5 Die Abschiedsreden (13,1-17,26)
Nachdem Kapitel 12 den Abschluss der öffentlichen Verkündigung Jesu geschildert hat, richtet Jesus sind im Folgenden ausschließlich an seine Jünger. Seine Unterweisung findet im Rahmen bzw. im Anschluss an ein „Abendessen“ (13,2) statt, so dass man auch von einem „Symposion“ sprechen kann (Schnelle, 278).
„Auch
bei den Synoptikern steht zwischen der Wirksamkeit Jesu in der Öffentlichkeit
und dem Passionsgeschehen ein Abschnitt, der Jesus allein im Verkehr mit seinen
Anhängern zeigt (Mk 13,1-14,42 parr.). Auch hier eine Belehrung der Jünger über
die Zukunft (Mk 13,1-37); auch hier das nächtliche Mahl und damit verknüpfte
Weissagung des Jüngerschicksals (Mk 14,17-31); auch hier ein Gebet Jesu (Mk
14,32-42). Aber bei den Synoptikern zerfällt die Darstellung in einzelne
Szenen, die sich über den Raum einiger Tage verteilen; auch ist es hier nicht
stets der gleiche geschlossene Jüngerkreis, in dem sich Jesus bewegt; dem
letzten Mal mit den Jüngern geht das Gastmahl in Bethanien voraus (Mk 14,3-9);
und endlich wird die Einheit auch dadurch zerrissen, dass nicht nur die
Vorbereitung des letzten Mahl ausführlich erzählt wird (Mk 14,12-16), sondern
dass sich auch der Bericht vom Todesbeschluss des Synedriums und vom Verrat des
Judas (Mk 14,1f.; 10f.) in die Darstellung einschieben.
Bei
Joh dagegen ist alles, was der Passion unmittelbar vorausgeht und auf sie
hinleitet, in die Gespräche und Reden einer einzigen Nacht zusammengedrängt.
Hier gibt es keinen Szenenwechsel mehr, und nur der geschlossene Kreis der
Jünger umgibt Jesus. So kommt auch äußerlich zur Erscheinung, wie bei Joh
alles, was geschieht und geredet wird, von einer inneren Einheit getragen wird.
Der Abschied des Offenbarers von den Seinen ist das einheitliche Thema der
Kap.13-17; und in der Behandlung dieses Themas wird der Offenbarungsgedanke
endgültig geklärt. Ihm ist dienstbar gemacht, was an Geschehen noch berichtet
wird, und er beherrscht alle Worte Jesu, sodass alle synoptischen Motive –
Zukunftsbelehrung, Weissagung des Jüngerschicksals, Gebet Jesu – eigentümlich
umgeschmolzen sind, - so dass auch – das Befremdendste der joh. Darstellung –
das fehlen kann, was im synoptischen Bericht vom letzten Mahl die Hauptsache
ist, die Schiftung des Herrenmahles.“ (Bultmann, 348)
Auch im Abschnitt 13,1-17,26 gibt es einige literarkritische Fragen: Der letzte Satz von 14,31 („Steht auf und lasst uns von hier weggehen“) wirkt wie ein Schlusswort der Rede Jesu. 18,1 würde sich problemlos anschließen („Als Jesus das geredet hatte, ging er hinaus mit seinen Jüngern über den Bach Kidron …“). Aber in 15,1 geht die Rede Jesu unvermittelt weiter. Wenn man eine andere Reihenfolge für ursprünglich und sachgemäß hält, stellt sich dann auch die Frage, an welchen Platz das Gebet von Kapitel 17 gehört.
Bultmann
hat folgende Neuordnung vorgeschlagen: „13,1-30 erzählt das letzten Mahl Jesu
mit seinen Jüngern; 17,1-26 bringt das Abschiedsgebet; 13,31-35; 15-16,33;
13,36-14,41 enthalten Abschiedsreden und Gespräche.“ (Bultmann, 351).
Aber: Auch wenn eine geänderte Reihenfolge „logischer“ erscheint, sind Umstellungen problematisch – weil wir nicht unsere Logik zum Maßstab für den Verfasser erheben können und weil man außerdem erklären muss, wie es zu der von allen Handschriften bezeugten Reihenfolge gekommen ist.
5.1. Die
Fußwaschung (13,1-20)
(1) Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen
war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater. Wie er die Seinen geliebt hatte,
die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. (2) Und nach dem
Abendessen - als schon der Teufel dem Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, ins
Herz gegeben hatte, dass er ihn verriete; (3) Jesus aber wusste, dass ihm der
Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und
zu Gott ging – (4) da stand er vom Mahl auf, legte seine Kleider ab und nahm
einen Schurz und umgürtete sich. (5) Danach goss er Wasser in ein Becken, fing
an, den Jüngern die Füße zu waschen und zu trocknen mit dem Schurz, mit dem er
umgürtet war.
(6) Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, du wäschst mir
die Füße? (7) Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du
jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren. (8) Da sprach Petrus zu ihm:
Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich
nicht wasche, so hast du kein Teil an mir. (9) Spricht zu ihm Simon Petrus:
Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt! (10) Spricht
Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen
werden; er ist vielmehr ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. (11)
Denn er wusste, wer ihn verraten würde; darum sprach er: Ihr seid nicht alle
rein.
(12) Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und
setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan
habe? (13) Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich
bin's auch. (14) Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen
habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. (15) Denn ein
Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. (16)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr
und der Gesandte nicht größer als der, der ihn gesandt hat. (17) Wenn ihr dies
wisst - selig seid ihr, wenn ihr's tut.
(18) Ich spreche nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt
habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden (Psalm 41,10): "Der mein
Brot aß, tritt mich mit Füßen." (19) Schon jetzt sage ich's euch, ehe es
geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin. (20)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde,
der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt
hat.
Auch innerhalb des Abschnitts 13,1-20 stellen sich literarkritsche Fragen. Vor allem fällt auf, dass in der Abschnitt zwei unterschiedliche Deutungen der Fußwaschung enthält (soteriologische Deutung in V 6-11; ethische bzw. ekklesiologische Deutung in V 12-17) und die Verse 12-17 problemlos an 13,5 anschließen.
Die meisten Bibelausleger sind der Auffassung, dass es sich bei den Versen 6-11 um eine spätere Interpretation handelt. Das ist aber keine inhaltliche Bewertung. Maßgeblich ist schließlich die Endgestalt des Textes. Daraus ergibt sich, dass die soteriologische Deutung der Verse 6-11 bewusst in den Mittelpunkt gestellt werden und die Verse 12-17 die ethischen und ekklesiologischen Konsequenzen aufzeigen, die sich aus der Soteriologie ergeben. „Wenn der Dialog zwischen Jesus und Petrus die christologische und soteriologische Bedeutung der Fußwaschung freisetzt (Indikativ), so präzisiert die Unterweisung Jesu deren ethische und ekklesiologische Tragweite (Imperativ).“ (Zumstein, 482).
(1-2a) Die ersten Verse schildern die Rahmen der Erzählung. Es ist unmittelbar „vor dem Passafest“ (vgl. 18,28; 19,14.36). Dabei handelt es sich vermutlich nicht allein um eine chronologische Angabe. „Das große Fest, mit dem die Befreiung des von Gott auserwählten Volkes begangen wird, und das bevorstehende Kreuz werden auf diese Weise miteinander verbunden.“ (Zumstein, 483)
Jesus erkennt, dass seine „Stunde“ gekommen ist. Dabei handelt es sich natürlich um die Stunde seines Todes (12,23: „Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“; 12,27: „Jetzt ist meine Seele voll Unruhe. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen.“; vgl. 7,30; 8,20; 17,1). Johannes nennt sie aber die Stunde, in der Jesus „aus dieser Welt … zum Vater“ geht. Am Kreuz vollendet Jesus seinen Auftrag (19,30: „… Es ist vollbracht …“), so dass er zu seinem Vater zurückkehren kann.
Der Satz „wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende“ nennt das Thema: Die Liebe Jesu zu seinen Jüngern, die – im Unterschied zu ihm, der „aus dieser Welt … zum Vater“ geht – „in dieser Welt sind“ (vgl. 17,11: „Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir.“). Diese Liebe geht „bis ans Ende“ (εἰς τέλος), womit auf das Kreuz angespielt wird, an dem Jesus mit den Worten „es ist vollbracht“ (τετέλεσται) stirbt (19,30). Thema der gleich folgenden Fußwaschung ist also, „dass die Liebe Jesu für die Seinen in der Passion und dort insbesondere am Kreuz ihren Höhepunkt und ihre Vollendung findet“ (Zumstein, 484).
Die Liebe Jesu zu seinen Jüngern zeigt sich in einem Ereignis „nach dem Abendessen“. Die anderen Evangelien beschreiben dieses Abendessen als Passamahl (Mk 14,14). Nach der Chronologie des Johannesevangeliums aber findet dieses Essen am Tag vor dem Passamahl statt (18,28: „Da führten sie Jesus von Kaiphas vor das Prätorium; es war aber früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein in das Prätorium, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten.“).
(2b-3) Bevor Johannes das Ereignis schildert, kommt er auf den Verrat des Judas zu sprechen. Als Jesus und seine Jünger zum Abendessen zusammen kommen, hat der Teufel Judas bereits „ins Herz gegeben“, Jesus zu verraten. „Der Verrat durch Judas ist … nicht einer individuellen Schwäche oder einem Irrtum in der Beurteilung der Tatsachen zuzuschreiben; sie ist das Werk des Teufels, der des Herzens des Menschen habhaft werden will, um sich diesen dienstbar zu machen. Die Passion wird so zum Opfer einer kosmischen Auseinandersetzung zwischen Gott und den Mächten des Bösen.“ (Zumstein, 484f.)
In
6,70 wird Judas selbst als „ein Teufel“
bezeichnet. Kurz nach der Fußwaschung berichtet Johannes, dass der „Satan“ in Judas fährt – was vermutlich
eine Steigerung zu 13,2 ist.
Sofort stellt Johannes klar, dass der vom Teufel initiierte Verrat die Souveränität Jesu nicht in Frage stellt. Jesus weiß (vgl. 13,1.11.18), dass sein Vater ihm „alles in seine Hände gegeben“ hat (vgl. 3,35: „Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.“) – womit konkret sein Wissen um seinen Ursprung („von Gott gekommen“; vgl. Joh 1,1-18) und sein Ziel („zu Gott ging“; vgl. 13,1) gemeint ist. „Das Todesschicksal, das den Offenbarer ereilt und dessen Auslöser Judas ist, vermag in keinem Augenblick seine souveräne Autorität zu entkräften oder seine Freiheit anzurühren. Das Kreuz, das von nun an einen immer größeren Schatten auf die Erzählung wirft, ist grundsätzlich der Ort, an dem der Offenbarer seinen Auftrag zu Ende und zur Erfüllung bringt.“ (Zumstein, 485).
(4-5) Dann wird der Verlauf der Fußwaschung geschildert:
· Jesus steht vom Abendessen auf (es handelt sich hier bei der Fußwaschung also nicht um eine Willkommensgeste).
· Jesus legt seine Kleider ab (vgl. 19,34-35: die Soldaten nehmen Jesu Kleider und teilen sie unter sich auf).
· Jesus nimmt einer Schürze und bindet sie sich um.
· Jesus gießt Wasser in ein Becken.
· Jesus beginnt, „den Jüngern die Füße zu waschen“.
· Jesus trocknet die Füße der Jünger mit dem Schurz (vgl. das Trocknen der Füße in 12,1-8).
Die Fußwaschung gehört damals zum Alltag und findet zur Vorbereitung auf ein Bankett statt. Sie ist eine Geste der Gastfreundschaft und des Willkommens und dient zugleich der Reinigung bzw. der Hygiene. Sie wird i.d.R. von Sklaven ausgeführt. Aber „in gewissen Situationen führen bestimmte Personen diese Handlung aus, ohne dass sie aufgrund ihrer sozialen Stellung dazu angehalten wären. Auf diese Weise bezeugen sie den Menschen, denen sie diesen Dienst zukommen lassen, ihre Liebe und Zuneigung.“ (Zumstein, 486).
Von Kaiser Caligula ist überliefert, er habe römischen Senatoren befohlen, ihm die Füße zu waschen, um sie auf diese Weise zu demütigen. Dieser Vergleich unterstreicht die Bedeutung der Fußwaschung Jesu.
(6-7) Welche Bedeutung diese Handlung Jesu hat, wird zunächst in einem Dialog mit Petrus deutlich. Petrus kritisiert Jesus dafür, dass er diesen Sklavendienst an ihm verrichten will. Aber anstatt ihn von der Richtigkeit seiner Handlung zu überzeugen, räumt Jesus ein, dass erst „hernach erfahren“ wird, was er hier tut.
Damit ist nicht etwa die Erklärung gemeint, die Jesus wenige Augenblicke später gibt (13,12-17) und in der er auf sein Vorbild des Dienens hinweist. Dagegen spricht schon der weitere Verlauf des Dialogs mit Petrus, in der es nicht um eine Ethik des Dienens, sondern um die Teilhabe an Jesus geht. Gemeint ist vielmehr – wie an anderer Stelle (2,22; 12,16; 14,29) – dass Petrus erst nach Ostern verstehen kann, was gemeint ist.
Wenn Petrus in der Zeit vor Ostern „das Handeln Jesu nicht verstehen kann, dann ist damit gesagt, dass es kein wirkliches Verstehen Jesu gibt abgesehen von seinem Tod am Kreuz und vom Auferweckungszeugnis der Gemeinde. So hat der niedrige Sklavendienst der Fußwaschung, den Jesus hier an seinen Schülern vollzieht, seine Entsprechung in seinem niedrigen Sklaventod und qualifiziert diesen Tod als Tat dienender und sich hingebender Liebe.“ (Wengst, 396f.)
(8) Aber Petrus ist trotzdem nicht bereit, sich diesen Dienst Jesu gefallen zu lassen. Er erklärt: „Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ Daraufhin weist Jesus ihn auf die Konsequenzen seiner Weigerung hin: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.“
Was heißt das? „Das griechische Wort (μερος) bedeutet Anteil an einer Beute, einem Gewinn, einem Erbe oder Landbesitz“ (Bernhard Oestreich, Die Bedeutung der Fußwaschung in Johannes 13, in: Biblisches Forschungskomitee der Euro-Afrika-Division [Hg.], Studien zur adventistischen Ekklesiologie, Bd.1: Abendmahl und Fußwaschung, 164). Die Formulierung „so hast du keinen Teil an mir“ wird „in ihrem tiefen Sinn verständlich, wenn man darauf achtet, was Jesus den Jüngern für die Zeit nach seinem Tod verheißt. Das Leben, das er erlangt, wird auch ihnen zuteil werden (vgl. 14,19). Sie sollen dort sein, wo er ist (12,26; 14,3; 17,24), und so an seiner Herrlichkeit teilhaben (vgl. 17,22.24). Die volle Liebe Jesu und seines Vaters wird sich ihnen erschließen (14,21.23).“ (Schnackenburg III, 21).
(9-10a) Petrus nimmt diese Warnung ernst und verlangt nun: „Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!“ Warum will er das? Vermutlich denkt er an rituelle Waschungen, bei denen nicht nur die Füße gewaschen werden (während das Waschen von Händen und Füßen ausdrücklich erwähnt wird, z.B. 2. Mos 40,31.32, ist von einer speziellen Waschung des Kopfes nicht die Rede – aber von Waschungen, die den ganzen Körper betrafen, z.B. 3 Mos 8,6; 16,4).
Jesus erklärt ihm, dass derjenige, der gebadet hat – dem also die Füße gewaschen wurden – es nicht nötig hat, sich zu waschen, weil er „ganz rein“ ist. Die Fußwaschung zielt „als pars pro toto [Teil für das Ganze] auf das Ganze der Existenz des Glaubens“ (Schnelle, 280). „‘Gebadet‘ ist derjenige, der durch die Fußwaschung in das dadurch versinnbildete Kreuzesgeschehen hineingenommen ist.“ (Schnackenburg III, 24).
Die
Auslegung von V. 10 ist allerdings nicht unumstritten. Das beginnt bereits beim
Text. In vielen Handschriften finden sich zusätzlich die Worte „ausgenommen die Füße“. Dementsprechend
übersetzten die meisten Bibelübersetzungen wie die LB: „Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen
werden …“ Im Codex Sinaiticus, in
Handschriften der Vulgata und bei Origines aber fehlen diese Worte. Dann lautet
der entscheidende Satz: „Wer gebadet ist,
hat nicht nötig, sich zu waschen, sondern ist ganz rein.“ (Zumstein,
475f.).
„Welcher
ist der ursprüngliche Wortlaut? Es fällt auf, dass die Aussage, die die
Fußwaschung für notwendig hält, in verschiedenen Versionen überliefert ist. Das
deutet darauf hin, dass hier verschiedentlich am Text gearbeitet worden ist. Die
Kurzform, die jede Waschung abweist, liegt dagegen nur in einer Fassung vor.
Vor allem der Kontext deutet darauf, dass die Kurzform die ursprüngliche ist: ἀλλά
[sondern] passt schlecht zu der Aussage, dass Fußwaschung noch nötig sei. Der
Gegensatz, den das Wort ἀλλά zum Ausdruck bringen will,
wäre schon vorher abgeschwächt. Vor allem aber passt das ὅλος
[ganz] nur zum Kurztext. Ganz rein ist nur, wer es nicht nötig hat, gewaschen
zu werden. Die Notwendigkeit der Fußwaschung schlösse es aus, dass von ganzer
Reinheit gesprochen werden kann. ὅλος aber haben alle
Textvarianten. Und die ganze Reinheit ist außerdem durch V. 11 bestätigt: So
deutet also der Kontext darauf hin, dass das εἰ µὴ
τοὺς πόδας [ausgenommen die
Füße] Zusatz ist. Die Erweiterung des Textes erklärt sich als scheinbare
Erleichterung: Zu diesem Zusatz kam es, weil man in der alten Kirche schon bald
nicht mehr verstand, wieso Jesus auf der Fußwaschung bestehen und zugleich eine
Waschung für unnötig erklären konnte. Wenn schon Waschung unnötig sein sollte,
musste doch wohl die Fußwaschung eine Ausnahme sein. Man verstand nicht
ausreichend die mit Missverständnissen und Hintergründigkeit arbeitende
Erzählweise des Evangelisten. Der ursprüngliche Text lautet demnach mit großer
Wahrscheinlichkeit ‚Wer gebadet ist, hat es nicht nötig, gewaschen zu werden,
denn er ist ganz rein.‘" (Bernhard Oestreich, Die Bedeutung der Fußwaschung in Johannes 13,
a.a.O., 165f.).
Unterschiedliche
Auffassungen gibt es aber auch zur Frage, weshalb denn derjenige, der „gewaschen“ bzw. „gebadet“ wurde, „ganz rein“
ist. Neben der oben genannten Deutung werden auch folgende Interpretationen
vertreten:
·
Ist die Taufe gemeint, weil das Verb „waschen“ im NT auch in diesem
Zusammenhang erwähnt wird (Apg 22,16; 1 Kor 6,11; Eph 5,26; Tit 3,5; Hebr
10,22; 2 Petr 2,22 - allerdings nicht im johanneischen Schrifttum)?
·
Näher liegt der Bezug auf Joh 15,3, wo es heißt: „Ihr seid schon rein
um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.“ Gemeint wäre dann: „Wer seinem Wort glaubt, der bedarf keiner
anderen Heilsmittel mehr.“ (Bultmann, 359).
Die gemeinsame
Schwäche beider Deutungen liegt darin, dass sie sich nicht aus dem
unmittelbaren Zusammenhang herleiten lassen. Das spricht für die oben genannte
Deutung: „‘Gebadet‘ ist derjenige, der durch die Fußwaschung in das dadurch versinnbildete
Kreuzesgeschehen hineingenommen ist.“ (Schnackenburg III, 24). Weil die
Fußwaschung „Symbol des Todes Jesu am Kreuz ist … bewirkt sie ganze Reinheit.
Deshalb spricht Johannes jetzt vom Gebadetsein, das weiteres Waschen überflüssig
macht. Dabei legt es der Begriff ‚rein‘ nahe, insbesondere an den durch Jesu
Tod bewirkten Aspekt der Sündenvergebung zu denken. Hier gibt es kein Mehr,
sondern nur die volle und bedingungslose Zusage: Ihr seid rein! Euch ist
vergeben!“ (Wengst, 398).
(10b-11) Einschränkend erklärt Jesus, dass „nicht alle“ Jünger „rein“ sind. Johannes erklärt, dass Jesus damit auf seinen Verräter anspielt.
(12-17) Nachdem Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen hat, gibt Jesus eine zweite Deutung der Fußwaschung. Sie knüpft nicht an den Dialog mit Petrus an und beginnt mit einer rhetorischen Frage, der dann eine Unterweisung folgt.
Darin erinnert Jesus seine Jünger daran, dass sie ihn „mit Recht“ mit „Meister“ (Lehrer; vgl. 1,39; 3,2; 8,10; 11,28; 20,16, es handelt sich aber nicht um Aussagen seiner Jünger) und „Herr“ (vgl. 6,34.68; 11,12; 13,6.25.36f.; 14,5.8.22; 20,28; 21,16-21) anreden – weil er das auch ist. Jesus zieht daraus eine Schlussfolgerung nach dem Grundsatz „a maiore ad minus“ (Schluss vom Größeren auf das Kleinere): „Wenn derjenige mit der höchsten Autorität diese ausübt, indem er seinen Jüngern die Füße wäscht, um wie viel mehr müssen dann diejenigen, die sich auf ihn berufen, es ihm gleichtun.“ (Zumstein, 491).
Er bekräftigt diesen Aufruf mit dem Hinweis, dass er ihnen mit der Fußwaschung ein Beispiel gegeben hat, dem sie folgen sollen und begründet die Richtigkeit dieses Hinweises mit einer Aussage, die er mit der (im Johannesevangelium häufig verwendeten) Offenbarungsformel „wahrlich, wahrlich, ich sage euch“ einleitet und in der es um die „Rangordnung“ in der Gemeinde geht: „Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Gesandte nicht größer als der, der ihn gesandt hat.“ Dieser Satz ähnelt dem Jesus-Wort aus Mt 10,24: „Der Jünger steht nicht über dem Meister und der Knecht nicht über seinem Herrn.“
Was meint Jesus bei seiner Unterweisung im Anschluss an die Fußwaschung? Der „Herr“ ist natürlich Jesus selbst (13,13f.) und ein Jünger Jesu dementsprechend ein „Knecht“. Der erste Teil des Satzes sagt also aus, dass die Jünger nicht über Jesus stehen – und deshalb seinem Beispiel folgen sollen. Im zweiten Teil des Satzes wird diese Aussage in anderen Worten wiederholt (synonymer Parallelismus). Jesus sendet seine Jünger; als seine Gesandten stehen sie nicht über ihm. „Der Gesandte …vertritt seinen Herrn unter den Menschen. Er ist dazu verpflichtet, seinen Herrn nachzuahmen.“ (Zumstein, 492).
Die abschließende Seligpreisung will zeigen, dass es nicht ausreicht, um diese „Rangordnung“ zu wissen – selig ist derjenige, der dementsprechend handelt und dem Beispiel Jesu folgt.
„Zwei Deutungen der Fußwaschung sind also kombiniert … Im ersten Stück ist die Gemeinschaft mit ihm das ausdrückliche Thema … Das zweite Stück fügt hinzu, dass diese Gemeinschaft der Jünger mit Jesus zugleich eine Gemeinschaft der Jünger untereinander einschließt …“ (Bultmann, 365). „Die Christologie führt zu einer ethisch-ekklesiologischen Aussage.“ (Zumstein, 491).
(18-19) An die Unterweisung bzgl. der Fußwaschung schließt sich eine Aussage zum Verrat des Judas an, von dem bereits in 13,2 die Rede war.
Jesus stellt klar: Wenn er von der Anteilhabe an ihm (13,8) und der Seligpreisung derer, die seinem Beispiel des Dienen folgen, geredet hat, hat nicht „von … allen“ gesprochen. Er „weiß“ (13,1.3.11) sehr wohl, wen er „erwählt“ hat.
Anlass zu dieser Aussage ist vermutlich die Frage, ob Jesus sich bei „der Wahl seiner Anhänger getäuscht“ hat und daraus eine „Beeinträchtigung seiner Allwissenheit und seiner Souveränität“ abzuleiten ist. „Indem der joh Jesus seine Allwissenheit (…) von Anfang an bekräftigt, kommt er diesem Einwand zuvor: Die Berufung des späteren Verräters zum Jünger ist nicht Ausdruck eines Fehlurteils mit katastrophaler Folge, sondern eine bewusste und sinnvolle Erwählung.“ (Zumstein, 493).
Jesus deutet die Berufung des Verräters als Erfüllung der Schrift (vgl. 12,38; 19,24.36) – hier des Wortes aus Ps 41,10 („Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.“), dessen zweiten Teil Jesus zitiert.
Weil die Erwählung des Judas kein Versehen ist, sondern sich durch ihn die Schrift erfüllt, führt sein Verrat sogar dazu, dass der Glaube der Jünger gestärkt wird, wenn Judas sein Vorhaben umsetzt. „… Wenn der joh Jesus das Ereignis, das ist die Passion auslösen wird, vorwegnimmt (…) und bereits jetzt (…) dessen tieferen Sinn enthüllt, dann wird deutlich, dass seine Stellung als Gesandter des Vaters von der nahenden Tragödie nicht gefährdet ist und es auch in Zukunft nicht sein wird. Wenn dann also das angekündigte Drama geschehen wird (…), sollte der Glaube der Jünger nicht erschüttert werden, im Gegenteil, er sollte sich noch festigen.“ (Zumstein, 494).
Der Glaube der Jünger ist natürlich der Glaube an Jesus: „damit ihr … glaubt, dass ich es bin“ (vgl. die „Ich-bin“-Formel in 6,20; 8,24.58; 18,5-8) und die „Ich-bin“-Worte in 6,35.41.48.51; 8,12; 10,7.9.11.14; 11,25; 14,6; 15,1).
(20) In einem weiteren mit der Offenbarungsformel „wahrlich, wahrlich, ich sage euch“ eingeleiteten Wort erklärt Jesus, dass alle, die seine Gesandten aufnehmen, ihn selbst aufnehmen und dass alle, die ihn aufnehmen, der aufnehmen, der ihn gesandt hat – also seinen Vater im Himmel (vgl. 4,34; 5,23f.30.37; 6,38-40.44; 7,16.18.28.33; 8,18.26.29; 9,4; 12,44f.49; 13,16; 14,24; 15,21; 16,5; 20,21).
Unklar ist, in welcher Beziehung diese Aussage zu den vorangegangenen Versen steht. Am ehesten geht es wohl um eine Erinnerung daran, wer Jesus ist – der Gesandte des Vaters.
Zusammenfassung:
Die Fußwaschung ist
eine Verkörperung der dienenden und hingebungsvollen Liebe Jesu, die sich am
Kreuz vollendet und ein Vorbild des gegenseitigen Dienens unter den Nachfolgern
Jesu.
5.2 Der
Lieblingsjünger und der Verräter (13,21-30)
(21) Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte
und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich
verraten. (22) Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde
bange, von wem er wohl redete. (23) Es war aber einer unter seinen Jüngern, der
zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. (24) Dem winkte Simon
Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. (25) Da lehnte
der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? (26) Jesus
antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den
Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. (27)
Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust,
das tue bald! (28) Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. (29)
Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe,
was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. (30)
Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.
