den Schlüssel des Abgrundes und eine große Kette in seiner Hand hatte.“ Die Figur, die den „Schlüssel … des Abgrundes“ hat, wird an der einen Stelle als „Stern“ und an der anderen als „Engel“ bezeichnet.). Dafür spricht auch, dass in 10b davon die Rede ist, dass er „einige von dem Heer und von den Sternen zur Erde herab“ wirft.
Allerdings heißt es in 12,3: „Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz der Himmelsfeste; und die, welche die vielen zur Gerechtigkeit gewiesen haben, leuchten wie die Sterne immer und ewig.“ Außerdem steht in der Deutung der Vision an der entsprechenden Stelle – also nach dem Hinweis auf die (irdische) Macht des Horns – folgende Aussage: „Und er wird die Starken und das Volk der Heiligen vernichten“ (8,24). Ist also die Verfolgung des Volkes Gottes (Maier, 305; Shea II, 88f.) bzw. ihrer Führer gemeint (Smith, 158)?
Vers 11a spricht aber dafür, dass (Sternen)Engel gemeint sind. Dort wird gesagt, dass das Horn „bis an den Obersten [andere Übersetzung: Fürsten] des Heeres“ wächst. In den Kapiteln 10 und 12 wird der Erzengel Michael als „einer der ersten Fürsten“ (10,13) bzw. als „der große Fürst“ bezeichnet (12,1). Adventistische Ausleger wollen hier sogar einen Hinweis auf Christus sehen, der von den Römern gekreuzigt wurde (Shea II, 90; Smith, 158; ABC 4, 842).
(11b-12) Anschließend geht es um den Kampf des Horns gegen den Opferdienst und das Heiligtum. Für fast alle Bibelausleger steht fest, dass hier die oben beschriebenen Ereignisse zur Zeit von Antiochus Epiphanes gemeint sind.
Konkret wird gesagt, dass es „das regelmäßige Opfer“ wegnimmt. Der Begriff „Opfer“ ist in der Übersetzung sinngemäß hinzugefügt. Im Grundtext heißt es einfach: „das Regelmäßige“. Was ist „das Regelmäßige“? Geht es einfach um alle regelmäßig bzw. täglich stattfindenden Handlungen im Tempel (Shea II, 92)? Oder geht es speziell um die regelmäßigen Brandopfer, die am Morgen und am Abend auf dem Brandopferaltar dargebracht wurden (1.Chr.16,40: „dem HERRN regelmäßig Brandopfer auf dem Brandopferaltar darzubringen, am Morgen und am Abend …“). Dafür spricht, dass dieses „regelmäßige Brandopfer“ auch einfach das „Regelmäßige“ genannt werden kann (vgl. 2.Mos.29,38.42: „(38) Und dies ist es, was du auf dem Altar darbringen sollst: täglich zwei einjährige Lämmer als regelmäßiges … (42) als ein regelmäßiges Brandopfer für all eure Generationen …“).
Diese
Deutung wird inzwischen auch von adventistischen Auslegern als eine mögliche
Auslegung genannt (ABC 4, 843) bzw. favorisiert (Pöhler, Hoffnung die uns
trägt, 156). Uriah Smith hat die Wegnahme des „Regelmäßigen“ auf die
Beseitigung der heidnischen Anbetung durch den Papst bezogen (Smith, 159), Shea interpretiert es auf den Dienst Jesu im himmlischen
Heiligtum (Shea II, 92).
Was bedeutet es, dass „die Stätte seines Heiligtums … gestürzt“ wird? Ähnliche Aussagen begegnen uns in 9,17 und 11,31:
9,17: Und nun, unser Gott, höre auf das Gebet deines Knechtes und auf sein Flehen! Und lass dein Angesicht leuchten über dein verwüstetes Heiligtum um des Herrn willen!
11,31: Und Streitkräfte von ihm werden dastehen;
und sie werden das Heiligtum, die Bergfeste entweihen und werden das
regelmäßige Opfer abschaffen und den verwüstenden Greuel
aufstellen.
I.d.R. wird diese Aussage auf die gegen den Tempel gerichteten Aktion des Antiochus Epiphanes bezogen (s.o.).
