6       Weg und Ziel der Geschichte Jesu Christi und seiner Gemeinde (12,1-14,20)

 

Mit der siebten Posaune (11,15-19) ist „das Geheimnis Gottes vollendet“ (10,7). Gott hat die „Macht ergriffen“ und die „Herrschaft angetreten“ (11,17). Aber das Buch der Offenbarung ist noch nicht abgeschlossen. Die nun folgenden Kapitel schildern den Weg zur Vollendung noch einmal aus anderen Perspektiven.

 

Mit 12,1 setzt Johannes „noch einmal neu ein, um das Endgeschehen unter einem Blickwinkel darzustellen, den er bisher bis auf wenige Andeutungen ausgespart hatte: Der Kampf zwischen Gott und seinem satanischen Widersacher sowie der Ort der Kirche in diesem Kampf wird nunmehr zum bestimmenden Thema“ (Roloff, 121).

 

Es handelt sich um eine chronologische Darstellung. In 12,1-18 geht es, nach der Vorstellung der „Konfliktparteien“,  um den Sieg der himmlischen Mächte über den Satan und dessen verzweifelten Kampf gegen Gottes Volk auf Erden. Kapitel 13 beschreibt dann das Wirken zweier „Agenten“ Satans, die in seinem Auftrag die Gemeinde bekämpfen. 14,1-5 gibt einen Ausblick auf die Gemeinde, die diesen Kampf überstanden hat. Dann wird denen, „die auf der Erde ansässig sind“, das Gericht angekündigt (14,6-13), welches dann in 14,14-20 vollzogen wird.

 

 

6.1    Die Frau und der Drache (12,1-17)

 

Das zwölfte Kapitel kann in vier Abschnitte gegliedert werden:

12,1-6 

Der Kampf zwischen der Frau und dem Drachen.

 

12,7-9 

Der Kampf im Himmel zwischen Michael und dem Drachen.

 

12,10-12           

Proklamation des Sieges im Himmel und Warnung vor letzten Kämpfen auf der Erde.

12,13-18

 

Fortsetzung des Kampfes zwischen der Frau und dem Drachen.

 

 

(1) Und ein großes Zeichen erschien im Himmel: Eine Frau, bekleidet mit der Sonne, und der Mond war unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen. (2) Und sie ist schwanger und schreit in Geburtswehen und in Schmerzen und soll gebären. (3) Und es erschien ein anderes Zeichen im Himmel: und siehe, ein großer, feuerroter Drache, der sieben Köpfe und zehn Hörner und auf seinen Köpfen sieben Diademe hatte; (4) und sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmels fort; und er warf sie auf die Erde. Und der Drache stand vor der Frau, die im Begriff war, zu gebären, um, wenn sie geboren hätte, ihr Kind zu verschlingen. (5) Und sie gebar einen Sohn, ein männliches Kind, der alle Nationen hüten soll mit eisernem Stab; und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und zu seinem Thron. (6) Und die Frau floh in die Wüste, wo sie eine von Gott bereitete Stätte hat, damit man sie dort ernähre 1260 Tage.

 

(1-2) Johannes sieht ein „großes Zeichen … im Himmel“. Er erscheint „eine Frau“. Unklar ist, ob es sich dabei um eine allgemein wahrnehmbare Himmelserscheinung (Roloff, 126) oder eine Vision (Wengst, 123) handelt.

 

Wer oder was ist die „Frau“? Im Laufe der Auslegungsgeschichte wurden dazu folgende Deutungsvorschläge gemacht (Satake, 281f.):

1.      Maria, die Mutter Jesu.

2.      Das Volk Israel.

3.      Das Gottesvolk des Alten und Neuen Bundes.

4.      Judenchristen und Heidenchristen.

5.      Die Gemeinde des Neuen Bundes.

Die meisten Bibelausleger bevorzugen Vorschlag drei. Er muss sich natürlich in der Einzelauslegung bewähren.

 

Zunächst wird die Frau näher beschrieben. Sie ist „bekleidet mit der Sonne“, „unter ihren Füßen“ befindet sich der Mond und „auf ihrem Haupt ein Kranz von zwölf Sternen“.

 

Viele Bibelwissenschaftler sehen darin einen Anklang an eine bestimmte Gestirnkonstellation im Sternbild der Jungfrau, der in der Antike große Bedeutung beigemessen wurde. „Wenn die Sonne ins Zeichen der Jungfrau tritt, … dann steht am Nachthimmel der Vollmond zu ihren Füßen.“ (Roloff, 126; vgl. U. Müller, 232; Lichtenberger, 178).

 

Wenn man nach innerbiblischen Parallelen fragt, kann man an den Traum Josefs denken (1.Mos.37,9f.), wo Sonne, Mond und Sterne sich  auf den Stammvater Jakob, die Stammmutter Rahel und die Söhne bzw. Stämme Israels beziehen  (Stefanovic, 378). Auch in Hld.6,10 ist von Sonne, Mond und Sternen die Rede – in einer Beschreibung der Braut (allerdings auf der Grundlage einer Textänderung): „Wer blickt da herab wie die Morgenröte, schön wie der weiße Mond, rein wie die glühende Sonne, erschreckend wie die Sternbilder?“ (ZB). 

 

Darüber hinaus haben sich Bibelausleger – auch die Mehrheit der adventistischen – bemüht, die Bedeutung von Sonne, Mond und Sternen in Vers 1 jeweils einzeln zu bestimmen. Das ist aber insofern schwierig, als hier ein Gesamtbild vorliegt – mit dem Ziel, den „erhabenen Charakter“ der Frau zu unterstreichen (Satake, 283).

 

Außerdem ist dabei kein einheitliches Bild entstanden.

So ist das Sonnenkleid unter Bezug auf verschiedene Texte des AT entweder mit der Lichtherrlichkeit Gottes (Pohl, 315), den von Gott verliehenen „Mantel der Gerechtigkeit“ (Stefanovic, 380), die mit der „Sonne der Gerechtigkeit“ bekleidete Gemeinde (Böttcher, 204) oder die Herrlichkeit Jesu (Wittwer, 90) bzw. des Evangeliums und seiner Verkündigung (ABC, VII, 807; Smith, 533) in Verbindung gebracht worden (Maier II, 19 versucht, verschiedene Aspekte zu vereinen). Der „Mond unter ihren Füßen“ wurde von adventistischen Bibelauslegern auf das AT bezogen (Smith, 533; ABC, VII, 807; Böttcher, 204; Wittwer, 90; Stefanovic, 380). Evangelikale Ausleger deuten es auf die „geschöpfliche Herrlichkeit“ (Pohl, 315) oder sehen darin einen Hinweis darauf, dass Gottes Volk die Krone der Schöpfung ist, dass es die Mondgötter bzw. alle Götter dieser Welt überwinden wird und dass es für die Ewigkeit bestimmt ist (Maier II, 20). Die Krone von „zwölf Sternen“ wird entweder auf die zwölf Apostel (Smith, 535; ABC VII, 807), die zwölf Erzväter bzw. das alttestamentliche Gottesvolk (Pohl, 315; Maier II, 20) oder zugleich auf die zwölf Stämme Israels und die zwölf Apostel bezogen (Böttcher, 205; Stefanovic, 378; Paulien, Kampf, 27).

 

Entscheidend ist nun, dass die Frau schwanger ist und in den Wehen liegt. Das Bild der Schwangeren bzw. Gebärenden dient in der Bibel als Vergleich für die bedrängte Situation des Volkes Gottes (z.B. Jes.26,17: „Gleich wie eine Schwangere, wenn sie bald gebären soll, sich ängstigt und schreit in ihren Schmerzen, so geht’s uns auch, Herr, vor deinem Angesicht.“). In Anknüpfung an diese biblischen Aussagen sprach man in der rabbinischen Zeit von der „Wehe des Messias“ und meinte damit die Wehe, aus der heraus die messianische Zeit geboren wird (StrBill I, 950). Ähnliche Aussagen finden sich auch im NT (Mk.13,8; 1.Thess.5,3), beziehen sich dort aber auf die Wiederkunft Jesu.

 

(3-4a) Neben der Frau scheint noch ein „anderes Zeichen im Himmel: … ein großer, feuerroter Drache“. Sofern die Erscheinung der Frau an bestimmte Sternkonstellationen anknüpft, denen man damals eine Bedeutung gab, muss hier festgestellt werden: Das Sternbild des Drachens geht „nach dem der Jungfrau aus und rückt immer hinter ihr her“ (Pohl, 321).

 

Im Alten Testament steht der Drache sowohl für chaotische und gottfeindliche Mächte der Urzeit (Ps.74,13: „Du hast aufgestört das Meer durch deine Macht, hast zerschmettert die Häupter der Seeungeheuer auf dem Wasser.“), als auch für Mächte, die Gott zu Beginn der Heilszeit vernichten wird (Jes.27,1: „Zu der Zeit wird der Herr heimsuchen mit seinem harten, großen und starken Schwert den Leviatan, die flüchtige Schlange, und den Leviatan, die gewundene Schlange, und wird den Drachen im Meer töten.“). Außerdem werden politische Mächte als „Drachen“ bezeichnet (Hes.29,3: „Rede und sprich: So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will an dich, Pharao, du König von Ägypten, du großer Drache, der du in deinem Strom liegst und sprichst: »Der Strom ist mein und ich habe ihn mir gemacht.«“). In der Offenbarung wird der Drache mit dem Teufel und Satan identifiziert (12,9: „Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird, der den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen.“), weshalb die Frage nach der Identität des Drachen leicht zu beantworten ist.

 

Auch der Drache wird näher beschrieben. Er hat „sieben Köpfe und zehn Hörner und auf seinen Köpfen sieben Diademe“.

 

Nach 17,9 sind die „sieben Köpfe“ um „sieben Könige“. Auch das Tier „aus dem Meer“, in dem sich die typischen Züge der „Tiere“ aus der Vision in Daniel 7 vereinen, hat „sieben Köpfe“ (13,1) – also so viele Köpfe, wie die Tiere aus Daniel 7 zusammen aufweisen (Satake, 283f.),

 

Adventistische Ausleger haben die „sieben Köpfe“, trotz der eindeutigen Identifizierung des Drachen in 12,9, z.T. auf „sieben Regierungsformen Roms“, „sieben Weltmächte, die Gottes Volk bedrohen“ oder „irdische Mächte die ihm [dem Drachen] dienen“ gedeutet (Wittwer, 91; vgl. Stefanovic, 381; Paulien, Kampf, 29; anders ABC VII, 808: „… es ist nicht nötig, exakt sieben Nationen zu finden …“). Auch der Drache selbst wird zuweilen (auch) auf das „heidnische Rom“ bezogen (Smith, 533ff.; Stefanovic, 382).

 

Die „sieben Diademe“ auf den sieben Köpfen sind natürlich Zeichen der Königswürde (1.Makk.6,14f., LU 2017: „(14) Und er rief einen seiner Freunde, Philippus, zu sich; den setzte er über sein ganzes Königreich, (15) übergab ihm Krone, Mantel und Ring …“)    

 

Die „zehn Hörner“ stehen wie in Dan.7,7.24 und Offb.17,12 für „zehn Könige“.

 

Adventistische Bibelausleger haben auch hier eine nähere Bestimmung versucht und hier einen Hinweis auf „germanische Reiche“ gesehen (Wittwer, 91; anders ABC, VII, 808, der die Möglichkeit sieht, dass hier kein direkter Bezug auf Dan.7,7 vorliegt und es sich stattdessen um eine allgemeine Kennzeichnung handelt, bei der auch die Zahlenangabe nicht buchstäblich genommen werden muss.).