Im Johannesevangelium war vom Verrat des Judas bereits an folgenden Stellen die Rede:
13,2 |
Und nach dem Abendessen -
als schon der Teufel dem Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, ins Herz gegeben
hatte, dass er ihn verriete; |
13,11 |
Denn er wusste, wer ihn
verraten würde; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein. |
13,18 |
Ich spreche nicht von euch
allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt
werden (Psalm 41,10): "Der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen." |
Die Szene, die in 13,21-30 beschrieben wird, findet sich in ähnlicher Form auch in den anderen drei Evangelien (den synoptischen Evangelien), die sich jeweils an einigen Stellen unterscheiden.
Mt 26,21-25 |
Mk 14,18-21 |
Lk 22,21-23 |
(21) Und als
sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich
verraten. (22) Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln zu
ihm zu sagen: Herr, bin ich's? (23) Er antwortete und sprach: Der die Hand
mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. (24) Der Menschensohn
geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch
den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn
er nie geboren wäre. (25) Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach:
Bin ich's, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. |
(18) Und als sie bei Tisch
waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der
mit mir isst, wird mich verraten. (19) Da wurden sie traurig und sagten zu
ihm, einer nach dem andern: Bin ich's? (20) Er aber sprach zu ihnen: Einer
von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. (21) Der
Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem
Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen
Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. |
(21) Doch
siehe, die Hand meines Verräters ist mit mir am Tisch. (22) Denn der
Menschensohn geht zwar dahin, wie es beschlossen ist; doch weh dem Menschen,
durch den er verraten wird! (23) Und sie fingen an, untereinander zu fragen,
wer es wohl wäre unter ihnen, der das tun würde. |
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es bei dieser Szene zwischen den Synoptikern und dem Johannesevangelien?
Gemeinsamkeiten |
|
„Einer unter
euch wird mich verraten.“ |
|
Die Jünger fragen „untereinander“, wer der Verräter ist (allerdings nur bei Lk) |
|
Das Eintauchen des Bissens bzw. der Hand als
Erkennungszeichen (allerdings nur bei Mt und Mk). |
|
Unterschiede |
|
Synoptiker |
Johannes |
Die Jünger fragen Jesus einzeln, ob sie gemeint
sind (Mt und Mk). |
Über den Jünger, „den Jesus lieb hatte“, wollen die Jünger erfahren, wer der
Verräter ist. |
Der Name des Verräters wird nicht genannt (Mk und
Lk – bei Mt aber doch). |
Judas wird als Verräter identifiziert. |
Weheruf Jesu gegen den Verräter. |
Aufforderung an Judas, zu tun, was er tun muss. |
Alle Jünger untereinander auf einer Ebene. |
Der Jünger, „den
Jesus lieb hatte“, tritt hervor. |
- |
Jünger missverstehen das Wort Jesu „Was du tust, das tue bald!“ |
- |
Jesus ist voll und ganz Herr des Geschehens. |
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Hinweis auf das Wirken Satans |
„Während Markus das Geschehen nur knapp mitteilt, gestaltet Johannes die Szene kunstvoll aus und verbindet sie mit zentralen Motiven seiner Theologie.“ (Schnelle, 285)
(21) Nachdem Jesus „das gesagt“ hat, ist er „erregt im Geist“. Worauf bezieht sich diese Aussage? Sinnvollerweise auf Vers 20: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer jemanden aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.“ Dort geht es um Menschen, die ihn – Jesus – aufnehmen. Der Verrat des Judas, um den es jetzt geht, ist der schlimmste nur mögliche Gegensatz dazu – und das ist der Grund seiner Erregung.
Dass Jesus „erregt im Geist“ ist, bedeutet, dass er in seinem Inneren erregt und aufgewühlt ist. Das zeigt die sonstige Verwendung des Wortes im Johannesevangelium:
5,7 |
Der Kranke antwortete ihm:
Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser
sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir
hinein. |
11,33 |
Als Jesus sah, wie sie
weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr kamen, ergrimmte er im
Geist und erbebte |
12,27 |
Jetzt ist meine Seele voll
Unruhe. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch
darum bin ich in diese Stunde gekommen. |
14,1 |
Euer Herz erschrecke
nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! |
14,27 |
Frieden lasse ich euch,
meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer
Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. |
Jesus offenbart den Jüngern den Grund seiner Erregung: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“ Was er in Vers 18 mit dem Bibelzitat bereits angedeutet hat, spricht er nun ganz offen und direkt aus.
Dass er den Verrat durch einen seiner Jünger ankündigt, ist gleichzeitig Ausdruck seiner Souveränität – und vielleicht auch eine vorbeugende Bemerkung gegen den Vorwurf, Jesus könne nicht der Messias sein, weil er seinen eigenen Verräter erwählt habe (Wengst, 403).
(22-24) Die Jünger blicken einander verwundert an. Sie bewegt die bange Frage, „von wem er wohl redete“. Einer von ihnen aber hat eine besondere Stellung. Johannes nennt ihn den „Jünger, den Jesus lieb hatte“ (vgl. 19,26; 20,2.7.20; zur Identifizierung des Jüngers, „den Jesus lieb hatte“ vgl. dazu Einleitung 5.1).
Er liegt „zu Tische … an der Brust Jesu“. Das entspricht den Bräuchen des antiken Banketts. Man legt sich auf seine linke Seite. Mit dem linken Arm stützt man sich ab. Gegessen wird natürlich mit der rechten Hand. Und das bedeutet: Der Kopf des Nachbarn befindet sich in Brusthöhe.
Dass der Jünger, „den Jesus lieb hatte“ , „an der Brust Jesu“ liegt, entspricht aber auch der Position, die Jesus Gott gegenüber einnimmt: „Niemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt.“ (1,18; in beiden Versen steht das Wort κόλπος, das in der LB einmal mit „Brust“ und einmal mit „Schoß“ übersetzt wird). Gemeint ist: „Wie der Sohn im Schoße des Vaters weilt, so dieser Jünger ‚im Schoße Jesu‘. Er ist sein besonderer Vertrauter, dem sich Jesus mehr als allen anderen erschließt, und darum wie kein anderer berufen und befähigt, die Jesusoffenbarung darzubieten …“ (Schnackenburg III, 34). „Damit wird der Lieblingsjünger zum einzigartigen Exegeten Jesu, so wie Jesus der Exeget Gottes ist.“ (Schnelle, 285).
Weil dieser Jünger aufgrund seines privilegierten Sitzplatzes Jesus heimlich und unbemerkt die entscheidende Frage stellen kann, gibt Petrus ihm mit einem Zeichen zu verstehen, dass er ihn fragen soll, wer denn konkret gemeint ist. Vermutlich ist das aber nicht einfach einer zufälligen Sitzordnung geschuldet, sondern Zeichen dafür, dass der Jünger, „den Jesus lieb hatte“ – im Unterschied zu Petrus – einen direkten Zugang zu Jesus hat. Er „wird dadurch zum Vermittler zwischen Jesus und seinen Anhängern“ (Zumstein, 500).
Die
Frage nach der Stellung des Jüngers, „den
Jesus lieb hatte“ , zu den anderen Jüngern spiegelt sich vermutlich auch in
folgenden Textabschnitten:
20,1-10 |
(1)
Am ersten Tag der Woche kommt Maria Magdalena früh, als es noch finster war,
zum Grab und sieht, dass der Stein vom Grab weggenommen war. (2) Da läuft sie
und kommt zu Simon Petrus und zu dem andern Jünger, den Jesus lieb hatte, und
spricht zu ihnen: Sie haben den Herrn weggenommen aus dem Grab, und wir
wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. (3) Da gingen Petrus und der andere
Jünger hinaus, und sie kamen zum Grab. (4) Es liefen aber die beiden
miteinander, und der andere Jünger lief voraus, schneller als Petrus, und kam
als Erster zum Grab, (5) schaut hinein und sieht die Leinentücher liegen; er
ging aber nicht hinein. (6) Da kam Simon Petrus ihm nach und ging hinein in
das Grab und sieht die Leinentücher liegen, (7) und das Schweißtuch, das auf
Jesu Haupt gelegen hatte, nicht bei den Leinentüchern, sondern daneben,
zusammengewickelt an einem besonderen Ort. (8) Da ging auch der andere Jünger
hinein, der als Erster zum Grab gekommen war, und sah und glaubte. (9) Denn
sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen
müsste. (10) Da gingen die Jünger wieder zu den anderen zurück. |
21,7 |
Da
spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als
Simon Petrus hörte: "Es ist der Herr", da gürtete er sich das Obergewand
um, denn er war nackt, und warf sich in den See. |
21,15-25 |
(15)
Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon,
Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht
zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm:
Weide meine Lämmer! (16) Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des
Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich
dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! (17) Spricht er zum
dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde
traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach
zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht
Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! (18) Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als
du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn
du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich
gürten und führen, wo du nicht hinwillst. (19) Das sagte er aber, um
anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt
hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! (20) Petrus aber wandte sich um und
sah den Jünger folgen, den Jesus lieb hatte, der auch beim Abendessen an
seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist's, der dich verrät? (21)
Als Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem?
(22) Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was
geht es dich an? Folge du mir nach! (23) Da kam unter den Brüdern die Rede
auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er
stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht
es dich an? (24) Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat,
und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. (25) Es sind noch viele andere
Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben
werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu
schreiben wären. |
Hintergrund
ist vermutlich auch die „historische bzw. theologie-politische Situation der
joh. Theologie und Gemeinden“ zur Zeit der Abfassung des Johannesevangeliums,
die Schnelle folgendermaßen zusammenfasst: „Zu dieser Zeit wurde die
theologie-politische Situation des frühen Christentums von fünf Hauptströmungen
bestimmt. 1) Paulus;2) die Synoptiker; 3) Johannes; 4) Jakobus/Judenchristentum
und 5) Petrus. Von besonderer Bedeutung ist Petrus, der als Erstberufenen,
erster Leiter der Jerusalemer Gemeinde und Märtyrer im ausgehenden 1. Jh. immer
mehr zu einer bedeutenden theologischen und literarischen Gestalt wird: a) Die
Papiastradition zum Markusevangelium (Euseb, HE III 39,15), wonach Markus der
Dolmetscher des Petrus war und dessen Verkündigung niederschrieb, macht den
erstberufenen Jünger auch zum eigentlichen Autor des ersten Evangeliums. b) Das
Petruswort Mt 16,17-19 qualifiziert Petrus als eine Schlüssel-Gestalt des
frühen Christentums. Petrus erscheint als Garant der mt. Überlieferung und als
Prototyp des bekennenden Jüngers und christlichen Lehrers, der im Gegensatz zu
den Schriftgelehrten und Pharisäern (vgl. Mt 23,13) durch seine Interpretation
der Überlieferung das Himmelreich aufschließt und so die mt. Ekklesia zu einem
fest gegründeten Haus macht (vgl. Mt 7,24-27). c) Mit dem 1Petrusbrief tritt
Petrus erstmals als (fiktiver) Autor in Erscheinung. Schon das Präskript
formuliert deutlich einen überregionalen Anspruch: ‚An die erwählten Fremden in
der Diaspora von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien‘ (1Petr
1,1). Das Schreiben richtet sich an die Gemeinden von fast ganz Kleinasien,
jenem Gebiet, in dem um 100 n. Chr. die meisten Christen lebten. Der Apostel
Petrus ist bereits Vorbild für die Standhaftigkeit der Glaubenden im Leiden.
Das Pseudonym Petrus wurde außerdem gewählt, weil der Apostel nach Apg 10 der
Begründer der Völkermission war und als einer der ersten Märtyrer im frühen
Christentum verehrt wurde. Seine Leidensbereitschaft prädestinierte ihn zum
Verfasser dieses Schreibens. d) Der 2Petrusbrief erhebt den Anspruch, das
Testament des Apostels Simon Petrus zu sein (vgl. 2Petr 1,1.13-15). Auch der
Hinweis auf die Verklärung Jesu (2Petr 1,18), der Rückgriff auf den 1Petr (vgl.
2Petr 3,1) und das in 2Petr 3,15f. vermittelte Paulusbild sollen diesen
Eindruck nahelegen. Der 2Petr erhebt den Anspruch, die Gesamtheit der Zeugen
für seine Zurückweisung der Falschlehrer und seine Interpretation der
Parusieverzögerung auf seiner Seite zu haben. Im 2Petr treten nun Petrus und
Paulus als Zeugen der Einheit und der Wahrheit auf, wobei Petrus für das rechte
Paulusverständnis einsteht. Um 100 n. Chr. ist Petrus nicht nur eine bedeutsame
historische Gestalt des Anfangs, sondern auch eine theologische Größe, die
Briefe verfasst sowie andere Schriften legitimiert und interpretiert. Die
Märtyrer Petrus und Petrus und Paulus werden nun als Einheit gesehen (vgl. 1Klem
5,4.5; IgnRöm 4,3), wo Petrus die angemessene Interpretation der Paulusbriefe
verbürgt (2Petr). Eine zentrale Gestalt des Jüngerkreises und der Jerusalemer
Gemeinde wird somit zu einem historischen und theologischen Garanten der ganzen
Kirche. Fazit: die theologie-politische Situation z. Zt. der Abfassungszeit des
4. Evangeliums machte es erforderlich, bei einem neuen Evangelium/einer neuen
Sicht des Christusgeschehens das Verhältnis zu den Macht- und
Interpretationsansprüchen der Petrustradition zu klären. Der Evangelist
unternimmt dies in Joh 1-20, indem er seinen Lieblingsjünger konsequent Petrus
vorordnet und damit einen einzigartigen Anspruch erhebt.“ (Schnelle, 289f.)
(25-26) Wie gebeten, lehnt sich der Jünger, „den Jesus lieb hatte“, „an die Brust Jesu“ und fragt ihn: „Herr, wer ist’s?“ Auch ihm nennt Jesus nicht den Namen des Verräters, erklärt ihm aber, dass es der Jünger sein wird, dem er den Bissen gibt, den er vorher in die auf dem Tisch stehende Schüssel eingetaucht hat.
Diese Zeichenhandlung basiert auf Ps 41,10: „Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.“ (vgl. 13,18: „Ich spreche nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muss die Schrift erfüllt werden: ‚Der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen.‘"). Sie ist also geeignet, den Verräter zu offenbaren. So nimmt Jesus den Bissen, taucht ihn ein, und gibt ihn „Judas, dem Sohn des Simon Iskariot“.
(27) Als Judas den Bissen nimmt „fährt der Satan in ihn“. Die Enthüllung des Verräters ist offenbar „Signalwirkung für den Teufel, nun in seinem Werkzeug Judas sofort tätig zu werden“ (Becker, 514) und er „gerät ganz unter den Einfluss des Satans“ (Schnackenburg III, 36).
Auch wenn Judas nun unter der Macht des Teufels steht, „kann sich aber dennoch nicht der Autorität des Offenbarers entziehen; von ihm bekommt er den Auftrag, seine unheilvolle Aufgabe auszuführen“ (Zumstein, 501): „Was du tust, das tue bald!“.
Warum fordert Jesus ihn auf, es „bald“ zu tun? Gemeint ist vermutlich: „Der Lieblingsjünger, Judas und Jesus wissen um diese Macht und die folgenden Ereignisse, deshalb fordert Jesus seinen Jünger auf, schnell zu tun, was er tun muss.“ (Schnelle, 286).
(28-29) Die Jünger aber kennen den Hintergrund dieser Anweisung Jesu nicht. Sie vermuten, dass Jesus ihn vor dem Fest schnell noch einmal zum Einkaufen losschickt oder um Almosen für die Armen zu geben (vgl. 12,5) – schließlich ist Judas der „Finanzchef“ der Gruppe (vgl. 12,6).
„Der souveränen Allwissenheit Jesu steht die Unwissenheit und das Unverständnis der Jünger gegenüber. Ihr Nichtverstehen schadet ihnen jedoch nicht völlig, es ist vielmehr der Beweis für ihre Unschuld …“ (Zumstein, 501).
(30) Judas folgt der Anweisung Jesu und geht „alsbald hinaus“. Er „hat begriffen, dass er nun endgültig aus der Gemeinschaft Jesu ausgeschlossen ist“ (Schneider, 250).
Der Evangelist fügt hinzu, dass es „Nacht“ ist – Judas also in die Nacht hinaus geht. Das ist „wohl mehr als eine bloße Zeitangabe … Judas begibt sich in die Finsternis, in der das Licht der Welt nicht scheint. Nach seinem Ausscheiden kann Jesus sich ganz dem Kreis der ihm getreuen Jünger widmen und mit den Abschiedsreden beginnen.“ (Schneider, 250).
Zusammenfassung:
„Johannes komponiert
die Verrat-Szene zu einer symbolkräftigen Ereignisabfolge, in deren Mittelpunkt
Jesus, der Lieblingsjünger und Judas stehen. Während Judas vom Satan zu seinem
Tun getrieben wird, weiß der Lieblingsjünger von Jesus um das kommende
Geschehen. Er ist damit der erste Jünger, der in das Geschick Jesu eingeweiht
wird, während Petrus mit den anderen Jüngern im Vordergründigen verbleibt.
Johannes vermeidet es bewusst, das Böse zu erklären und begreifbar zu machen.
Für ihn ist Judas nicht im strengen Sinn Täter, sondern Ausführender eines fremden
Willens.“ (Schnelle, 286).
5.3 Die erste
Abschiedsrede (13,31-14,31)
Für Abschiedsreden finden sich „überaus zahlreiche Beispiele sowohl im AT, dem antiken Judentum, als auch in der griechisch-hellenistischen Welt“ (Zumstein, 502). Für diese Gattung sind folgende Elemente konstitutiv: „(a) Der eröffnende Rahmen der Erzählung stellt den Redenden und seine Zuhörerschaft vor, umreißt die Situation der bevorstehenden Trennungundndröffnet die eigentliche Rede (…). (b) Die eigentliche, direkte Rede besteht normalerweise aus drei Teilen: Nach einem Rückblick auf die Vergangenheit folgt eine Paränese (Mahnung) und die Ankündigung der kommenden Ereignisse (…). Im Laufe der Rede wird häufig ein Nachfolger des Sprechers bestimmt (…). (c) Nach Abschluss der Rede führt die Erzählung ihren Faden weiter und berichtet vom Tod des Sprechers, seinem Begräbnis und dem Leid derer, die um ihn trauern (…).“ (Zumstein, 503f.).
Die erste Abschiedsrede Jesu endet mit den Worten: „Steht auf und lasst uns von hier weggehen.“ (14,31b). Der Hauptteil der Rede beginnt in 14,1. Ihm gehen einige Vorbemerkungen voraus.
5.3.1 Vorbemerkungen (13,31-38)
(31) Da Judas nun hinausgegangen war, spricht Jesus: Jetzt ist der
Menschensohn verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm. (32) Ist Gott
verherrlicht in ihm, so wird Gott ihn auch verherrlichen in sich und wird ihn
bald verherrlichen.
(33) Ihr Kinder, ich bin noch eine kleine Weile bei euch. Ihr werdet
mich suchen. Und wie ich zu den Juden sagte, sage ich jetzt auch zu euch: Wo
ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.
(34) Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt,
wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. (35) Daran wird
jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander
habt.
(36) Spricht Simon Petrus zu ihm: Herr, wo gehst du hin? Jesus
antwortete ihm: Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; aber du wirst
mir später folgen. (37) Petrus spricht zu ihm: Herr, warum kann ich dir jetzt
nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen. 38) Jesus antwortete ihm: Du
willst dein Leben für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Der Hahn
wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast.
„Man kann sich zu Recht fragen, ob es sich hier um vier unterschiedliche Einheiten ohne diskursive Verbindung handelt, oder ob sich zwischen diesen Elementen ein erkennbarer Sinnzusammenhang zeigt. Von dem Moment an, in dem diese Verse unter der die Abschiedsreden beherrschenden Perspektive – nämlich das durch den Tod Jesu aufgeworfene Problem – betrachtet werden, tritt die gesuchte Kohärenz zu Tage. Der bevorstehende Tod Jesu muss in grundsätzlicher Weise als der Moment seiner Verherrlichung verstanden werden (V.31b-32), aber die Verherrlichung bedeutet gleichzeitig, dass Jesus sich von seinen Jüngern trennt; der Abschied errichtet eine Distanz zwischen Jesus und den Seinen; er stürzt sie in die Einsamkeit (V.33). Das Gebot der gegenseitigen Liebe (V.33-34) schlägt nun einen ersten Weg vor, um den Abgrund seiner Abwesenheit zu überwinden, der sich durch das Kreuz auftut. Der Dialog zwischen Petrus und Jesus (V.36-38) nimmt schließlich das durch den Weggang Jesu gestellte Problem wieder auf, um zu zeigen, dass auch die irdische Nachfolge Jesu an ihr Ende gelangt ist.“ (Zumstein, 508f.).
Der Abschnitt stellt heraus, „dass die Trennung Jesu von seinen Schülern unabwendbar ist. Es wird und kann kein unmittelbares Nachfolgen mehr geben.“ Damit aber stellt sich die Frage: „Wie aber können seine Schüler dann seine Schüler bleiben.“ (Wengst, 408).
(31) Nachdem Judas „enttarnt“ ist und die Raum verlassen hat, erklärt Jesus, dass „jetzt“ die Stunde gekommen ist, in der „der Menschensohn verherrlicht“ wird.
Mit „jetzt“
wird im Johannesevangelium immer wieder auf die unmittelbare Gegenwart
heilsgeschichtlicher Ereignisse hingewiesen (4,23; 5,25) – insbesondere auf das
Kreuzesgeschehen (12,27-31; 13,36; 16,5.22.; 17,5.7.13). Als „Menschensohn“ wird Jesus auch in 1,51;
3,13-14; 5,27; 6,27; 6,62; 8,28; 9,35; 12,23.34 bezeichnet.
Die „Herrlichkeit“ ist der göttliche Lichtglanz (vgl. Jes 60,1; 2 Mos 33,18; Hes 43,2-4; Offb 21,11.23), die „Verherrlichung“ dementsprechend die Erhebung in den göttlichen Licht-Bereich (vgl. 17,5: „Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“). Von der Verherrlichung Jesu durch Gott ist auch an anderer Stelle die Rede, z.B. im Zusammenhang mit der Auferweckung des Lazarus (11,4: „Als Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“).
Hier ist aber bezieht sich die Verherrlichung Jesu auf seinen Tod am Kreuz (vgl. 12,23-33: „(23) Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. (24) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. (25) Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's bewahren zum ewigen Leben. (26) Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren. (27) Jetzt ist meine Seele voll Unruhe. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. (28) Vater, verherrliche deinen Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und will ihn abermals verherrlichen. (29) Da sprach das Volk, das dabeistand und zuhörte: Es hat gedonnert. Andere sprachen: Ein Engel hat mit ihm geredet. (30) Jesus antwortete und sprach: Diese Stimme ist nicht um meinetwillen geschehen, sondern um euretwillen. (31) Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen werden. (32) Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen. (33) Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.“).
Die Verherrlichung Jesu am Kreuz bedeutet gleichzeitig: „… und Gott ist verherrlicht in ihm“ (vgl. 17,4: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.“; zur gegenseitigen Verherrlichung des Vaters und des Sohnes vgl. 11,4: : „Als Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, dass der Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“). „Jesus verherrlicht Gott, gibt ihm die Ehre, indem er seinen Weg in den Tod am Kreuz ganz und gar in Erfüllung des Willens Gottes geht (…).“ (Wengst, 410).
Weil er in seinem Tode Gott „verherrlicht“, „wird Gott ihn auch verherrlichen in sich“. „Wenn das Kreuz der Ort der Verherrlichung ist, dann liegt die Zukunft des Gekreuzigten bei Gott. Dort endet der Weg des Gesandten und er erlangt die Stellung wieder, die ihm seit aller Ewigkeit eigen ist (vgl. 17,5).“ (Zumstein, 513). Das alles wird „bald“ geschehen.
Was will Jesus in den Versen 31-32 sagen? Es geht um den Sinn seines unmittelbar bevorstehenden Todes am Kreuz. So paradox dies auf den ersten Blick scheinen mag: Er führt zu seiner Verherrlichung und zur Verherrlichung seines himmlischen Vaters – weshalb Gott ihn verherrlichen wird und er in seine ursprüngliche göttliche Herrlichkeit eingehen wird.
(33) Die Verherrlichung Jesu, die Rückkehr in seine ursprüngliche göttliche Herrlichkeit, bedeutet natürlich gleichzeitig, dass er sich von seinen Jüngern trennt. Darauf weist Jesus seine Jünger nun ganz offen hin.
Zunächst redet er sie mit „ihr Kinder“ (wörtlich: „ihr Kindlein“) an (abgesehen von Gal 4,19 nur noch im ersten Johannesbrief: 2,1.12.28; 3,7.18; 4,4; 5,21). Diese intime Anrede zeigt, dass seine persönliche bzw. sehr familiäre Beziehung zu seinen Jüngern.
Den Mitgliedern seiner Familie muss er nun mitteilen, dass er nur „noch eine kleine Weile“ bei ihnen ist und sie ihn dann vermissen und suchen werden. Daran ist nichts zu ändern. Es ist so, wie er es auch „zu den Juden“ gesagt hat: „Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.“ (vgl. 7,33-35: „(33) Da sprach Jesus: Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, und dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. (34) Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen. (35) Da sprachen die Juden untereinander: Wo will dieser hingehen, dass wir ihn nicht finden könnten? Will er etwa zu denen gehen, die in der Zerstreuung unter den Griechen wohnen, und die Griechen lehren?“; 8,21: „Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.“). Die Trennung ist also „zunächst nicht zu überwinden. Darin ist die Lage der Jünger der Lage der ‚Juden‘ vergleichbar – bis auf einen kleinen Unterschied: Die Trennung zwischen Jesus und den jüdischen Autoritäten hat endgültigen Charakter; die Trennung zwischen Jesus und den Jüngern ist vorläufig.“ (Zumstein, 514).
(34-35) „In der Situation des Wegganges Jesu benennt das Liebesgebot, wie die Jünger … mit Jesus verbunden bleiben können. Indem in der Gemeinde die Liebestat Jesu als Bruderliebe Gestalt gewinnt, ist Jesu einmaliger Dienst im Handeln der Gläubigen gegenwärtig. Die Jünger dürfen und sollen sich hineinnehmen lassen in die durch Gott ausgelöste Liebesbewegung und darin Jesus und ihre Jüngerschaft entsprechen.“ (Schnelle, 297). Es handelt sich hier um „die erste testamentarische Verfügung des joh Jesus, um seine Abwesenheit auszugleichen“ (Zumstein, 515).
Jesus gibt seinen Jüngern „ein neues Gebot“ und fordert sie darin dazu auf, sich „untereinander“ zu lieben – und zwar so, wie er selbst sie geliebt hat. Von einem neuen Gebot der Bruderliebe ist auch im ersten Johannesbrief die Rede – mit dem Hinweis, dass es sich dabei um das „alte Gebot“ handelt, dass die Mitglieder der johanneischen Gemeinde gehört haben (1 Joh 2,7-11: „(7) Meine Lieben, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. (8) Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und in euch; denn die Finsternis vergeht und das wahre Licht scheint schon. (9) Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. (10) Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt niemand zu Fall. (11) Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis und weiß nicht, wo er hingeht; denn die Finsternis hat seine Augen verblendet.“).