Uriah
Smith hat es als einen Hinweis auf den Sieg des päpstlichen Rom gegen das
heidnische Rom verstanden (Smith, 159: „Das heidnische Rom machte dem
päpstlichen Rom Platz .Und der Ort seines Heiligthums oder der Anbetung,
nämlich die Stadt Rom, wurde zur Erde geworfen.“). Andere adventistische
Ausleger deuten diese Worte auf das himmlische Heiligtum. Nun ist es schwierig,
das himmlische Heiligtum zu stürzen. Shea versteht
die Aussage daher in dem Sinne, dass es „auf die irdische Ebene herabgezogen“
wird. Konkret sei gemeint: „Indem es [das Horn bzw. das Papsttum] menschliche
Vermittler zwischen Mensch und Gott schiebt, greift es das Versöhnungswerk
Christi im Himmel an.“ (Shea II, 91).
Außerdem richtet das Horn „verbrecherisch“ gegen das Regelmäßige „einen Opferdienst“ ein. Was gemeint ist, zeigt ein Blick auf 11,31 und 12,11, wo im Zusammenhang mit den Aktionen gegen das Heiligtum im Allgemeinen und der Abschaffung des regelmäßigen Opfers im Besonderen davon die Rede, dass man an seiner Stelle „den verwüsteten Greuel“ aufstellt.
11,31: Und Streitkräfte von ihm werden dastehen;
und sie werden das Heiligtum, die Bergfeste entweihen und werden das
regelmäßige Opfer abschaffen und den verwüstenden Greuel
aufstellen.
12,11: Und von der Zeit an, in der das regelmäßige Opfer
abgeschafft wird, um den verwüstenden Greuel
einzusetzen, sind es 1 290 Tage.
Das spricht dafür, beim „Opferdienst“, der „verbrecherisch“ eingerichtet wird, an den „verwüstenden Greuel“ zu denken – also an den „Götzenaltar, der auf dem Altar des Herrn“ steht (vgl. 1.Makk.1,54.59).
Dann wird (zusammenfassend) gesagt, dass das Horn „die Wahrheit zu Boden“ geworfen hat. Bei der Wahrheit geht es um das Gesetz. Auf das „Gesetz des Mose“ zu hören heißt, auf die „Wahrheit“ zu achten (9,13: „Wie es im Gesetz des Mose geschrieben steht, so ist all dies Unglück über uns gekommen. Und wir haben das Angesicht des HERRN, unseres Gottes, nicht besänftigt, indem wir von unserer Schuld umgekehrt wären und achtgehabt hätten auf deine Wahrheit.“). Konkrete Beispiele dafür liefert wieder das erste Kapitel des ersten Makkabäerbuchs (bes. 1,41-64).
Adventistische Ausleger
denken jedoch an falsche Lehren des Papsttums (ABC 4, 843) oder daran, dass die
Wahrheit über Gottes Heiligtum in Frage gestellt wird (Stefanovic, 303).
„Das Unfassbare diese Vorgangs
aber drückt der Schluss des Verses aus: das Vorgehen hat Erfolg.“ (Plöger, 126)
(13-14) Die Vision wird „durch eine indirekte, Daniel noch nicht unmittelbar angehende Audition abgeschlossen“ (Plöger, 123). Daniel wird Zeuge eines Gesprächs, das zwei „Heilige“ – gemeint sind Engel (4,10.14.20) – miteinander führen.
Der eine fragt: „Bis wann gilt das Gesicht von dem regelmäßigen Opfer und von dem entsetzlichen Verbrechen, dass sowohl das Heiligtum als auch der Opferdienst zur Zertretung preisgegeben sind?“ Der erste Teil bezieht sich auf Vers 12a; der zweite Teil auf 11b (zur Auslegung s. dort). Neu ist die Frage: „Bis wann gilt das Gesicht …?“. Die Frage „bis wann“ betrifft nicht die ganze Vision, sondern nur die hier genannten Ereignisse im Zusammenhang mit dem Wirken des Horns (8,9-12; anders Stefanovic, 309; Shea II, 94).
Im Hinblick auf den Tempel ändert sich die Wortwahl gegenüber 8,11 (statt miqdāš nun qōdäš), ohne das ein inhaltlicher Bedeutungsunterschied erkennbar ist (miqdāš: 9,17: „… dein verwüstetes Heiligtum, die Bergfeste entweihen …“; 11,31: „…werden das Heiligtum, die Bergfeste entweihen …“; qōdäš: 9,16: „… mögen doch dein Zorn und deine Erregung sich wenden von deiner Stadt Jerusalem, dem Berg deines Heiligtums! …“; 9,26: „… Und das Volk eines kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören …“).