 

Zu fragen ist, ob es hier überhaupt angemessen ist, Köpfe, Kronen und Hörner auf bestimmte konkrete geschichtliche Erscheinungen zu beziehen. Das gilt umso mehr, es hier nicht um Köpfe, Kronen und Hörner einer historischen Macht, sondern um Köpfe, Kronen und Hörner Satans geht. Lichtenberger kommentiert in diesem Zusammenhang: „Zu entschlüsseln sind die sieben Häupter mit Diademen und die zehn Hörner nicht, obwohl das mannigfaltig versucht wurde und wird. Sie stehen vor allem für die Furchtbarkeit und die riesenhafte, unermessliche Macht, die der Drache hat.“ (Lichtenberger, 179).

 

Bevor die Auseinandersetzungen zwischen dem Drachen und der Frau geschildert werden, erwähnt der Bericht noch eine andere Aktivität des Drachens: „… sein Schwanz zieht den dritten Teil der Sterne des Himmels fort; und er warf sie auf die Erde.“

 

Diese Aussage knüpft an Dan.8,10 an: „Und es [das kleine Horn] wuchs bis an das Heer des Himmels, und es warf einige von dem Heer und von den Sternen zur Erde herab und zertrat sie.“ Dort geht es darum, dass das kleine Horn „die Starken und das Volk der Heiligen vernichten“ wird (Dan.8,24).

 

In Offb.12,4 geht es vermutlich um Engel. Jedenfalls ist in 12,7 vom Drachen und „seinen Engel(n)“ die Rede. Daher kann es sich hier durchaus um einen Hinweis auf den auch in Jud.6 und 2.Ptr.2,4 erwähnten Abfall der Engel handeln.

 

Die ursprüngliche adventistische Auslegung hat diese Aussage allerdings auf die Beseitigung der jüdischen Könige durch die Römer bezogen, weil dadurch eine von drei regierenden Gewalten (Priester, Hoher Rat, Könige) des jüdischen Volkes beseitigt worden seien (Smith, 535; auch ABC, VII, 808 erwähnt diese Deutung).

 

(4b) Nachdem die ersten Verse von Himmelerscheinungen berichtet haben, verlagert sich nun der Ort des Geschehens auf die Erde. Dort findet die Auseinandersetzung zwischen dem Drachen und der Frau statt. Der Frau, die im Begriff steht zu gebären, steht der Drache gegenüber. Er will „ihr Kind“ – gemeint ist natürlich Jesus (vgl. vor allem die Aussagen in 12,5) – unmittelbar nach der Geburt „verschlingen“. Es ist also eine „Situation von auswegloser Bedrohlichkeit“ (Roloff, 127). Dabei ist nicht allein an den Kindermord von Bethlehem zu denken (Smith, 535f.), sondern auch an die Versuchung Jesu und die permanenten Todesdrohungen, mit denen Jesus sich auseinanderzusetzen hatte (Maier II, 32f.).

 

(5a) Dann bringt die Frau ihren Sohn zur Welt. Seine Bestimmung lautet, „alle Nationen“ mit „eisernem Stab“ zu „hüten“. Dieses Bild findet sich bereits in 2,27, bezieht sich da aber auf die Macht der Überwinder über die Nationen. Es erinnert an eine Aussage aus Ps.2,9, wo vom König, dem Sohn Gottes, gesagt wird, dass er die feindlichen Völker „mit eisernem Stab … zerschmettern“ wird. Sie „spielt auf die vielfach an Tempelwänden und auf Stelen, Felswänden, Skarabäen [Käfersteine] u. ä  abgebildete Szene an, in der der König über den Feinden, die er meist am Haarschopf hält, die eiserne Keule schwingt“ (Frank-Lother Hossfeld/Erich Zenger, Die Psalmen I. Psalm 1-50. Neue Echter Bibel, Würzburg 1993, 54.). Es ist also ein Bild der Macht und des Gerichts. In 19,15 wird ein Ausblick auf die Zeit gegeben, in der sich diese Bestimmung erfüllt, wenn es dort im Zusammenhang mit der Wiederkunft Jesu heißt: „Und aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert hervor, damit er mit ihm die Nationen schlage; und er wird sie hüten mit eisernem Stab …“

 

(5b) Weil der Sohn zur Weltherrschaft bestimmt ist, muss ihn der Drache von Anfang an bekämpfen. Er hat aber keinen Erfolg. Der Sohn „wurde entrückt zu Gott und zu seinem Thron“. Gemeint ist natürlich die Himmelfahrt Jesu, von der es in Mk.16,19 heißt: „Nachdem der Herr Jesus mit ihnen geredet hatte, wurde er aufgehoben gen Himmel und setzte sich zur Rechten Gottes.“

 

Die Himmelfahrt ist nicht als Flucht vor den Nachstellungen des Drachen zu verstehen. Eine Himmelfahrt „hat in jüdischer Tradition die Voraussetzung dafür zu schaffen, einer jüdischen Figur eine eschatologische [endzeitliche] Aufgabe beizulegen“ (U. Müller, 234; vgl. JesSir.48,9.10, LB zu Elia: „(9) Du wurdest emporgehoben in einem Feuersturm, auf einem Wagen mit feurigen Rossen. (10) Du bist bestimmt worden, zur rechten Zeit bereit zu sein, den Zorn zu stillen, ehe der Grimm kommt: das Herz des Vaters wieder zum Sohn zu kehren und die Stämme Jakobs wieder aufzurichten.“). In diesem Sinne ist die Himmelfahrt die Voraussetzung für Jesu Wiederkunft am Ende der Zeiten. Deshalb kann auch von der Geburt Jesu sofort auf seine Himmelfahrt übergangen werden, die ja die Voraussetzung seines zweiten Kommens in Macht und Herrlichkeit ist.

 

(6) Während Jesus zu Gott und seinem Thron entrückt wird, flieht die Frau in die Wüste. An dieser Stelle zeigt sich, dass Auslegungen zu kurz greifen, die in der Frau nur einen Hinweis auf Maria oder das Gottesvolk des Alten Bundes sehen. Hier geht es um das Schicksal der Gemeinde des Neuen Bundes.

 

Wie Israel (2.Mos.16) und Elia (1.Kön.17,2ff.) in der Wüste ernährt wurden, so bereitet Gott auch der Gemeinde in der Wüste einen Ort der Bewahrung. Auch die „1260 Tage“ entsprechen den dreieinhalb Jahren, in denen Elia sich verstecken musste (Lk.4,25f., vgl. die Auslegung der „1260 Tage“ zu 11,2).

 

In der traditionellen adventistischen Auslegung werden die 1260 Tage auf die Zeit zwischen 538 und 1798 bezogen (vgl. zu 11,2) Smith, 537: „Und die Kirche entfloh in die Wüste zur Zeit als das Papsttum in 538 begründet wurde, und das Wort Gottes und der Dienst der Engel unterhielten dieselbe während der langen, düsteren und blutigen Regierung jener Macht, welche 1260 Jahre währte.“

 

Beide Motive der Elia-Geschichte – die Wüste und die 1260 Tage – sollen zeigen, dass Gott seine Gemeinde in notvollen Zeiten beschützt.

 

Diese Schilderungen der Auseinandersetzung zwischen der Frau und dem Drachen ähneln damals allgemein bekannten Mythen. Eine ägyptische Sage erzählt, dass die schwangere Göttin Hathor bzw. Isis vom roten Drachen Typhon bzw. Seth verfolgt wird und daher auf eine Insel im Nil-Delta flieht, wo sie ihr Kind, den Sonnengott Horus, zur Welt bringt, der als Erwachsener gegen Tython/Seth kämpft und ihn tötet. Eine kleinasiatisch-hellenistische Variante dieser Sage handelt von der Göttin Leto. Auch sie ist schwanger. Als der große Drache Python durch ein Orakel erfährt, dass das erwartete Kind ihn vernichten wird, verfolgt er die Schwangere. Aber der Nordwind bringt Leto auf einer Insel in Sicherheit. Dort gebiert sie ihren Sohn Apollos, der den Drachen Python bereits vier Tage nach seiner Geburt tötet. (Roloff, 123; Holtz, 91; Satake, 279f.; Lichtenberger 176f.).

 

Natürlich geht es im zwölften Kapitel der Offenbarung um Christus, die Gemeinde und Satan. Aber vielleicht haben Ähnlichkeiten mit den Mythen dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit der ersten Leser der Offenbarung zu erhöhen.

 

 

Ab Vers 7 richtet sich der Blick auf Ereignisse „im Himmel“. Zunächst geht es um einen „Kampf“. Dieser Kampf wirkt sich auf die Auseinandersetzungen zwischen der Frau und dem Drachen aus, die ab Vers 13 geschildert werden.

 

(7) Und es entstand ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften mit dem Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel; (8) und sie bekamen nicht die Übermacht, und ihre Stätte wurde nicht mehr im Himmel gefunden. (9) Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird, der den ganzen Erdkreis verführt, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen.

 

(7) Bei diesem „Kampf im Himmel“ stehen auf der einen Seite „Michael und seine Engel“, auf der anderen der „Drache … und seine Engel“.

 

Wer ist „Michael“? Adventistische Bibelausleger sind allgemein der Auffassung, dass es sich hier um Christus handelt. In den biblischen Paralleltexten wird Michael jedoch als (Engel)Fürst“ (bzw. Völkerengel) oder „Erzengel“ vorgestellt (Dan.10,13: „Aber der Fürst des Königreichs Persien stand mir 21 Tage entgegen. Und siehe, Michael, einer der ersten Fürsten, kam, um mir zu helfen, und ich wurde dort entbehrlich bei den Königen von Persien.“; Dan.10,21: „… und es gibt keinen einzigen, der mir gegen jene mutig beisteht als nur Michael, euer Fürst.“; Dan.12,1: „Und in jener Zeit wird Michael auftreten, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt …“; Jud.9: „Michael aber, der Erzengel, wagte nicht, als er mit dem Teufel stritt und Wortwechsel um den Leib Moses hatte, ein lästerndes Urteil zu fällen, sondern sprach: Der Herr schelte dich!“).

 

Der Kampf zwischen Michael und dem Drachen findet im Himmel statt. Dabei ist vorausgesetzt, dass „der Drache“ – also „der Teufel und Satan“ (12,9) – dort Zugang hat. Im AT tritt Satan im Himmel als Ankläger der Menschen auf (Hi.1,6ff.; 2,1ff.; Sach.3,1).

 

Warum es gerade jetzt zu einem „Kampf im Himmel“ kommt, wird nicht gesagt. Er steht aber im Zusammenhang mit der Himmelfahrt Jesu. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass dieses Ereignis der Anlass dafür ist, den Drachen aus dem Himmel zu entfernen. „Wo … Jesus herrscht … hat der Widersacher Gottes weder Raum noch Recht.“ (Roloff, 129).

 

Der Kampf geht von Michael und seinen Engeln aus. Wörtlich übersetzt muss es heißen: „Michael und seine Engel waren bereit bzw. verpflichtet gegen den Drachen zu kämpfen“ (ein substantivierter Infinitiv drückt die Bereitschaft oder Verpflichtung zu einer Handlung aus; Neuer sprachlicher Schlüssel zum griechischen Neuen Testament, 385; vgl. Maier II, 45).