Was ist das Neue an diesem Gebot? Es findet sich in der Präzisierung „wie ich euch geliebt habe“ (vgl. 15,12: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, wie ich euch liebe.“; 13,15: „Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.“). Und wie hat Jesus seine Jünger geliebt? Er hat das „bis ans Ende“ (13,1) getan, bis hin zum Tod am Kreuz. Das neue Gebot ist also „neu, weil es in Jesus gründet und Teil der neuen, durch den Offenbarer eröffneten Wirklichkeit ist“ (Zumstein, 515). Es ist die Auswirkung der Liebe Jesu, die bis zum Tod am Kreuz geht, im Leben seiner Jünger (vgl. 1 Joh 3,16: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass Er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.“). Jesus hat seine Jünger geliebt, „damit“ auch sie einander lieben.
„Liebe
ist hier weder als innere Gestimmtheit, noch als ein Gefühl zu verstehen,
sondern als ein konkreter in Demut vollzogener Dienst gegenüber dem
Glaubensbruder.“ (Zumstein, 516).
Zur
Zeit der Abfassung des Johannesevangeliums hatte dieses Gebot möglicherweise
auch noch folgende Aktualität: „Die Gruppe des Johannes wurde von außen hart
bedrängt, was im Inneren eine Abfallbewegung zur Folge hatte. In diese
Situation hinein lässt Johannes den scheidenden Jesus als sein Vermächtnis das
Gebot sagen, einander zu lieben. Dieses Gebot erhält so den Charakter einer
Aufforderung zur Solidarität, die für diese Gemeinde eine schliche
Notwendigkeit ist, will sie überleben, und zwar als Gemeinde überleben. Als
Einzelne, unter Aufgabe der offenbaren Zugehörigkeit zur Gemeinde, hätten sich
alle besser durchschlagen können, weil ihnen dann Nachteile erspart geblieben
wären. Es ist damit deutlich, dass die Befolgung des Gebots, einander zu
lieben, keineswegs einen Rückzug ins Konventikel bedeutete. Denn gerade wer dem
Gebot nachkommt und so auch materiell Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bekundet,
setzt sich der Gefährdung aus.“ (Wengst, 411f.).
Die gegenseitige Liebe in der Nachfolge Jesu wirkt sich auf die Umwelt aus. Sie ist das Erkennungszeichen der Jünger Jesu. „Dieses Erkennen ist nicht in erster Linie missionarisch, als ob die Liebe der Jünger den Menschen die Gestalt Jesu enthüllen müsste – obwohl auch dieser Aspekt nicht auszuschließen ist. Die gegenseitige Liebe der Jünger macht sie für die Welt als Jünger erkenntlich, das heißt, als von der Welt unterschiedenen, letztlich eschatologische Wirklichkeit. Das Jüngersein steht und fällt nicht mit einem bestimmten Credo, noch mit seiner Zugehörigkeit zu einer Institution, sondern mit dem Einhalten des Liebesgebotes.“ (Zumstein, 516).
Welche Bedeutung hat dieses neue Gebot im Zusammenhang mit dem Abschied Jesu von seinen Jüngern? Die Jünger werden „davon abgehalten, ihren Blick ausschließlich auf Jesus als eine Person der Vergangenheit zu konzentrieren und sich im Abschiedsschmerz zu verlieren. Im Moment des Abschieds verpflichtet Jesus seine Jünger dazu, sich der Zukunft und dem Nächsten zuzuwenden. Auf diese Weise wird die in der Vergangenheit und besonders am Kreuz bezeugte Liebe zu der Kraft, die der Zukunft innewohnt und die Jünger miteinander verbindet. Genau darin bleibt Jesus den Seinen gegenwärtig.“ (Zumstein, 516).
(36-38) Dann kommt es zu einem Dialog zwischen Petrus und Jesus, bei dem Petrus erneut als jemand auftritt, der Jesus nicht versteht bzw. missversteht (vgl. 13,6-11). Petrus greift die in 13,33 überliefert Aussage Jesus auf, in der er seinen Jüngern erklärt hatte: „Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen.“ Petrus fragt: „Herr, wo gehst du hin?“ Er hat daher auch nicht verstanden, dass die Trennung Jesu von seinen Jüngern die Folge der Vollendung seines Auftrags am Kreuz und der Rückkehr in seine ursprüngliche göttliche Herrlichkeit ist.
Jesus wiederholt seine Aussage aus V. 33, fügt aber noch die Worte „jetzt“ und „später“ hinzu: „Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; aber du wirst mir später folgen.“ Mit dem „Jetzt“ ist das Kreuzesgeschehen gemeint (vgl. zu 13,31), mit dem „Später“ entsprechend die nachösterliche Zeit (vgl. 13,7: „Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.“). „Im Grunde erhält Simon Petrus dieselbe Antwort wie schon in 13,7. In der dort geschilderten Situation konnte er die Bedeutung der ihm von Jesus erwiesenen Fußwaschung nicht erkennen; er würde es aber ‚nach all dem‘ vermögen. Jetzt kommt es darauf an, dass Jesus seinen Weg zu Ende geht: den Weg in den Tod, mit dem er Gott und Gott ihn verherrlicht. Diesen Weg geht er allein; kein Schüler kann ihn mit ihm gehen. Ist es ihn gegangen, wird es Leben aus der Frucht dieses Todes, wird es ‚Nachfolge‘ geben.“ (Wengst, 414). „Der joh Jesus will also sagen, dass die Jüngernachfolge nicht in erster Linie ein spezifischer Sachverhalt der vorösterlichen Zeit ist, sondern, im Gegenteil, charakteristisch für die nachösterliche Zeit ist. Authentische Nachfolge gibt es nur mit dem Weggang des Meisters, und sie wird erst dadurch ermöglicht. Es ist nicht die Unmittelbarkeit der geschichtlichen Gegenwart, sondern ihr Verlust, der eine wahre Verbindung ermöglicht.“ (Zumstein, 517).
Aber Petrus versteht noch immer nicht. Er antwortet Jesus: „Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen.“ Petrus „bleibt im räumlich-zeitlichen Bereich gefangen“. Da nützt es ihm auch nichts, seine Bereitschaft zum Martyrium zu erklären.
„Die
Ironie der Situation ist offensichtlich: Während Jesus sich vorbereitet, die
Offenbarung zu vollenden, indem er sein Leben für die Seinen gibt, spricht
Petrus davon, dasselbe Werk zugunsten Jesus zu vollbringen. Dieses Erzählmotiv
zeigt das Ausmaß der Verwirrung des Jüngers.“ (Zumstein, 518).
Jesus enthüllt die völlige Selbstüberschätzung des Petrus und kündigt sein Scheitern auf der ganzen Linie an: „Du willst dein Leben für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Der Hahn wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast.“
Im Kontext der Abschiedsrede hat die Antwort Jesu grundsätzliche Bedeutung: „Jeder Glaubende, der an der Nachfolge des vorösterlichen Jesus festhält, erliegt einer folgenschweren Täuschung. Nur wer sich vom irdischen Jesus verabschiedet hat, kann eine authentische Beziehung mit ihm eingehen.“ (Zumstein, 518).
5.3.2 Die Rede – das Thema (14,1-3)
Nach den Vorbemerkungen wird in 14,1-3 zunächst das Hauptthema der Abschiedsrede eingeführt: Der Weggang Jesu (14,4-17) und seine Wiederkehr (14,18-26). Dass dies das Hauptthema der Rede ist, zeigt auch die zusammenfassende Bemerkung aus dem Schlusswort: „Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.“ (14,28)
(1) Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! (2)
In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich
dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? (3) Und wenn
ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir
nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.
(1) „Auf die äußerst entschiedene Ankündigung Jesu … erwidert Petrus nichts mehr. Das Wort klingt bedrückend nach – aber da beginnt Jesus mit seiner ermutigenden Rede an alle Jünger.“ (Schnackenburg III, 63). Ihr „Herz“ soll nicht erschrecken. Im biblischen Sprachgebrauch ist das Herz der „Mittelpunkt des inneren Lebens des Menschen …, wo alle seelischen und geistigen Kräfte und Funktionen ihren Sitz und Ursprung haben“. Es „repräsentiert das Ich, die Person“ (ThWNT, III, 614f.).
Die Jünger sollen der inneren Erschütterung den Glauben entgegensetzen. Dabei wird erneut die untrennbare Verbindung zwischen am Glauben an Gott und dem Glauben an Jesus deutlich. Jesus sagt: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (vgl. 8,19: „… Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; wenn ihr mich kenntet, so kenntet ihr auch meinen Vater.“; 12,44: „Jesus aber rief: Wer an mich glaubt, der glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.“).
(2-3) Inwiefern wirkt dieser Glaube stabilisierend? Zunächst weist Jesus darauf hin, dass in seines „Vaters Hause … viele Wohnungen“ sind. Das ist die Lösung für alle Probleme, die der bevorstehende Abschied Jesu auslöst. „Dem Jünger wird die Möglichkeit geschenkt, von jener der Welt innewohnenden Unsicherheit befreit zu werden und Zugang zu einer von nun an erfüllten und unauslöschlichen Beziehung zu haben. Die durch den Weggang Jesu ausgelöste Krise ist damit vollständig überwunden.“ (Zumstein, 523).
Was ist mit diesen „Wohnungen“ gemeint? In der apokalyptischen Literatur des Frühjudentums ist davon die Rede, dass im Himmel nicht nur Gott wohnt, sondern sich dort auch die Wohnungen der Gerechten befinden.
äthHen
39,3-5 |
(3)
Und in jenen Tagen riss mich ein Sturmwind von der Erde hinweg und setzte
mich nieder an dem Ende der Himmel. 4 Und daselbst sah ich ein anderes
Gesicht: die Wohnungen der Heiligen und die Ruheplätze der Gerechten. (5)
Hier sahen meine Augen ihre Wohnungen bei den Engeln seiner Gerechtigkeit und
ihre Ruheplätze bei den Heiligen, und sie baten, flehten und beteten für die Menschenkinder,
und Gerechtigkeit floss wie Wasser vor ihnen, und Barmherzigkeit wie Tau auf
der Erde: so ist es unter ihnen in alle Ewigkeit. |
äthHen
4,1-2 |
(1)
Und danach sah ich alle Geheimnisse der Himmel, und wie das Reich verteilt
wird, und wie die Taten der Menschen auf der Waage gewogen werden. (2)
Daselbst sah ich die Wohnungen der Auserwählten und die Wohnungen der
Heiligen, und meine Augen sahen dort, wie alle Sünder von da vertrieben und
weggeschleppt werden, die den Namen des Herrn der Geister verleugnen, und
ihres Bleibens nicht ist infolge der Strafe, die vom Herrn der Geister
ausgeht. |
Jesus begründet diesen tröstlichen Hinweis auf die „Wohnungen“ in seines „Vaters Hause“ damit, indem er seine Jünger daran erinnert, dass er es ihnen doch so verkündet hat: „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.“ Das hätte er ihnen doch nicht gesagt, „wenn's nicht so wäre“. Daraus, dass Jesus weggeht, um seinen Jüngern „die Stätte zu bereiten“, folgt zwangsläufig, dass er „wiederkommen“ will, um sie zu sich zu „nehmen“, damit sie dort sind, wo er ist.
Unklar
ist jedoch, auf welche seiner Aussagen Jesus sich bezieht, wenn er sagt: „Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu
euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?“ Vermutlich handelt
es sich um selbstverständliches Gedankengut seiner Verkündigung. Traditionsgeschichtlicher
Hintergrund sind entsprechende Vorstellungen der jüdischen und urchristlichen
Apokalyptik. Allerdings werden nur
bestimmte Elemente ausdrücklich übernommen.
Es
„wird dem aufmerksamen Leser nicht entgehen, dass die V.2-3 einen Prozess der
‚Réécriture‘ (d.h. variierende Aufnahme und Um-Schreibung) durchlaufen haben.
Es steht zwar fest, dass der implizite Autor sich mit seiner Rede von der
Wiederkunft des erhöhten Christus, die in eine neu gestaltete Beziehung zu den
Seinen mündet, an die allgemeine Tradition anschließt, doch gilt ebenso, dass
er durch seine Neuformulierung dieses Geschehens den Weg bahnt für ein
erneuertes und vielgestaltiges Verständnis dieses Kommens.
Sechs
Elemente dieser ‚Réécriture‘ sind zu erwähnen: (a) Es fehlt vollständig die
kosmische Dimension, die gewöhnlich die apokalyptische Erwartung begleitet; (b)
zwischen den Generationen der Gläubigen (zwischen den verstorbenen und den lebenden)
wird nicht unterschieden; (c) es wird keine einzige genaue Zeitangabe für
dieses erneute Kommen gemacht (z.B. am Ende des gegenwärtigen Äons); (d) räumliche
Vorstellungen überwiegen gegenüber zeitlichen Kategorien; (e) die Art und Weise
des Wiederkommens Christi wird nicht näher ausgeführt; (f) der ständige Wechsel
zwischen präsentischen und futurischen Verbalformen erlaubt es dem Leser,
sowohl an eine Zukunft zu denken, die an die Zeit des Glaubens gebunden in die
Geschichte anbricht, als auch an eine rein eschatologische Zukunft.
Kurz
gesagt: Einerseits wird die Tradition des erneuten Kommens Christi
herangezogen, um den schöpferischen Charakter des Todes Jesu kundzutun;
andererseits dient sie aber auch dazu, eine Beziehungsthematik darzustellen,
nämlich die Zukunft der Verbindung zwischen dem Glaubenden und seinem Herrn
vorzuzeichnen. Diese ‚Réécriture‘ der Tradition bereitet den Gedankengang der
V.18-24 vor, in denen das erneute Kommen Christi zu den Seinen als österliche
Erfahrung Gestalt gewinnt.“ (Zumstein, 524).
Hier ist folgende Vorstellung entscheidend: „Die Welt besteht aus zwei Sphären, die irdische und die göttliche Sphäre. Der verherrlichte Christus hat eine Vermittlerfunktion zwischen diesen beiden Welten. Am Kreuz verlässt er die irdische Welt, um in der göttlichen Welt Stätten für seine Jünger vorzubereiten (V.2); V.3b beschreibt seine Rückkehr zu den Seinen; dieses Wiederkommen hat allein den Zweck, sie in die göttliche Sphäre mitzunehmen. Die Tatsache, dass das Wiederkommen Christi zu seinen Jüngern das Ziel hat, sie gemeinsam in die göttliche Sphäre zu überführen, in der dann eine unzerstörbare Gemeinschaft möglich ist, bedeutet, dass mit diesem zweiten Kommen wahrscheinlich die Parusie am Ende der Zeiten angesprochen ist. Der Weggang Jesu, der die Jünger in Verzweiflung stürzt, ist demzufolge eigentlich eine gute Nachricht; er ist das Ereignis, das den Weg zum eschatologischen Heil eröffnet.“ (Zumstein, 523).
5.3.3 Der erste Hauptteil der Rede: Der Weggang
Jesu, Jesus als der Weg zum Vater und die damit verbundenen Chancen (14,4-17)
Der erste Hauptteil beginnt mit einem Dialog Jesu mit zweien seiner Jünger über den Weggang Jesu und den Weg zum Vater.
(4) Und wo ich hingehe, dahin wisst ihr den Weg. (5) Spricht zu ihm
Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? (6)
Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand
kommt zum Vater denn durch mich. (7) Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr
auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. (8)
Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns. (9)
Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht,
Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater. Wie sprichst du dann: Zeige uns
den Vater? (10) Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir?
Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht aus mir selbst. Der Vater
aber, der in mir bleibt, der tut seine Werke. (11) Glaubt mir, dass ich im
Vater bin und der Vater in mir; wenn nicht, so glaubt doch um der Werke willen.
(4-6) Nach seiner Verheißung, dass die Jünger zum gleichen Ziel gelangen wie er und dort mit ihm vereinigt werden, lenkt Jesus den Blick vom Ziel auf den Weg: „Und wo ich hingehe, dahin wisst ihr den Weg.“ Da erklärt Thomas, dass er nicht verstanden hat, wohin Jesus geht und daher auch nicht den Weg dorthin kennt.
Daraufhin folgt ein weiteres „Ich-bin-Wort“ (vgl. 6,35; 8,12; 10,9.11; 11,25). Darin offenbart Jesus seinen Jüngern, dass er selbst der „Weg“ ist. Erklärend fügt er hinzu, dass der als „die Wahrheit“, d.h. als Offenbarer der göttlichen Wirklichkeit (vgl. 1,14; 1,17; 4,23-24; 8,32; 8,44-46; 17,17), und als „das Leben“, d.h. als die „lebensschaffende göttliche Kraft der alten wie der neuen Schöpfung“ (ThBLNT, 843; vgl. 1,4; 11,25) der „Weg“ ist. Daher kommt ihm, wenn es um den Weg zu Gott geht, Ausschließlichkeit zu: „niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
(7-9) Erklärend fügt Jesus hinzu: „Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen.“ Wenn seine Jünger erkannt haben, wer er ist, werden sie auch Gott erkennen. Dann geht er noch einen Schritt weiter und behauptet, dass sie ihn „von nun an“ kennen und ihn „gesehen“ haben.
Jesus meint natürlich, dass seine Jünger ihn ihm Gott selbst erkennen. Aber die Jünger verstehen das nicht, so dass Philippus ihm antwortet: „Herr, zeige uns den Vater, und es genügt uns.“ Er „nimmt wahr, dass Jesus zu Gott führt, aber er erkennt in Jesus nicht die Gegenwart Gottes schlechthin. Aus diesem Grund bittet er um eine direkte Gotteserfahrung, um eine Theophanie.“ (Zumstein, 530).
Weil Philippus ihn nicht versteht, wird Jesus noch deutlicher. Zunächst weist er auf die gemeinsam verlebte Zeit hin und fragt, ob Philippus ihn immer noch nicht kennt. Dann formuliert er unmissverständlich: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ „Das Sehen des irdischen Jesu und das Sehen Gottes sind ein und dasselbe.“ (Zumstein, 530). Deshalb ist seine Frage unangemessen: „Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater?“
(10-11) „Die Erläuterung der Art und Weise von Gottes Gegenwart in der Person des joh Jesus wirft eine letzte Frage auf: Warum offenbart sich Gott in der Person des Sohnes? Wie lässt sich eine solche Behauptung rechtfertigen?“ (Zumstein, 530).
Jesus fragt Philippus: „Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir?“ Dass man in ihm Gott selbst sieht, liegt also in ihrer gegenseitigen „Inexistenz“. „Jesus ist in seiner Existenz vollständig durch Gott bestimmt, der sich wiederum in Jesu Wirken offenbart.“ (Schnelle, 301).
Als Argument für diese gegenseitige „Inexistenz“ führt Jesus an, dass er in seiner Verkündigung nicht aus sich „selbst“ heraus spricht (vgl. 5,19: „Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut in gleicher Weise auch der Sohn.“; 5,30: „Ich kann nichts von mir aus tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist gerecht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“), sondern sein Vater, der „in“ ihm ist, diese „Werke“ tut.
Deshalb ruft er Philippus und den anderen Jüngern zu: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir.“ Sie sollen ihm das doch wenigstens „um der Werke willen“, die er tut, glauben – weil sein ganzes Wirken zeigt, dass Gott in ihm wirkt (10,37-38: „(37) Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubt mir nicht; (38) tue ich sie aber, so glaubt doch den Werken, wenn ihr mir nicht glauben wollt, auf dass ihr erkennt und wisst, dass der Vater in mir ist und ich im Vater.“).
„Während in den V.4-11 der Weg Jesu zu seinem Vater im Mittelpunkt der Überlegungen stand, … verschiebt sich in den V.12-17 der Schwerpunkt: Nun geht es um die Frage des Daseins der Gemeinde nach dem Weggang Jesu.“ (Zumstein, 532).
(12) Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird
die Werke auch tun, die ich tue, und wird größere als diese tun; denn ich gehe
zum Vater. (13) Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun,
auf dass der Vater verherrlicht werde im Sohn. (14) Was ihr mich bitten werdet
in meinem Namen, das will ich tun. (15) Liebt ihr mich, so werdet ihr meine
Gebote halten. (16) Und ich will den
Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei
in Ewigkeit: (17) den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann,
denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei
euch und wird in euch sein.
(12-14) Nach dem Weggang Jesu werden seine Jünger „die Werke … tun“, die Jesus zuvor getan hat und sogar noch „größere Werke“ tun. Warum werden sie noch „größere“ Werke tun? Weil Jesus „zum Vater“ gegangen ist.
„Die ‚größeren Werke‘ „zeichnen sich nicht durch eine höhere Qualität des Jüngerwirkens aus, sondern resultieren aus der zeitlichen und geographischen Entschränkung des Wirkens Jesu nach seinem Fortgang zum Vater“ (Schnelle, 302). Wenn sie nach Jesu Weggang zum Vater etwas in seinem Namen bitten werden, will er es tun, um dadurch seinen Vater zu verherrlichen (vgl. 13,31f.).
Vers 14 geht noch einen Schritt weiter. Nun heißt es nicht nur: „Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun …“. Sondern: „Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun.“ Das unterstreicht: Der zu seinem Vater zurückgegangene Sohn „ist die entscheidende handelnde Person der nachösterlichen Zeit“ (Zumstein, 535).
(15) Ein weiteres Kennzeichen der nachösterlichen Jüngerschaft, die ihrem Meister in Liebe verbunden ist, besteht darin, dass sie seine „Gebote halten“ (vgl. 14,21: „Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist’s, der mich liebt …“). Durch das Halten seiner Gebote können die Jünger ihn auch dann lieben, wenn er nicht mehr leiblich unter ihnen ist.
Beim Halten der Gebote Jesu geht um die Gesamtheit der
Weisungen Jesu – nicht allein um eine bestimmte Ethik. Wenn Jesus in 14,23-24
den gleichen Sachverhalt zum Ausdruck bringt, kann er daher anstatt von seinen
Geboten schlicht von seinen Worten sprechen: „(23) Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein
Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und
Wohnung bei ihm nehmen. (24) Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte
nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters,
der mich gesandt hat.“
(16-17) Schließlich wird das Leben der Jünger Jesu nach seinem Weggang von der Gegenwart des „Trösters“ geprägt.
Während in dern V.13-15 die von Seiten der Jünger erforderlichen Bedingungen genannt wurden, damit das Werk der Offenbarung nach dem Weggang Jesu fortgeführt wird, so nennen die V.16-17 die von Seiten Jesu erfüllte Bedingung mit demselben Ziel, nämlich das Kommen des Parakleten.“ (Zumstein, 535).
Wer
oder was ist der „Tröster“? Der
griechische Begriff „Paraklet“ meint wörtlich übersetzt jemanden, der
herbeigerufen wird. Konkret geht es i.d.R. um den „Beistand, den man vor
Gericht in Anspruch nehmen kann oder den Anwalt gegenüber Gott“ (Zumstein,
537). Die Bedeutung bzw. Übersetzung ergibt sich jeweils aus dem Zusammenhang.
14,16-17 |
(16) Und ich will den Vater
bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in
Ewigkeit: (17) den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann,
denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt
bei euch und wird in euch sein. |
Stellvertreter |
14,26 |
Aber der Tröster, der
Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch
alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. |
Lehrer,
Ausleger |
15,26-27 |
(26) Wenn aber der Tröster
kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der
vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. (27) Und auch ihr legt
Zeugnis ab, denn ihr seid von Anfang an bei mir. |
Beistand
vor Gericht |
16,7-11 |
(7) Aber ich sage euch die
Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe,
kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch
senden. (8) Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die
Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; (9) über die Sünde:
dass sie nicht an mich glauben; 10) über die Gerechtigkeit: dass ich zum
Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; (11) über das Gericht: dass der
Fürst dieser Welt gerichtet ist. |
Ankläger |
16,13-15 |
(13) Wenn aber jener kommt,
der Geist der Wahrheit, wird er euch in aller Wahrheit leiten. Denn er wird
nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden,
und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. (14) Er wird mich
verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen.
(15) Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er nimmt
es von dem Meinen und wird es euch verkündigen. |
Offenbarer |
Dass
(abgesehen von 1 Joh 2,1, wo sich der Begriff auf Jesus bezieht) nur hier vom
Parakleten die Rede ist, „dürfte … im Zusammenhang mit der Gattung der
Abschiedsreden stehen. Die Frage des Abschieds hat zu grundlegenden
Überlegungen im Bereich der Pneumatologie geführt, die sich um einen
vorliegenden Begriff des Parakleten herum gruppiert haben.“ (Zumstein, 538).
Seine
Hauptaufgabe besteht in der Unterweisung. „Der ‚charismatische‘ Aspekt des
Geistes (ekstatische Erscheinungen, Gaben der Heilung, Charismen nach Art der
korinthischen Gemeinde) wird hingegen nicht erwähnt. Diese Konzentration der Gaben
des Geistes auf die Wortverkündigung ist nicht als Schmälerung, sondern als
Konzentration auf das Wesentliche zu verstehen.“ (Zumstein, 538).
Die
Unterweisung besteht konkret in der Erinnerung (Anamnese) und der Anleitung zum
richten Verständnis (Hermeneutik) Jesu: „Die eigentliche Aufgabe des Parakleten
besteht in seiner anamnetischen und hermeneutischen Funktion. In diesem Sinne
ist die Pneumatologie der Christologie untergeordnet. Der Geist-Paraklet
verbindet die Gegenwart der nachösterlichen Gemeinde mit der Vergangenheit des
irdischen Jesus (Anamnese) und sorgt dadurch für die Kontinität der
Offenbarung. Diese vom Parakleten initiierte Anamnese ist ein schöpferischer
Akt, denn in diesem vom Geist bewegten Rückblick zeigt sich der letzte Sinn der
Worte Jesu, ja der gesamten Offenbarung des inkarnierten Logos (hermeneutische
Funktion), Doch vergegenwärtigt der Paraklet nicht nur die bereits bekannten Worte des irdischen Jesus, sondern
lässt ein neues Wort jenes Christus entstehen. Anders gesagt: Der Paraklet
verkündigt nichts anderes als das Wort Jesu. Doch verkündigt er dieses Wort
Jesu auf eine völlig neue Art und Weise.“ (Zumstein, 539).
Die Sendung des Parakleten geht auf die Initiative Jesu zurück. Er erklärt seinen Jüngern: „Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben …“ Jesus selbst ist Paraklet: „Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher [Paraklet] bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“ (1 Joh 2,1). „Das heißt, dass der erste Paraklet, nämlich Jesus, durch einen ‚anderen‘ ersetzt wird, der seine Rolle übernehmen wird.“ (Zumstein, 535).
„Damit ist eine grundlegende theologische Entscheidung getroffen: Der zukünftige Paraklet kann nicht unabhängig von der Person Jesu gedacht werden. Er ist dessen nachösterliche ‚Verdoppelung‘.“ (Zumstein, 535).
Über diesen Parakleten sagt Jesus, dass er „in Ewigkeit“ bei seinen Jüngern sein wird. Die unwiderrufliche Abwesenheit Jesu, des ersten Parakleten, um die sich die in der Abschiedsrede dreht, wird durch die uneingeschränkte Anwesenheit des zweiten Parakleten mehr als kompensiert. Er – und niemand sonst – ist ein würdiger Nachfolger Jesu (vgl. 3.1.3 – die Nachfolgeregelung als wichtiges Thema von Abschiedsreden).
Der Paraklet ist „der Geist der Wahrheit“. Der Begriff „Wahrheit“ „stand bereits in V.6 im Mittelpunkt. In ihm kommt zum Ausdruck, dass die vom Geist getragenen Wirklichkeit Gottes eins ist mit der Offenbarung, wie sie sich in Jesus ereignet und durch in Gestalt gewonnen hat.“ (Zumstein, 536).