Die Antwort auf die Frage „wie lange“ lautet: „Bis zu 2 300 Abenden und Morgen“. Die meisten Bibelausleger deuten diese Zeitangabe so, dass es sich die Zahl 2.300 aus jeweils 1.150 Abenden und Morgen ergibt und es sich daher um 1.150 Tage handelt – i.d.R. mit dem Hinweis auf die regelmäßigen Opfer, die „am Morgen und am Abend“ dargebracht wurden (1.Chr.16,40). Konkret denken sie dabei an den Zeitraum, in dem der Tempel von Antiochus Epiphanes geschändet wurde. Dabei handelt es sich um ungefähr drei Jahre, wobei unter den Auslegern keine Klarheit über den genauen Beginn und das exakte Ende der 1.150 Tage besteht.
Die traditionelle adventistische Auslegung versteht die 2.300 Abende und Morgen nach dem „Jahr-Tag-Prinzip“ als einen Zeitraum von 2.300 Jahren. Den Beginn setzt sie – mit Hinweis auf 9,25 („Von dem Zeitpunkt an, als das Wort erging, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen …“) – für das Jahr 457 v. Chr. an, so dass dieser Zeitraum im Jahre 1844 endet (z.B. Shea II, 97).
Was geschieht nun am Ende dieser Zeit? „Dann wird das Heiligtum wieder gerechtfertigt.“ Gemeint ist, dass das Heiligtum wieder zu seinem Recht gebracht wird. Üblicherweise wird darunter die Wiedereinweihung des Tempels unter der Führung von Judas Makkabäus verstanden (1.Makk.4,36-61).
Adventistische
Ausleger aber denken an eine Weihe des Heiligtums, wie sie im Zusammenhang mit
dem großen Versöhnungstag geschah und betonen:
„Genauso wie das Heiligtum am großen Versöhnungstag gereinigt und
wiederhergestellt wurde, sollte auch das himmlische Heiligtum in vollem Umfang
wiederhergestellt werden, als das Gericht – der antitypische ‚große
Versöhnungstag‘ – am Ende der 2300 Tage im Jahr 1844 n. Chr. begann.
Dabei taucht die Frage auf, wovon das himmlische Heiligtum gereinigt
und inwiefern es dadurch wiederhergestellt werden sollte. Zuerst betrifft diese
Reinigung die Machenschaften des ‚kleinen Horns‘, das versuchte, dem Heiligtum
Schaden zuzufügen … Die Wahrheit über die Geschehnisse im himmlischen Heiligtum
wird klargestellt werden. Auf diese Weise wird das Heiligtum ‚wieder geweiht‘
bzw. ‚gerechtfertigt‘.
Aber das Gericht des großen Versöhnungstags im Alten Testament beseitigte nicht nur die Verunreinigungen, die dem Heiligtum von Fremden oder falschen Priestern zugefügt worden waren. Es beseitigte auch endgültig die Sünden der Heiligen, der gerechten Israeliten, die vergeben und durch Versprengen des Blutes im Heiligtum registriert worden waren.“ (Shea II, 104).
Mit Vers 15 beginnt die Deutung, wobei die ersten vier Verse die Einleitung bilden.
(15)
Und es geschah, als ich, Daniel, das Gesicht gesehen hatte, da suchte ich
Verständnis darüber. Und siehe, da stand vor mir einer, sein Aussehen war wie
das Aussehen eines Mannes. (16) Und ich hörte eine Menschenstimme zwischen den
Ufern des Ulai, die rief und sprach: Gabriel, lass
diesen das Gesehene verstehen! (17) Und er trat an den Ort, wo ich stand; und
als er herantrat, erschrak ich und fiel nieder auf mein Angesicht. Er aber
sprach zu mir: Merke auf, Menschensohn! Denn das Gesicht gilt für die Zeit des
Endes. (18) Und als er mit mir redete, sank ich betäubt zur Erde auf mein
Angesicht. Er aber rührte mich an und stellte mich auf meinen vorigen Platz.
(15-16) War in 7,15 davon die Rede, dass Daniel nach der Vision erschrocken und bekümmert war, spricht er hier nur davon, dass er das Gesehen verstehen wollte. Da steht plötzlich jemand vor ihm, dessen „Aussehen … wie das Aussehen eines Mannes“ ist. Gleichzeitig hört er eine „Menschenstimme“, die diese Gestalt, die aussieht wie ein Mann, mit dem Namen „Gabriel“ anspricht und ihn dazu aufruft, ihn – Daniel – „das Gesehene verstehen“ zu lassen. Da diese Stimme Gabriel einen Auftrag gibt, kann es sich dabei um die Stimme Gottes handeln (Plöger, 128).