 

(8a) Dabei handelt es sich um einen ungleichen Kampf. Die EB übersetzt: „… und sie [der Drache und seine Engel] bekamen nicht die Übermacht …“ Wörtlich heißt es dort: „Und er [der Drache] war nicht stark.“ Gemeint ist: „Nicht einmal ein Teilsieg, nicht einmal ein echter Kampf ist dem Drachen möglich. Er hat schlichtweg nichts aufzubieten gegen einen Michael …“ (Maier II, 46).

 

(8b.9) Ergebnis dieses Kampfes ist dementsprechend, dass der Drachen und seine Engel ihren Platz im Himmel verlieren und auf die Erde geworfen werden. Das entspricht den Aussagen aus dem Lukas- und Johannesevangelium (Lk.10,18: „ Er sprach aber zu ihnen: Ich schaute den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“; Joh.12,31: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt; jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen werden.“

 

Um die Bedeutung dieses Sieges über den Drachen herauszustellen, wird jetzt seine Identität auf den Punkt gebracht – damit klar ist, wer fortan als besiegt zu gelten hat: „Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird …“

 

Dabei wird auch noch einmal betont, worin das gottfeindliche Wirken Satans in besonderer Weise besteht: In der Verführung des – so wörtlich –  „ganzen bewohnten Erdkreises“ (vgl. 20,3: „… damit er [der Drache] nicht mehr die Nationen verführe“; 20,8: „ … und [Satan] wird hinausgehen, die Nationen zu verführen …“; 20,10: „Und der Teufel, der sie verführte …“). Verführerisch ist auch das Wirken Babylons (18,23: „… denn durch deine Zauberei sind alle Nationen verführt worden“) und des Tieres aus der Erde bzw. des „falschen Propheten“ (19,20: „… und der falsche Prophet – der mit ihm war und die Zeichen vor ihm tat, durch die er verführte, die das Malzeichen des Tieres annahmen und sein Bild anbeteten …“), die insofern nichts anderes als Agenten Satans sind.

 

Wenn aber Satan bereits besiegt und aus dem Himmel ausgeschlossen ist, ist auch die Macht seiner Agenten bereits gebrochen. Im Himmel „ist die Entscheidung bereits gefallen“. „Trotz aller augenscheinlichen Macht“ stehen sie „als konkrete Repräsentanten des Drachen auf schon verlorenem Posten“. Das zwölfte Kapitel der Offenbarung „hebt die Auseinandersetzung, in der Johannes sich vorfindet, … buchstäblich auf eine höhere Ebene, auf der die Machtfrage schon zuungunsten der auf der Erde so dominant und unbesiegbar erscheinenden Seite entschieden ist.“ Diese Einsicht „schafft Abstand zur konkreten bedrängenden Situation, die buchstäblich den Atem zu nehmen droht und den Blick verengt. Sie verschafft Überblick und gibt Atem – langen Atem – zum Durchhalten und Aushalten in der gegenwärtigen Auseinandersetzung.“ (Wengst, 157f.).

 

 

Der Sieg Michaels beim „Kampf im Himmel“ löst dort eine Reaktion aus.

 

(10) Und ich hörte eine laute Stimme im Himmel sagen: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Christus gekommen; denn hinabgeworfen ist der Verkläger unserer Brüder, der sie Tag und Nacht vor unserem Gott verklagte. (11) Und sie haben ihn überwunden wegen des Blutes des Lammes und wegen des Wortes ihres Zeugnisses, und sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod! (12) Darum seid fröhlich, ihr Himmel, und die ihr in ihnen wohnt! Wehe der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er nur eine kurze Zeit hat.

 

(10) Johannes hört eine „laute Stimme“. Sie stammt entweder von der großen Volksmenge (7,9.10.14: „(9) … und siehe, eine große Volksmenge … (10) Und sie rufen mit lauter Stimme … (14) Diese sind es, die aus der großen Bedrängnis kommen …“) oder von einem Engel (5,2: „Und ich sah einen starken Engel, der mit lauter Stimme ausrief…“; vgl. 7,2; 10,3; 14,7.15.18; 18,2; 19,2). Da die „laute Stimme“ eine Botschaft über die zu Märtyrer gewordenen Christen hat, handelt es sich vermutlich nicht um die Stimme von Christen aus der „großen Bedrängnis“, sondern um die Stimme eines Engels (Wengst, 160; anders: U. Müller, 237). Für die weitergehende Deutung auf die „vier Wesen“ oder die „vierundzwanzig Ältesten“ (Roloff, 129; Böttcher, 211; Stefanovic, 388; Paulien, Kampf, 46) gibt es keine weiteren Hinweise im Text.

 

Die „laute Stimme“ verkündigt: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Christus gekommen …“ Vom „Heil … unseres Gottes“ ist auch in den in 7,10 und 19,1 überlieferten Hymnen die Rede. Das Wort „Heil“ hatte damals einen politischen Beiklang, weil man die Götter um Heil für den Kaiser anrief (Wengst, 158). Mit „Kraft“ (vgl. 4,11; 7,12; 11,17; 19,1) ist hier konkret die Fähigkeit gemeint, die Weltgeschichte zum Ziel zu bringen (11,17: „… Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der ist und der war, dass du deine große Macht [wörtl.: Kraft] ergriffen und deine Herrschaft angetreten hast.“;  ThWNT, II, 308). Das „Reich“ ist die Königsherrschaft und/oder das Königreich. In 11,15 war sogar davon die Rede, dass das „Reich der Welt“ nun des „Herrn und seines Christus geworden“ ist.  Hier ist das „Reich der Welt“ vermutlich noch außerhalb des Blickfeldes, weil der Teufel nach 12,12 auf Erden noch sein Unwesen treibt. Mit der „Macht“ Christi ist seine Herrschaftsgewalt gemeint (Mt.28,18: „… Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.“). Christus „hat die ‚Macht‘ … zu regieren, und es ist sein ‚Recht‘, dies zu tun, weil ihm der Vater dazu die Vollmacht gab“ (Maier II, 52).

 

Das alles ist „nun“ – mit dem Sieg über Satan – Wirklichkeit geworden. Gott und sein Christus haben alle Macht im Himmel. Satan, der die „Brüder“ Tag und Nacht vor Gott verklagte (vgl. Hi.1,6ff.; 2,1ff.; Sach.3,1), ist „hinabgeworfen“.

 

Wer sind „Brüder“, die von Satan Tag und Nacht vor Gott verklagt wurden? Es sind verfolgte Christen. Das wird durch Parallelstellen (1,9: „Ich, Johannes, euer Bruder und Mitteilhaber an der Bedrängnis …“; 6,11: „… bis auch ihre Mitknechte und ihre Brüder vollendet seien, die ebenso wie sie getötet werden sollten.“) und durch den unmittelbaren Zusammenhang deutlich, in dem es heißt, dass die Brüder „ihr Leben nicht geliebt“ haben „bis zum Tod“ (12,11).

 

Die Anklagen Satans sollten bewirken, „dass Gottes Heilsabsicht gegenüber den angeklagten Menschen nicht zum Zuge kommt“ (Wengst, 159).

 

(11) Aber dem ist jetzt ein endgültiger Riegel vorgeschoben worden – und zwar durch den Opfertod Jesu Christi, „wegen des Blutes des Lammes“. Weil Christus „überwunden“ (wörtl.: „gesiegt“) hat, haben auch die Brüder „überwunden“ bzw. „gesiegt“ (vgl. 3,21). Sie haben aber auch „wegen des Wortes ihres Zeugnisses“ überwunden.

 

Gemeint ist vermutlich das Glaubenszeugnis der „Brüder“ (vgl. 11,7: „Und wenn sie [die beiden Zeugen]  ihr Zeugnis vollendet haben …“). Anders Behm, der hier mit „das an sie ergangene Wort des Zeugnisses“ übersetzt (Behm, 67; vgl. 1,2.9). Für die Deutung auf das Glaubenszeugnis spricht auch, dass abschließend von ihrer Bereitschaft zum Martyrium die Rede ist, das ja die Folge ihres Glaubenszeugnisses war.

 

Der Sinn der etwas holprig wirkenden Formulierung „und haben ihr Leben nicht geliebt bis hin zum Tod“ kann mit „und sie hielten nicht um jeden Preis an ihrem Leben fest“ (Wengst, 160) wiedergegeben werden.

 

Welche Beziehung besteht zwischen der Überwindung „wegen des Blutes des Lammes“ und der Überwindung „wegen des Wortes ihres Zeugnisses“ bis hin zum Martyrium? Ist der Sieg „wegen des Blutes des Lammes“ „ein Sieg, den sie sich durch ihr unter Einsatz des eigenen Lebens durchhaltendes Zeugnis zu eigen gemacht haben“ (Holtz, 94)? Oder ist der Sieg „wegen des Wortes ihres Zeugnisses“ bis hin zum Martyrium „die Fortsetzung des Sieges Jesu Christi ins Einzelleben hinein“ (Maier II, 55. vgl. Satake, 290: „… dass mit dem Sieg Christi der Weg zum Sieg der Christen, die noch von der Verfolgung bedroht sind, unumkehrbar gebahnt worden ist.“)?

 

(12) Vers 12 zieht die Schlussfolgerung aus der Verkündigung des Sieges über den Satan. Da ist zunächst die Aufforderung zur Freude: „Darum seid fröhlich, ihr Himmel, und die ihr in ihnen wohnt!“ Dieser Appell erinnert an Jes.49,13: „Jubelt, ihr Himmel, und jauchze, du Erde! Und ihr Berge, brecht in Jubel aus! Denn der HERR hat sein Volk getröstet, und über seine Elenden erbarmt er sich.“ Allerdings wird hier nur die himmlische Welt zum Jubel aufgerufen. Der „Erde und dem Meer“ – also dem Festland und dem Wasser (Roloff, 131) – gilt ein Weheruf (möglicherweise handelt es sich hier um das angekündigte „dritte Wehe“ (8,13; 9,12; 11,14), das sich dann auf den Abschnitt 12,13 bis 13,18 bezieht; Maier II, 56; vgl. Auslegung zu 11,14). Der aus dem Himmel ausgestoßene Teufel wird sich mit ganzer Kraft und großem Zorn auf der Erde austoben – auch weil er weiß, dass ihm nur wenig Zeit bleibt (nach Maier II, 57 sind hier auch die 42 Monate aus 13,5 gemeint).

 

Die Proklamation „des schon erfolgten Sieges verleitet Johannes nicht zu einer illusionären Sicht der Wirklichkeit, zu einem träumerischen Überspringen schlimmer Realitäten. Im Gegenteil: Die Erfahrung schlimmer Wirklichkeit ist ja Voraussetzung seines Schreibens. Und es ist auch nicht so, dass er diese Wirklichkeit gewissermaßen wegschreibt. Sie gilt ihm vielmehr als das zu Erwartende, weil hier ein schon Besiegter seine Macht auf einem ihm noch verbliebenen Feld austobt. Darin besteht aber zugleich auch der Trost, den er zu geben hat. Die hier sich austobende Macht hat keine Zukunft; sie ist das Ewig-Gestrige tödlicher Gewalt.“ (Wengst, 160).

 

 

Ab Vers 13 richtet sich der Blick wieder auf die auf Erden stattfindende Auseinandersetzung zwischen der Frau und dem Drachen. Was in Vers 6 knapp festgestellt worden war – dass die Frau in die Wüste floh, damit Gott sie dort versorgt –, wird nun breiter ausgeführt.