Diesen „Geist der Wahrheit“ gibt es ausschließlich für Jünger Jesu. Die „Welt“ kann ihn „nicht empfangen“. Sie „sieht ihn nicht und kennt ihn nicht“. Sie hat kein Organ für ihn. Für die Jünger Jesu aber gilt: „Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“ (vgl. 14,16: „… dass er bei euch sei in Ewigkeit.“).
5.3.4 Der zweite Hauptteil der Rede: Die
Wiederkunft Jesu (14,18-26)
„In 14,1-3 wurde das übergreifende Thema der Rede genannt, nämlich der Weggang Jesu und seine Wiederkunft. Im ersten Hauptteil (14,4-17) wurde zunächst dargelegt, dass die Trennung von Jesus den Weg zu einer tieferen Erkenntnis seiner Identität eröffnete (V.4-11), um dann die positive Bedeutung seines Weggangs für die nachösterliche Gemeinde zu betonen: Die christologische Offenbarung erreichte darin ihre Vollendung und ihre endgültige Gestalt (V.12-17). Mit V.18 beginnt der zweite Hauptteil der Rede, der auf die Frage des nachösterlichen Kommens Jesu zu den Seinen ausgerichtet ist.“ (Zumstein, 540).
(18) Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. (19)
Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber
seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. (20) An jenem Tage werdet
ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch. (21)
Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist's, der mich liebt. Wer mich aber
liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und
mich ihm offenbaren. (22) Spricht zu ihm Judas, nicht der Iskariot: Herr, was
bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt? (23) Jesus
antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und
mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm
nehmen. (24) Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das
Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich
gesandt hat. (25) Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen
bin. (26) Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in
meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich
euch gesagt habe.
(18) Das neue Thema ist das Kommen Jesu zu seinen Jüngern. Der Bezug zum Motiv des Abschieds ist klar. Jesus kommt, weil der seine Jünger „nicht als Waisen zurücklassen“ will. „Ein Waise ist das Paradigma eines Menschen, der Trennung, Verlassenheit und Einsamkeit erlebt.“ (Zumstein, 540)
Interessant
ist die Verbindung zu 14,16-17. War dort davon die Rede, dass der Paraklet bei
den Jüngern bleiben wird, heißt es nun, dass Jesus seinen Jünger nicht
zurücklassen, sondern zu ihnen kommen wird.
Was aber meint Jesus, wenn er sagt: „Ich komme zu euch“? Ist das Kommen im Geist gemeint? Oder geht es um die endgültige Wiederkunft, von der in 14,3 die Rede war („… will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.“)? Wahrscheinlich ist mit dem Kommen Jesu hier die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern gemeint (20,19: „Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!“; 20,26: „Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!“). Dafür spricht, dass in Vers 19 davon die Rede ist, dass nicht nur sein Weggang zum Vater unmittelbar bevorsteht, sondern auch der Zeitpunkt, an dem seine Jünger ihn – im Unterschied zur Welt – wiedersehen.
(19-21) Dass es nur „noch eine kleine Zeit“ ist, bis die „Welt“ Jesus nicht mehr „sieht“, bezieht sich auf seinen Tod am Kreuz. Davon, dass dieses Ereignis unmittelbar bevor steht, hatte Jesus nach dem Ende seines öffentlichen Wirkens immer wieder gesprochen (13,1.31). „Mit seiner Hinrichtung sind für die Welt die Akten über ihn geschlossen“ (Wengst, 425); er verschwindet aus dem Blick der Welt.
Anders aber steht es bei den Jüngern Jesu: sie werden ihn sehen. Warum? Weil er lebt. Jesus sehen heißt hier, den Auferstandenen zu sehen.
20,18 |
Maria Magdalena geht und
verkündigt den Jüngern: „Ich habe den Herrn gesehen“, und was er zu ihr
gesagt habe. |
20,25 |
Da sagten die andern Jünger
zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht
in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale
und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben. |
Sofort kommt Jesus darauf zu sprechen, welche Bedeutung die Begegnung mit ihm als dem Auferstandenen für seine Jünger hat. Es „birgt für die Jünger selbst das Leben (das καὶ hat konsekutive Bedeutung); sie haben nun Anteil an der Lebensfülle, die dem Auferstandenen vorbehalten ist“ (Zumstein, 542).
Wenn sie dem Auferstandenen begegnen, werden die Jünger endgültig die untrennbare Verbindung zwischen Jesus und seinem Vater erkennen (vgl. 14,11: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir …“).
Mit der gleichen Begriffen, die Jesus hier für die Beziehung zwischen sich und seinem Vater gebraucht („ich in meinem Vater“), spricht er anschließend auch von der untrennbaren Beziehung zwischen ihm und seinen Jüngern („und ihr in mir und ich in euch“). Dadurch soll ausgedrückt werden: „Die Jünger haben an der Lebensgemeinschaft Jesu mit dem Vater Anteil.“ (Schnackenburg III, 90).
Dann kommt Jesus auf die Liebe der Jünger zu ihm zu sprechen. Sie zeigt sich in der Treue und der Einhaltung seiner Gebote (vgl. 14,15: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“). Die Liebe zu Jesus, der untrennbar mit seinem Vater verbunden ist, eröffnet den Jüngern auch den Zugang zur Liebe Gottes. Umgekehrt ist klar: Wer Jesus liebt, den wird Jesus natürlich auch lieben.
Was aber haben diese Sätze mit den vorausgegangenen Aussagen über die Begegnung mit dem Auferstandenen zu tun? Das wird am Ende von Vers 21 deutlich, wo Jesus sagt: „… und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.“ Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist demnach die Folge der Liebe Jesu zu seinen Jüngern.
„Die Zugangsbedingung zur Ostererfahrung wird somit auf eine vollkommen neue Art und Weise beschrieben, indem die Ostererfahrung entschränkt wird. Sie ist nicht mehr das zeitgebundene Vorrecht eines Kreises privilegierter Zeugen, sondern ist von nun an allen Glaubenden überall und zu jeder Zeit zugänglich.“ (Zumstein, 543).
(22-24) Erneut kommt es zu einer Nachfrage aus dem Kreis der Jünger – diesmal von Judas, womit allerdings nicht Judas Iskariot gemeint ist: „Herr, was bedeutet es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?“ Gemeint ist: Inwiefern gilt die Osteroffenbarung nur den Jüngern Jesu und nicht auch dem Rest der Menschheit?
Die Aussage, dass die Erscheinung des Auferstandenen nur den Jüngern Jesu gilt, findet sich in ähnlicher Weise auch in Apg 10,40-41: „(40) Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, (41) nicht dem ganzen Volk, sondern uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten.“
In seiner Antwort erklärt Jesus, dass nur derjenige einen Zugang zur Botschaft von der Auferstehung hat, der ihn liebt.
Zunächst wird positiv formuliert. Wer Jesus liebt, wird Jesu „Wort halten“ und deshalb von Gott geliebt werden. In der Folge werden Jesus und sein himmlischer Vater „zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen“.
Im letzten Satz werden Motive aus 14,2-3 aufgegriffen: „(2) In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? (3) Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.“ Aber sie werden hier „neu und anders interpretiert: Es handelt sich nicht mehr um den himmlischen Ort, den Jesus für die Seinen im Eschaton bereitet, sondern um die Stätte, die Gott und Jesus im Hier und Jetzt der geschichtlichen Jüngerexistenz finden werden … Die Parusie ist hier keine in erster Linie apokalyptische Vorstellung mehr, sondern findet ihren Ausdruck in der Ostererfahrung.“ (Zumstein, 544).
„Freilich ist damit nicht gesagt, dass in dieser
geistig-innerlichen Gemeinschaft mit Jesus und Gott die letzte Erfüllung jener
Verheißung liegt. Da Joh den leiblichen Tod nicht aus dem Blick verliert und in
12,25f die gleiche Wendung ‚wo ich bin, wird auch mein Diener sein’ im
Zusammenhang des Märtyrertodes gebraucht, erwartet auch er das offenbare
Schauen der Herrlichkeit erst in der himmlischen Welt (vgl. 17,24), in die
Jesus den Jüngern vorausgeht.“ (Schnackenburg III, 93).
Dann formuliert Jesus den gleichen Sachverhalt negativ: „Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.“ Anschließend fügt er hinzu, dass es sich dabei genau genommen nicht um seine eigenen Worte handelt, sondern um die Worte seines Vaters, der ihn gesandt hat (vgl. 3,34: „Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß.“; 7,16: „Jesus antwortete ihnen und sprach: Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat.“).
Wie also lautet die Antwort auf die Frage des Judas? „Die Ostererfahrung ist kein innerweltliches Phänomen und kein objektivierbarer Sachverhalt. Nur durch die Liebe kann man Zugang zur Ostererfahrung erhalten. Das heißt, sie ist nur dem möglich, der in einer engen Glaubensbeziehung mit Jesus lebt. Die Welt, die aus joh Sicht den Offenbarer zurückweist, ihm das Vertrauen verweigert und sich seinen Worten verschließt, hat keinen Zugang zur Ostererfahrung. Der Unglaube verhindert jegliche Kommunikation und jede Form des Sehens und Erkennens.“ (Zumstein, 544).
(25-26) Auch der zweite Hauptteil dieser Abschiedsrede, bei dem es um die Wiederkunft Jesu geht, endet mit einem Parakletenspruch (vgl. 14,16-17). Zunächst erinnert Jesus seine Jünger daran, dass er dies alles in der Zeit seiner irdischen Gegenwart zu ihnen „geredet“ hat. Dann aber wird „der Tröster, der Heilige Geist“, kommen. Gott wird ihn im Namen Jesu senden – so wie er zuvor seinen Sohn Jesus Christus gesandt hat (4,34; 5,23-24.30.37; 6,38-40.44; 7,16.28.33; 8,26.29; 12,49; 13,20; 15,26; 20,21).
Seine Aufgabe besteht darin, die Jünger „alles“ zu „lehren“ und sie an „alles“ zu „erinnern“, was Jesus ihnen gesagt hat. „Das Nebeneinander von ‚lehren‘ und ‚erinnern‘ macht deutlich, dass es bei Erinnern eben nicht um ein einfaches Wiederholen geht, sondern das vergangene Rede Jesu wird so wieder geholt, dass es in gegenwärtiger Lehre neu ausgedeutet wird … Der Geist ist die Kraft solcher lebendigen Erinnerung, des je neuen Begreifens Jesu.“ (Wengst, 428).
Wie
das „Lehren“ und „Erinnern“ praktisch aussieht, wird nicht gesagt. Zu denken
ist aber an Folgendes: „Die Unterweisung des Parakleten offenbart sich in der
Unterweisung und der Verkündigung der joh Gemeinde. Anders gesagt: Die
Verkündigung des irdischen Jesus wird in der Verkündigung der Gemeinde
fortgeführt. Und es versteht sich, dass diese gemeindliche Lehre, Frucht des
Parakleten, im vierten Evangelium selbst seinen vornehmlichen Ausdruck findet.“
(Zumstein, 546). Nicht zuletzt gilt: „Zeugnisse der geistgewirkten Erinnerung
an Jesus sind die Evangelien. Das Johannesevangelium ist es in Hinsicht auf die
vergegenwärtigende Neuformulierung des Überlieferten in besonderer Weise.“
(Wengst, 428).
5.3.5 Der Abschluss der Rede (14,27-31)
Die letzten Verse fassen die Rede zusammen (14,27-29) und leiten zur Passionsgeschichte über (14,30-31).
(27) Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe
ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
(28) Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder
zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater
gehe; denn der Vater ist größer als ich. (29) Und jetzt habe ich's euch gesagt,
ehe es geschieht, damit ihr glaubt, wenn es nun geschehen wird.
(30) Ich werde nicht mehr viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst
dieser Welt. Er hat keine Macht über mich. (31) Aber die Welt soll erkennen,
dass ich den Vater liebe und tue, wie mir der Vater geboten hat. - Steht auf
und lasst uns von hier weggehen.
(27) Der Redeschluss setzt mit der Zusage des Friedens ein. Der Begriff „… bezeichnet die Lebensfülle, die mit der Vollendung am Ende der Zeit von Gott seinem Willen entsprechend errichtet wird“ (Zumstein, 547). Es ist aber „mehr als ein Wunsch, wie er sonst beim Abschied gesprochen wird; Jesus lässt die εἰρήνη gleichsam als Abschiedsgeschenk zurück; er schenkt den Zurückbleibenden die εἰρήνη“ (Bultmann, 485).
Dabei geht es speziell um den Frieden, den Jesus gibt. Er unterscheidet sich qualitativ von dem Frieden, den „die Welt gibt“.
Auf dieser Grundlage kann Jesus seinen Jüngern zurufen: „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ – womit er den Satz vom Anfang der Rede aufgreift, in der er gesagt hatte: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“
(28-29) Dann fasst Jesus seine Rede zusammen. Er hat ihnen erklärt, dass …
· … er zum Vater geht (14,4ff.) und dann wieder zu seinen Jüngern kommt (14,18ff.).
· … sein Weggang zum Vater für alle, die ihn – Jesus – lieben, ein Grund zur Freude ist, weil sein Vater größer ist als er.
Der zweite Punkt will vermutlich sagen: „Der Hingang zu dem größeren Vater bringt für Jesus die Teilnahme an der Macht und Herrlichkeit Gottes in einer ganz anderen Weise mit sich, als das in seinem irdischen Dasein der Fall war. Das Sein beim Vater hat dann auch eine umfassendere Bedeutung für sein Wirken und damit für die Jünger, die er in der Welt zurücklässt.“ (Schneider, 265).
Abschließend erklärt er, dass er seinen Jüngern vorab seinen Weggang zum Vater angekündigt hat, damit sie glauben, „wenn es nun geschehen wird“ (vgl. 13,19: „Schon jetzt sage ich's euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin.“).
Die Verse 27-29 können wie folgt zusammengefasst werden: „Die erste Abschiedsrede muss durch ihren Inhalt der Verwirrung und der Sorge, die der Weggang Jesu nach sich ziehen könnte, Einhalt gebieten und schenkt das höchste Gut, den eschatologischen Frieden. Aus demselben Grund muss dieser Weggang im Herzen dessen, der Jesus wirklich liebt, Freude erwecken. Dabei ist klar, dass dieser vollkommene Glaube erst nach der Vollendung des Schicksals Jesu entstehen kann. Konsequent folgt daraus, dass der Glaube an Christus nach Ostern beginnt.“ (Zumstein, 549).
(30-31) „Nachdem Jesus die Seinen über die Bedeutung seines Abschieds unterwiesen hat und darüber, wie dieser Weggang zu verstehen und im Glauben zu leben ist, redet er nun direkter von seiner bevorstehenden Passion.“ (Zumstein, 549).
Mit den Worten „ich werde nicht mehr viel mit euch reden“ kündigt Jesus das Ende seiner Rede an. Darüber hinaus lenkt er den Blick auf das, was bzw. wer nun kommt – der „Fürst dieser Welt“ (vgl. 12,31). Damit wird deutlich, dass die nun folgende Passionsgeschichte der „Ort der entscheidenden Konfrontation zwischen Gott und den ihm feindlich gesinnten Mächten“ sein wird (Zumstein, 550).
Damit keine Missverständnisse aufkommen, betont Jesus sofort, dass der Satan „keine Macht“ über ihn hat (vgl. 13,3; 19,11). Er geht aber den Weg der Passion, weil „die Welt“, die nach 14,22f, nicht im Focus steht, „erkennen“ soll, dass er seinen himmlischen Vater liebt und den Weg geht, den er ihm „geboten“ hat.
Dann gibt Jesus seinen Jüngern das Signal zum Aufbruch: „Steht auf und lasst uns von hier weggehen.“
„Die passende Fortsetzung ist 18,1; die
dazwischenliegenden Redepartien verlangen eine literarkritische Erklärung.“
(Schnackenburg, 100). Dazu werden folgende Vorschläge gemacht (nach Zumstein,
550f.):
·
Die zweite Abschiedrede (Joh 15-16) und das
abschließende Gebot (Joh 17) erfolgten beim Verlassen der Raumes oder auf dem
Weg in den Garten.
·
Die Rede wird insgesamt umgestellt, so dass dem
Leser am Ende eine einheitliche Abschiedsrede vor Augen stehen.
·
Der Aufruf zum Aufbruch ist nicht wörtlich,
sondern symbolisch zu verstehen.
·
Die Einfügung von Joh. 15-17 zwischen Joh.14,31
und 18,1 ist ein „literarisches Verfahren …, dessen Ausgangspunkt die dem
Evangelisten aus dem Markusevangelium vorgegebene Nachricht war, dass Jesus
nach seinem Aufbruchbefehl und vor seiner Begegnung mit Judas zu den Jüngern
noch etwas sprach.“ (Schnelle, 313f.)
·
Joh 15-17 ist ein späterer Zusatz in ein bereits
bestehendes Ganzes.
Zusammenfassung
(der ersten Abschiedsrede, 14,1-31)
Nachösterliche
christliche Existenz geschieht im Glauben an Jesus Christus, der …
·
… wieder
mit seinen Jüngern zusammen sein will.
·
… der Weg
zum Vater ist, weil sie in ihm Gott selbst erblicken.
·
… vom
Himmel aus große Dinge mit ihnen vorhat.
·
… von den
Toten auferstanden ist, damit sie leben und ihn erkennen.
·
… ihnen
den „Tröster“ als seinen Nachfolger
und Stellvertreter schickt, um sie in der Wahrheit zu leiten.
5.4 Die zweite Abschiedsrede (15,1-16,33)
Die erste Abschiedsrede endet mit den Worten „steht auf und lasst uns von hier weggehen“ (14,31). Mit 15,1 beginnt – ohne eine Einleitung – die zweite Rede. Sie endet in 16,33 mit dem Zuspruch des Friedens (vgl. 14,27). Anschließend folgt das „hohepriesterliche Gebet“ Jesu (17,1-26), das auch durch die Einleitung (17,1: „Solches redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen …“) von der zweiten Abschiedsrede abgesetzt wird.
„Aus literarkritischer Sicht ist die zweite Abschiedsrede sekundär. Sie wurde nach der ersten geschrieben und nachträglich an diese angefügt. Das Verhältnis der beiden Reden ist jedoch nicht einfach kumulativer Art, sondern die zweite Abschiedsrede ist als Relecture der ersten anzusehen: Sie setzt deren Existenz voraus und nimmt interpretierend verschiedene Themen der ersten Rede auf.“ (Zumstein, 552).
In welcher Weise werden Themen der ersten Abschiedsrede aufgenommen und interpretiert? Dazu können folgenden die zusammenfassenden Aussagen der Bibelausleger eine erste Orientierung geben:
„Stand
bisher im Vordergrund der Trost, dass Jesus nach seinem Weggang neu zu den
Jüngern kommen und bei/in ihnen sein wird, so liegt der Ton jetzt auf der
Mahnung, in Jesus zu bleiben und dadurch Frucht zu bringen.“ (Schenke, zit. in
Wengst, 435).
„Während
die christologische Frage das zentrale Thema der ersten Abschiedsrede bildet –
der Weggang Jesu zum Vater und sein Wiederkommen zu den Gläubigen – , zeichnet
sich die zweite Abschiedsrede durch ihre ekklesiologische, soteriologische und
ethische Thematik aus: Von nun an geht es darum, welches Verständnis die Jünger
von ihrem Glauben, von ihrer Situation in der Welt und der ihnen möglichen
Hoffnung haben.“ (Zumstein, 552).
„Ist
in Kapitel 14 der Ausgangspunkt der Überlegungen durch den Weggang Jesu und die
für die Jünger daraus folgenden Trennung gegeben, so ist in der zweiten
Abschiedsrede die Nähe, mehr noch die Einheit mit dem Offenbarer, Gegenstand
der Besinnung.“ (Zumstein, 558).
5.4.1 Die Liebe untereinander
als Frucht des Bleibens bei Jesus (15,1-17)
Es „lässt sich feststellen, dass in 15,1-17 im Wesentlichen Motive aus Kapitel 14 aufgenommen und umgestaltet werden, und zwar mit einer ekklesiologischen und soteriologischen Ausrichtung.“ (Zumstein, 555). Im Mittelpunkt steht dabei das Liebesgebot und die gegenseitige Inexistenz von Jesus und seinen Jüngern als Voraussetzung zur Erfüllung dieses Gebotes.
Der Abschnitt beginnt mit der Bildrede aus dem Weinbau.
(1) Ich bin der wahre Weinstock und mein
Vater der Weingärtner. (2) Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt,
nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr
Frucht bringe. (3) Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch
geredet habe. 4) Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht
bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr
nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. (5) Ich bin der Weinstock, ihr seid die
Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich
könnt ihr nichts tun. (6) Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie
eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und
sie verbrennen. (7) Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben,
werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. (8) Darin wird
mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
(1-2) Die ersten beiden Verse „bringen die wesentlichen Metaphern ein (…) und enthüllen die Pointe des Bildes: Fruchtbringen“ (Zumstein, 561).
Im letzten seiner „Ich-bin-Worte“ (6,35.48.51; 8,12; 10,7.9.11.14; 11,25; 14,6) bezeichnet Jesus sich als den wahren „Weinstock“. Damit greift er ein Bild auf, dass im AT für das Volk Israel gebraucht wird:
Jer
2,21 |
Ich
aber hatte dich gepflanzt als einen edlen Weinstock, ein ganz echtes Gewächs.
Wie bist du mir denn geworden zu einem schlechten, wilden Weinstock?“ |
Hos
10,1 |
Israel
war ein üppiger Weinstock, der seine Frucht trägt. Je mehr Früchte er hatte,
desto mehr Altäre machten sie. Je besser sein Land, desto prächtiger die
Steinmale. |
Ps
80,9-16 |
(9)
Du hast einen Weinstock aus Ägypten geholt, hast vertrieben die Völker und
ihn eingepflanzt.(10) Du hast vor ihm Raum gemacht und hast ihn lassen
einwurzeln, dass er das Land erfüllt hat. (11) Berge sind mit seinem Schatten
bedeckt und mit seinen Reben die Zedern Gottes. (12) Du hast seine Ranken
ausgebreitet bis an das Meer und seine Zweige bis an den Strom. (13) Warum
hast du denn seine Mauern zerbrochen, dass jeder seine Früchte abreißt, der
vorübergeht? (14) Es haben ihn zerwühlt die wilden Säue, und die Tiere des
Feldes haben ihn abgeweidet. (15) Gott Zebaoth, wende dich doch! / Schau vom
Himmel und sieh, nimm dich dieses Weinstocks an! (16) Schütze doch, was deine
Rechte gepflanzt hat, den Sohn, den du dir großgezogen hast! |
Auch in den synoptischen Evangelien finden sich Bildreden aus dem Bereich des Weinbaus: Mk 12,1-9 (vgl. Mt 21,33-41; Lk 20,9-16); Mt 20,1-16; Mt 21,28-32.
Nun sagt Jesus ausdrücklich: „Ich bin der wahre Weinstock“. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in der griechischen Übersetzung von Jer 2,21: „Ich aber, ich pflanzte dich als fruchtbaren Weinstock, ganz wahrhaftig. Wie hast du dich in Bitterkeit gewandelt, du fremder Weinstock.“ (LXX-D). Im Johannesevangelium ist von den „wahren“ Anbetern (Joh 4,23) dem „wahren“ Brot (Joh 6,32) die Rede, wobei jeweils im Vergleich zu anderen eine höhere Qualitätsstufe gemeint ist. Das ist wohl auch der Sinn der Formel „ich bin der wahre Weinstock“: Jesus, der Ort der Gegenwart Gottes, ist Israel qualitativ überlegen.
Seinen „Vater“ bezeichnet Jesus als „Weingärtner“. Dadurch erklärt er ihn „zum Eigentümer des Weinstocks und macht so eine Aussage über seine Abhängigkeit gegenüber Gott: Er ist der, der er ist, nur, weil er im Namen Gottes redet und handelt. Jesus ist nur ‚wahr‘, weil er von Gott kommt.“ (Zumstein, 562).
Dann geht es um die Reben. Gemeint sind – wie Vers 5 zeigt – die Jünger bzw. die Gläubigen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Dabei kommt es Jesus auf die Beziehung zwischen den Reben und dem Weinstock an: „Eine jede Rebe an mir …“.
Im Mittelpunkt von Vers 2 aber stehen Aussagen darüber, was „der Weingärtner“ mit den Reben macht, wenn sie „Frucht“ bzw. „keine Frucht“ bringen. Die Verse 12-17 werden zeigen, dass mit der „Frucht“ die gegenseitige Liebe innerhalb der Jüngerschaft gemeint ist (bezeichnenderweise beginnen und enden diese Verse, in denen ebenfalls von der „Frucht“ die Rede ist, mit dem Liebesgebot).
Und was macht Gott mit denen, die „keine Frucht“ bringen – also das Liebesgebot missachten? Eine solche Rebe „nimmt er weg“. Dabei handelt es sich um die normale Tätigkeit des Weingärtners, der während der Vegetationszeit die Triebe, die dem Weinstock nur unnütz Kraft entziehen, entfernt. Auch bei der Rebe, „die Frucht bringt“, wird der Weingärtner aktiv. Er beschneidet bzw. „reinigt“ sie, damit „sie mehr Frucht bringe“.
(3) Ein kurzer Einschub zeigt, was auf der
Sachebene mit „reinigen“ gemeint ist.
Jesus erklärt, dass seine Jünger aufgrund des „Wortes“, das er zu ihnen „geredet“
hat, „schon rein“ sind. „Die
Reinheit wird weder durch eine auszuführende kultische Handlung bewirkt, noch
durch eine besondere Eigenschaft des Jüngers oder sein Verhalten, sondern
einzig durch die Gabe der Offenbarung.“ (Zumstein, 564; vgl. Joh 8,31-32: „(31) Da sprach nun Jesus zu den Juden, die
an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig
meine Jünger (32) und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch
frei machen.“; Joh 17,17: „Heilige
sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.“).
(4-5) Nachdem es in Vers 2 um den Weingärtner und den Reben ging, steht nun das Verhältnis zwischen Weinstock und Reben im Mittelpunkt – wobei der Focus wieder auf das Fruchtbringen gerichtet ist. Dabei wird in Vers 4 negativ und in Vers 5 positiv formuliert.
Das Verhältnis zwischen Weinstock und Reben ist das einer gegenseitigen „Inexistenz“: „Bleibt in mir und ich in euch.“ In Jesus zu bleiben heißt, seinem Wort treu zu bleiben:
Joh
8,31 |
Da sprach nun Jesus zu den
Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid
ihr wahrhaftig meine Jünger … |
Joh
15,7 |
Wenn ihr in mir bleibt und
meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird
euch widerfahren. |
1
Joh 2,24 |
Was ihr gehört habt von
Anfang an, das bleibe in euch. Wenn in euch bleibt, was ihr von Anfang an
gehört habt, so werdet ihr auch im Sohn und im Vater bleiben. |
Auch die Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern ist auf Dauer angelegt; er wird in seinen Jüngern bleiben.