Gabriel ist nach Aussage des Buches Henoch (äthHen.20,7) neben Michael, Uriel und Raphael einer der Erzengel (Erzengel = führender Engel). Im Buch Daniel ist von ihm noch in 9,21 die Rede, im NT noch in Lk.1,26.
(17-18) Gabriel befolgt den Befehl und kommt zu Daniel. Als er nähertritt, erschrickt Daniel und fällt aus sein „Angesicht“. Gabriel aber muntert ihn auf – durch den Hinweis, dass „das Gesicht … für die Zeit des Endes gilt“. Ist damit gemeint, dass er keine Angst zu haben braucht, weil die Vision nicht ihn selbst betrifft? Oder besteht die Ermutigung darin, dass er um „die Zeit des Endes“ wissen darf und sie kurz bevor steht?
Trotz guten Zuredens sinkt Daniel „betäubt zur Erde“. Gabriel aber rührt ihn an; er schüttelt ihn, damit er wieder zu Bewusstsein kommt. Anschließend stellt er ihn wieder dorthin, wo er zuvor gestanden hat.
Nachdem Daniel wieder „empfangsbereit“ ist, deutet Gabriel ihm das Gesehene.
(19
Und er sagte: Siehe, ich will dich erkennen lassen, was am Ende der Verfluchung
geschehen wird; denn es gilt für die festgesetzte Zeit des Endes. (20) Der
Widder mit den zwei Hörnern, den du gesehen hast, das sind die Könige von
Medien und Persien. (21) Und der zottige Ziegenbock ist der König von
Griechenland. Und das große Horn, das zwischen seinen Augen war, das ist der
erste König. (22) Und dass es zerbrach und dass vier andere an seiner Stelle
auftraten, bedeutet: vier Königreiche werden aus der Nation aufstehen, aber
nicht mit seiner Macht. (23) Und am Ende ihrer Königsherrschaft, wenn die
Abgefallenen das Maß vollgemacht haben, wird ein König aufstehen, mit hartem
Gesicht und erfahren in Ränken. (24) Und seine Macht wird stark sein, jedoch
nicht durch seine eigene Macht; und er wird entsetzliches Verderben anrichten
und wird erfolgreich sein und handeln. Und er wird die Starken und das Volk der
Heiligen vernichten. (25) Und wegen seines Verstandes wird er erfolgreich sein,
mit Betrug in seiner Hand. Und er wird in seinem Herzen großtun, und unversehens
wird er viele vernichten. Und gegen den Fürsten der Fürsten wird er sich
auflehnen, aber ohne eine Menschenhand wird er zerbrochen werden. (26) Und die
Erscheinung von den Abenden und von den Morgen: was gesagt wurde, ist Wahrheit.
Du aber, halte das Gesicht geheim, denn es sind noch viele Tage bis dahin.
(19) Gabriel erklärt, dass er Daniel erkennen lassen will, „was am Ende der Verfluchung geschehen wird“. Der Begriff kann auch mit „Zorn“ übersetzt werden und kommt im Buch Daniel nur noch an einer weiteren Stelle vor:
11,36: Und der König wird nach seinem Belieben
handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen gegen jeden Gott, und
gegen den Gott der Götter wird er unerhörte Reden führen. Und er wird Erfolg
haben, bis die Verfluchung vollendet ist, denn das Festbeschlossene wird
vollzogen.
Der gottfeindliche König hat nur deshalb Erfolg gehabt, weil er in einer „Zeit der Verfluchung“ auftrat. Die Verfluchung kann deshalb nicht von ihm ausgehen. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit seines vorübergehenden Erfolgs. Von wem geht sie dann aus? Offensichtlich von Gott. Die Propheten haben mehrfach davon gesprochen, dass Gott Israels Feinde benutzt, um seinen Zorn an seinem Volk zu vollstrecken (z.B. Jes.10,5-6). Das ist vermutlich auch hier der Gedanke. Dass Auftreten des gottfeindliches Königs ist Ausdruck des Zornes Gottes über sein Volk, das sich von ihm abgewandt hat. Aber nun ist die Zeit der Verfluchung zu Ende – vielleicht auch deshalb, weil das Werkzeug des Zornes Gottes es übertrieben hat (vgl. Jes.10,7.12-14; Sach.1,15).
Deshalb geht es in der Deutung der Vision um das, „was am Ende der Verfluchung geschehen wird“. Mit dem „Ende der Verfluchung“ ist gleichzeitig die „festgesetzte Zeit des Endes“ gekommen (vgl. 8,17).