 

(13) Und als der Drache sah, dass er auf die Erde geworfen war, verfolgte er die Frau, die das männliche Kind geboren hatte. (14) Und es wurden der Frau die zwei Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste flog, an ihre Stätte, wo sie ernährt wird eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit, fern vom Angesicht der Schlange. (15) Und die Schlange warf aus ihrem Mund Wasser wie einen Strom hinter der Frau her, um sie mit dem Strom fortzureißen. (16) Und die Erde half der Frau, und die Erde öffnete ihren Mund und verschlang den Strom, den der Drache aus seinem Mund warf. (17) Und der Drache wurde zornig über die Frau und ging hin, Krieg zu führen mit den Übrigen ihrer Nachkommenschaft, welche die Gebote Gottes halten und das Zeugnis Jesu haben. (18) Und er stand auf dem Sand des Meeres.

 

(13-14) Der auf die Erde geworfene Drache verfolgt die Frau, die Gemeinde. Aber sie wird bewahrt. Ihr werden „zwei Flügel des großen Adlers gegeben“. Das erinnert an den Auszug aus Ägypten, von dem Gott in 2.Mos.19,4 sagt: „Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe und wie ich euch auf Adlerflügeln getragen und euch zu mir gebracht habe.“ Die Adlerflügel sind ein Bild für die Rettung des Volkes durch das Eingreifen Gottes. Im zweiten Buch Mose wird das Volk auf Flügeln „getragen“. Hier erhält die Gemeinde die Flügel, um selbst damit zu fliegen. Die Intention ist allerdings die gleiche: die Rettung der Gemeinde durch Gottes Eingreifen (das passive Verb „wurden gegeben“ ist vermutlich ein verhüllter Hinweis auf das Wirken Gottes und bedeutet: der Frau werden von Gott zwei Adlerflügel gegeben).

 

Die Gemeinde „fliegt“ bzw. flieht „in die Wüste“, wird dort dreieinhalb Jahre lang „ernährt“ und ist „fern vom Angesicht der Schlange“. Das alles entspricht der Erfahrung Elias (Wüste: 1.Kön.19; dreieinhalb Jahre: Lk.4,25; Jak.5,17; von Gott ernährt: 1.Kön.17,6.14; fern von seinem Verfolger Ahab: 1.Kön.17,2).

 

(15-16) Auch die Verse 15 und 16 sprechen in bildhafter Weise von Bedrohung und Bewahrung der Gemeinde. Der Drache bzw. „die Schlange“ (12,9) stößt „aus ihrem Mund Wasser wie einen Strom hinter der Frau her, um sie mit dem Strom fortzureißen“. Auch das Bild der wegreißenden Flut findet sich im Alten Testament (z.B. Ps.18,5: „… und Bäche des Verderbens erschreckten mich“; Jes.43,2, EB: „Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten …“).

 

Adventistische Bibelausleger haben dieses Bild auf eine „Überflutung“ mit falschen Lehren und blutige Verfolgungen bezogen (ABC VII, 812; Wittwer, 93; Stefanovic, 391f.; Paulien, Kampf, 67).

 

Aber auch dieser Versuch Satans schlägt fehl. Die Erde öffnet ihren Mund und „trinkt den Fluss hinunter“ (wörtl. Übersetzung), den der Drache ausgestoßen hatte. Davon, dass die Erde ihren Mund „öffnete“ berichtet das AT im Zusammenhang mit dem Untergang der aufständischen „Rotte Korach“ (4.Mos.16,30-32; 26,10; 5.Mos.11,6; Ps.106,17). „Der Sinn der Stelle ist klar: Weil Gott zu seiner Gemeinde steht, darum können sie die von seinem Widersacher aufgebotenen vernichtenden Kräfte, dargestellt im Bild der Wasserfluten (…) nicht auslöschen.“ (Roloff, 132).

 

Adventistische Bibelausleger haben diese Aussagen auf die Reformation (Smith, 542), die Auswanderung nach Nordamerika (Böttcher, 215) oder beide Ereignisse bezogen (Wittwer, 94; Paulien, Kampf, 69). Diese Auslegung ist aber auch unter adventistischen Bibelauslegern nicht unumstritten (ABC, VII, 812; Stefanovic, 94).

 

(17) Die vergeblichen Versuche, die Frau zu vernichten, machen den Drachen nur noch zorniger. Deshalb „geht er hin“, um „Krieg zu führen“ mit den „Übrigen ihrer Nachkommenschaft“. Wörtlich muss es heißen: „… ihres Samens …“ Hier wird 1.Mos.3,15 aufgegriffen: „Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir [der Schlange] und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs [wörtlich: Samen] und ihrem Nachwuchs [wörtlich: Samen] …“

 

Wer aber ist in 12,17 mit den „Übrigen ihrer Nachkommenschaft“ gemeint? Es handelt sich um Nachkommen der Frau, also der Gemeinde – aber nicht um alle, sondern um die „Übrigen“, d.h. die anderen oder restlichen davon (vgl. 2,24: „… den Übrigen in Thyatira …“; 3,2: „… stärke das Übrige …“; 8,13: „… wegen der übrigen Stimmen der Posaunen …“; 9,20: „Und die Übrigen der Menschen, die durch diesen Plagen nicht getötet wurden …“; 11,13: „… und die Übrigen gerieten in Furcht …“; 19,21: „Und die Übrigen wurden getötet …“; 20,5: „Die Übrigen der Toten …“).

 

Da es in den Versen vorher um die Verfolgung der Gemeinde geht, liegt es nahe, an die „restlichen Christen“ zu denken, die die bisherigen Verfolgungen lebend überstanden haben (Maier, II, 68; ähnlich Roloff, 133; U. Müller, 240) und gegen die sich nun der Zorn des Drachen richtet. Oder sind die Christen gemeint, die – im Unterschied zu ihren Mitchristen – nicht in Sicherheit, sondern bedroht sind? Eine weitere Möglichkeit wäre, auch Jesus zur „Nachkommenschaft“ der Frau zu zählen (12,5) und die „Übrigen“ dann auf die anderen Nachkommen (abgesehen von Jesus, der gen Himmel gefahren ist) zu beziehen – also auf alle Christen.

 

Die „Übrigen“ weisen zwei besondere Merkmale auf. Erstens: Sie „halten“ die Gebote Gottes.  Das Wort kann sowohl mit „befolgen“ bzw. „halten“ übersetzt werden, als auch mit „schützen“ bzw. „bewahren“ und kommt noch an folgenden Stellen der Offenbarung vor:

Offb.3,3: „Denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße! Wenn du nun nicht wachst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher Stunde ich über dich kommen werde.“

Offb.3,8: „Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand schließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.“

Offb.3,10: „Weil du das Wort vom Harren auf mich bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“

Offb.14,12: „Hier ist das Ausharren der Heiligen, welche die Gebote Gottes und den Glauben Jesu bewahren.“

Offb.16,15: „Siehe, ich komme wie ein Dieb. Glückselig, der wacht und seine Kleider bewahrt, damit er nicht nackt umhergehe und man nicht seine Schande sehe!“

Offb.22,7: „Und siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt!“

Offb.22,9: „Und er spricht zu mir: Siehe zu, tu es nicht! Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, der Propheten, und derer, welche die Worte dieses Buches bewahren. Bete Gott an!“

Daher geht es hier wohl nicht nur um das Befolgen der Gebote, sondern auch darum, die Gebote hoch zu halten.

 

Welche Gebote sind im Zusammenhang mit der Offenbarung des Johannes von besonderer Bedeutung? Es wird vor allem davor gewarnt, „das Tier“ und „sein Bild“ anzubeten und nicht das „Malzeichen …an seine Stirn oder an seine Hand“ zu nehmen (14,9). Außerdem geht es immer wieder um „Unzucht“ und „Götzenopfer“ (2,14.20).

 

Zweitens: Sie haben „das Zeugnis Jesu“. Vom „Zeugnis Jesu“ ist noch an folgenden Stellen der Offenbarung die Rede:

·         Offb.1,2.3: „(2) der das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt hat, alles, was er sah. (3) Glückselig, der liest und die hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist! Denn die Zeit ist nahe.“

·         Offb.1,9: „Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse in der Bedrängnis und dem Königtum und dem Ausharren in Jesus, war auf der Insel, die Patmos genannt wird, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen.“

·         Offb.19,10: „Und ich fiel zu seinen Füßen nieder, ihn anzubeten. Und er spricht zu mir: Siehe zu, tu es nicht! Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, die das Zeugnis Jesu haben. Bete Gott an! Denn das Zeugnis Jesu ist der Geist der Weissagung.“

·         Offb.20,4: „Und ich sah Throne, und sie setzten sich darauf, und das Gericht wurde ihnen übergeben; und ich sah die Seelen derer, die um des Zeugnisses Jesu und um des Wortes Gottes willen enthauptet worden waren, und die, welche das Tier und sein Bild nicht angebetet und das Malzeichen nicht an ihre Stirn und an ihre Hand angenommen hatten, und sie wurden lebendig und herrschten mit dem Christus tausend Jahre.“

 

In 12,17 geht es darum, dass die „Übrigen“ das Zeugnis Jesu „haben“. Daher ist hier nicht gemeint, dass sie Zeugnis über Jesus ablegen (1,9; 20,4). Gemeint ist ein Zeugnis, das von ihm ausgeht – um etwas, „war er sah“ (1,2) bzw. um die „Worte der Weissagung“, die „geschrieben“ sind (1,3).

 

Von diesen „Worten der Weissagung“ ist vor allem im letzten Kapitel der Offenbarung die Rede:

·         Offb.22,7: „Und siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt!“

·         Offb.22,10: „Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches! Denn die Zeit ist nahe.“

·         Offb.22,18-19: „(18) Ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand zu diesen Dingen hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen hinzufügen, die in diesem Buch geschrieben sind; (19) und wenn jemand von den Worten des Buches dieser Weissagung wegnimmt, so wird Gott seinen Teil wegnehmen von dem Baum des Lebens und aus der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben ist.“

Mit den „Worten der Weissagung“ bzw. dem „Zeugnis Jesu“ in 12,17 (und 1,2-3) ist also die Offenbarung des Johannes selbst gemeint (Tóth, Tier, 14). Die „Übrigen“ der Nachkommen der Frau haben dieses Buch erhalten. Es wurde für sie geschrieben. Damit wird noch einmal etwas Wichtiges über die „Übrigen“ gesagt. Es handelt sich um die Adressaten der Offenbarung des Johannes. Sie kommen selbst in diesem Drama vor, dass in diesem Buch entfaltet wird. (Tóth, Tier, 14).

 

Die traditionelle adventistische Auslegung hat den Begriff der „Übrigen“ eng mit der Adventbewegung verbunden. Dabei wurde betont, dass alle Christen, die Gott nach bestem Wissen und Gewissen folgen, potentielle Mitglieder der Übrigen seien. Allerdings sei es die Aufgabe der Adventisten, alle Kinder Gottes in die Gruppe der Übrigen hineinzuziehen (ABC, VII, 815).

 

Neuere Auslegungen und Dokumente der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten sehen diese enge Verbindung nicht.