Das Bleiben in dieser gegenseitigen Inexistenz von Jesus und seinen Jüngern ist die Grundlage dafür, dass die Jünger „Frucht bringen“. Die Jünger werden also „nicht aufgefordert, ein Ziel zu erreichen, sondern beharrlich einer bereits hergestellten Beziehung verbunden zu bleiben …“ (Zumstein., 565). Oder bildhaft formuliert: „Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt.“ Damit „wird der illusorische Charakter einer autonomen Existenz dargelegt. Der Glaubende, der meint, er könne Frucht bringen, indem er auf seine eigenen Stärken setzt, ist zum Scheitern verurteilt.“ (Zumstein, 565).
(6-7) Auf dieser Grundlage nennt Jesus die Folgen, die es für die Jünger haben wird, wenn sie nicht in ihm bleiben und deshalb keine Frucht bringen bzw. wenn sie in ihm bleiben.
Einerseits gilt: „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen.“ Damit ist das Gericht gemeint (vgl. 15,2).
Andererseits: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.“ Damit wird ein Satz aus der ersten Abschiedsrede aufgegriffen: „Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde im Sohn.“ (14,13; vgl. 15,16; 16,23-26).
Zu erwarten wäre allerdings, dass es hier heißt: „Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet in das Leben eingehen.“ Wenn Jesus stattdessen die Erhörung der Gebete nennt, ist damit aber etwas ähnliches gesagt: dass die Beziehung zwischen ihm und seinen Jüngern dazu führt, dass sie – schon jetzt! – reich von ihm beschenkt werden.
(8) Zum Abschluss dieser Bildrede stellt Jesus fest: dass sie als seine Jünger viel Frucht bringen, ist kein Selbstzweck, sondern dient zur Verherrlichung des Vaters (vgl. 14,13: „Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde im Sohn.“).
Dabei gilt: „‘Fruchtbringen‘ ist nicht die zu erfüllende Bedingung, um Jünger zu werden, sondern Zeichen des Jüngerseins.“ (Zumstein, 567).
Auch in den folgenden Versen, die nicht mehr bildhaft formuliert sind, wird die enge Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern betont. Gleichzeitig wird deutlich, dass es dabei um die Liebe bzw. das Liebesgebot geht.
(9) Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich
euch auch. Bleibt in meiner Liebe! (10) Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt
ihr in meiner Liebe, so wie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und bleibe
in seiner Liebe. (11) Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch
sei und eure Freude vollkommen werde.
(9) Der Vers besteht aus einem Indikativ („wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch“) und einem Imperativ („bleibt in meiner Liebe!“).
Der Indikativ betont die Größe der Liebe Jesu zu seinen
Jüngern. Die Liebe des Vaters zum Sohn (vgl. 3,35) ist „Grundlage und Modell der Liebe des Sohnes für die Jünger“
(Zumstein, 569). „Die Jünger dürfen sich hineingenommen wissen in die
umfassende Liebesbewegung von Vater und Sohn.“ (Schnelle, 318).
Aus dem Indikativ folgt der Imperativ. Im vorangegangenen Abschnitt hieß es: „Bleibt in mir“. Nun lautet die dementsprechende Aufforderung: „Bleibt in meiner Liebe!“
(10) Wie bleiben die Jünger in der Liebe Jesus? Indem sie seine Gebote halten. Gedacht ist natürlich an das „neue Gebot“ der gegenseitigen Liebe, von dem in 13,34 die Rede war. Das zeigt auch die Fortsetzung ab 14,12. Zur Verstärkung dieses Arguments weißt Jesus gleichzeitig darauf hin, dass er die Gebote seines Vaters gehalten hat und so in seiner Liebe bleibt – so dass er quasi Grundlage und Modell der Liebe der Jünger zu ihm ist.
(11) Dass die Jünger durch das Halten seiner Gebote in der Liebe Jesu bleiben, hat noch einen höheren Sinn: „auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.“
„Freude“ ist ein Begriff für das eschatologische Heil (vgl. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 435):
Joh
3,29 |
Wer die Braut hat, der ist
der Bräutigam; der Freund des Bräutigams aber, der dabeisteht und ihm zuhört,
freut sich sehr über die Stimme des Bräutigams. Diese meine Freude ist nun
erfüllt. |
Joh
16,20-22 |
(20) Wahrlich, wahrlich,
ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen;
ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. (21)
Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist
gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die
Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. (22) Auch
ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll
sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. |
Joh
17,13 |
Nun aber komme ich zu dir,
und dies rede ich in der Welt, auf dass meine Freude in ihnen vollkommen sei. |
In 15,9-11 steht die „Freude“, die Jesus bringt, in einem engen Zusammenhang mit „Liebe“ Jesu zu seinen Jüngern.
Gemeint ist also: Weil die Jünger durch das Halten seiner
Gebote in der Liebe Jesu bleiben, wird das von ihm ausgehende Heil seine Jünger
bestimmen und dabei ein
Vollmaß erreichen, das sich der eschatologischen Heilsfülle annähert; sie ist
eine unnehmbare, unvergängliche Freude.“ (Schnackenburg III, 118).
„Nachdem Jesus seine Jünger dazu aufgefordert hat, die ‚Gebote zu halten‘ (V. 10), benennt er jetzt den Inhalt der Gebote, nämlich die gegenseitige Liebe (…).“ (Zumstein, 571). Der Abschnitt beginnt und endet mit den Worten: „… dass ihr einander liebt“ .
(12) Das ist mein Gebot, dass ihr einander
liebt, wie ich euch liebe. (13) Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein
Leben lässt für seine Freunde. (14) Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was
ich euch gebiete. (15) Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht
weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt; denn alles, was
ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan. (16) Nicht ihr habt
mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und
Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in
meinem Namen, er's euch gebe. (17) Das gebiete ich euch, dass ihr euch
untereinander liebt.
(12) Nun wird Jesus konkret und benennt das Gebot, dass seine Jünger halten, wenn sie seiner Liebe bleiben (15,10). Es ist das „neue Gebot“, von dem in der ersten Abschiedsrede die Rede war: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“ Es wird hier leicht verändert bzw. gekürzt wiedergegeben.
Joh
13,34 |
Joh
15,12 |
„Ein neues Gebot gebe ich
euch, |
Das ist mein Gebot, |
dass ihr euch untereinander
liebt, |
dass ihr einander liebt, |
wie ich euch geliebt habe, |
wie ich euch liebe. |
damit auch ihr einander
lieb habt. |
|
(13) Von welcher Art ist die Liebe, mit der Jesus seine Jünger geliebt hat und die nun das Miteinander der Jünger bestimmen soll? Sie geht bis zum Opfer des eigenen Lebens. Dabei ist zunächst an Jesus zu denken, der „sein Leben lässt“ (10,17-18: „(17) Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich's wieder empfange. (18) Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.“). Dass Jesus „sein Leben lässt“ ist gleichzeitig Vorbild für die Jünger. Sie sollen ebenso handeln: „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass Er sein Leben für uns gelassen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.“ (1 Joh 3,16).
Wichtig ist, dass Jesus nicht allgemein vom Einsatz des Lebens für andere Menschen spricht, sondern vom Einsatz des Lebens für die „Freunde“. Hier sind die Jünger gemeint. Im Johannesevangelium wird sonst nur noch Lazarus als „Freund“ bezeichnet (11,11).
(14) Inwiefern sind die Jünger „Freunde“ Jesu? Jesus erklärt ihnen: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.“
Ähnlich hatte er bereits in der ersten Abschiedsrede gesagt:
14,15 |
Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. |
14,21 |
Wer meine Gebote hat
und hält sie, der ist's, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von
meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm
offenbaren. |
„Dabei gilt es zu beachten, dass in V.14 keine Bedingung dafür aufgestellt wird, ein Freund Jesu zu werden, dass also derjenige, der die Gebote befolgt, ein Freund Jesu wäre. Im Gegenteil, weil Jesus ihn zuerst geliebt, sein Leben für ihn hingegeben (V.12c-13) und ihn zum Freund erwählt hat, äußert der Jünger seine Zugehörigkeit zu seinem Meister, indem er hält, was dieser fordert, nämlich die gegenseitige Liebe.“ (Zumstein, 573).
(15) Was meint Jesus mit dem Begriff „Freund“? Er definiert diesen Begriff mit Hilfe eines Gegenbegriffs – dem Begriff des „Knechts“. Typisch für den Knecht ist demnach: „der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut.“ „Der qualitative Unterschied zwischen Diener/Knecht und Freund ist … mit dem Übergang vom Nicht-Wissen zum Wissen verbunden. In den Gesellschaften der Antike ist der Sklave/Knecht der absoluten Willkür seines Herrn ausgeliefert; er verfügt nicht über das Wissen, das es ihm erlauben würde, das Tun seines Herrn zu verstehen. Aus diesem Grunde ist er nicht in der Lage, seinem Leben Inhalt und Richtung zu geben. Die Zukunft bleibt absolut unberechenbar. Das Nicht-Wissen führt zur Entfremdung. Im Gegensatz dazu steht die Beziehung zwischen Freunden unter dem Signum von Austausch und Transparenz. Sie ermöglicht gegenseitiges Verständnis und den Erwerb eines Wissens, in Freiheit zu handeln und seinem Schicksal Sinn zu verleihen.“ (Zumstein, 573).
Weshalb also kann Jesus seine Jünger „Freunde“ nennen und wodurch wissen sie, was ihr Herr tut? Jesus sagt: „… alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan“ (vgl. 3,32; 8,26.40; 17,26).
(16) Bereits in
Vers 15 wurde indirekt deutlich: Freund wird ein Jünger Jesu nicht aufgrund
eigener Qualitäten oder Anstrengungen, sondern allein aufgrund der Initiative
Jesu. Das wird nun noch deutlicher: Dass die Jünger „Freunde“ sind, liegt ausschließlich daran, dass Jesus sie als
solche „erwählt“ hat (zur Erwählung
vgl. 6,37-39.44.70; 13,18). Dadurch „erfährt
das zwischen dem Offenbarer und den Jüngern bestehende Freundschaftsverhältnis
noch eine eigentümliche Bestimmung, das es gegen ein Freundschaftsverhältnis im
griechischen oder modernen Sinne abgrenzt. Ist dieses ein Gegenseitigkeitsverhältnis,
in dem die Verbundenen sich grundsätzlich gleichstehen und der Eine um die
Freundschaft des Anderen wirbt, so ist die Freundschaft zwischen Jesus und den
Seinen zwar auch ein Gegenseitigkeitsverhältnis; aber in ihm besteht keine
Gleichheit. Sind sie Jesu Freunde, so sind sie es nicht, weil sie um ihn
geworben hätten, wie er sich denn auch nicht ihren Freund, sondern nur sie
seine Freunde nennt.“ (Bultmann, 419).
Mit der Erwählung ist eine Bestimmung bzw. Beauftragung verbunden: „… ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt …“ . Aufgrund des Zusammenhangs kann mit der „Frucht“ nur der „Einsatz des ganzes Lebens zur tätigen Umsetzung des Liebesgebots“ gemeint sein (Zumstein, 575).
Zugleich ist mit der Erwählung und Beauftragung auch eine Verheißung verbunden: dass diese „Frucht bleibt“, dass sich die Jünger also bleibend untereinander lieben werden.
Damit ist dann eine zweite Verheißung verbunden: „… auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.“ Damit wird – wie in 15,7 – ein Satz aus der ersten Abschiedsrede aufgegriffen (14,13). Wie aber muss „das wiederholte Auftreten dieses Motivs in der Argumentation verstanden werden? Die Erhörung bezieht sich nicht auf willkürliche oder ganz persönliche Bitten. Die Gemeinde der Jünger betet, damit sie Frucht bringt, wie es ihrer Berufung entspricht; sie betet, um in Jesus zu bleiben.“ (Zumstein, 575).
(17) Abschließend wird das Gebot der gegenseitigen Liebe noch einmal wiederholt und somit der Sinnabschnitt abgeschlossen.
Zusammenfassung:
Christsein heißt
lieben. Weil Christus sich uns offenbart hat, sind wir seine Freunde und lieben
einander, wie er uns geliebt hat – nicht aus eigenem Entschluss oder eigener Kraft,
sondern weil er uns zu seinen Freunden gemacht hat und als automatische Folge
unserer Verbindung mit ihm.
5.4.2 Der Hass der Welt (15,18-16,4a)
„Während die erste Sequenz der zweiten Abschiedsrede (15,1-17) das Leben innerhalb der Gemeinde in den Blick nahm und vom Thema der Liebe bestimmt wurde, geht es nun in 15,18-16,4a um die Beziehung dieser Gemeinde zur Welt. Bestimmendes Motiv ist nun das Hass.“ (Zumstein, 577).
Auch die anderen Evangelien sprechen davon, dass die Gemeinde Hass und Verfolgung erdulden muss – das Johannesevangelium aber tut dies auf eine besondere Weise: „Während die ersten drei Evangelien die Verfolgung in einen eschatologischen Zusammenhang stellen und in ihr ein Zeichen der Endzeit sehen, wählt Joh ein anderes Paradigma, um dieses Phänomen einzuordnen: Er erkennt darin den unausweichlichen Gegensatz zwischen der göttlichen Offenbarung und der Welt, zwischen Licht und Finsternis.“ (Zumstein, 578f.)
Inwiefern werden in diesem Abschnitt Motive aus der ersten Abschiedsrede vertieft?
·
„Zunächst einmal erscheint der Begriff ‚Welt‘
(…) in seiner spezifischen Bedeutung (es handelt sich immer um die von Gott
getrennte Welt) bereits wiederholt in der ersten Abschiedsrede
(14,17.19.22.27), ohne jedoch genauer ausgeführt zu werden. Diese Lücke wird in
15,18-16,4a geschlossen und das Verhältnis zwischen der Welt und den Jüngern
wird hier in detaillierter Weise durchgeführt.“ (Zumstein, 555).
·
„Des Weiteren nimmt 15,26-27 das Thema des
Parakleten auf, das bereits in der ersten Abschiedsrede (14,16-17.25-26) von
erheblicher Bedeutung ist. Allerdings ist der Blickwinkel, unter dem das Thema
hier betrachtet wird, das Zeugnis der Jünger vor der Welt.“ (Zumstein, 555).
Zunächst geht es um Hass, den die Jünger Jesu zu spüren bekommen.
(18) Wenn euch die Welt hasst, so wisst,
dass sie mich vor euch gehasst hat. (19) Wäret ihr von der Welt, so hätte die
Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus
der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. (20) Denkt an das Wort, das
ich euch gesagt habe: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich
verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden
sie eures auch halten. (21) Aber das alles werden sie euch tun um meines Namens
willen; denn sie kennen den nicht, der mich gesandt hat.
(18) Dass „die Welt“ die Jünger Jesu „hasst“, ist bittere Wirklichkeit (vgl. 1 Joh 3,13: „Wundert euch nicht, Brüder und Schwestern, wenn euch die Welt hasst.“). „Überraschenderweise lässt … Jesus dieser schrecklichen Feststellung keinen Trost folgen, sondern eine Aufforderung zur Erkenntnis (…); der Jünger ist gerufen, die näheren Umstände dieser Situation kognitiv zu erfassen, das heißt, er ist dazu aufgefordert, sie theologisch zu interpretieren.“ (Zumstein, 579).
Wie soll der Jünger Jesu den Hass der Welt interpretieren? Durch sein Wissen, dass auch Jesus von der Welt gehasst wurde (vgl. 7,7: „Die Welt kann euch nicht hassen. Mich aber hasst sie, denn ich bezeuge von ihr, dass ihre Werke böse sind.“). Es geht um eine „Schicksalsgemeinschaft, … die zwischen Jesus und den Seinen besteht. Der Jünger ist somit angehalten, seine eigene Situation mit der einst von Jesus erlittenen in Zusammenhang zu stellen.“ (Zumstein, 579).
(19) Mit Hilfe
einer „was-wäre-wenn-Analyse“ arbeitet Jesus den Grund für den Hass der Welt
auf die Jünger heraus. Zunächst heißt
es: „Wäret ihr von der Welt, so hätte die
Welt das Ihre lieb.“ „Von [ἐκ]der Welt“ sein, heißt aus der Welt sein
(3,6: „Was aus dem [ἐκ] Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was
aus dem [ἐκ] Geist geboren ist, das ist
Geist.“; 1 Joh
2,16: „Denn allein, was in der Welt ist …
ist nicht vom [ἐκ] Vater, sondern von [ἐκ] der Welt.“).
Wären
die Jünger „von der Welt“, würde die
Welt sie nicht hassen. Schließlich hat die Welt „das Ihre lieb“. „Liebe im Sinn natürlicher Zuneigung (φιλεῖν)
setzt Gleichartigkeit voraus (ἰσότης
φιλότης).“ (Schnackenburg III, 131). „Würden
die Jünger die Gewissheiten und Werte teilen, die in der von Gott getrennten
Welt gebräuchlich sind (…), würden sie
im Einverständnis und in Harmonie mit ihr leben … Die Welt liebt nur, was mir
ihr konform geht.“ (Zumstein, 580). Da
diese Voraussetzung zwischen Christen und der Welt aber nicht gegeben ist,
kommt es zum Hass der Welt auf die Christen. Alternativ dazu gilt: „Weil ihr aber nicht von der Welt seid,
sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt.“
Der Parallelismus wird durch einen kurzen Einschub unterbrochen, der auf die Erwählung der Jünger hinweist – also auf den ganz anderen Ursprung der Jünger (zur Erwählung vgl. 15,16: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.“). „Der Dualismus zwischen Gemeinde und Welt wird auf diese Weise bekräftigt, doch er besteht nicht darin, dass die Jünger und die Welt wesensmäßig unterschieden wären. Allein die erwählende Initiative Jesu bewirkt die Trennung zwischen Gemeinde und Welt. So kommt es, dass der Hass der Welt sich nicht gegen etwas richtet, das ontologisch von ihr unterschieden wäre, sondern gegen das, was zu ihr gehört, ihr aber entrissen wurde.“ (Zumstein, 580).
(20) Dann vertieft Jesus den Gedanken der Schicksalsgemeinschaft zwischen ihm und seinen Jüngern. Dazu erinnert er an das Wort, dass er ihnen bei der Fußwaschung gesagt hat: „Der Knecht ist nicht größer als sein Herr.“ (vgl. 13,16: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Gesandte nicht größer als der, der ihn gesandt hat.“).
In diesem Zusammenhang bedeutet das: Seine Jünger müssen mit dem gleichen Schicksal rechnen, das auch Jesus erleidet. Das stellt Jesus in den folgenden beiden Sätzen ausdrücklich fest. Zunächst heißt es: „Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen.“ Anschließend aber: „… haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.“ Spricht Jesus hier ironisch? Gemeint wäre dann: „sie werden euer Wort ‚halten‘, gerade wie sie meines ‚gehalten‘ haben, d.h. sie werden es nämlich zurückweisen“ (Zumstein, 581). Oder spricht er tatsächlich von der Möglichkeit, dass das Wort der Jünger aufgenommen wird, wie auch sein Wort (von einzelnen Menschen) aufgenommen wurde?
(21) Thema ist allerdings der Hass der Welt gegenüber den Jüngern. Er gilt aber eigentlich nicht den Jüngern selbst. Jesus erklärt ihnen: „Aber das alles werden sie euch tun um meines Namens willen“. Und warum haben die „Weltmenschen“ etwas gegen Jesus? Sie kennen seinen Vater nicht, der ihn gesandt hat (vgl. 14,24: „Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.“).
Im Anschluss an Vers 21 – wo Jesus als der Grund des Hasses gegen die Jünger herausgestellt wird – stellen die nächsten Verse klar, dass das Kommen Jesu, und nur dies allein, die Menschen mit der Gegenwart Gottes konfrontiert und dadurch den Ermöglichungsgrund der Sünde schafft“ (Zumstein, 582).
(22) Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte
es ihnen nicht gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts
vorbringen, um ihre Sünde zu entschuldigen. (23) Wer mich hasst, der hasst auch
meinen Vater. (24) Hätte ich nicht die Werke getan unter ihnen, die kein
anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde. Nun aber haben sie es gesehen,
und doch hassen sie mich und meinen Vater. (25) Aber es muss das Wort erfüllt
werden, das in ihrem Gesetz geschrieben steht: "Sie hassen mich ohne
Grund" (Psalm 69,5).
(22) Ohne Jesu Kommen und seine Verkündigung wäre die Welt ohne Sünde – aber weil er gekommen ist, gibt können die Menschen, die von der Welt sind, „nichts vorbringen, um ihre Sünde zu entschuldigen“.
Im Hinblick auf das Verständnis der Sünde sind hier „vier Aspekte … von Bedeutung: Zum ersten ist die Sünde kein allgemein anthropologisches Phänomen, sondern wird in einem strickt christologischen Rahmen gedacht. Sie offenbart sich ausschließlich in der Beziehung des Menschen zu Jesus. Zweitens kennzeichnet die Sünde zwar jedes menschliche Dasein, bevor es Jesus begegnet, wie es der erste Teil des Evangeliums zeigt (vgl. 1,29; 9,39.41), doch nur diese Begegnung bringt die Wirklichkeit der Sünde zum Ausbruch und macht sie sichtbar. Drittens ist die Sünde demzufolge zunächst nicht eine moralische Verfehlung oder Übertretung des Gesetzes. Diese nomistische Auffassung von Sünde wird in der joh Darstellung von den Pharisäern, den Gegnern Jesu, vertreten (vgl. z.B. Kapitel 9). Und schließlich besteht die Sünde in diesem Abschnitt in der Weigerung des Menschen, seine Verlorenheit einzugestehen, die durch das Kommen Jesu enthüllt wird. Sünde ist also die bewusste Verweigerung der christologischen Offenbarung.“ (Zumstein, 583).
(23) Die „Sünde“, von der hier die Rede ist, zeigt sich konkret im Hass gegen Jesus. „Indem der Text Sünde mit Hass gleichsetzt, klingt darin der Kontext der Verfolgung an, der die Geschichte der joh Gemeinde und vielleicht auch ihre gegenwärtige Situation kennzeichnet.“ (Zumstein, 583).
Dadurch, dass vom Hass gegenüber Jesus die Rede ist, wird „die Zurückweisung Jesu nicht mehr in die Kategorie von Erkenntnis oder Glauben …, sondern … in die Kategorie des Affektes und des Willens“ gestellt. „Der Hass ist standhaftes und unerschütterliches Abweisen der Offenbarung, das keinen Raum mehr für einen argumentativen Dialog lässt.“ (Zumstein, 583).
Entscheidend ist nun die Behauptung, dass ein untrennbarer Zusammenhang zwischen dem Hass gegen Jesus und dem Hass gegen Gott besteht (zur Einheit von Sohn und Vater vgl. 10,30; 14,1). Der gegen Jesus gerichtete Hass „enthüllt … zugleich die Stellung, die damit die vom Hass Ergriffenen Gott gegenüber einnehmen. Es handelt sich um den existentiellen Ausdruck ihrer Auflehnung gegen Gott …“ (Zumstein, 584).
(24) Die Aussage von Vers 22 wird noch einmal in anderen Worten wiedergegeben und dabei konkretisiert:
15,22 |
15,24 |
Wenn ich nicht gekommen
wäre und hätte es ihnen nicht gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber
können sie nichts vorbringen, um ihre Sünde zu entschuldigen. |
Hätte ich nicht die Werke
getan unter ihnen, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde. Nun
aber haben sie es gesehen, und doch hassen sie mich und meinen Vater. |
Es geht also speziell um die Werke Jesu, „die kein anderer getan hat“ - womit nicht nur Wundertaten gemeint sind, sondern das Offenbarungswerk als Ganzes (Zumstein, 584; vgl. 4,34; 5,20.36; 6,29; 7,3.21; 9,4; 10,25.37-38; 14,12; 17,4). Hätte Jesus sie nicht getan, „so hätten sie keine Sünde.“ Aber die „Weltmenschen“ haben seine Werke gesehen – und doch weisen Jesus und seinen Vater voller Hass zurück (15,23) Deshalb ist ihre Sünde unentschuldbar.
(25) „An diesem Punkt der Argumentation angelangt, kann der Leser nur kopfschüttelnd denken, dass ein solches Verhalten völlig unverständlich und unannehmbar ist. Daraufhin entgegnet der Text: ‚Gewiss! Doch die Schrift hat eine solche Situation in Betracht gezogen‘. Die Schrift wird also zur hermeneutischen Richtschnur, um das Unfassbare zu erhellen und ihm Sinn zu verleihen.“ (Zumstein, 585).
In alledem „erfüllt“ sich „das Wort“. Wenn Jesus davon spricht, dass dieses Wort „in ihrem Gesetz geschrieben steht“, zeigt sich erneut eine gewisse Distanz gegenüber dem Gesetz (vgl. 8,17; 10,34).
Immer klarer wird, welche Menschen Jesus im Blick hat, wenn er davon spricht, dass sie ihn und seinen Vater hassen: die Juden, die Verwahrer der Thora (vgl. 16,1-4).
Bei dem Schriftwort, dass sich erfüllt, handelt es sich um Ps 69,5: „Die mich ohne Grund hassen, sind mehr, als ich Haare auf dem Haupt habe. Die mir ohne Ursache feind sind und mich verderben wollen, sind mächtig. Ich soll zurückgeben, was ich nicht geraubt habe.“ Es wird hier allerdings stark verkürzt wiedergegeben: „Sie hassen mich ohne Grund.“
Die Aussage ist klar: „Wenn dem so ist, dann wirft dieser Hass gerade durch die Tatsache, dass es ihm an Legitimation mangelt, ein charakteristisches Licht auf seine Urheber und entlarvt sie als Menschen in absolutem Selbstwiderspruch und völliger Verblendung. So wird die Sünde in ihrer ganzen Abgründigkeit dargestellt.“ (Zumstein, 585)
Es folgt eine Aussage über das Zeugnis des Parakleten und der Jünger angesichts der Ablehnung der Welt.
(26) Wenn aber der Tröster kommen wird, den
ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht,
der wird Zeugnis geben von mir. (27) Und auch ihr legt Zeugnis ab, denn ihr
seid von Anfang an bei mir.
Die Verbindung von Verfolgung und Gabe des Geistes findet
sich auch in den synoptischen Evangelien (Mk.13,11; Mt 10,19-20; Lk 12,11-12).
Ein weiterer Grund für die Aussagen über den Parakleten könnte sein, dass die
Erinnerung an das gleiche Schicksal allein nicht zur Bewältigung dieser Krise
ausreicht und daher die Botschaft wichtig ist: „Gerade in der Bedrängnis bleibt die Gemeinde nicht allein,
sondern der Vater und der Sohn stehen ihr im Parakleten bei. Dadurch erhalten
die Glaubenden die Kraft, ihr Zeugnis gegenüber einer nichtglaubenden Welt
abzulegen.“ (Schnelle, 321).
(26) Jesus wird den „Tröster“ „vom Vater“ „senden“. Es handelt sich dabei um den „Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht“.
An dieser Stelle ist ein Vergleich mit den Aussagen der ersten Abschiedsrede über den Tröster interessant:
15,26 |
14,16-17 |
14,26 |
Wenn aber der Tröster
kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der
vom Vater ausgeht, |
(16) Und ich will den Vater
bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in
Ewigkeit: (17) den Geist der Wahrheit, |
Aber der Tröster, der
Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen … |
Er zeigt, dass in der zweiten Abschiedsrede die Rolle Jesu deutlicher herausgestellt wird.