(20-22) Nach dieser Einführung erläutert Daniel ihm, was es mit dem Widder (8,3-4), dem Ziegenbock mit dem großen Horn (8,5-8a) und den vier Hörnern auf sich hat, die anstelle des zerbrochenen großen Horns auftreten (8,8b). Beim Widder handelt es sich um die „Könige von Medien und Persien“, beim Ziegenbock um den „König von Griechenland“, beim großen Horn um den ersten König des griechischen Weltreichs und bei den vier Hörnen um „vier Königreiche“, die „aus der Nation aufstehen, aber nicht mit seiner Macht“.
(23-25) Im Mittelpunkt der Deutung aber steht das Horn (8,9-12). Gabriel erklärt, dass es sich um einen besonderen „König“ handelt. Dieser König tritt am Ende der Königsherrschaft der „vier Königreiche“ auf. Interessanter ist die zweite Zeitangabe: Er kommt, „wenn die Abgefallenen das Maß vollgemacht haben“. Gemeint ist: „Also wenn die Sünde des Abfalls in der Gemeinde ausgereift ist, dann ist die Zeit für den Widersacher Gottes gekommen.“ (Kessler, 122). Die meisten Bibelausleger denken in diesem Zusammenhang an die griechenfreundliche Partei und den Opportunismus weiter Teile des jüdischen Volkes angesichts des Wirkens von Antiochus Epiphanes (1.Makk.1,11-15.43.48f.52, s.o.).
Davon, dass der König, der das Heiligtum entweiht, das regelmäßige Opfer abschafft und das Greuelbild aufstellt, die Gläubigen zum Abfall verführt, ist auch in Kapitel 11 die Rede:
11,30-32: (30) Denn Schiffe aus Kittim
werden gegen ihn kommen. Und er wird verzagen und umkehren; aber er wird den
heiligen Bund verfluchen und entsprechend handeln: er wird umkehren und sein
Augenmerk auf die richten, die den heiligen Bund verlassen. (31) Und
Streitkräfte von ihm werden dastehen; und sie werden das Heiligtum, die
Bergfeste entweihen und werden das regelmäßige Opfer abschaffen und den verwüstenden
Greuel aufstellen. (32) Und diejenigen, die sich am
Bund schuldig machen, wird er durch glatte Worte zum Abfall verleiten. Aber das
Volk, das seinen Gott kennt, wird sich stark erweisen und entsprechend handeln.
Es ist ein König „mit hartem Gesicht“ – also ein rücksichtsloser König (5.Mos.28,50: „eine Nation mit hartem Gesicht, die für den Alten keine Rücksicht kennt und für den Jungen keine Gnade“). Außerdem ist er „erfahren in Ränken“; er kennt sich mit geheimen Machenschaften aus. Deshalb wird seine „Macht … stark sein“.
Gabriel fügt hinzu, dass er „nicht durch seine eigene Macht“ stark sein wird. Ist damit gemeint, dass ihm seine Machtfülle von einer anderen Großmacht verliehen wird? Oder ist daran gedacht, dass Gott selbst ihn so groß gemacht hat – weil er ihn als sein Werkzeug benutzen will (vgl. 8,19)?
Er „wird entsetzliches Verderben anrichten“ – und zwar mit Erfolg (11,36: „… Und er wird Erfolg haben, bis die Verfluchung vollendet ist …“). Konkret: „Er wird die Starken und das Volk der Heiligen vernichten.“ Vom erfolgreichen Kampf gegen das Volk Gottes war bereits in 7,25 die Rede: „Und er … wird die Heiligen des Höchsten aufreiben …“. Mit den „Starken“ sind die standhaften Gläubigen und/oder die Führer des Volkes gemeint.
Der Grund für seinen Erfolg liegt in seiner besonderen Schlauheit und in seinem betrügerischen Handeln (als Beispiel kann 1.Makk.1,29-30 dienen, s.o.).
Er wird „in seinem Herzen großtun“. Die Parallele in Kapitel 11 zeigt, was gemeint ist: dass er sich über Gott erhebt:
11,36-37: (36) Und der König wird nach seinem
Belieben handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen gegen jeden
Gott, und gegen den Gott der Götter wird er unerhörte Reden führen. Und er wird
Erfolg haben, bis die Verfluchung vollendet ist, denn das Festbeschlossene wird
vollzogen. (37) Und selbst auf den Gott seiner Väter wird er nicht achten, und
weder auf den Schatz der Frauen noch auf irgendeinen Gott wird er achten;
sondern er wird sich über alles erheben [wörtl.: groß machen].