 

Stefanovic, 395 nennt die „Übrigeneinfach „the followers of Christ living in the last period of this earth’s history”. Außerdem heißt es im Abschlussdokument der Konsultationen zwischen dem Lutherischen Weltbund und der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten (Kapitel II): Adventisten „verstehen sich als Werkzeuge Gottes bei der Sammlung der treuen und gläubigen Übrigen. Adventisten glauben, dass zu Gottes treuen und gläubigen Übrigen, deren Identität allein Gott bekannt ist, Christen in vielen Kirchen auf der gesamten Erde gehören. Sie sind davon überzeugt, dass sich in der letzten Krise vor der Wiederkunft Jesu Gottes treue und gläubige Übrige als diejenigen herausstellen werden, die sich zu Christus als Herrn und Heiland bekennen, die Gebote Gottes halten und den Glauben Jesu haben … Für Adventisten … ist daher die historische Kirche nicht identisch mit … den „treuen und gläubigen Übrigen“. Überdies können wahre Christen in allen Kirchen gefunden werden. Die Bekräftigung dieses Sachverhalts kann Möglichkeiten für zwischenkirchliche Beziehungen eröffnen.“

http://www.adventisten.de/fileadmin/downloads/LWB.pdf (Zugriff 11.06.2013).

 

Paulien hat eine Konstruktion versucht, die zwischen „historischen Übrigen“, „treuen Übrigen“ und „eschatologischen Übrigen“ zu differenzieren versucht und hinsichtlich der Identifikation der Übrigen mit der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten zu einem „Sowohl-als-auch“ gelangt (Kampf, 274-278).

 

Bezüglich des Haltens der Gebote wurde auf den Sabbat abgehoben und beim „Zeugnis Jesu“ dachte man im Laufe der Zeit konkret an die prophetische Gabe von Ellen White. Auch dazu gibt es neuere Auslegungen, die solche Zuspitzungen vermeiden. Stefanovic verzichtet darauf, im Zusammenhang mit dem Halten der Gebote den Sabbat herauszustellen und bezieht das „Zeugnis Jesu“ nicht auf Ellen White, sondern auf alle Christen und deshalb auch auf die Christen, die in der Endzeit leben (Stefanovic, 395).

 

(18) Der von Zorn erfüllte Drache begibt sich an den „Sand des Meeres“. Gemeint ist wohl der Strand. Warum geht er dorthin? Um „Krieg zu führen“ mit den „Übrigen“. Dazu steigt ein „Tier aus dem Meer“ auf, dem der Drache „seine Kraft und seinen Thron und große Macht“ gibt (13,1f.).

 

Zusammenfassung: Die Geschichte ist zuerst und vor allem die Geschichte eines „großen Kampfes“ zwischen Gott und Satan. Durch Christus er im Himmel bereits entscheiden. Auf Erden aber dauert er noch an und zeigt sich in der Verfolgung der Gemeinde. Zwar erfährt die Gemeinde immer wieder Gottes Eingreifen. Das führt aber wiederum dazu, dass Satans Kampf gegen „die Übrigen“ noch an Intensität zunimmt.

 

 

 

6.2    Das Tier aus dem Meer (13,1-10)

 

Weil der Drache bei der Verfolgung der Frau nicht den gewünschten Erfolg erzielt, wird er zornig. Er beschließt, „Krieg zu führen mit den Übrigen ihrer Nachkommenschaft“ (12,17) und begibt sich an den Strand des Meeres (12,18). Daraufhin sieht Johannes „aus dem Meer ein Tier aufsteigen“. Es handelt sich also um eine Macht, die dem Drachen hilft, seinen Kampf gegen die „Übrigen“ zu führen.

 

Für das Tier aus dem Meer gibt es vor allem folgende drei Deutungen:

1.      Es handelt sich um das kaiserliche Rom (vorherrschende Auffassung der Bibelwissenschaft).

2.      Es handelt sich um das päpstliche Rom (traditionelle adventistische Auslegung)

3.      Es handelt sich um eine bisher unbekannte zukünftige antichristliche Macht (z.B. Maier II, 98).

Die Frage nach der Identität des „Tieres aus dem Meer“ muss im Rahmen der Einzelauslegung geklärt werden.

 

(1) Und ich sah aus dem Meer ein Tier aufsteigen, das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf seinen Hörnern zehn Diademe und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung. (2) Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther und seine Füße wie die eines Bären und sein Maul wie eines Löwen Maul. Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Thron und große Macht. (3) Und ich sah einen seiner Köpfe wie zum Tod geschlachtet. Und seine Todeswunde wurde geheilt, und die ganze Erde staunte hinter dem Tier her. (4) Und sie beteten den Drachen an, weil er dem Tier die Macht gab, und sie beteten das Tier an und sagten: Wer ist dem Tier gleich? Und wer kann mit ihm kämpfen? (5) Und es wurde ihm ein Mund gegeben, der große Dinge und Lästerungen redete; und es wurde ihm Macht gegeben, 42 Monate zu wirken. (6) Und es öffnete seinen Mund zu Lästerungen gegen Gott, um seinen Namen und sein Zelt und die, welche im Himmel wohnen, zu lästern. (7) Und es wurde ihm gegeben, mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu überwinden; und es wurde ihm Macht gegeben über jeden Stamm und jedes Volk und jede Sprache und jede Nation. (8) Und alle, die auf der Erde wohnen, werden ihn anbeten, jeder, dessen Name nicht geschrieben ist im Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an. (9) Wenn jemand ein Ohr hat, so höre er! (10) Wenn jemand in Gefangenschaft geht, so geht er in Gefangenschaft; wenn jemand mit dem Schwert getötet wird, so muss er mit dem Schwert getötet werden. Hier ist das Ausharren und der Glaube der Heiligen.

 

(1) Die Schilderung eines Tieres, das aus dem Meer steigt, erinnert an das siebte Kapitel des Buches Daniel. Dort sieht Daniel „vier große Tiere … aus dem Meer“ kommen (Dan.7,3).

 

Das Tier aus dem Meer hat große Ähnlichkeiten mit dem Drachen.

Drache (12,1-17)

Tier aus dem Meer (13,1-10)

7 Köpfe

7 Köpfe

10 Hörner

10 Hörner

7 Diademe auf den Köpfen

10 Diademe auf den Hörnern

 

auf den Köpfen lästerliche Namen

Insofern kann man davon sprechen, dass das Tier ein „Abbild“ (U. Müller, 249) bzw. „Spiegelbild“ des Drachen ist (Tóth, Tier, 23).

 

Die Bedeutung der Symbole ist die gleiche wie in Kapitel 12 (vgl. die Auslegung zu 12,3). Die „Köpfe“ und die „Hörner“ stehen für Könige, die „Diademe“ für die Königswürde. Abgesehen von der Änderung bei den Kronen (anstatt auf den 7 Köpfen befinden sie sich jetzt auf den 10 Hörnern) ist von Bedeutung, dass auf den Köpfen „Namen der Lästerung“ stehen. Die meisten Bibelausleger denken dabei an Gottesprädikate, durch die das Tier einen göttlichen Anspruch erhebt – vor allem im Zusammenhang mit dem Kaiserkult (z. B. Domitian, der sich mit „unser Herr und Gott“ anreden ließ, vgl. zu 4,11; vgl. Holtz, 97; Wengst, 132; U. Müller, 249; Roloff, 136).

 

(2) Das „Tier aus dem Meer“ vereinigt die charakteristischen Kennzeichen der vier Tiere, die im siebten Kapitel des Buches Daniel geschildert werden.

Daniel 7,4-7

Offenbarung 13,(1)2

(4) Das erste war wie ein Löwe und hatte Adlerflügel

und sein Maul wie eines Löwen Maul.

 

(5) Und siehe, ein anderes, ein zweites Tier, war einem Bären gleich. Und es war auf der einen Seite aufgerichtet

und seine Füße wie die eines Bären

(6) Nach diesem schaute ich, und siehe, ein anderes, wie ein Leopard

war gleich einem Panther …

(7) … ein viertes Tier, furchtbar und schreckenerregend … Und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm waren, und es hatte zehn Hörner.

… zehn Hörner und sieben Köpfe hatte …

Das Tier aus dem Meer ist also eine Intensivierung des Bösen durch Aufsummierung des bisher gewesenen Bösen (Tóth, Das Tier, 16).

 

Außerdem ist es ein „Agent“ des Drachen und bekommt von ihm seine „Kraft“ (Fähigkeit, etwas zu bewegen), seinen „Thron“ und „große Macht“ (wörtl.: Autorität).

 

(3a) Vers 3a schildert ein besonderes Merkmal des Tieres. Johannes sieht „eines seiner Köpfe wie zum Tod geschlachtet“ und berichtet zugleich von der Heilung seiner „Todeswunde“ (wörtl.: sein Schlag des Todes). Nach 13,14 handelt es sich um eine „Wunde des Schwertes“. Die Heilung der Wunde wird dort mit den Worten „und wieder lebendig geworden ist“ beschrieben (vgl. 17,8: „Das Tier, das du gesehen hast, war und ist nicht und wird aus dem Abgrund heraufsteigen …“).

 

Was ist gemeint? In der Bibelwissenschaft bezieht man diese Aussage i.d.R. auf die Vorstellung eines wiederkommenden Nero (Nero redivivus). Diese Vorstellung eines wiederkommenden Nero war zur Zeit des Johannes durchaus bekannt.

Nach Bousset liegt sie in drei Gestalten vor: „1) Sofort nach dem Tode Neros entstand das Gerücht, dass er nicht gestorben sei, sondern sich nur verborgen halte. 2) Bald nachher lässt sich der Glaube nachweisen, dass Nero sich bei den Parthern verborgen halte und mit diesen im Bunde wiederkehren werde. 3) Danach, etwa nach einem Menschenalter, entsteht die Sage, dass Nero gestorben sei, aber aus der Unterwelt wiederkehren werde … (zit. in Wengst, 134)

Bei den römischen Geschichtsschreibern finden wir dazu folgende Aussagen:

„Und dennoch fehlte es nicht an Leuten, welche lange Zeit hindurch sein Grab mit Frühlings- und Sommerblumen schmückten und bald seine Bildnisse in der Prätexta bei der Rednerbühne, bald seine Edikte, als ob er noch lebe und binnen kurzem wiederkehren werde, zum Vorschein brachten. Ja, selbst Vologaesus, der Partherkönig, verwendete sich, bei Gelegenheit einer Gesandtschaft an den Senat über Erneuerung des Bündnisses, lebhaft dafür, dass man dem Andenken Neros die gebührende Ehre erzeige. Und als endlich zwanzig Jahre später, als ich ein junger Mensch war, ein Individuum von unbekannter Herkunft auftrat, das sich für Nero ausgab, war dieser Name noch in solcher Gunst bei den Parthern, dass sie jenen lange eifrig unterstützten und sich nur mit Mühe bewegen ließen, ihn später auszuliefern.“ (Sueton, Nero 57).

„… um ein Haar auch ein Waffengang mit den Parthern infolge des Gaukelspiels eines falschen Nero …“ (Tacitus, Historien I, 2).

„Um eben diese Zeit gerieten Achaja und Asien ohne Grund in Schreck, als käme Nero, da verschiedenartig die Gerüchte über seinen Ausgang waren, und deshalb um so Mehrere erdichteten und glaubten, dass er lebe … Damals begab sich ein Sklave aus Pontus oder, wie Andere berichtet haben, ein Freigelassener aus Italien, des Zitherspieles und Gesanges kundig, was neben seine Ähnlichkeit im Aussehen ihm noch mehr Beglaubigung für seinen Trug verschaffte …“ (Tacitus, Historien II, 8).

