2.2.2                    Der Ursprung der Anfechtungen (1,13-18)

 

1,13 Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. 14 Sondern ein jeder, der versucht wird, wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. 15 Danach, wenn die Begierde empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod.

16 Irrt euch nicht, meine lieben Brüder. 17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei dem keine Veränderung ist noch Wechsel des Lichts und der Finsternis.

18 Er hat uns geboren nach seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir Erstlinge seiner Geschöpfe seien.

 

(13) Im vorangegangenen Abschnitt hatte Jakobus recht positiv über Anfechtungen gesprochen. Das legt den Gedanken nahe, dass diese von Gott kommen.

 

Tatsächlich ist diese Vorstellung im AT verankert (z. B. 1.Mos.22,1). Dort findet sich aber auch die Auffassung, dass die Versuchung von Satan ausgeht (vgl. 2.Sam.24,1 mit 1.Chr.21,1) und die Behauptung, dass Gott die Menschen mit Hilfe von Versuchungen erzieht (Spr.3,11.12). Ähnliche Gedanken finden sich auch im NT (Versuchungen nach Gottes Willen: 1.Pt.4,12.19; Versuchungen Satans: 1.Thess.3,5; Versuchungen zur Erziehung: Hebr.12,4-8).

 

An dieser Stelle lehnt Jakobus die Vorstellung, dass Gott irgendetwas mit den Versuchungen zu tun hat, rundweg ab: Gott kann weder zum Bösen verleiten, noch andere in Versuchung führen.

 

(14-16) Stattdessen sieht Jakobus die Ursache aller Versuchungen im Menschen selbst. Es ist seine eigene Begierde, die ihn reizt und lockt und schließlich die Sünde hervorbringt. Am Ende steht der Tod (vgl. Röm.6,21.23).

 

Hier deutet sich möglicherweise ein Unterscheid zwischen Jakobus und Paulus an. Für Paulus ist die Sünde eine Macht, die mit Hilfe des Gesetzes im Menschen die Begierde weckt: „…die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wusste nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: ‚Du sollst nicht begehren!‘ Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlass und erregte in mir Begierden aller Art …“ (Röm.7,7.8). In Jakobus 1,15 aber wird die Sünde als Tatsünde verstanden und die Begierde nicht als Folge, sondern als Ursache der Sünde.

 

(16f.) Nachdem Jakobus deutlich gemacht hat, dass die Versuchungen nicht von Gott, sondern aus dem Menschen selbst kommen, betont er abschließend, dass das Gute von Gott kommt. Der Schöpfer des Lichts (1.Mose 1,3) wandelt sich nicht. Bei ihm ist – im Unterschied zu entsprechenden astronomischen Phänomenen (Tag und Nacht, Sonnenwende, Sonnenfinsternis, Wolken) – kein „Wechsel der Verfinsterung“ (LÜ: „Wechsel des Lichts und der Finsternis“).

 

Die Unveränderlichkeit Gottes wurde in der griechischen Philosophie und auch von Philo von Alexandrien betont, der sich um eine Verbindung von Judentum und Hellenismus bemühte. Jakobus geht es aber vor allem um eines: Weil es bei Gott gibt keinerlei Veränderungen gibt, kann man sich darauf verlassen, dass er uns Gutes gibt.

 

(18) Das Gute, das von Gott kommt, besteht darin, dass er uns durch sein „Wort der Wahrheit“ wiedergeboren (vgl. 1.Pt.1,3.23; 2,2; Tit.3,5) und so zu „Erstlingen“ bzw. zu „ersten Früchten“ gemacht hat – ein Begriff, der im NT immer dann, wenn er sich auf Menschen bezieht, diejenigen meint, die zum Glauben an Christus gefunden haben und deshalb zu ihm gehören (Röm.16,5; 1.Kor.16,15; 2.Th.2,13; Off.14,4).

 

Zusammenfassung: Versuchungen kommen nicht von Gott, sondern aus dem Menschen selbst. Gott ist unveränderlich und beschenkt uns mit Gutem – er schenkt uns ein neues Leben, in dem wir ihm gehören.