Dabei wird er „viele vernichten“. Davon, dass er „die Starken und das Volk der Heiligen vernichten“ wird, war ja bereits in Vers 24 die Rede. Handelt es sich um eine Wiederholung? Oder ist gemeint, dass er auch andere Menschen und Völker vernichten wird?
Die Aussage, dass er sich gegen „den Fürsten der Fürsten“ auflehnen wird, greift Vers 11 auf: „Selbst bis an den Obersten des Heeres wuchs er empor …“ Gemeint ist der oberste Engel (s. Auslegung zu Vers 11), der nach Kapitel 10 „hinter den Kulissen“ die Geschicke der Welt bestimmt (vgl. 10,20f.).
Neu gegenüber der Vision ist der Hinweis, dass dieser König „ohne eine Menschenhand … zerbrochen werden“ wird. Von seinem „Ende“ ist auch in Kapitel 11 die Rede:
11,45: Und er wird seine Königszelte aufschlagen
zwischen dem Meer und dem Berg der heiligen Zierde. Dann wird er an sein Ende
kommen, und niemand wird ihm helfen.
Über das Ende von Antiochus Epiphanes berichten natürlich auch beide Makkabäerbücher:
1.Makk.6,1-16: (1) Als aber König Antiochus durch die oberen Länder zog, hörte er von der Stadt Elymaïs in Persien, die berühmt war für ihr Gold und Silber und ihren großen Reichtum (2) und in deren Tempel reiche Schätze und die goldenen Gewänder, Harnische und Waffen aufbewahrt wurden, die Alexander, der Sohn Philipps, der König von Makedonien, der zuerst über Griechenland herrschte, dort zurückgelassen hatte. (3) Darum zog Antiochus vor die Stadt und versuchte, sie zu erobern und zu plündern; aber es gelang ihm nicht, weil die Einwohner der Stadt gewarnt worden waren (4) und sich ihm zum Kampf entgegenstellten. Und er musste fliehen und zog mit großem Unmut wieder ab und kehrte nach Babylon um. (5) Da kam ein Bote zu ihm nach Persien und meldete, dass das Heer, das er in das Land Judäa gesandt hatte, geschlagen worden wäre (6) und dass Lysias an der Spitze eines starken Heeres ausgezogen wäre, aber vor den Juden hätte fliehen müssen, und dass die von seinen geschlagenen Truppen viele Waffen und große Beute erobert hätten, mit denen sie sich dann besser gerüstet hätten; (7) und sie hätten das Gräuelbild der Verwüstung, das er auf den Altar in Jerusalem gesetzt hatte, zerstört und das Heiligtum wieder mit hohen Mauern umgeben wie früher, dazu auch seine Stadt Bet-Zur befestigt. (8) Als der König das hörte, erschrak er heftig und wurde sehr bestürzt, legte sich nieder und wurde krank vor Kummer, weil sein Vorhaben nicht gelungen war. (9) Und er blieb lange dort; denn der Kummer wurde je länger umso größer und machte ihn so schwach, dass er erkannte, er werde sterben. (10) Darum rief er alle seine Freunde und sagte zu ihnen: Ich kann keinen Schlaf mehr finden vor lauter Kummer und Herzeleid. (11) Ich dachte bei mir selbst: In welche Trübsal und in was für Fluten von Trauer bin ich jetzt geraten, der ich doch gütig und beliebt war, solange ich regiert habe! (12) Aber nun denke ich an das Böse, das ich in Jerusalem getan habe, als ich alle silbernen und goldenen Geräte aus dem Tempel wegführte und die Bewohner Judäas ohne Grund ausrotten wollte. (13) Jetzt weiß ich, woher dies Unglück über mich kommt; und darum muss ich in einem fremden Land in großer Traurigkeit sterben. (14) Und er rief einen seiner Freunde, Philippus, zu sich; den setzte er über sein ganzes Königreich, (15) übergab ihm Krone, Mantel und Ring und befahl ihm, seinen Sohn Antiochus zu erziehen und zum Herrscher heranzubilden. (16) Danach starb König Antiochus dort im 149. Jahr.