Bei Dion Chrysostomos (ca. 40 – 120 n. Chr.) einem griechischen Redner, Schriftsteller und Philosophen heißt es: „… wünscht sich doch bis zum heutigen Tage jedermann, Nero wäre noch am Leben. Die meisten glauben sogar, dass er noch lebt, obwohl er nicht nur einmal, sondern gewissenmaße viele Mal gestorben ist … (Reden 21,10; zit. in Wengst, 134).

In den Sibyllinen, einer Sammlung jüdischer und christlicher Orakelsprüche aus der Zeit zwischen dem 2. Jahrhundert vor und dem 2. Jahrhundert nach Christus finden sich u.a. folgende Hinweise:

„Und dann wird von Italien ein großer König wie ein Entlaufener fliehen über den Euphratstrom, verschwunden, verschollen, wenn er die Schuld eines schrecklichen Mordes an der Mutter gewagt haben wird und vieles andere, seiner bösen Hand folgend …“ (IV, 119ff.).

„In den Westen wird dann der Streit des sich erhebenden Krieges kommen und der römische Flüchtling, die große Lanze erhebend, nachdem er den Euphrat mit vielen Tausenden überschritten hat.“ (IV, 137-139).

„Es wird aber von den Enden der Erde der muttermörderische Mann kommen, flüchtig und im Geist Scharfes erwägend welcher die ganze Erde niederwerfen und alles bezwingen wird.“ (IV, 363-365).

 

Dass die Vorstellung eines wiederkommenden Nero damals bekannt war, bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie auch den Hintergrund der Schilderungen in 13,3 bilden. Aufgrund der wenigen Hinweise im biblischen Text ist die Identifikationsmöglichkeit des ersten Tieres mit einem römischen Kaiser auch für Vertreter der zeitgeschichtlichen Auslegung „durchaus offener, sodass sich neben einem Nero redivivus z.B. auch ein Caligula redivivus zur Identifikation des Tieres anbietet“ (Tóth, Tier, 39f.; vgl. Lichtenberger, 186: „Dabei kann man an Caligula denken.“).

 

Die klassisch-adventistische Auslegung bezieht die Aussagen über die tödliche Wunde des Tieres und deren Heilung auf die Gefangennahme des Papstes durch die französische Armee im Jahre 1798 und dessen späteren Wiederaufstieg. Innerhalb der jüngeren adventistischen Auslegungsgeschichte gibt es dabei jedoch einige Nuancen.

 

Dabei geht es zunächst um die Frage, wann die Heilung der tödlichen Wunde erfolgt sein soll bzw. ob es sich dabei noch um ein zukünftiges Ereignis handelt. Die „Pioniere“ waren der Auffassung, dass die Heilung bereits mit der Wahl eines neuen Papstes im Jahr 1800 einsetzte und sich dann in der Unfehlbarkeitserklärung von 1870 zeigte (Smith, 550). Diese Auffassung wird auch heute noch vertreten (Böttcher, 225: „Die angekündigte Heilung der tödlichen Wunde ist nicht mehr eine Sache der Zukunft, sondern bereits Vergangenheit bzw. Gegenwart.“). Andere betonen jedoch, dass die eigentliche Erfüllung in der Zukunft liegt (ABC VII, 817; Wittwer, 102). Darüber hinaus wird inzwischen auch der zeitgeschichtlichen Auslegung ein gewisses Recht zuerkannt (Wittwer, 96; Paulien, Kampf, 92). Dabei bezieht man sich auch auf die Vorstellung eines wiederkommenden Nero und betont, dass die Christen des ersten Jahrhunderts die Schilderungen auf ihre Zeit gedeutet haben – auch wenn die eigentliche Erfüllung dieser Prophezeiungen nicht in dieser Epoche zu finden sei (Stefanovic, 410). Im Hinblick darauf, was zukünftig zu erwarten ist, wird dann aber nicht vom Papsttum gesprochen, sondern lediglich allgemein von einen religiös-politischen System der Endzeit (Stefanovic, 411ff.).

 

(3b-4) Die „Todeswunde“ des Tieres „wurde geheilt“. Das löst Reaktionen aus. Sie beginnen damit, dass die ganze Welt über das Tier staunt. Das ist aber nur der erste Schritt. Es folgt die Anbetung des Drachen und des Tieres selbst.

 

Der Drache wird angebetet, „weil er dem Tier die Macht gab“. Das kann sich auf die Heilung der tödlichen Wunde beziehen. Dann hätte der Drache dem Tier konkret durch die Heilung der tödlichen Wunde die Macht gegeben (Tóth, Tier, 20f.).

 

Die Anbetung des Tieres manifestiert sich in der Aussage: „Wer ist dem Tier gleich? Und wer kann mit ihm kämpfen?“ Die erste Frage entspricht Gebeten aus dem zweiten Buch Mose (2.Mos.15,11: „Wer ist dir gleich unter den Göttern, o HERR! Wer ist dir gleich, so herrlich in Heiligkeit, furchtbar an Ruhmestaten, Wunder tuend!“) oder den Psalmen (Ps.35,10: „Alle meine Gebeine werden sagen: »HERR, wer ist wie du! Der du den Elenden rettest vor dem Stärkeren und den Elenden und Armen vor seinem Räuber). Das Tier wird hier also als Gott angebetet.

 

Die zweite Frage „und wer kann mit ihm kämpfen?“ hat keine direkte biblische Parallele. Das kann ein Indiz dafür sein, dass dieser Teil der Anbetung des Tieres besonders wichtig ist. Inhaltlich geht es um die Anbetung der unwiderstehlichen Macht des Tieres – sofern die Deutung auf das kaiserliche Rom richtig ist vermutlich konkret um dessen unwiderstehliche militärische Macht (Wengst, 137).

 

(5) Hatte Vers 4 darauf hingewiesen, dass der Drache „dem Tier die Macht gab“, wird nun ausgeführt, welche Macht ihm konkret gegeben wird.

 

Dazu gehört „ein Mund … der große Dinge und Lästerungen redete …“. Das erinnert erneut an Aussagen aus Daniel 7:

·         Dan. 7,8:  „… an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Mund, der große Worte redete.“

·         Dan. 7,11: „Dann schaute ich wegen der Stimme der großen Worte, die das Horn redete …“

·         Dan.7,20:  „… Und das Horn hatte Augen und einen Mund, der große Worte redete …“

·         Dan.7,25: „Und er wird Worte reden gegen den Höchsten …“

 

„Groß“ heißt hier so viel wie „ ‚anmaßend‘, ‚stolz‘, ‚versprechen, was er nicht versprechen kann‘ und dabei Gott beleidigen“ (Maier II, 88). In 13,2 war bereits von „Namen der Lästerung“ die Rede, also Namen, in denen sich der göttliche Anspruch des Tieres zeigt. Vers 6 geht konkret auf die Lästerungen des Tieres ein.

 

Außerdem wird dem Tier die Macht gegeben, „42 Monate zu wirken“ (zu den 42 Monaten vgl. den Exkurs zu 11,2). Die Bibelausleger sind durchweg der Auffassung, dass die 42 Monate nach der Heilung der tödlichen Wunde beginnen. Schließlich staunt alle Welt über dieses Wunder und betet daraufhin den Drachen und das Tier an, so dass das Tier sein gotteslästerliches Wirken beginnen kann.

 

Die traditionelle adventistische Auslegung der 1260 Tage/dreieinhalb Zeiten/42 Monate geht aber davon aus, dass die 42 Monate mit der tödlichen Wunde enden.

 

Von theologischer Bedeutung ist die Frage, ob dem Tier die „Macht“ von Gott oder vom Drachen gegeben wurde. Sofern Letzteres der Fall ist, wäre dies nach Auffassung einiger Bibelausleger ein inakzeptabler Dualismus, bei dem Gott und Satan nahezu auf Augenhöhe miteinander kämpfen und die Welt dem Teufel überlassen wird (Roloff, 137; Wengst 137f.). Vers 4 spricht allerdings davon, dass der Drache „dem Tier die Macht gab“. Auch gibt es kein Indiz dafür, dass in Vers 5 plötzlich Gott gemeint ist, wenn davon die Rede ist, dass „ein Mund … der große Dinge und Lästerungen redete“ und „Macht“ gegeben wurden.

 

(6)  Die Verse 6 bis 8 berichten davon, dass das Tier die ihm gegebene Macht auch einsetzt. Das Tier öffnet „seinen Mund zu Lästerungen gegen Gott“. Die Lästerung gegen Gott wird noch einmal präzisiert. Zunächst ist vom „seinem Namen“ die Rede. Der Name Gottes ist im biblischen Sprachgebrauch niemand anders als Gott selbst (vgl. z.B. den Parallelismus in Ps.20,2: „Der HERR erhöre dich am Tag der Drangsal, der Name des Gottes Jakobs mache dich unangreifbar.“). Außerdem lästert das Tier gegen „sein[Gottes]  Zelt und die, welche im Himmel wohnen“ (wörtlich – „sein Zelt, die im Himmel Zeltenden“). Vermutlich ist hier nicht an Gläubige gedacht, die sich – in welchem Sinn auch immer – bereits im Himmel befinden (vgl. 7,9-17; Eph.2,6; so aber Stefanovic, 407), sondern an himmlische Wesen wie die „vier Wesen“, die „vierundzwanzig Ältesten“ und an Engel (Tóth, Tier, 33).

 

(7) Aber es bleibt nicht bei „Lästerungen gegen Gott“. Dem Tier wird (vom Drachen) auch gegeben, „mit den Heiligen Krieg zu führen und sie zu überwinden.“ Auch dazu gibt es eine Parallele im Buch Daniel. „Ich sah, wie dieses Horn gegen die Heiligen Krieg führte und sie besiegte …“ (Dan.7,21). Wenn in der Offenbarung von „Heiligen“ die Rede ist, geht es immer um Christen in der Verfolgung (6,10; 8,3; 16,6; 17,6; 18,24). Hier ist möglicherweise speziell an die „Übrigen ihrer Nachkommenschaft“ zu denken, gegen die der Drache zornig geworden ist und die er mit Hilfe des Tieres bekämpft (12,17; vgl. Maier II, 73). Von der Verfolgung der Christen war bereits in Offb.12,13ff. im Zusammenhang mit dem Wirken des Drachen die Rede. Allerdings wird dort von der Bewahrung der Gemeinde berichtet. Das Tier aber bekommt die Macht, „sie zu überwinden“.

 

Außerdem wird dem Tier „Macht gegeben über jeden Stamm und jedes Volk und jede Sprache und jede Nation“. Im Buch Daniel wird über den Menschensohn gesagt: „Und ihm wurde Herrschaft und Ehre und Königtum gegeben, und alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergeht, und sein Königtum so, dass es nicht zerstört wird.“ (Dan.7,14). Ähnlich heißt es in der Johannesoffenbarung von Christus, dass er mit seinem Blut „Menschen für Gott erkauft“ hat „ aus jeden Stamm und jeder Sprache und jedem Volk und jeder Nation“ (5,9; vgl. 7,9). Das bedeutet: Die Macht des Tieres und die Macht Jesu Christi sind beide global und stehen sich frontal gegenüber. Die „Macht des Tieres ist ebenso universal wie das Gottesvolk“ (Holtz, 98).

 

(8) Das gottfeindliche Treiben des Tieres ist erfolgreich. „Und alle, die auf der Erde wohnen, werden ihn anbeten …“ Interessanterweise heißt es nicht „werden es bzw. das Tier anbeten“, sondern „werden ihn anbeten“. Hier erfolgt also eine Personalisierung des Tieres auf eine individuelle männliche Person (Tóth, Tier, 34f.154). Die Anbetung des Tieres wird i.d.R. auf den Kaiserkult bezogen.