Entscheidend ist aber, welche Funktion dem Tröster hier zugemessen wird. Jesus sagt vom ihm: „… der wird Zeugnis geben von mir.“ Es geht um seine Funktion vor dem „Tribunal der Welt“, die voller Hass gegen Jesu ist. „Im Prozess… übernimmt der Paraklet die Funktion, die in der Zeit des irdischen Wirkens Jesu nacheinander dem Täufer (1,7.19.32.34), der Samariterin (4,39), den Werken und Worten Jesu (5,36; 8,14.18; 10,25), der Schrift (5,39) und sogar Gott (5,37) anvertraut worden war. Das Futur des Verbs (…) zeigt, dass es sich um ein nachösterliches Zeugnis handelt. Das dazugehörige Objekt ist die Person Jesu (…). Genauer gesagt besteht die Aufgabe des Parakleten nach dem Weggang Jesu darin, an das Zeugnis, das während der Zeit der Inkarnation über ihn abgegeben worden war, zu erinnern und dessen Auswirkungen für die nachösterliche Zeit aufzuzeigen.“ (Zumstein, 587).
(27) Aber auch die Jünger werden in dieser Auseinandersetzung „Zeugnis ablegen“. Ihr Zeugnis gründet darauf, dass sie „von Anfang an“ bei Jesus waren.
Dabei darf die Verbindung zum Zeugnis des Parakleten nicht unbeachtet bleiben (vgl. V.26). „Da der Beistand, die Geisteskraft, Jesus Schülerschaft gegeben wird, vollzieht sich sein Zeugnis in ihrem Zeugnis. Ihr Zeugnis erfolgt kraft des Geistes und nicht aus ihr selbst heraus.“ (Wengst, 445).
Abschließend kommt Jesus wieder auf den Hass der Welt gegenüber den Jüngern zurück. Er zeigt, wie er sich äußern kann, welche Ursache er hat und warum seine Vorankündigung wichtig ist.
(16,1) Das habe ich zu euch geredet, dass
ihr nicht zu Fall kommt. (2) Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es
kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen
Dienst. (3) Und das werden sie tun, weil sie weder meinen Vater noch mich
erkennen. (4a) Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde
kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe.
(1) Warum hat Jesus zu seinen Jüngern über den Hass der Welt gesprochen? Damit sie „nicht zu Fall kommen“. Grundsätzlich ist der Hass der Welt geeignet, den Glauben ins Wanken zu bringen. Deshalb ist es Jesus wichtig, dass sie nicht unvorbereitet in diese Situation geraten.
(2) Um welche
Situation geht es konkret? Um den Ausschluss aus der Synagoge (vgl. 9,22;
12,42). „Der
Synagogenausschluss … zerschnitt das Band zwischen dem alten Gottesvolk und den
von dieser Maßnahme Betroffenen. Er wurde vom Rabbinat gegen Christen etwa seit
90 n.Chr. angewendet, und ohne Zweifel traf er frühere Juden in der joh.
Gemeinde hat (s. zu 9,22 und 12,42).“ (Schnackenburg III, 138).
Aber
es wird noch schlimmer kommen. Es wird eine Zeit der blutigen
Christenverfolgung kommen, in der die Verfolger der Meinung sind, dass er Gott
einen (Gottes)Dienst (so wörtlich) erweist, wenn er Christen umbringt. „Der
Streit scheint sich für die joh. Gemeinde so zugespitzt zu haben (‚die Stunde
kommt’), dass jüdische Fanatiker sogar die Tötung von Christusbekennern (wohl
als Gotteslästerern, vgl. zu 10,33 verlangten, ‚um Gott einen Opferdienst zu
erweisen’ … Die steigernde Ankündigung von Tötungsabsichten aus religiösem
Motiv mag zunächst befremden; aber es gibt Indizien, die ein solches Verlangen
seitens jüdischer Extremisten als möglich und realistisch erweisen. In der
(fiktiven) Disputation mit dem Juden Trypho bemerkt Justin: ‚Noch ist eure Hand
wirklich zum Verbrechen erhoben; denn auch nach der Tötung Christi kehrt ihr
nicht um, sondern hasst und tötet auch uns, die durch ihn an Gott, den Vater
des Alls glauben, sooft ihr Gewalt erlangt’ (dial. 133,6; ähnlich 95,4), und in
MartPol 13,1 heißt es, dass sich besonders die Juden hervortaten, Holz und
Reisig für den Feuertod des Bischofs herbeizutragen, ‚wie es bei ihnen Brauch
ist’.“ (Schnackenburg III, 138f.).
(3) Warum handeln die Verfolger der Gemeinde so? Jesus sagt: „Und das werden sie tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen“ (zur Einheit von Vater und Sohn vgl. zu 15,23). „Der Ursprung ihrer kriminellen Gewalt liegt in ihrer starrsinnigen Weigerung, die Offenbarung Gottes in der Person Jesu anzuerkennen. Der eigentliche Kern des Konflikts zwischen den Jüngern und der Welt liegt letztendlich in der Frage nach dem rechten Zugang zu Gott.“ (Zumstein, 590).
(4a) Dann greift Jesus noch einmal die Aussage aus 16,1 auf: „Das habe ich zu euch geredet, dass ihr nicht zu Fall kommt.“ Nun macht er deutlich, wie er verhindern will, dass seine Jünger „zu Fall“ kommen. Wenn die Stunde der Verfolgung kommt, sollen sie daran denken, dass Jesus ihnen vorher gesagt hat, was auf sie zukommen wird (vgl. 13,9: „Schon jetzt sage ich's euch, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt, dass ich es bin.“).
Zusammenfassung:
Jesus hat sich der
Welt offenbart. Trotzdem – oder gerade deshalb – trifft ihn der Hass der Welt.
Er trifft auch seine Nachfolger. Aber der Heilige Geist wird Jesus vor der Welt
bezeugen – und mit und durch ihn auch seine Jünger.
5.4.3 Der Tröster – sein Wirken
in der Welt und in der Kirche (16,4b-15)
Nachdem Jesus mit seinen Jüngern über den Hass der Welt gesprochen hat, entfaltet er nun das Wirken des Heiligen Geistes, ihren Beistand in schwierigen Zeiten.
(4b) Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei
euch. (5) Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von
euch fragt mich: Wo gehst du hin? (6) Doch weil ich dies zu euch geredet habe,
ist euer Herz voll Trauer. (7) Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für
euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu
euch. Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.
(4b-5a) Zunächst hat Jesus „es“ seinen Jüngern „nicht gesagt“. Was hat er ihnen nicht gesagt? Dass die Welt sie hassen wird (15,18-16,4a). Warum hat er ihnen nicht vom Hass der Welt gesagt? Jesus erklärt: „… denn ich war bei euch“. Weil er bei seinen Jüngern war, konnte er für sie sorgen und sie beschützen. Nun aber ändert sich die Lage. Jesus geht zu seinem Vater, der ihn gesandt hat (4,34; 5,23f.24.30.37; 6,38-40.44; 7,16.18.28.33; 8,16.1826.29; 9,4; 12,44f.49; 13,16.20; 14,26; 15,21.26; 20,21). Das bedeutet: „die Feindschaft der Welt, die sich auf seine Person konzentriert hatte, richtet sich von nun an gegen die Jünger“ (Zumstein, 593).
(5b-6) Die Ankündigung Jesu verschlägt ihnen die Sprache. Jesus zeigt sich verwundert darüber, dass keiner seiner Jünger ihn fragt, wohin er denn geht, hat aber gleichzeitig eine Erklärung für ihr Verhalten: „Doch weil ich dies zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer.“ Ihre Trauer ist „Ausdruck der von nun an unvermeidlichen Trennung von Jesus, der Erfahrung der Feindschaft der Welt und der daraus entstehenden inneren Verstörung.“ (Zumstein, 594).
(7) Angesichts ihrer Trauer und Verzweiflung über seinen Abschied erklärt Jesus ihnen, dass sein Weggang in Wirklichkeit kein Verlust, sondern ein Gewinn für sie ist.
Die Einleitung „aber ich sage euch die Wahrheit“ ist entweder einfach ein Äquivalent zur Formel „wahrlich, wahrlich, ich sage euch“, oder ein Zeichen dafür, dass Jesus im Folgenden eine besondere göttliche Wirklichkeit enthüllt (Zumstein, 595). Möglicherweise ist sich auch ein Indiz dafür, dass es der Gemeinde schwer fällt, das zu glauben (Wengst, 448).
Welche „Wahrheit“ offenbart Jesus seinen verzweifelten Jüngern? Dass sein Weggang gut für sie ist (vgl. 14,28: „Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich.“).
Diese Behauptung begründet er mit Hilfe von zwei einander gegenüber gestellten Konditionalsätzen. Zunächst formuliert er negativ: „Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch.“ Anders (positiv) ausgedrückt heißt das: „Wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden.“ Der Weggang Jesu macht es also möglich, dass der „Tröster“ zu ihnen kommt – weil er ihn seinen Jüngern sendet.
„Während
des in 14,16.26 Gott war, der den Parakleten aussendet, ist in 15,26 die
Sendung das gemeinsame Werk des Vaters und des Sohnes war, ist es hier nun der
Sohn, der den Parakleten aussendet." Der Grund für diese Nuance ist:
„Dieser Abschnitt hat die Beziehung zwischen Jesus und dem Parakleten zum
Thema.“ (Zumstein, 595)
„Gerade wie der Vater den Sohn gesandt hat und der Sohn aus diesem Grund der Repräsentant Gottes unter den Menschen war, so sendet der Sohn den Parakleten. Dieser wird ihn bei den Jüngern repräsentieren und er wird seine Gegenwart in nachösterlicher Zeit sein.“ (Zumstein, 596).
Zunächst beschreibt Jesus das Wirken des Parakleten gegenüber der Welt:
(8) Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde
und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; (9) über die Sünde: dass sie
nicht an mich glauben; (10) über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und
ihr mich hinfort nicht seht; (11) über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt
gerichtet ist.
(8) Was meint Jesus, wenn er sagt, dass der
Paraklet „der Welt die Augen auftun“
wird? Das Problem beginnt bereits bei der Übersetzung. „Das Verbum ἐλέγχειν kann recht
unterschiedliche Bedeutungen annehmen; in der Bibel (LXX) dominiert die
Bedeutung ‚zurechtweisen, züchtigen’,
dann auch ‚aufdecken, überführen’, aber nicht gleich in einem forensischen,
sondern eher in einem moralisch-pädagogischen Sinn: durch Aufdeckung von Sünde
und Schuld zur Umkehr führen. Der joh. Sprachgebrauch ist freilich nach den
zwei verfügbaren Vergleichsstellen (3,20; 8,46) enger umrissen: Wer Böses tut,
kommt nicht zum Licht, damit seine Werke nicht ‚aufgedeckt’ werden, und nach
dem Kontext, in dem vom ‚Gericht’ die Rede ist (3,18f.), gewinnt der Ausdruck
eine forensische Färbung. Wenn Jesus sagt: ‚Wer kann mich (der) Sünde
überführen’, d.h. mir Sünde nachweisen (8,46), so lehrt die Tötungsabsicht der
Juden im weiteren Kontext (8,37.40), dass Verurteilung intendiert ist und
forensische Töne mitschwingen … Im übrigen NT kommt Jud 15 der begrifflichen
Verwendung von ἐλέγχειν
… am nächsten. Da wird eine Stelle aus dem Henochbuch (1,9) zitiert, die vom
Endgericht Gottes über die Gottlosen handelt, und dabei heißt es: Er wird sie
aller ihrer gottlosen Werke überführen. Hier ist es eindeutig ein gerichtliches
Überführen zum Zwecke der Verurteilung und Bestrafung.“ (RS III, 146). Daher
übersetzt die EB: „Und wenn er gekommen
ist, wird er die Welt überführen …“. Es geht also um ein Prozessgeschehen, in dem das
Unrecht der Welt ans Licht kommt. Der Paraklet fungiert hier als Ankläger, der
den Schuldigen überführt.
Im ersten
Teil des Johannesevangeliums war davon die Rede, dass Gott Jesus das Gericht „übergeben“ hat (5,22: „Denn der Vater richtet niemand, sondern hat
alles Gericht dem Sohn übergeben, …“). Nun wird deutlich: „Der Paraklet …
ist der Nachfolger Jesu nicht einfach nur als lebendiges Gedächtnis und
Hermeneut der christologischen Offenbarung. Er ist es auch, indem er dessen
forensische Funktion übernimmt. So wie das Kommen Jesu das Jüngste Gericht
bedeutete, so verhält es sich auch mit dem – nachösterlichen – Kommen des
Parakleten. Er vollzieht das eschatologische Gericht nach Ostern – doch
inmitten der Geschichte“ (Zumstein, 598).
Aber wie hat man sich das Wirken des Parakleten konkret vorzustellen? „Ist an ein Wirken gedacht, das sich gegenüber der Welt konkret äußert, sei es, indem die Jünger vor der Welt Zeugnis ablegen, sei es, dass in der Verkündigung der Gemeinde die Sünde der Welt bloßgestellt wird, sei es in der missionarischen Botschaft? Oder ist an ein Wirken des Parakleten innerhalb der Gemeinde gedacht? Die zweite Annahme ist vorzuziehen. Der Paraklet äußert sich polemisch zur Realität der Welt und zwar mit der Absicht, die Glaubensidentität der durch die Feindschaft der Welt erschütterten und in Trauer gestürzten Gemeinde zu strukturieren, zu festigen und sie in ihren Deutung des Christusereignisses zu bestärken.“ (Zumstein, 598).
Bei diesem Prozess geht es um drei Punkte: die „Sünde“, die „Gerechtigkeit“ und das „Gericht“. Sie werden im Folgenden erläutert.
(9) Hinsichtlich der „Sünde“ wird der Paraklet die Welt des Unglaubens „überführen“. Dabei geht es konkret um die Ablehnung Jesu. Sie führt zur Verurteilung (3,18: „Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“; 8,24: „So habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin, werdet ihr sterben in euren Sünden.“).
(10) Hinsichtlich der „Gerechtigkeit“ wird der Paraklet im Prozess deutlich machen, dass Jesus „zum Vater“ geht (vgl. 13,1). Hintergrund ist die Auffassung der „Welt“, dass der gewaltsame Tod Jesu „die Bestätigung“ dafür ist, „dass Jesus versagt hat und dass er unter dem Fluch steht. Der Paraklet dagegen stellt dieses Sterben als ein ‚Zum-Vater-Gehen‘ dar (…), und somit als Ausdruck der göttlichen Anerkennung. Gerade indem das Kreuz der Ort ist, an dem Jesus sein Werk vollendet und zu Gott erhöht wird, der ihn empfängt und somit anerkennt, gerade darin bestätigt sein Tod nicht seine Niederlage und seine Ablehnung, sondern seinen Sieg und seine Rechtfertigung in der Auseinandersetzung mit der Welt. Indem der Paraklet den Tod Jesu als den Ort definiert, in dem sich die Gerechtigkeit Gottes offenbart, weist er die Schuld bzw. die Sünde der Welt auf (V.9 basiert auf V.10).“ (Zumstein, 599).
Der Nachsatz „und ihr
mich hinfort nicht seht“ weißt auf
die „unvermeidlichen Nebenwirkungen“ hin, die der Weggang Jesu zum Vater, in
dem sich sein Sieg zeigt, für die Jünger hat. Möglicherweise ist auch gemeint,
dass „das Nicht-mehr-Sehen eines Gerechten“ ein „Beweis der vollzogenen Auffahrt“ ist (Schnackenburg III,
150).
(11) Hinsichtlich des Gerichts wird der Paraklet zeigen, „dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist“. Ähnlich hieß es in 12,31: „Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen werden.“. Wann, wo und wodurch wurde er „gerichtet“ bzw. „hinausgestoßen“? Dadurch, dass Jesus am Kreuz gestorben ist. (vgl. 12,33: „Das sagte er aber, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.“). Der Paraklet „erinnert … an den Moment, in dem Gott sich durch seine Gesandten definitiv gegen die Macht des Bösen und gegen die Auflehnung der Welt durchgesetzt hat“ (Zumstein, 600).
Dann beschreibt Jesus das Wirken des Parakleten innerhalb der Kirche:
(12) Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht
ertragen. (13) Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in
aller Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er
hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.
(14) Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch
verkündigen. (15) Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich
gesagt: Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.
(12) Zunächst geht Jesus auf die aktuelle Lage der Jünger ein. Er hätte ihnen „noch viel zu sagen“, sie können es aber „jetzt nicht ertragen“.
Das Wort richtet sich an die Jünger Jesu vor Ostern. Vor der Passion können sie „das, was Jesus ihnen über ihre Zukunft zu sagen hätte, nicht richtig begreifen … Nur die österliche Wende und das Kommen des Parakleten werden zu einem vollen Verständnis der Offenbarung führen.“ (Zumstein, 602).
Bei dem, was Jesus „noch … zu sagen“ hätte, geht es vermutlich weniger um neue Erkenntnisse, sondern vor allem um ein tieferes Verständnis dessen, was Jesus gesagt und getan hat (vgl. 2,22: „Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.“ ; 12,16: „Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.“). In der ersten Abschiedsrede hatte Jesus dementsprechend gesagt: „Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (14,26). In Vers 14 wird er betonen: „… von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen.“
(13) Nachdem Jesus auf die aktuelle Situation der Jünger eingegangen ist, stellt er ihnen die Hilfe durch den Parakleten in Aussicht. Er ist der „Geist der Wahrheit“ (vgl. 14,17; 15,26). Deshalb ist er geeignet, das Wirken Jesu, der „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ist (14,6) fortzuführen. Er wird die Nachfolger Jesu „in aller Wahrheit leiten“.
Das zeigt zunächst, dass der Paraklet auf der Ebene des Wortes wirkt. Dabei geht es nicht um „Offenbarung neuer Inhalte“, sondern um „Aneignung und … Vertiefung der christologischen Offenbarung, d.h. der Wahrheit“. Sein Aufgabe „besteht darin, die Zukunft der Offenbarung zu gewährleisten, indem er sie immer wieder aktualisiert“ (Zumstein, 603).
„An
dieser Stelle ist in Hinsicht auf zwei Überlieferungsvarianten des griechischen
Textes keine eindeutige Entscheidung möglich. Nach der einen Variante leitet
die Geisteskraft ‚in der ganzen Wahrheit‘. Sie bewahrt die Gemeinde sozusagen
in dem Lebensraum, der durch die Wahrheit und Wirklichkeit der Präsenz Gottes
in Jesus eröffnet und gegeben ist. Nach der anderen Variante leitet die
Geisteskraft ‚in die ganze Wahrheit‘. Damit würde der Aspekt akzentuiert, dass
die Wahrheit und Wirklichkeit der Präsenz Gottes in Jesus je neu erschlossen
werden muss und nur in solchem Erschließen jeweils ‚ganz‘ wird.“ (Wengst, 451).
Wie leitet der Tröster „in aller Wahrheit“ (bzw. „in alle Wahrheit“)? Nicht durch eigene Offenbarungen, sondern indem er das redet, „was er hören wird“.
Auch Jesus hat nicht „aus sich selber“ geredet:
7,17 |
Wenn jemand dessen Willen
tun will, wird er innewerden, ob diese Lehre von Gott ist oder ob ich aus mir
selbst rede. |
12,49 |
Denn ich habe nicht aus mir
selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein
Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. |
14,10 |
Glaubst du nicht, dass ich
im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede
ich nicht aus mir selbst. Der Vater aber, der in mir bleibt, der tut seine
Werke. |
Stattdessen hat er geredet, was er von seinem Vater gehört hat:
3,32 |
Was er
gesehen und gehört hat, das bezeugt er; und sein Zeugnis nimmt niemand an. |
8,26 |
Ich habe viel über euch zu
reden und zu richten. Aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich
von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. |
8,40 |
Nun aber sucht ihr mich zu
töten, einen Menschen, der ich euch die Wahrheit gesagt habe, die ich von
Gott gehört habe. Das hat Abraham nicht getan. |
8,47 |
Wer von Gott
ist, der hört Gottes Worte; ihr hört darum nicht, weil ihr nicht von Gott
seid. |
15,15 |
Ich nenne euch hinfort
nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe
ich Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe
ich euch kundgetan. |
Wie Jesus nicht „aus sich selber“ geredet hat, sondern das, was er vom Vater „gehört“ hat, so redet der Tröster „nicht aus sich selber“, sondern nur das „was er hören wird“ – von Jesus „hören wird“ (vgl. 16,14: „… denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen.“)
„Hier zeigt sich die trinitarisch orientierte Grundkonzeption des joh. Denkens: Der Vater gibt dem Sohn das Wort, das der Sohn verkörpert und offenbart; der Geist wiederum bringt als Gesandter vom Vater und Sohn das Wort nachösterlich zur Geltung.“ (Schnelle, 325).
„Der Paraklet wird kein unabhängiges Zeugnis schaffen,
sondern das wiedergeben, was er selbst erhalten hat.“ (Zumstein, 604). Damit wird deutlich, „dass das Wort
des Geistes kein Neues ist gegenüber dem Worte Jesu, sondern dass der Geist
dieses nur neu sagen wird.“ (Bultmann, 443).
Außerdem
wird der Paraklet den Nachfolgern „verkündigen“,
„was zukünftig ist“. Wörtlich
übersetzt geht es um „das Kommende“
(gr. ἐρχόμενα).
Was aber ist „das Kommende“? Dazu werden vor allem folgende Auffassungen
vertreten:
1. Es geht um Jesu Tod am Kreuz.
Dabei kann man sich auf Joh 18,4 berufen: „Da nun Jesus alles wusste, was ihm begegnen
[ἐρχόμενα] sollte, ging er
hinaus und sprach zu ihnen: Wen sucht ihr?“ (EB: „Jesus nun, der alles wusste, was über ihn kommen würde, ging hinaus und
sprach zu ihnen: Wen sucht ihr“). „In diesem Fall wäre der Paraklet
derjenige, der den vollen Sinn von Passion und Ostern enthüllt.“ (Zumstein,
604).
2. Es
geht um die Zeit nach Ostern, also um die Zeit der Gemeinde. „Dann bestünde die
Funktion des Parakleten darin, dem vielfältigen Geschehen während der Zeit der
Kirche einen Sinn zu geben.“ (Zumstein, 604).
3. Es geht um zukünftige bzw.
endzeitliche Ereignisse. Gemeint wäre dann: „Durch seine Ankündigung des
‚Kommenden‘ wurde der Paraklet Ereignisse enthüllen, die das Ende des
gegenwärtigen Zeitalters kennzeichnen werden (z.B. die Parusie).“ (Zumstein,
604f.).
Vielleicht kann man mit Zumstein folgendermaßen formulieren: „Kurz gesagt besteht nach V.13d die prophetische Aufgabe des Parakleten darin, ‚den kommenden Jesus‘ anzukündigen und zu zeigen, auf welche Art und Weise sich der Abwesende in unmittelbarer Nähe zur Gegenwart hält und wie er der Zukunft innewohnt. In diesem Sinne führt der Geist die Glaubenden in der ganzen Wahrheit und zwar, indem er den Jüngern die Bedeutung der Offenbarung enthüllt und ihnen zeigt, dass sie für die Zeit, die vor ihnen liegt, Sinn- und Lebenspotential bieten kann.“ (Zumstein, 605).
(14) Damit niemand auf die Idee kommt, dass das
Wirken des Parakleten unabhängig von ihm geschieht, betont Jesus: „Er wird mich verherrlichen; denn von dem
Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen.“
Auch hier fällt auf, dass etwas ganz Ähnliches über das Verhältnis zwischen Jesus und seinem Vater gesagt wird: Jesus verherrlicht seinen Vater.
13,31-32 |
(31) Da Judas nun
hinausgegangen war, spricht Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht,
und Gott ist verherrlicht in ihm. (32) Ist Gott verherrlicht in ihm, so wird
Gott ihn auch verherrlichen in sich und wird ihn bald verherrlichen. |
14,13 |
Und was ihr bitten werdet
in meinem Namen, das will ich tun, auf dass der Vater verherrlicht werde im
Sohn. |
17,1 |
Solches redete Jesus und
hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen:
Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; |
17,4 |
Ich habe dich verherrlicht
auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. |
21,19 |
Das sagte er aber, um anzuzeigen,
mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht
er zu ihm: Folge mir nach! |
(Umgekehrt ist auch davon die Rede, dass der Vater seinen Sohn verherrlicht: 8,54; 12,28; 13,31-32; 17,1; 17,5).
Damit ist klar: Wie Jesus seinen Vater verherrlicht bzw. verherrlicht hat, so wird der Paraklet Jesus verherrlichen.
Wie wird der Paraklet Jesus verherrlichen? Jesus erklärt: „denn von dem Meinen wird er's nehmen und
euch verkündigen.“ (vgl. 16,13: „…
Denn er wird nicht aus sich selber reden, sondern was er hören wir, das wird er
reden …“). „Der
Paraklet wird aus dem ‚Besitz’ Jesu … nehmen, so wie Jesus die Worte, die ihm
sein Vater gab, den Jüngern gegeben hat (17,8).“ (Schnackenburg, III, 155).
Dadurch
wird er Jesus verherrlichen. „Indem der Paraklet mitteilt, was er von Jesus
erhalten hat, nämlich die Offenbarung, verherrlicht er Jesus, d.h. er handelt
so, dass die Identität Jesu innerhalb der Gemeinde sichtbar gemacht und erkannt
wird.“ (Zumstein, 606).
(15) Nachdem in den letzten Versen mehrfach Aussagen über das Verhältnis zwischen Jesus und dem Parakleten gemacht wurden, die dem Verhältnis zwischen Jesus und seinem Vater entsprechen, geht Jesus nun auch direkt auf die Beziehung zwischen ihm und seinem Vater ein und erklärt, warum er gesagt hat: „Er nimmt es von dem Meinen und wird es euch verkündigen.“ (vgl. 16,14: „… denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen.“). Als Grund dafür gibt er an: „Alles, was der Vater hat, das ist mein.“
Der
(Offenbarungs-)Besitz Jesu, von dem der Paraklet nimmt, ist nichts anderes als
das, was der Vater hat bzw. was Jesus von ihm hat (17,10: „Und alles, was mein
ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen
verherrlicht.“; 3,34f.;
5,19.30; 7,17f.; 8,28.42; 13,3; 14,10; 17,10).
Warum
betont Jesus das? „Dadurch zeigt er, dass der Paraklet letztlich das Wort
Gottes selbst verkündigt und enthüllt, wenn er das verkündet, was er bei ihm,
Jesus, vernommen hat und von ihm empfangen hat.“ (Zumstein, 606).
Zusammenfassung:
So verständlich die Trauer der
Jünger über den Weggang ihres Meisters ist – weil er ihnen den Heiligen Geist
schickt, ist das in Wirklichkeit ein Vorteil für sie. Im Streit mit der Welt
stellt er alles richtig und bewahrt die Gemeinde in der Wahrheit Jesu.
5.4.4 Die Situation des
nachösterlichen Jüngers (16,16-33)
Auch
dieser Abschnitt ist geprägt von der Frage, wie das Leben der Jünger nach
Ostern aussieht. Dabei geht es zunächst um den Weg von der Trauer zur Freude
(16,16-24), dann um den Weg vom Unverständnis zum Verständnis (16,25-33). Dabei
wird auch vor frommer Selbstsicherheit gewarnt und zu „gläubigem Realismus“
aufgerufen (16,31-33).
(16) Noch eine
kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen; und abermals eine kleine
Weile, dann werdet ihr mich sehen.
(17) Da sprachen
einige seiner Jünger untereinander: Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch
eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine
Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater? (18) Da sprachen
sie: Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht,
was er redet.