2.Makk.9: (1) Um dieselbe Zeit musste Antiochus ungeordnet aus Persien abziehen. (2) Denn als er in Persepolis eingerückt war und den Tempel zu plündern und die Stadt fest in die Hand zu bekommen versuchte, machten sich die Einwohner in Scharen auf und suchten Hilfe bei den Waffen; so kam es, dass Antiochus von ihnen zurückgeschlagen wurde und mit Schimpf und Schande abziehen musste. (3) Als er nun in Ekbatana war, kam ihm zu Ohren, wie es Nikanor und den Leuten des Timotheus ergangen war. (4) Zornentbrannt nahm er sich vor, die Schmach, die ihm von denen widerfahren war, die ihn in die Flucht geschlagen hatten, nunmehr an den Juden zu rächen. Darum gebot er dem Wagenlenker, Tag und Nacht zu fahren, um die Reise rasch hinter sich zu bringen. Doch das Gericht vom Himmel her schwebte schon über ihm. Denn in seiner Überheblichkeit hatte er gesagt: Sobald ich nach Jerusalem komme, mache ich aus der Stadt einen Totenacker für die Juden. (5) Darum bestrafte ihn der Herr, der alles sieht, der Gott Israels, mit einem inneren Leiden, das niemand heilen konnte. Denn sobald er das gesagt hatte, kam ihn ein solches Reißen im Leib an und ein so großes Grimmen in den Därmen, dass man ihm nicht helfen konnte. (6) So geschah ihm eben recht, weil er andere Leute mit so vielen und bisher unerhörten Martern geplagt hatte. (7) Dennoch ließ er von seinem wilden Trotz nicht ab, sondern wurde noch überheblicher und brannte vor Wut gegen die Juden und befahl, noch schneller zu fahren. Da stürzte er von dem dahinjagenden Wagen und tat einen so unglücklichen Fall, dass ihm alle Glieder seines Leibes verrenkt wurden. (8) Da musste er, der soeben noch in übermenschlicher Prahlerei meinte, er könnte den Wogen des Meeres gebieten und die hohen Berge auf die Waagschale legen, nach einem einzigen Fall sich in einer Sänfte tragen lassen, sodass alle an ihm die Gewalt Gottes erkannten. (9) Es kam so weit, dass auch unzählige Würmer aus den Augen des Gottlosen hervorkrochen und dass ihm noch bei lebendigem Leibe unter großen Schmerzen und Qualen ganze Stücke seines Fleisches abfielen und dass er so scheußlich stank, dass das ganze Heer darunter litt. (10) Und ihn, der kurz zuvor noch gemeint hatte, er könnte nach den Sternen am Himmel greifen, den konnte niemand tragen wegen des unerträglichen Gestanks. (11) Da begann er, schwer getroffen, von seiner Überheblichkeit abzulassen und zur Erkenntnis zu kommen, weil er von Gott so gegeißelt wurde und die Schmerzen jeden Augenblick größer wurden. (12) Und als er zuletzt den Gestank selbst nicht mehr ertragen konnte, da sagte er: Es ist recht, dass man sich Gott unterwirft und dass ein sterblicher Mensch nicht so vermessen ist, zu meinen, er sei Gott gleich. (13) Und der Verruchte hob an und betete zu dem Herrscher, der sich nun freilich nicht mehr über ihn erbarmen wollte, (14) und versprach, dass er die heilige Stadt, auf die er eilends zugefahren war, um sie dem Erdboden gleichzumachen und sie in einen Totenacker zu verwandeln, für frei erklären wollte. (15) Und die Juden, die er zuvor nicht wert geachtet hatte, dass sie begraben würden, sondern samt ihren Kindern den Vögeln und wilden Tieren zum Fraß vorwerfen wollte, die wollte er alle den Bürgern von Athen gleichstellen. (16) Und den heiligen Tempel, den er zuvor beraubt hatte, wollte er mit den schönsten Weihegaben schmücken und heilige Geräte zurückgeben, mehr als zuvor da gewesen wären; und alle Zuwendungen, die man für Opfer nötig hätte, würde er von seinen eignen Einkünften gewähren. (17) Darüber hinaus wollte er selber ein Jude werden und an allen bewohnten Orten die Macht Gottes verkünden. (18) Als aber die Qualen nicht nachlassen wollten – denn es war Gottes gerechtes Gericht über ihn gekommen –, verzweifelte er an seinem Leben und schrieb an die Juden folgenden Brief, der als Bittschrift abgefasst war und so lautete: (19) Den redlichen Juden, den