 

Adventistische Bibelausleger beziehen diese Aussage traditionell auf das Papsttum (ABC VII, 819).

 

Die Aussage steht im Futur. Allerdings „wird ja nichts anderes angekündigt, als in V. 3b.4 in der Vision schon geschildert worden war. Johannes hat also gegenwärtiges Geschehen vor Augen. Die futurische Form besagt dann allenfalls, dass er dessen Andauern für die noch verbleibende Zeit erwartet.“ (Wengst, 141).

 

Mit denen, die „auf der Erde wohnen“ sind die Ungläubigen gemeint (6,10; 8,13; 11,10; 13,14; 17,2.8). Es sind diejenigen, deren „Name nicht geschrieben ist im Buch des Lebens des geschlachteten Lammes von Grundlegung der Welt an.“. Das „Buch des Lebens“ ist das Verzeichnis der Erlösten (20,15: „Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden wurde in dem Buch des Lebens, so wurde er in den Feuersee geworfen“; vgl. 3,5; 20,12). In 21,27 wird es – ähnlich wie in 13,8 – „Buch des Lebens des Lammes“ genannt („Und alles Unreine wird nicht in sie hineinkommen, noch derjenige, der Greuel und Lüge tut, sondern nur die, welche geschrieben sind im Buch des Lebens des Lammes.“)

 

Dass die Namen der Gottlosen vom Anfang der Welt an nicht im Lebensbuch stehen, „ist ein Ausdruck, der das Verlorensein dieser Menschen in höchstem Maße unterstreicht“ (Satake, 300). In 13,8 geht es aber konkret um Folgendes: „Jeder, der nicht vom Anfang der Welt in das Buch des Lebens eingetragen ist, verfällt dem Götzendienst [des Kaiserkults].“ Umgekehrt gilt: „Die Gläubigen aber sind zum Widerstand vorherbestimmt.“ (U. Müller, 252).

 

(9-10) Was bedeutet das für die Gemeinde? Diese Frage steht am Ende des Abschnitts über das Tier aus dem Meer. Bevor sie beantwortet wird, ergeht ein Weckruf, wie er uns aus den Sendschreiben an die sieben Gemeinden bekannt ist: „Wenn jemand ein Ohr hat, so höre er!“ Er unterstreicht die besondere Bedeutung des Folgenden.

 

Die Worte, die nun folgen, richten sich direkt an die Adressaten der Offenbarung des Johannes und sprechen in ihre Situation (Tóth, Tier, 12.14). Ohne etwas zu beschönigen wird die Gemeinde darauf hingewiesen, dass schwere Zeiten auf sie zukommen: „Wenn jemand in Gefangenschaft geht, so geht er in Gefangenschaft; wenn jemand mit dem Schwert getötet wird, so muss er mit dem Schwert getötet werden. Hier ist das Ausharren und der Glaube der Heiligen.“

 

Das entspricht Aussagen des Propheten Jeremia: „Und es soll geschehen, wenn sie zu dir sagen: Wohin sollen wir gehen? – dann sage zu ihnen: So spricht der HERR: Wer zum Tod bestimmt ist, gehe zum Tod; und wer zum Schwert, zum Schwert; und wer zum Hunger, zum Hunger; und wer zur Gefangenschaft, zur Gefangenschaft“ (Jer.15,2; vgl. Jer.43,11). Die Botschaft lautet: Wer sich dem Tier aus dem Meer entgegenstellt „soll sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Die werden hier ganz nüchtern festgestellt“ (Wengst, 143). Und er soll dieses Schicksal annehmen.

 

In dieser Situation „ist das Ausharren und der Glaube der Heiligen“ gefragt. „Ausharren“ meint hier Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen angesichts der Verfolgung (2,2.3: „(2) Ich kenne deine Werke und deine Mühe und dein Ausharren … (3) und du hast Ausharren und hast vieles getragen um meines Namens willen und bist nicht müde geworden.“). Bei „Glaube“ liegt der Akzent hier auf der Treue (vgl. 2,13: „…und du hältst meinen Namen fest und hast den Glauben an mich nicht verleugnet …“; 2.Thess.1,4: „… uns euer rühmen in den Gemeinden Gottes wegen eures Ausharrens und Glaubens in allen euren Verfolgungen und Bedrängnissen, die ihr erduldet …“; vgl. ThWNT VI, 208).

 

Zusammenfassung: Der Drache setzt seinen Kampf mit Hilfe des Tieres aus dem Meer fort. Es hat eine überraschende Geschichte hinter sich: Es wurde tödlich getroffen und von dieser tödlichen Wunde geheilt. Dieses Tier kämpft gegen Gott und alle, die zu ihm gehören. Auf die Gemeinde kommen schwere Zeiten zu, in denen Durchhaltevermögen und Treue gefragt sind.

 

 

 

6.3    Das Tier aus der Erde (13,11-18)

 

Johannes sieht noch ein weiteres Tier „aufsteigen“ – diesmal aus der Erde. Es „sorgt für eine Intensivierung der religiös-kultischen Verehrung des ersten Tieres“ (Tóth, Tier, 44).

 

(11) Und ich sah ein anderes Tier aus der Erde aufsteigen: und es hatte zwei Hörner gleich einem Lamm, und es redete wie ein Drache. (12) Und die ganze Macht des ersten Tieres übt es vor ihm aus, und es veranlasst die Erde und die auf ihr wohnen, dass sie das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt wurde. (13) Und es tut große Zeichen, dass es selbst Feuer vom Himmel vor den Menschen auf die Erde herabkommen lässt; (14) und es verführt die, welche auf der Erde wohnen, wegen der Zeichen, die vor dem Tier zu tun ihm gegeben wurde, und es sagt denen, die auf der Erde wohnen, dem Tier, das die Wunde des Schwertes hat und wieder lebendig geworden ist, ein Bild zu machen. (15) Und es wurde ihm gegeben, dem Bild des Tieres Odem zu geben, so dass das Bild des Tieres sogar redete und bewirkte, dass alle getötet wurden, die das Bild des Tieres nicht anbeteten. (16) Und es bringt alle dahin, die Kleinen und die Großen, und die Reichen und die Armen, und die Freien und die Sklaven, dass man ihnen ein Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn gibt; (17) und dass niemand kaufen oder verkaufen kann, als nur der, welcher das Malzeichen hat, den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. (18) Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres! Denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist 666.

 

Der Abschnitt kann folgendermaßen gegliedert werden (vgl. Tóth, Tier, 45):

13,11  

Die Beschreibung

13,12

Die Bevollmächtigung und die Aufgabe

13,13-14

Die Verführung der Menschen dazu, dem ersten Tier ein Bild zu machen

13,15

Das zweite Tier macht das Bild „lebendig“ und erzwingt dessen Anbetung

13,16-17

Das zweite Tier verordnet das „Malzeichen des Tieres“

13,18

Hinweis für die Adressaten

 

(11) Im Anschluss an die Vision über das Tier aus dem Meer sieht Johannes noch ein „anderes Tier“. Dieses Tier steht in enger Verbindung zum ersten Tier und zum Drachen. In Texten, in denen alle drei Mächte gemeinsam erwähnt werden, wird es mit dem Begriff „der falsche Prophet“ bezeichnet (16,13; 19,20; 20,10). Im Neuen Testament erscheint dieser Begriff noch in Mt.7,15; 24,11.24; Mk.13,22; Lk.6,26; Apg.13,6; 2.Pt.2,1 und 1.Joh.4,1. Der „falsche Prophet“ ist eine Gestalt, die auf das Volk verführerisch einwirkt. In Apg.13,6 geht es um einen „falschen Propheten“, der zugleich als „Magier“ wirkt. Das entspricht den Schilderungen in Off.13,11f.

 

Während das erste Tier „aus dem Meer“ kommt, steigt das zweite „aus der Erde“ auf. Möglicherweise ist das ein Anklang an die Tiere in Dan.7, die nach 7,3 „aus dem Meer herauf“ steigen, sich aber nach 7,17 „von der Erde her erheben“ (Paulien, Kampf, 109f.).

 

Es hat „zwei Hörner gleich einem Lamm“. Rein sprachlich kann auch mit „Widder“ übersetzt werden. Allerdings erinnert es an 5,6, wo Christus als „Lamm … wie geschlachtet“ vorgestellt wird –  und wo die Übersetzung „Lamm“ sinnvoll erscheint. Dieses Lamm hat „zwei Hörner“. In der Symbolik der Offenbarung stehen „Hörner“ für königliche Macht (17,12: „Und die zehn Hörner, die du gesehen hast, das sind zehn Könige …“).

 

Gleichzeitig wird gesagt, dass dieses Tier „wie ein Drache“ redet. „Reden“ gehört zu den Hauptaktivitäten dieses Tieres (13,11.14). Aber diese Rede ist nicht positiv, sondern „teuflisch“ (12,9: „Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird …“). Wie das Tier aus dem Meer, so ist auch das Tier aus der Erde eng mit dem Drachen verbunden (13,2: „… Und der Drache gab ihm seine Kraft und seinen Thron und große Macht.“).

 

(12) Es ist aber nicht nur mit dem Drachen, sondern auch mit dem Tier aus dem Meer verbunden. Seine Macht leitet sich von der des ersten Tieres ab (Wengst, 147) und es übt seine Macht „vor ihm“ aus. Das gilt auch für die Zeichen, mit denen es die Erdbewohner verführt. Sie geschehen „vor dem Tier“ (13,14). Daraus folgt, dass das „erste Tier“ ihm übergeordnet ist und es in Übereinstimmung mit ihm handelt.

 

Dementsprechend besteht seine Aufgabe darin, „die Erde und die auf ihr wohnen“ – also die Ungläubigen (vgl. zu 13,8) – dazu zu bringen, dass sie das „erste Tier anbeten“. Von der Anbetung des Tieres aus dem Meer war bereits in 13,4.8 die Rede. Jetzt wird das Bild klarer: Das zweite Tier macht Propaganda für das erste Tier und bringt die Ungläubigen so weit, es anzubeten.

 

(13-14) Wie erfüllt das zweite Tiere diese Aufgabe, die Menschen zur Anbetung des ersten Tieres zu veranlassen? Das geschieht durch „große Zeichen“. Sie dienen dazu, die Menschen zu verführen (19,20: „der falsche Prophet – der mit ihm war und die Zeichen vor ihm tat, durch die er die verführte, die das Malzeichen des Tieres annahmen und sein Bild anbeteten …“; vgl. 5.Mos.13,2-4). Das entspricht Aussagen der Endzeitrede Jesu und des Apostels Paulus über die gottfeindlichen Mächte der Endzeit (Mk.13,22: „Denn es werden sich erheben falsche Christusse und falsche Propheten, die Zeichen und Wunder tun, sodass sie die Auserwählten verführen würden, wenn es möglich wäre.“; 2.Thess. 2,9: „… dessen Ankunft gemäß der Wirksamkeit des Satans erfolgt mit jeder Machttat und mit Zeichen und Wundern der Lüge“).