(19) Da merkte
Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Danach fragt ihr euch
untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich
nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen? (20)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt
wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur
Freude werden. (21) Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Schmerzen, denn
ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht
mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. (22)
Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz
soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. (23) Und an
jenem Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch:
Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch
geben. (24) Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so
werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.
Dieser Abschnitt knüpft an Aussagen der ersten Abschiedsrede an – vor allem an 14,19: „Es ist noch eine kleine Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ Dabei kommt es aber zu einer „Verschiebung der Thematik: Im Zentrum des Interesses steht nicht mehr das Problem des Weggangs Jesu, sondern die Situation der Jünger, die in der Zeit nach Ostern der feindlichen Welt ausgeliefert sind. Und schließlich besteht der Sinngewinn … in der Tatsache, dass der Weggang Jesu zu einem für die Existenz der Jünger positiven Ereignis wird: Von nun an ist es eine Existenz in Bewegung, ein Übergang von der Trauer zur Freude.“ (Zumstein, 615).
(16) Jesus verkündet seinen Jüngern, dass nur „noch eine kleine Weile“ daher, bis sie nicht „nicht mehr sehen“, dass es aber nur eine weitere „kleine Weile“ dauern wird, bis sie ihn wieder „sehen“ werden. Was ist jeweils gemeint?
Die „kleine Weile“ bis die Jünger ihren Herrn „nicht mehr sehen“ ist zweifelsohne die kurze Zeit bis zu seinem Tod am Kreuz und seiner damit verbundenen Rückkehr zu seinem Vater:
7,33-34 |
(33) Da
sprach Jesus: Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, und dann gehe ich hin
zu dem, der mich gesandt hat. (34) Ihr werdet mich suchen und nicht finden;
und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen. |
13,33 |
Ihr Kinder, ich bin noch
eine kleine Weile bei euch. Ihr werdet mich suchen. Und wie ich zu den Juden
sagte, sage ich jetzt auch zu euch: Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht
hinkommen. |
14,19 |
Es ist noch eine kleine
Zeit, dann sieht die Welt mich nicht mehr. Ihr aber seht mich, denn ich lebe,
und ihr sollt auch leben. |
Dementsprechend kann die weitere „kleine Weile“ nur die ebenso kurze Zeit bis zu seiner Auferstehung sein – und nicht etwa die Zeit bis zu seiner Parusie.
(17-18) Aber die Jünger verstehen nicht, was Jesus meint. Zuerst unterhalten sich „einige seiner Jünger untereinander“ darüber und fragen: „Was bedeutet das, was er zu uns sagt: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen; und: Ich gehe zum Vater?“ Sie wiederholen also die Aussage Jesu.
Allerdings fügen sie einen Satz hinzu, den Jesus nach V. 16 gar nicht gesagt hat: „Ich gehe zum Vater.“ Diese Aussage haben sie bei anderer Gelegenheit von ihm gehört:
13,1.3 |
(1) Vor dem Passafest aber
erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge
zum Vater … (3) Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände
gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging - |
14,12 |
Wahrlich, wahrlich, ich
sage euch: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und
wird größere als diese tun; denn ich gehe zum Vater. |
14,28 |
Ihr habt gehört, dass ich
euch gesagt habe: Ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich
lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist
größer als ich. |
16,10 |
über die Gerechtigkeit:
dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; |
Und das ist es, was sie nicht verstehen: Wie passt Jesu Aussage, dass sie ihn bereits nach einer kleinen Weile wieder sehen, zu seiner Ankündigung, dass er „zum Vater“ geht?
Hinzu kommt ein zweites Problem. Diesmal sprechen alle Jünger darüber. Sie fragen sich: „Was bedeutet das, was er sagt: Noch eine kleine Weile? Wir wissen nicht, was er redet.“
(19-22) Jesus bemerkt, dass die Jünger ihn fragen wollen (zur außergewöhnlichen Menschenkenntnis Jesu vgl. z.B. 1,47f; 2,25; 6,61.64) und demonstriert ihnen, dass er sie durchschaut, indem er offen ausspricht, worüber sie sich unterhalten: „Danach fragt ihr euch untereinander, dass ich gesagt habe: Noch eine kleine Weile, dann werdet ihr mich nicht sehen; und abermals eine kleine Weile, dann werdet ihr mich sehen?“ Das entspricht dem, was Jesus ihnen in V.16 gesagt hatte.
Anschließend offenbart er ihnen, was er damit meint. Seine
Antwort beginnt – wie so oft – mit der Formel: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch“. Auch hier zeigt sie an, dass
Jesus jetzt etwas Entscheidendes zu sagen hat. Dabei geht es aber nicht nur um
eine Erklärung der Aussage über die „kleine
Weile“, nach der die Jünger Jesus nicht mehr sehen, und die andere „kleine
Weile“, nach der sie ihn wieder sehen, bzw. eine Information über sein
Schicksal, sondern darum, was es jeweils für die Jünger bedeutet: „Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt
wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur
Freude werden.“
Dass die Jünger Jesus nach einer kleinen Weile nicht mehr sehen, bedeutet für die Jünger, dass sie „weinen und klagen“ werden, während „die Welt … sich freuen“ wird. Der Tod Jesu am Kreuz wird die Jünger in Verzweiflung stürzen, während die Welt triumphieren wird. Die Jünger werden „traurig sein“ – nicht nur über den Kreuzestod Jesu, sondern auch über den Triumpf der Welt, weil sich darin nicht nur die Schadenfreue ihrer Gegner zeigt, sondern auch, weil sie von der Welt bedroht werden.
Dass sie ihn nach einer weiteren kleinen Zeit wieder sehen,
bedeutet, dass ihre „Traurigkeit … zur
Freude“ werden wird. „Die mit dem Tod Jesu, mit seiner Abwesenheit
verbundene Trauer, wird durch die österliche Gewissheit ins Gegenteil gewendet:
Der Gekreuzigte lebt. Aus der Trauer entspringt Freude.“ (Zumstein, 612; vgl.
20,20: „Und als er das gesagt hatte,
zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie
den Herrn sahen.“)
Diese „Wende“ illustriert Jesus mit dem Vergleich der Geburt. Die EB übersetzt hier genauer: „Die Frau hat Traurigkeit, wenn sie gebiert, weil ihre Stunde gekommen ist; wie sie aber das Kind geboren hat, gedenkt sie nicht mehr der Bedrängnis um der Freude willen, dass ein Mensch ist in Welt geboren ist.“ Obwohl es zur Geburt besser passt, spricht Jesus nicht von „Schmerzen“ und „Angst“, sondern von „Traurigkeit“ und „Bedrängnis“ – weil er mit dieser Wortwahl den Bezug zur Erfahrung der Jünger unterstreicht. Wenn die Zeit der Geburt gekommen ist, ist die „Traurigkeit“ unausweichlich. Aber genauso klar ist: Wenn die Frau „das Kind geboren hat, gedenkt sie nicht mehr der Bedrängnis um der Freude willen, dass ein Mensch ist in Welt geboren ist.“
Damit die Jünger ihn auch tatsächlich verstehen, erklärt Jesus seinen Vergleich: So wie die Frau bei der Geburt „Traurigkeit“ hat, so haben seine Jünger „nun (!) Traurigkeit“ – in der Zeit nach seinem Tod, in der sie ihn nicht sehen. Aber Jesus will sie nach einer kleinen Weile „wiedersehen“ (statt „ihr werdet mich sehen“ heißt es jetzt: „ich will euch wiedersehen“). Dann wird ihre „Traurigkeit … zur Freude“; dann wird ihr „Herz … sich freuen“.
„Aber
auf welches Ereignis bezieht sich der Satz: ‚Ich werde euch wiedersehen’? Die
neuere Exegese ist, bis auf wenige Ausnahmen, der Auffassung, dass nicht an die
Wiederkunft Jesu am Ende der Tage gedacht ist, sondern an die Erscheinungen des
Auferstandenen vor den Jüngern. Dafür sprechen folgende Gründen: 1. Das
Wiedersehen wird die Trauer der Jünger beenden. Wenn die Parusie (im
herkömmlichen Sinn) gemeint wäre, dann müsste der durch das Wort λύπη [Traurigkeit] gekennzeichnete
Zustand der Jünger bis zum Eintritt dieses Ereignisses, also bis zum Ende
dieses Äons fortdauern. Das aber kann nicht der Sinn der Verheißung Jesu sein.
2. Die Parusie erfolgt vor den Augen der ganzen Welt. In 14,18-21 ist aber von
dem Sichtbarwerden Jesu vor den Jüngern die Rede. Da das in gleicher Weise von
16,16-24 gilt, liegt der Gedanke an die Parusie fern. 3. Die Jünger hätte Jesus
sofort verstanden, wenn es sich um seine Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit
handelt würde. 4. Schließlich wäre das Bittgebet, zu dem Jesus die Jünger in
den Versen 23f.26 auffordert, nach der Parusie gegenstandslos.“ (Schneider,
279f.).
Zum Wiedersehen gehört die Wiedersehensfreude: „und euer Herz soll sich freuen“. Gemeint ist die Osterfreude: „Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“ (20,20). Diese Freude kann ihnen „niemand … nehmen“. „Diese Freude ist unzerstörbar, weil ihr Wesen Geschenk ist. Da sie göttlichen Ursprungs ist, wird die Welt keine Macht über sie haben.“ (Zumstein, 614).
(23-24) Zu dem, was „an jenem Tage“, also nach Ostern (14,20: „An jenem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.“; 16,26: „An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen …“), anders ist, gehört konkret, dass die Jünger ihn „nichts fragen“ werden.
Sofern damit nicht einfach gemeint ist, dass sie Jesus um nichts bitten werden – weil sie sich direkt an Gott wenden können – heißt das: „Auf die Zeit der aussichtslosen Fragen und Unkenntnis, die in den V.17-18 paradigmatisch abgebildet sind, folgt die Zeit des vollendeten Sinns, die Zeit des Verstehens. Die Existenz in der Freude ist dadurch gekennzeichnet, dass Verstehen möglich ist.“ (Zumstein, 614).
Wieder leitet die Formel „wahrlich, wahrlich, ich sage euch“ eine entscheidende Aussage ein. Sie betrifft das Gebet. Nach Ostern gilt: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.“
Ähnlich hatte Jesus sich auch an anderer Stelle geäußert:
14,13-14 |
(13) Und was ihr bitten
werdet in meinem Namen, das will ich tun, auf dass der Vater verherrlicht
werde im Sohn. (14) Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich
tun. |
15,7 |
Wenn ihr in mir bleibt und
meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird
euch widerfahren. |
Nun wird noch deutlicher, was der entscheidende Punkt ist. Nach Ostern beten die Jünger im Namen Jesu zu Gott, dem Vater, und können daher wissen, dass er sie erhören wird – so wie Jesus wusste, dass sein Vater ihn erhören wird (11,41-42: „(41) Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. (42) Ich wusste, dass du mich allezeit hörst …“). „Die österliche Wende ermöglicht es dem Jünger nun, eine neue Beziehung mit Gott einzugehen, indem er von nun an die Beziehung der Nähe teilt die Jesus mit Gott vereint (vgl. 14,20; 20,17). Das unanfechtbare Vertrauen Jesu in die Liebe und die Fürsorge des Vaters in der Zeit seines irdischen Wirkens wird in nachösterlicher Zeit zum Privileg des Glaubenden. Die Beziehung zwischen dem Glaubenden und Gott steht fortan unter dem Zeichen der unzerstörbaren Grußmut des Vaters (…).“ (Zumstein, 615).
Dass Gott ihre Gebete erhört, wird ihre „Freude vollkommen“ machen (vgl. 15,11: „Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.“). „V.24b setzt die Freude des Jüngers und die Gewissheit der Gebetserhörung miteinander in Beziehung: Gerade weil der Jünger der göttlichen Fürsorge sicher ist und weil seine Existenz unter diese Verheißung gestellt ist, ist seine Freude begründet und gewiss.“ (Zumstein, 615).
„Die V.25-33 sind eine vertiefende Weiterführung der in den V.16-22 begonnenen Überlegungen. V.25 nimmt als Ausgangspunkt der Argumentation einerseits die Differenzierung zwischen vor- und nachösterlichen Zeit auf, und andererseits das Verstehensproblem, das mit diesem Übergang von einer Zeit zur anderen verbunden ist. Dazu wird ein neues semantisches Feld eingeführt: Der Trauer entspricht die Rätselrede, der Freude entspricht das volle Verstehen. In beiden Sequenzen ist es das Geschehen der österlichen Wende, das den entscheidenden Übergang von der negativen zur positiven Situation ermöglicht.“ (Zumstein, 617)
(25) Das habe ich
euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit
euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. (26)
An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass
ich den Vater für euch bitten werde; (27) denn er selbst, der Vater, hat euch
lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. (28)
Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt
wieder und gehe zum Vater.
(29) Sprechen zu
ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild. (30)
Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich
jemand fragt. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.
(31) Jesus
antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr? (32) Siehe, es kommt die Stunde und ist
schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich
allein lasst. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. (33) Dies
habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr
Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
(25) Auch hinsichtlich der Verkündigung Jesu gibt es eine „Wende“. Was er seinen Jüngern bisher gesagt hat (vgl. 14,25; 15,11; 16,4), hat er ihnen „in Bildern gesagt“ (vgl. 10,6: „Dies Gleichnis sagte Jesus zu ihnen; sie verstanden aber nicht, was er ihnen damit sagte.“). Das Gegenteil zu einer Rede „in Bildern“ ist es, „frei heraus“ zu „verkündigen“ (vgl. 7,4.13.26; 10,24; 18,20).
Aber es „kommt die Stunde“, in der Jesus „nicht mehr in Bildern“ mit seinen Jüngern reden wird, sondern ihnen „frei heraus verkündigen“ wird. Mit der „Stunde“ ist Ostern gemeint (z.B. 7,30: „Da suchten sie ihn zu ergreifen; aber niemand legte Hand an ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.“; 8,20: „Diese Worte redete Jesus an dem Gotteskasten, als er lehrte im Tempel; und niemand ergriff ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen.“; 12,23: „Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“; 13,1: „Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater …“).
Warum hat Jesus bisher nicht „frei heraus“, sondern „in Bildern“ geredet? Warum kann er erst jetzt „frei heraus verkündigen“? Entscheidend ist die österliche „Wende“. Jesu Rede „wird ‚offen‘, wo sozusagen das Osterlicht durchbricht und sich Vertrauen auf Gott einstellt, wie er hier wirkt“ (Wengst, 457). Es ist „die Stunde des Todes/der Erhöhung, die den Jüngern Zugang zur vollkommenen und umfassenden Offenbarung Gottes gibt.“ (Zumstein, 618). „An jenem Tage“ werden die Jünger Jesus „nichts fragen“ (16,23).
(26-27) Dieses vollkommene Verstehen der göttlichen Offenbarung findet seinen Ausdruck im Gebet. In 16,23-24 war bereits davon die Rede, dass die Jünger in nachösterlicher Zeit im Namen Jesu zu Gott, dem Vater, in der Gewissheit ihrer Erhörung beten können. Das wird jetzt begründet.
Wenn die Jünger „an jenem Tage“, also nach Ostern (14,20; 16,23) im Namen Jesu beten, bedeutet dies nicht, dass Jesus seinen Vater für seine Jünger bitten wird. Gemeint ist, dass sie sich selbst und direkt an seinen Vater wenden werden. „Der joh Jesus scheint hier auf seine Rolle als Fürsprecher für die Jünger bei Gott zu verzichten. Mit dieser provozierenden Formulierung stellt er heraus, dass eine neue Beziehung zwischen den Glaubenden und Gott herrscht. Von nun an haben die Glaubenden an jener Beziehung zu Gott teil, die vor der österlichen Wende Jesus vorbehalten war. Von nun an sind sie die Brüder Jesu und der Gott Jesu ist ihr Gott geworden (vgl. 20,17).“ (Zumstein, 618f.).
Was hat das mit der Aussage zu tun, dass Jesus nicht mehr „in Bildern“ , sondern „frei heraus“ redet? „Gerade weil sich dieses Gebet auf das vollendete Verstehen der Person Gottes stützt, ist es von einer bis dahin unbekannten Unmittelbarkeit in der Beziehung zwischen dem Jünger und seinem Gott gekennzeichnet.“ (Zumstein, 618).
Was ist der Grund für die nachösterliche Unmittelbarkeit der Jünger zu Gott, die sich im Gebet zeigt? Der Grund ist die Liebe Gottes zu ihnen. Und was ist der Grund der Liebe Gottes zu ihnen? Der Grund ist, dass die Jünger Jesus lieben und glauben, dass er „von Gott ausgegangen“ ist.
„Das hier verwendete Verbum für
‚lieben’, nämlich φιλεῖν, ist sicher mit voller Absicht gewählt. In der
Abschiedsrede wurde dort, wo es um die Gemeinschaft der Jünger mit Jesus und
dem Vater ging (14,15.21.23f.28), durchweg ἀγαπᾶν gesetzt, das seinen anfordernden Charakter nicht
verleugnet (vgl. auch 15,9.12.17). Jetzt offenbart Jesus den Jüngern tröstlich
das Freundschaftsverhältnis, das ihnen der Vater um seinetwillen gewährt. Jesu
eigene Freundschaft, die er den Jüngern in 15,15 zusichert und damit erläutert,
dass er ihnen alles vom Vater Gehörte kundgetan hat, erweitert sich für sie zu
einer unmittelbaren Gottesfreundschaft.“ (Schnackenburg III, 184).
(28) Der Aussage, dass Jesus „von Gott ausgegangen“ ist, folgt ein „lehrhafter Kernsatz“, der die johanneische Offenbarungstheologie zusammenfasst (Schnelle, 329): „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen“ (vgl. 1,14; 3,16; 13,3); „ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater“ (vgl. 13,1).
(29-30) Hatten sich die Jünger in ihren Redebeiträgen bisher „auf Fragen beschränkt, die ihr Nichtverstehen verrieten, bekräftigen die Gefährten Jesu in diesem letzten Beitrag ihr Verstehen und geben sogar ein Urteil über den Inhalt der Lehre Jesu ab. Sind sie zum vollen Verständnis der Offenbarung gelangt – was letztlich das Ziel der Abschiedsreden war? Oder ist das Verstehen, dessen sie sich rühmen, doch trügerisch?“ (Z, 620)
Auf seinen Hinweis, bisher „in Bildern gesprochen“ zu haben, bald aber nicht mehr in Bildern, sondern „frei heraus“ zu ihnen zu sprechen, regieren die Jünger mit den Worten: „Siehe, nun redest du frei heraus und nicht in einem Bild.“ „Sie sind also der Auffassung, dass ‚die kommende Stunde‘ aus V.25 bereits angebrochen ist (νῦν).“ (Zumstein, 620).
Deshalb sind sie der Auffassung, dass sie „nun wissen“, dass Jesus „alle Dinge“ weiß. Gemeint ist Jesu Allwissenheit, die in der Begegnung mit anderen Menschen immer wieder deutlich wurde (z.B. 1,47-49; 2,23-25; 4,16-19; 13,3; 16,19). Seine Allwissenheit zeigt sich besonders darin, dass Jesus nicht gefragt werden muss, um die Fragen und Probleme zu kennen, die seine Gesprächspartner bewegen.
Und ihr Wissen um die
Allwissenheit Jesu ist für die Jünger der Grund, an den göttlichen Ursprung
Jesu zu glauben: „Darum glauben wir, dass
du von Gott ausgegangen bist.“
In V.28 hatte Jesus nicht nur gesagt: „Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen“, sondern auch: „ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.“ Handelt es sich bei den Worten der Jünger also um ein „ungenügendes Bekenntnis“ (Bultmann, 456)? Oder handelt es sich einfach um eine Kurzfassung? (Zumstein, 621). Vermutlich ist letzteres der Fall.
(31-32) Jesus aber stellt den Glauben bzw. das Glaubensbekenntnis seiner Jünger in Frage. Wenn er dabei – nicht ohne Ironie – fragt, ob sie „jetzt“ glauben, dann bezieht sich das „jetzt“ auf das (doppelte) „nun“ in (16,29-30) und das „glaubt ihr“ auf das Glaubensbekenntnis der Jünger in 16,30b.
Anstatt, dass „jetzt“ die „Stunde“ gekommen ist, in der Jesus frei und offen zu seinen Jüngern sprechen kann (16,25), sie ihn verstehen und an ihn Jesus glauben (16,29-30), „kommt die Stunde“ – bzw. sie ist bereits „gekommen“ –, dass die Jünger „zerstreut“ werden und ihn „allein“ lassen.
Dass die Jünger „zerstreut“ werden und „ein jeder“ sich „in das Seine“ begibt, heißt, dass die Jünger sich im Zusammenhang mit der Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung Jesu die Flucht ergreifen und sich in ihrer Heimat in Sicherheit bringen (vgl. Mk 14,27: „Und Jesus sprach zu ihnen: Ihr werdet alle Ärgernis nehmen; denn es steht geschrieben (Sacharja 13,7): ‚Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen.‘").
Interessanterweise ist im Johannesevangelium selbst
nicht davon die Rede, dass die Jünger die Flucht ergreifen. Stattdessen setzt
Jesus sich dafür ein, dass „die Schar der
Soldaten“ und die „Knechte der
Hohenpriester und Pharisäer“, die kommen, um Jesus zu verhaften (18,3),
seine Jünger laufen lassen – damit sich so seine Ankündigung erfüllt, dass
keiner seiner Jünger verloren geht (Joh.18,8-9: „(8) Jesus antwortete: Ich habe euch gesagt: Ich bin's. Sucht ihr mich,
so lasst diese gehen! (9) Damit sollte das Wort erfüllt werden, das er gesagt hatte:
Ich habe keinen von denen verloren, die du mir gegeben hast.“). Allerdings
ist in Joh 10,12 vom Zerstreuen der Herde die Rede. die Aussage bezieht sich
aber nicht auf die Passion Jesus, sondern auf Herausforderungen für die Kirche (Joh
10,12: „Der Mietling, der nicht Hirte
ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die
Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie
…“). Daher stellt sich die Frage, ob auch 16,32 zugleich auf Erfahrungen
der Kirchen zielt, für die Johannes Verantwortung trug.
Damit, das sich „jeder in das Seine“ begibt, ist vermutlich auch gemeint: „Jeder kehrt in die Welt zurück, die vor der Begegnung mit dem Offenbarer die seine war. Der Ausdruck hat demnach nicht in erster Linie geographische (…), sondern theologische Bedeutung: Durch den Abbruch ihrer Gemeinschaft kehren die Jünger in die ‚Welt‘ zurück, die von Gott getrennt lebt. Sie sind wieder Teil des ‚Kosmos‘.“ (Zumstein, 622). So sieht es in Wirklichkeit aus – das Glaubensbekenntnis der Jünger ist nichts wert.
Die Jünger Jesu lassen ihren Meister also im Stich. Aber: er ist „nicht allein“; „der Vater“ ist bei ihm (8,29: „Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.“; vgl. 14,10-11.20).
Das gilt bis offenbar zum Tod am Kreuz. „Der
Tod Jesu wird kein Ort der Abwesenheit Gottes sein, sondern ein Ort seiner
Gegenwart. Dem, der von seinen Jüngern verlassen und von der Welt
zurückgewiesen wurde, kommt in der Stunde seiner Hinrichtung die göttliche
Gegenwart und Fürsorge zugute.“ (Zumstein, 623). Wenn das stimmt, wird hier
(bewusst?) ein anderer Akzent gesetzt, als in Mk 15,34: „Und zu der neunten
Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (vgl. dazu Zumstein, 623).
Warum hält der Glaube der Jünger nicht stand? Wenn Jesus seine Jünger fragt, ob sie „jetzt“ bereits glauben, ist damit die Zeit vor dem Kreuzestod Jesu gemeint. Dass Jesus den Glauben seiner Jünger in Frage stellt, liegt also daran, „dass der von den Schülern geäußerte Glaube noch nicht den Tod Jesu im Blick hat … Dass sich die Frage nach dem Glauben an Jesus erst angesichts des Gekreuzigten stellt, zeigt die folgende Ankündigung Jesu: ‚Passt auf! Es kommt die Zeit und ist gekommen, dass ihr euch zerstreut, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst.‘ … Glaube ist nicht das Aufsagen eines Bekenntnisses, sondern das Bewähren des Bekenntnisses, sein ‚Bewahrheiten‘ in den in der Nachfolge Jesu sich stellenden Herausforderungen. Warum der vorher behauptete Glaube der Schüler ungenügend ist, wird besonders deutlich, wenn Jesus der Ankündigung, dass sie ihn verlassen werden, die Versicherung folgen lässt: ‚Und doch bin ich nicht allein, weil der Vater bei mir ist.‘ Gerade mit dem in den Tod gehenden Jesus, den die Schüler verlassen, ist Gott. Ihr Glaube ist ungenügend, weil er sich genau da von Jesus abwendet, wo Gott ganz und gar bei ihm ist.“ (Wengst, 459).
(33) Zum Abschluss des Abschnitts bzw. der Abschiedsreden insgesamt stellt Jesus noch einmal klar, weshalb er seinen Jüngern diese Worte mit auf den Weg gibt: „Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt.“
Auch an anderen Stellen der Abschiedsreden betreibt Jesus „Metakommunikation“ – und spricht darüber, warum er seinen Jüngern das gesagt hat:
14,25 |
Das habe ich
zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. |
15,11 |
Das habe ich
euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde. |
16,4 |
Aber dies habe ich zu euch
geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's
euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war
bei euch. |
Ähnlich wie am Ende der ersten Abschiedsrede betont Jesus, dass es ihm darum geht, dass seine Jünger in ihm „Frieden“ haben (vgl. 14,27: „Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“).
Wie dieser Friede aussieht, zeigen die letzten Worte der zweiten Abschiedsrede: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Anstelle von „Angst“ ist besser mit „Bedrängnis“ (EB) zu übersetzen (θλῖψις: Bedrängnis, Drangsal; schwierige Lage; Leiden). Der Begriff „bezeichnet in erster Linie die in einer feindlichen Welt erlittenen Animositäten, doch schließt er auch die innere Not ein, die eine solche Zurückweisung mit sich bringen kann.“ (Zumstein, 624). Die „Bedrängnis“ gehört also zur Realität des christlichen Lebens „in der Welt“. Der Friede, den Christen in Jesus haben, befreit sie nicht aus diesen Schwierigkeiten.
Aber: Nachfolger Jesu dürfen „getrost“ sein. Die Bedrängnisse zwingen Christen nicht zur Aufgabe. Trotz der Gegnerschaft der Welt dürfen sie mutig sein.
Warum dürfen Nachfolger Jesu „getrost“ sein? Weil Jesus „die Welt überwunden“ hat. Es handelt sich „um einen in der Vergangenheit, genauer gesagt am Kreuz, errungenen Sieg …, der die erlebte Gegenwart des Lesers bestimmt. Dieser Sieg bedeutet die definitive Niederlage der gegen Gott revoltierenden Welt. Er wurde bereits in 12,31, in 14,30-31 und in 16,11 (als Niederlage des Weltfürsten) angekündigt. Der Konflikt zwischen Gott und seiner Schöpfung ist gelöst. Die Gemeinde der Jünger darf von nun an in Frieden und mutig in der Welt leben.“ (Zumstein, 624).