Bürgern, entbietet seinen Gruß und wünscht Gesundheit und Wohlergehen Antiochus, König und oberster Heerführer. (20) Wenn ihr samt euren Kindern frisch und gesund seid und es euch gut geht, will ich dafür Gott danken, der ich meine Hoffnung auf den Himmel setze. (21) Ich aber bin sehr krank und denke in Liebe an eure Ehrerbietung und Freundlichkeit. Weil ich bei der Rückkehr aus Persien schwer krank geworden bin, habe ich es für nötig gehalten, für die gemeinsame Sicherheit aller zu sorgen, (22) wiewohl ich an meinem Leben nicht verzweifle, sondern fest hoffe, dass es besser mit mir werden wird. (23) Aber wie mein Vater, als er mit einem Heer in die oberen Länder zog, seinen künftigen Nachfolger bestimmte, (24) damit die Bewohner des Landes, falls sich etwas Unerwartetes zutrüge oder Schlimmes gemeldet würde, wüssten, wer Herr werden sollte, und nicht in Verwirrung gerieten, (25) so auch ich: Weil ich überdies sehe, wie die angrenzenden Fürsten und die Nachbarn des Reiches auf die Gelegenheit lauern und darauf warten, wie es ausgehen wird, habe ich meinen Sohn Antiochus zum König bestimmt, den ich den meisten von euch schon oft anvertraut und anbefohlen habe, wenn ich in die oberen Provinzen gezogen bin. Im gleichen Sinn habe ich auch an ihn geschrieben. (26) Deshalb ermahne und bitte ich euch, all der Wohltaten zu gedenken, die ich allen gemeinsam wie auch jedem Einzelnen erwiesen habe, und mir und meinem Sohn fortan wie bisher freundlich und treu zu sein. (27) Denn ich habe das Vertrauen zu ihm, er werde meine Milde und Menschenfreundlichkeit fortsetzen und so mit euch gut auskommen. (28) So litt denn der Mörder und Gotteslästerer so große Schmerzen, wie er sie andern angetan hatte, und starb eines jämmerlichen Todes in fremdem Lande in der Wildnis. (29) Philippus aber, der mit ihm erzogen worden war, besorgte seine Bestattung. Das ist der Philippus, der später, weil er sich vor dem Sohn des Antiochus fürchtete, nach Ägypten zu Ptolemäus Philometor floh.
Die Berichte stimmen darin überein, dass er „ohne eine Menschenhand“ – also nicht durch „Fremdeinwirkung“ – stirbt.
(26) Schließlich erläutert Gabriel ihm die „Erscheinung von den Abenden und von den Morgen“. Es geht um das, was im Gespräch der beiden Engel „gesagt wurde“ und was dann auch Daniel mitbekommen hatte: „Bis zu 2 300 Abenden und Morgen; dann wird das Heiligtum wieder gerechtfertigt.“ Dazu wird ihm aber nur erklärt, dass dies der „Wahrheit“ entspricht. Außerdem wird ihm befohlen, dass Gesicht „geheim“ zu halten, weil „noch viele Tage bis dahin“ vergehen werden.
Dadurch wird gleichzeitig der spätere „Leser belehrt, dass er nun am Ende der letzten Zeit, in der das Buch bekannt werden soll, lebt, und dass er nicht nur zu einer ausgezeichneten Generation gehört, sondern zu den Begnadeten, die dies Buch lesen und verstehen können.“ (Lebram, 99).
Zum Schluss wird Daniels Reaktion auf die Deutung geschildert:
(27)
Und ich, Daniel, war erschöpft und einige Tage krank. Dann stand ich auf und verrichtete
die Geschäfte des Königs. Und ich war entsetzt über das Gesehene, und keiner
war da, der es verstand.
Wie bei der in Kapitel 7 geschilderten Vision, ist abschließend von den körperlichen Nachwirkungen die Rede (7,28). Aber nachdem er einige Tage krank war, nimmt Daniel seine Arbeit wieder auf uns erledigt „die Geschäfte des Königs“.
Interessant ist die abschließende Aussage Daniel, dass er „entsetzt“ war „über das Gesehene“ und niemand „es verstand“. Das ist möglicherweise eine indirekte Überleitung zu den folgenden Visionen und Auditionen, in denen weitere Mitteilungen übe die Endzeit gegeben werden.
Zusammenfassung: Im Laufe der Geschichte, innerhalb derer ein
Königreich das andere ablöst, kommt am Ende der Zeiten eine Macht auf, die
rücksichtslos gegen Gott, den Gottesdienst und die Gläubigen agiert. Zu
gegebener Zeit wird aber alles wieder zu seinem Recht kommen.