Zusammenfassung:
Ostern ist die „Wende“ von der Trauer zur Freude und zu einer
unmittelbaren Beziehung zu Gott. Voraussetzung dieser „Wende“ aber ist das
Kreuz. Deshalb ist auch der Weg des Christen kein leichter Weg. Aber inmitten
aller Bedrängnisse können Christen mutig leben, weil Jesus „die Welt überwunden“ hat.
5.5 Das Abschlussgebet (17,1-26)
Die Verbindung von Abschiedsrede und Abschiedsgebete findet sich in verschiedenen biblischen Berichten (z.B. 5 Mos 32-33; 2 Chr. 29). Das Gebet in Joh 17 wird seit David Chytraeus (1531-1600) das „hohepriesterliche Gebet“ genannt. Es richtet sich an Gott, ist aber gleichzeitig „für die Ohren der späteren Gläubigen bestimmt“ (Schnackenburg III, 190).
Der erste Teil seines Gebets beginnt damit, dass Jesus seinen Vater bittet, ihn zu „verherrlichen“. Er begründet seine Bitte damit, dass er selbst seinen Vater verherrlicht hat. Dieses Werk Jesu Christi steht daher im Mittelpunkt dieses Abschnitts und wird hier abschließend zusammengefasst.
(1) Solches redete Jesus und hob seine Augen
auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen
Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; (2) so wie du ihm Macht gegeben hast
über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das
ewige Leben. (3) Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein
wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. (4) Ich
habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben
hast, damit ich es tue. (5) Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit
der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. (6) Ich habe deinen
Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren
dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. (7) Nun
wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. (8) Denn die
Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie
angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie
glauben, dass du mich gesandt hast.
(1a) Mit den Worten „solches redete Jesus“ verdeutlicht der Evangelist, dass die Abschiedsreden Jesu beendet sind und zeigt damit indirekt an, dass nun etwas Neues kommt. Dabei handelt es sich um ein Gebet. Jesus spricht nun nicht mehr zu seinen Jüngern, sondern zu seinem Vater und hebt daher „seine Augen auf zum Himmel“.
(1b) Das erste Gebetsanliegen Jesu lautet: „Verherrliche deinen Sohn.“ Anlass dieser Bitte ist, dass die „Stunde … gekommen“ ist. Gemeint ist die „Stunde“ seines Todes (12,27: „Jetzt ist meine Seele betrübt. Und was soll ich sagen? Vater, hilf mir aus dieser Stunde? Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen.“). Jesus bittet seinen Vater also darum, ihn in seinem Tod zu „verherrlichen“ (vgl. 12,23: „Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.“). „Mit der Bitte ‚verherrliche deinen Sohn‘ (…) ruft er Gott an, seinen Tod nicht zum Raum seiner Abwesenheit und seines Schweigens zu machen, sondern zum Raum seiner aktiven und offenbarenden Gegenwart.“ (Zumstein, 632). Er bittet, „dass Gott ihn nicht fallen lasse, sondern sich vielmehr gerade jetzt, da er in diesem Tod geht, zu ihm bekenne.“ (Wengst, 463).
Dass Gott ihn verherrlicht, ist aber kein Selbstzweck, sondern soll dazu dienen, dass Jesus, der Sohn Gottes, seinen Vater verherrlicht (zur gegenseitigen Verherrlichung vgl. 13,31-32: „(31) Da Judas nun hinausgegangen war, spricht Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm. (32) Ist Gott verherrlicht in ihm, so wird Gott ihn auch verherrlichen in sich und wird ihn bald verherrlichen.“). Gemeint ist: „In dem Maße, in dem der Vater den Sohn anerkennt und durch ihn wirkt, ermöglicht er es dem Sohn, ihn den Menschen zu offenbaren und zu bezeugen.“ (Zumstein, 633).
(2) Wie aber kann der Sohn seinen Vater verherrlichen? Darauf antwortet Vers 2, der genauer übersetzt so wiedergegeben werden muss: „wie du ihm Vollmacht gegeben hast über alles Fleisch, dass er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gibt.“ (EB). Jesus kann seinen Vater verherrlichen, weil der ihm „Vollmacht gegeben“ (EB) über alle Menschen. Diese Vollmacht dient dazu, dass er „allen“, die Gott ihm „gegeben“ hat (vgl. 6,37-40; 10,27-29; 17,6.9), „ewiges Leben“ gibt.
(3) Und worin besteht das ewige Leben, dass Jesus denen gibt, die sein Vater ihm gegeben hat? In der Erkenntnis, dass „allein“ der Vater „wahrer Gott“ ist und er Jesus Christus gesandt hat. „Es geht um den einzig wahren Gott, der einzig und allein durch Jesus Christus erkannt werden kann (…).“ (Zumstein, 635). Wer ihn erkennt, hat das „ewige Leben“.
„Wird
für diese Verhältnis das Verbum γινώσκειν [erkennen] gebraucht, so meint es nicht ein rationales,
theoretisches Erkennen, bei dem das Erkannte dem Erkennenden gegenüber steht in
der Distanz des objektiv Wahrgenommenen; sondern es mit ein Innewerden, bei dem
der Erkennende durch das Erkannte – nämlich durch Gott – in seiner ganzen
Existenz bestimmt ist. Es ist ein Erkennen, in dem sich Gott dem Menschen
erschließt und ihn damit in sein göttliches Wesen verwandelt. Weil durch
solches γινώσκειν ... das Verhältnis
wesenhafter Verbundenheit bezeichnet wird, so kann eben das das ewige Leben
genannt werden, dass der Mensch Gott und seinen Gesandten erkennt (17,3). Wie
die zwischen Vater und Sohn bestehenden Einheit (10,30) ein Sein des Vaters im
Sohne und des Sohnes im Vater genannt werden kann (10,30) ein Sein des Vaters
im Sohne und des Sohnes im Vater genannt werden kann (10,38; 14,11; 17,21), so
kann sie auch dadurch beschrieben werden, dass gesagt wird: der Sohn ‚kennt‘
den Vater (10,15; 17,25).“ (Bultmann, 290).
(4-5) Auf diese Weise hat Jesus seinen Vater „auf Erden“ „verherrlicht“ und das ihm übertragene Werk „vollendet“ (vgl. 4,34: „Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist die, dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und vollende sein Werk.“; 5,36: „Ich aber habe ein größeres Zeugnis als das des Johannes; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, damit ich sie vollende, eben diese Werke, die ich tue, zeugen von mir, dass mich der Vater gesandt hat.“). Deshalb soll der Vater ihn nun, da er das Werk vollendet hat, seinerseits verherrlichen. „Das nahe bevorstehende Kreuz (vgl. V.1a) wird … über die Zukunft des Werkes des Sohnes entscheiden. Indem der Sohn um seine Verherrlichung bittet (…), betet er in Wirklichkeit darum, dass das Kreuz zum Moment seiner Erhöhung und nicht seiner Vernichtung werde.“ (Zumstein, 636).
Sein Vater soll ihn „mit der Herrlichkeit“ verherrlichen, die er bei seinem Vater hatte „ehe die Welt war“. „Die Bitte um Verherrlichung wird durch das Thema der Präexistenz erläutert. Der Sohn bittet darum, den Status bei Gott wiederzuerlangen, den er schon vor der Erschaffung der Welt innehatte. Die Anspielung auf den Prolog ist offensichtlich (1,1-2).“ (Zumstein, 636f.; vgl. 6,62: „Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war?“).
In den Versen 6-8 geht Jesus näher darauf ein, inwiefern er seinen Vater auf Erden verherrlicht und das ihm aufgetragene Werk vollendet hat.
(6) Er hat den Menschen, die sein Vater ihm „aus der Welt gegeben“ hat (vgl. 17,2), den „Namen“ seines Vaters „offenbart“ (vgl. 17,26: „Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan …“). Mit der Offenbarung des Namens Gottes ist einfach die Offenbarung Gottes gemeint.
Es folgt eine kurze Erklärung zu den Menschen, die sein Vater im „aus der Welt gegeben“ hat. Sie gehörten Gott – und Gott hat sie in an seinen Sohn übergeben. Außerdem haben sie das „Wort“ Gottes „bewahrt“.
(7) Diejenigen, die Gott seinem Sohn gegeben hat, wissen „nun“, dass das, was Gott seinem Sohn „gegeben“ hat, tatsächlich von ihm kommt. Gemeint ist das, was Jesus den Menschen offenbart (3,34-35: „(34) Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. (35) Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.“). Jesus erklärt seinem Vater, dass die Gläubigen ihn in der Stunde seines Abschieds „wirklich als den Offenbarer erkannt haben: sie haben, was Gott ihm geschenkt hat, wirklich als Gottes Geschenk erkannt“ (Bultmann, 381).
(8) Wie kam es dazu? Jesus hat die Worte, der sein Vater ihm gegeben hat, an sie weitergegeben – „und sie haben sie angenommen“ und deshalb erkannt, dass Jesus von Gott gekommen ist bzw. von ihm ausgesandt wurde.
Nachdem Jesus zur Begründung seiner Bitte um Verherrlichung darauf hingewiesen hat, dass er seinen Vater auf Erden verherrlicht und den Menschen, die er ihm gegeben hat, offenbart hat, bittet er seinen Vater nun darum, sie nach seinem Weggang zu bewahren und zu heiligen.
(9) Ich bitte für sie. Nicht für die Welt
bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein. (10)
Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich
bin in ihnen verherrlicht. (11) Und ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber
sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem
Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir. (12) Solange ich
bei ihnen war, erhielt ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, und
ich habe sie bewahrt, und keiner von ihnen ist verloren außer dem Sohn des
Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde. (13) Nun aber komme ich zu dir,
und dies rede ich in der Welt, auf dass meine Freude in ihnen vollkommen sei. (14)
Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hasst sie; denn sie sind nicht
von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. (15) Ich bitte nicht, dass
du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen. (16)
Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. (17) Heilige
sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. (18) Wie du mich gesandt hast
in die Welt, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. (19) Ich heilige mich
selbst für sie, auf dass auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.
(9-11a) Zunächst begründet Jesus, warum er „nicht für die Welt“, sondern für die Menschen, die sein Vater ihm „gegeben“ hat (vgl. 17,2.6) – also für seine Jünger – bittet.
Als diejenigen, die er ihm „gegeben“ hat, gehören sie immer noch ihm. Außerdem besteht zwischen ihm und seinem Vater eine Eigentumsgemeinschaft: alles war ihm gehört, gehört auch seinem Vater und alles, was seinem Vater gehört, gehört auch ihm.
Außerdem ist er „in ihnen verherrlicht“. Bisher war davon die Rede, dass Jesus in seinen Wundern (2,11; 11,4) und am Kreuz (7,39; 12,16.23; 13,31-32) „verherrlicht“ wird. Nun bezeichnet Jesus seine Jünger als Ort seiner Verherrlichung. Er hat seine Herrlichkeit „als der in der Gemeinde Wirksame und von ihr Anerkannte“ (Bultmann, 382).
Äußerer Anlass für seine Fürbitte ist, dass er zu seinem Vater zurückkehrt und „nicht mehr in mehr in der Welt“ ist, seine Jünger „aber … in der Welt“ sind.
(11b) Jesus leitet seine Fürbitte mit der Anrede „Heiliger Vater“ ein, die die Weltüberlegenheit Gottes betont. Er bittet seinen Vater: „erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir.“
Was ist gemeint, wenn Jesus seinen Vater darum bittet, seine Jünger in dem Namen, den er ihm „gegeben“ hat, zu erhalten? Der Name Gottes ist eine zusammenfassende Bezeichnung für das, was Jesus den Menschen offenbart (17,6: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast …“). Der Name, den sein Vater ihm „gegeben“ hat, ist daher nichts anderes als die Worte, die er ihm „gegeben“ hat (17,8: „Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben …“; 17,14: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben ….“). Jesus bittet also darum, dass seine Jünger durch die Offenbarung erhalten werden.
Dazu passt auch die Fortsetzung, die die eigentliche Zielrichtung des Gebets aufzeigt: die Einheit der Jünger. Wenn die Offenbarung Gottes unter ihnen lebendig bleibt, werden sie untereinander eins sein. Modell ihrer Einheit ist die untrennbare Einheit von Vater und Sohn (10,30: „Ich und der Vater sind seins.“ vgl. 17,20-23).
(12-13) Sein Vater soll das tun, worum Jesus sich bis zu seinem Weggang zum Vater selbst gekümmert hat. Deshalb betet er: „Solange ich bei ihnen war, erhielt ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast …“. Er weist auch darauf hin, dass er seine Jünger – abgesehen von Judas, in dessen Verrat sich die Schrift erfüllte (13,18) – erfolgreich erhalten hat: „… und ich habe sie bewahrt, und keiner von ihnen ist verloren außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde.“
Wenn er jetzt zu seinem Vater zurückkehrt – darauf weist er, während er noch „in der Welt“ ist, hin – tut er das nicht, um seine Jünger allein zu lassen, sondern damit seine „Freude“ in seinen Jünger „vollkommen“ ist (vgl. 15,11; 16,20-24). „Freude“ bezeichnet das eschatologische Heil. Es soll „seine Jünger bestimmen und dabei ein Vollmaß erreichen, das sich der eschatologischen Heilsfülle annähert; sie ist eine unnehmbare, unvergängliche Freude.“ (Schnackenburg III, 118). „Die Trennung wird also als ein produktives Ereignis dargestellt, das es den Jüngern ermöglicht, ein bisher unbekanntes Glück zu erreichen, das eschatologische Glück …“ (Zumstein, 645)
(14-16) Dann geht Jesus konkret auf die Situation der Jünger in der Welt ein. Jesus hat ihnen das Wort Gottes „gegeben“. Deshalb werden sie von der Welt gehasst. Warum das? Weil sie dadurch – wie er selbst – nicht mehr „von der Welt“ sind. „Diese Feindseligkeit folgt aus der Gabe des Wortes Gottes durch Jesus an die Seinen. Die Jünger, deren Existenz von nun an durch das göttliche Wort bestimmt ist, leben nicht mehr nach den Regeln und Werten, die in der Welt vorherrschen. In diesem Sinne sind sie nicht mehr aus der Welt (…) …“ (Zumstein, 645).
Angesichts dieser Situation bittet Jesus seinen Vater aber nicht darum, seine Jünger aus der Welt herauszunehmen, sondern sie „vor dem Bösen“ zu bewahren. Gemeint ist, wie Parallelen aus dem ersten Johannesbrief zeigen, der Satan:
1 Joh 2,13-14 |
(13) Ich schreibe euch
Vätern; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch
jungen Männern; denn ihr habt den Bösen überwunden. (14) Ich habe euch
Kindern geschrieben; denn ihr habt den Vater erkannt. Ich habe euch Vätern
geschrieben; denn ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich habe euch
jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt
in euch, und ihr habt den Bösen überwunden. |
1 Joh 3,12 |
nicht wie
Kain, der von dem Bösen stammte und seinen Bruder umbrachte. Und warum
brachte er ihn um? Weil seine Werke böse waren und die seines Bruders
gerecht. |
1
Joh 5,18-19 |
(18) Wir wissen: Wer aus
Gott geboren ist, der sündigt nicht, sondern wer aus Gott geboren ist, den
bewahrt er und der Böse tastet ihn nicht an. (19) Wir wissen, dass wir von
Gott sind, und die ganze Welt liegt im Argen. |
Anschließend wiederholt er noch einmal seine Aussage über die Situation der Jünger: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.“ (vgl. 17,14).
(17-19) Damit seine Jünger nach seinem Weggang ihre Sonderstellung in der Welt durchhalten, bittet Jesus seinen Vater schließlich darum, sie „in der Wahrheit“ zu heiligen. „Heiligen“ heißt, etwas als Gottes Eigentum von allem anderen abzusondern. Diese Heiligung stellt „sich in dem Maße ein, in dem die Jünger in den Raum der ‚Wahrheit‘ (…) gestellt bzw. versetzt werden“ (Zumstein, 647). Die „Wahrheit“ ist – wie in 17b sofort erklärt wird, das „Wort“, die göttliche Offenbarung (vgl. 17,6.8). „Die Heiligung geschieht nicht … durch eine rituelle Handlung … noch durch eine sakramentale Handlung, z.B. die Taufe, sondern sie ereignet sich durch das Hören des Wortes des Offenbarers und durch dessen Umsetzung in die Tat.“ (Zumstein, 648).
Die Heiligung der Jünger ist nötig, weil Jesus sie „in die Welt gesandt“ hat – so wie sein Vater es auch mit ihm getan hat. Auch bei Jesus gehören seine Heiligung und seine Sendung untrennbar zusammen. Er ist der, „den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“ (10,36). Dadurch, dass Gott sie heiligt, werden die Jünger „für die Aufgabe, die sie in der Welt haben, zugerüstet … Wie bei Jesus, so ist auch bei den Jüngern das Geheiligtwerden die Voraussetzung für die Erfüllung des ihnen aufgetragenen Dienstes.“ (Schneider, 289). „Ihre Aufgabe kann die Gemeinde nur übernehmen, wenn sie bleibt, was sie ist, die aus der Welt ausgegrenzte Gemeinde, deren Existenz einzig auf Gottes Offenbarung in Jesus gründet.“ (Bultmann, 391)
Aber Jesus bittet seinen Vater nicht nur darum, seine Jünger nach seinem Weggang zu heiligen. Er „selbst“ heiligt sich „für sie“ – und bewirkt damit, dass auch sie „in der Wahrheit“ „geheiligt“ sind. Wie heiligt Jesus sich „für sie“? Indem er „für“ sie stirbt:
6,51 |
Ich bin das lebendige Brot,
das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in
Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch - für das Leben
der Welt. |
10,11 |
Ich bin der gute Hirte. Der
gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. |
10,15 |
wie mich mein Vater kennt;
und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. |
15,13 |
Niemand hat größere Liebe
als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. |
„Weil der Tod als Erhöhung und Verherrlichung die Vollendung
der Offenbarung bedeutet, öffnet er den Weg zur Heiligung der Jünger, d.h. er
eröffnet ihnen die Möglichkeit des Zugangs zur göttlichen Wirklichkeit (…),
oder, mit anderen Worten, die Möglichkeit, Gott anzugehören.“ (Zumstein, 649)
Dann bittet Jesus speziell für die Jünger der nachfolgenden Generationen.
(20) Ich bitte aber nicht allein für sie,
sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, (21) dass sie
alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie
in uns sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. (22) Und ich
habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins
seien, wie wir eins sind, (23) ich in ihnen und du in mir, auf dass sie
vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie
liebst, wie du mich liebst.
Es handelt sich um zwei Sätze, die sich in Form und Inhalt stark ähneln:
(20) Ich bitte aber nicht
allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben
werden, |
(22) Und ich habe ihnen die
Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, |
(21) dass sie alle eins
seien. |
auf dass sie eins seien, |
Wie du, Vater, in mir bist
und ich in dir, so sollen auch sie in uns
sein, |
wie wir eins sind, (23) ich
in ihnen und du in mir, auf dass sie vollkommen
eins seien |
auf dass die Welt glaube,
dass du mich gesandt hast. |
und die Welt erkenne, dass
du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. |
(20) Jesus bittet nicht nur für seine historischen Gefährten, sondern um alle, die durch sie an ihn glauben. Schließlich hat er sie „in die Welt gesandt“ (17,18), um dort Zeugnis von ihm abzulegen. Waren die Jünger zum Glauben gekommen, weil Jesus ihnen die Worte, die ihm von seinem Vater geben wurde, an sie weitergegeben hatte (17,8), haben die Jünger ihrerseits weitere Menschen durch „ihr Wort“ zum Glauben an Jesus geführt.
(21) Inhalt seines Gebets für die Jünger der nachfolgenden Generationen ist ebenfalls die Einheit – eine Einheit, die der Einheit von Vater und Sohn entspricht (vgl. 17,11: „… Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir.“). Die Einheit der Jünger entsteht aber nicht allein dadurch, dass sie sich an der Einheit von Vater und Sohn ein Vorbild nehmen, sondern dadurch, dass die Jünger in die Gemeinschaft von Vater und Sohn einbezogen werden („… auch sie in uns sein …“). Sie „kommt dadurch zustande, dass die Glaubenden Anteil bekommen an der unmittelbaren Liebesgemeinschaft, die den Sohn mit dem Vater verbindet.“ (Roloff, Die Kirche im Neuen Testament, 307).
Die Auswirkungen dieser Einheit der Jünger gehen über die Gemeinde hinaus. „Konfrontiert mit der Einheit der Gemeinde, in der sich die göttliche Einheit widerspiegelt, wird die Welt herausgefordert, den Glauben in den Gesandten des Vaters zu entdecken (…).“ (Zumstein, 653).
(22-23) Im zweiten Satz ist die Einheit der Jünger nicht Gegenstand einer Bitte, sondern Folge einer Gabe: „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, auf dass sie eins seien …“ Dass Jesus den Jünger die Herrlichkeit „gegeben“ hat, heißt, dass er ihnen seine göttliche Herrlichkeit offenbart hat (vgl. 17,6.8: „(6) Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart … (8) Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben …“¸ 17,14: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben …“). Ziel dieser Offenbarung ist: „… auf dass sie eins seien.“
Auch hier wird betont, dass die Einheit der Jünger der Einheit von Vater und Sohn entspricht und dass die Jünger in diese Einheit einbezogen werden. Eben hieß es dazu: „… so sollen auch sie in uns sein.“ Dieser Gedanke wird nun mit etwas anderen bzw. differenzierten Worten wiederholt: „… ich in ihnen und du in mir …“ Die Jünger sind dadurch in die Einheit von Vater und Sohn einbezogen, dass Jesus in ihnen ist und Jesus untrennbar mit seinem Vater verbunden ist.
Auch die missionarische Tragweite wird noch etwas anders akzentuiert – vor allem durch den Nachsatz „und sie liebst, wie du mich liebst.“ Durch die Einheit der Jünger wird der Welt „ermöglicht, die Realität der Liebe Gottes für die Jünger (…) zu entdecken, die der Liebe Gottes für den Sohn entspricht und in ihr gründet (…)“ (Zumstein, 654).
Das Gebet für Jünger der nachfolgenden Generationen kann daher folgendermaßen zusammengefasst werden: „Das Gebet für die Jünger zweiter Hand steht unter dem Zeichen der Einheit. Diese Einheit ist als göttliches Präsenz gedacht: Einwohnung des Vaters im Sohn und des Sohnes im Vater, Einwohnung des Vaters und des Sohnes in den Gläubigen, Einwohnung Jesu in den Seinen. Dreh- und Angelpunkt dieses Gebets für die Einheit ist die volle Präsenz der göttlichen Realität unter den Jüngern, auch wenn Jesus weggeht. Diese als Gabe aufgefasste göttliche Präsenz ist gleichfalls eine Herausforderung ad extra: sie muss die Welt mit dem christologischen Glauben konfrontieren und sie vor die Realität der göttlichen Liebe stellen.“ (Zumstein, 655).
Abschließend betet Jesus dafür, dass seine Jünger wieder mit ihm vereinigt werden und dort sind, wo er ist. Dabei bringt er noch einmal auf den Punkt, worin sich die Jünger von der Welt unterscheiden.
(24) Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch
die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen,
die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet war.
(25) Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese
haben erkannt, dass du mich gesandt hast. (26) Und ich habe ihnen deinen Namen
kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in
ihnen sei und ich in ihnen.
(24) Die erneute Anrede ist Indiz für einen Neuansatz. Jesus bittet um die „Wiedervereinigung“ mit seinen Jüngern (vgl. 14,3: „Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin.“). Dann werden sie die „Herrlichkeit sehen“, die sein Vater ihm ursprünglich – in seiner Präexistenz –„gegeben“ hat (17,5: „Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“; 1Joh 3,2: „Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“). Sein Vater hat ihm diese Herrlichkeit verliehen, weil er seinen Sohn „geliebt“ hat, „ehe die Welt gegründet war“.
(25) Nun begründet Jesus, warum er darum bittet, dass seine Jünger wieder mit ihm vereint werden. Dabei redet er Gott mit den Worten „Gerechter Vater“ an. Diese Anrede hängt möglicherweise damit zusammen, dass Jesus nun begründet, dass es angemessen ist, wenn er nur für seine Jünger betet. Jedenfalls stellt Jesus fest, dass die Welt Gott nicht kennt. Anders aber stets es um ihn selbst („ich aber kenne dich“) und um seine Jünger. Sie haben Gott zwar nicht selbst gesehen, aber doch wenigstens „erkannt“, dass Gott ihn „gesandt“ hat.
„Die Erkenntnis Jesu und die Erkenntnis der Jünger befinden sich … nicht auf derselben Ebene: Die Identität der Jünger (…) wird auf eine andere Art und Weise dargestellt: Sie ist nicht auf die An-Erkennung der Person Gottes, sondern auf die An-Erkenntnis Jesu als des Gesandten Gottes zentriert. Diese vermittelte Erkenntnis ist … die für den Menschen einzig mögliche Erkenntnis Gottes.“ (Zumstein, 658).
(26) Jesus hat seinen Jüngern den „Namen“ Gottes, sein Wesen, „kundgetan“ (17,6: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart …“) – und wird das auch in Zukunft tun. Sein Ziel ist dabei: „… damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.“ Die Offenbarung dient dazu, dass Jesus „in ihnen“ ist und die Liebe Gottes, die sich in der Liebe zu seinem Sohn zeigt, für die Jünger „zur bestimmenden Macht ihres Lebens“ wird (Bultmann, 400) – wobei auch an ihr Miteinander und ihre Einheit untereinander zu denken ist.
„So kommt es zur vollen Liebeseinheit zwischen Gott, Christus und den Gläubigen. Das Ziel der ‚Gnosis‘ [Erkenntnis] ist also nicht ein theoretisches Wissen, sondern die ihr ganzes Wesen durchdringende göttliche Liebe.“ (Schneider, 291).
Zusammenfassung:
In der Stunde
seines Todes bittet Jesus seinen Vater, sich zu ihm zu bekennen. Er soll das
tun, damit in ihm die Herrlichkeit und Größe seines Vaters sichtbar wird, der
seinem Sohn die Vollmacht gegeben hat, allen Menschen ewiges Leben zu schenken,
die durch göttliche Offenbarung den einzig wahren Gott und den von ihm
Gesandten erkannt haben.
Weil er seinen
Jüngern den Vater offenbart hat, betet Jesus für seine Jünger. Die ihnen
geschenkte Gotteserkenntnis soll sie nach seinem Weggang zum Vater aufrecht
erhalten und zusammen halten. Weil ihr Leben vom Wort Gottes bestimmt wird, schlägt
ihnen Hass entgegen. Deshalb bittet Jesus um ihre Bewahrung vor der Macht des
Teufels und um ihre Heiligung in der Wahrheit, damit sie für ihre Aufgabe in
der Welt ausgerüstet sind.
Jesus betet auch
für die Jünger der nachfolgenden Generationen. Dabei geht es ihm nur um eine
Sache: die Einheit der Christen. Die Einheit zwischen ihm und seinem Vater ist
dabei das Maß aller Dinge. Sie wird dadurch möglich, dass Jesus sich ihnen
offenbart hat und sie in die Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes hineingeführt
werden. Für die Welt, die von Gott nichts wissen will, wird diese Einheit zum
Zeichen dafür, dass Jesus von Gott kommt und dass Gott die Jünger Jesu liebt.
Ziel ist die
„Wiedervereinigung“. Diese Perspektive gilt allen, die Jesus als den von Gott
Gesandten erkannt haben und die deshalb in die Liebesbeziehung zwischen Gott
und seinem Vater einbezogen sind.