 

Von welcher Art sind die Zeichen, die das zweite Tier tut? Sie sind so gewaltig, „dass es selbst Feuer vom Himmel vor den Menschen auf die Erde herabkommen lässt“. Das erinnert – wie in 11,5 – an das Wirken des Propheten Elia (1.Kön.18; 2.Kön.1,10-12). Das Tier aus der Erde kann „das Zeichen des Elia wiederholen, durch das er sich als ‚Mann Gottes‘ auswies, nämlich Feuer vom Himmel herabfallen zu lassen“ (Holtz, 99). Außerdem gehörte „Feuer vom Himmel“ zur Neueinführung eines Kultes (3.Mos.9,24; 2.Chr.7,3; 2.Makk.2,10) – ein Bezug, der deshalb nahe liegt, weil dieses Zeichen dazu dienen soll, Menschen zur falschen Anbetung zu verführen.

 

Die Macht dazu, diese Zeichen zu tun, ist „ihm gegeben“. Allerdings wird nicht gesagt, von wem sie ihm gegeben wird (vgl. 13,5). Ist es Gott (Maier II, 108f.)? Das ist schwerlich möglich, da in 13,15 davon die Rede ist, dass ihm Macht „gegeben“ wurde, dem „Bild des Tieres Odem zu geben“ – was kaum auf Gott bezogen werden kann, sondern entweder auf den Drachen oder das Tier aus dem Meer. Das ist dann auch in 13,14 gemeint.

 

Die Verführung durch Zeichen ermöglicht dem Tier aus der Erde jedenfalls, den Verführten einen besonderen Auftrag zu geben: sie sollen dem ersten Tier ein „Bild … machen“. Dabei kann es sich um ein Bild handeln, das das erste Tier abbildet oder um ein Bild, das zu seinen Ehren aufgestellt wird (Tóth, Tier, 76-78). Es erinnert an die Statue, die Nebukadnezar zur Anbetung aufrichten ließ (Dan.3).

 

(15) Das „andere Tier“ sorgt aber nicht nur dafür, dass dem Tier aus dem Meer ein Bild aufgestellt wird. Ihm wird auch die „Macht gegeben“ (vgl. 13,14), diesem Bild „Geist zu verleihen“, d.h. ihm Leben einzuhauchen. Dazu gehört zunächst, dass es das Bild zum Reden bringt. Außerdem erhält es – das „Tier aus der Erde“ (U. Müller, 254) oder das „Bild des Tieres“ selbst (Tóth, Tier, 119f.) – die Macht, diejenigen, die es nicht anbeten, zu töten.

 

(16-17) Schließlich veranlasst das zweite Tier, dass sich alle – unabhängig davon, welcher sozialen Schicht sie angehören – „ein Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn“ machen (EB übersetzt passiv „… man ihnen ein Malzeichen … gibt. Das Verb steht aber im Aktiv). Ein „Malzeichen“ ist „das eingeritzte oder -geätzte, -gebrannte, -geschriebene Zeichen oder Mal“ und meint z.B. auch das Brandzeichen zur Kennzeichnung von Tieren (ThWNT IX, 405). Es ist daher ein Zeichen der Zugehörigkeit (Tóth, Tier, 138). Religiöse „Tattoos“ waren damals keine Seltenheit (Tóth, Tier, 138-150).

 

Dass sich das Malzeichen an der rechten Hand oder auf der Stirn befindet, erinnert zunächst an die Gebetsriemen an der Hand und Stirn (5.Mos.6,8; 11,18). Sie enthalten Schlüsselaussagen der Thora, in denen die Zugehörigkeit des Volkes Israel zu Gott ausgedrückt wird (5.Mos.6,4-5). Nach jüdischer Tradition wird dazu der linke Arm benutzt (StrBill IV, 260-264).

 

In Hes.13,18 wird vor einem heidnischen Brauch gewarnt, bei dem „Binden … für alle Handgelenke“ und „Kopfhüllen für die Köpfe“ verwendet werden. In der Offenbarung selbst ist – auf der Grundlage von Hes.9,4-6 – davon die Rede, dass die Gläubigen „an ihren Stirnen“ versiegelt werden (7,3). Auch dabei geht es darum, Menschen als Eigentum Gottes zu kennzeichnen. Diese Versiegelung erfolgt mit dem Namen Jesu Christi und seines Vaters (14,1) – was der Aussage von 13,17 entspricht, wonach es sich beim Zeichen konkret um „den Namen des Tieres“ bzw. „die Zahl seines Namens“ handelt.

 

Aufgrund dieser Anklänge kann davon ausgegangen werden, dass das Zeichen an der rechten Hand und der Stirn ein Gegenentwurf zu Symbolen der Zugehörigkeit zu Gott ist und somit ausdrückt, dass die Träger dieses Zeichen dem Tier aus dem Meer gehören.

 

Gleichzeitig dient dieses Zeichen dazu, diejenigen aus dem normalen wirtschaftlichen Leben auszuschließen, die es nicht angekommen haben. Das setzt voraus, dass es sich um ein eindeutiges und für jedermann erkennbares Zeichen handelt. Daher ist es nicht überraschend, wenn es näher beschrieben wird: als „Namen des Tieres“ oder „Zahl seines Namens“.


(18) Aber auch diese nähere Beschreibung ist noch nicht eindeutig genug. Daher werden die Leser – wie beim Abschluss der Vision über das Tier aus dem Meer (13,9-10) – direkt angesprochen. War dort davon die Rede, dass „Ausharren“ und „Glaube“ nötig ist, wird jetzt betont: Die „Weisheit“ ist unverzichtbar. Sie wird gebraucht, um die „Zahl des Tieres“ zu berechnen.

 

Was ist die „Zahl des Tieres“? Dazu werden zwei Angaben gemacht: „… es ist eines Menschen Zahl, und seine Zahl ist 666.“ Gesucht wird also ein konkreter Mensch, dessen Name eine bestimmte Zahl ergibt. Gematrie wurde bereits in der Antike praktiziert. So entdeckt man in Pompeji eine Wandkritzelei mit den Worten: „Ich liebe die, deren Zahl 545 ist.“ (Roloff, 144). Hier handelt es sich um die geheimnisvolle Zahl 666.

 

Wer oder was ist nun das „zweite Tier“? Und wie sind die einzelnen Elemente seiner Beschreibung und die Hinweise auf sein Wirken zu verstehen? Dazu gibt es verschiedene Deutungsversuche, die hier in einer Übersicht der wichtigsten Punkte nebeneinander gestellt werden. Die Berechtigung der verschiedenen Deutungen ist davon abhängig, ob und inwieweit sie mit den Aussagen des biblischen Textes übereinstimmen.

 

Adventistische Deutungen

Evangelikale Deutungen

Zeitgeschichtliche

Deutungen

Das zweite Tier

Die Vereinigten Staaten von Amerika. (1)

bisher unbekannte zukünftige antichristliche Macht (2)

Macht, die die Verehrung des römischen Kaisers fördert – vor allem die Priesterschaft des Kaiserkults (3)

haben noch kein volles Verständnis dieser Prophezeiung; es geht um globale Ereignisse, bei denen die USA stark involviert sein werden. (4)

übergeschichtliche, satanische Größe, die sich je und je innerhalb der Geschichte verkörpert (5)

Orakelpropheten, die mit Verantwortlichen des Kaiserkults und der römischen Staatsmacht zusammenarbeiteten (6)

zu Vers 11

„… aus der Erde …“

Tier kommt aus einem bisher unbekannten und bisher sicheren Land (7)

Gesamtheit des festen Landes (8)

Festland der Provinz Asia (9)

„Erde“ nicht auf eine bestimmte Region beziehen (10)

„unterirdische Macht“ (11)

Rückbezug auf 12,12 – und daher allg. „Festland“ (12)

nach damaliger Vorstellung bevorzugter Ort für ein Orakel (13)

„Lamm“

Unschuld und Jugendlichkeit der USA (14)

beansprucht Ähnlichkeit mit Christus (15)

falscher Christus (16)

„zwei Hörner“

Republikanische Staatsverfassung und protestantische Kirchengewalt (17)

Macht (18)

Symbol für Macht (19)

kennzeichnet nicht Macht, sondern Gestalt des Lammes (20)

„redet wie ein Drache“

diverse problematische Entwicklungen innerhalb der USA (19. Jh.) (21)

Verkündigung der Botschaft des Antichrists (22)

Sprachrohr des Drachen (23)

zukünftige Entwicklungen in den USA (24)

Teuflische Propaganda  (25)

Offenbarer Machtanspruch der USA im 20./21. Jh. (26)

Stimme des Orakel (beim Orakel von Delphi war Stimme eines Drachen zu hören) (27)

zu Vers 12

veranlasst … dass sie das erste Tier anbeten“

USA als Förderer päpstlicher Macht (28)

zukünftige Verdichtung antichristlicher Mächte (29)

Kaiserkult (30)

 

 

Kaiserkult und andere Verkörperungen in der Geschichte (31)

 

zu Vers 13

„große Zeichen“

Spiritismus (32)

zukünftig (33)

Zeichen und Wunder, die zum Auftreten der Orakelpropheten gehörten (34)

Drohgebärden und Führungsanspruch der USA, falsche geistliche Erweckungen in der USA (35)

Kaiserkult (36)

„Feuer vom Himmel“

moderne Errungenschaften wie Elektrizität (37)

zukünftig (38)

Kaiser, die sich als Jupiter darstellen ließen, der Blitze in der Hand hielt (39)

Gemeinsame Geisterfahrungen nach dem Motto „Die Lehre trennt, der  Geist eint.“ (40); „falsches Pfingsten“ (41)

Kaiser, die sich als Jupiter darstellen ließen, der Blitze in der Hand hielt (42)

Feuererscheinungen gehörten zu den damals bekannten Tempelritualen und dienten zur Legitimation der Orakelpropheten (43)

zu Vers 14

„Bild des Tieres“

Bestrebungen Kirche und Staat zu verbinden (44)

zukünftig – daher unbekannt (45)

Kaiserstandbilder  für Domitian etc. (z.B. in Ephesus) (46)

Zusammenschluss christlicher Kirchen zur Unterstützung päpstlicher Absichten (47)

Kaiserkult (48)

Welteinheitsreligion (49)

Aufforderung, dem Tier ein Bild zu machen

s. „Bild des Tieres“

zukünftig – daher unbekannt (50)

Allgemeine Aufforderung zur Aufstellung von Kaiser-Kultbildern (51)

Orakelpropheten forderten zur Aufstellung von Kultbildern auf (52)

zu Vers 15

„Bild des Tieres“ redet

Redet durch Gesetzes und Erlasse (53)

zukünftig – daher unbekannt (54)

antiker Glaube an redende Götterbilder (55)

antiker Glaube an redende Götterbilder (56)

Bildern und Statuen wurden von Priestern bzw. Propheten „belebt“ und konnten „sprechen“. (57)

„getötet wurden, die das das Bild des Bild des Tieres nicht anbeteten“

s. „Bild des Tieres“

zukünftig – daher unbekannt (58)

Todesstrafe bei Verweigerung der Teilnahme am Kaiserkult (59)

Todesstrafe bei Verweigerung der Teilnahme am Kaiserkult (60)

zu Vers 16

„Malzeichen des Tieres“

Päpstlicher Machtanspruch, der sich in der Verlegung des Sabbats auf den Sonntag konkretisiert (61)

zukünftig – daher unbekannt (62)

Kaiserstempel, Münzprägung mit Kaiserbild, religiöses „Tattoo“ mit Bezug zum Kaiserkult (63)

für Christen im 1. Jh. stand es im Zusammenhang mit Kaiserkult; die endgültige Anwendung kommt in der letzten Zeit, bezieht sich aber nicht allein auf die Frage Sabbat-Sonntag (64)

Münzen mit Kaiserbild, Kaiserstempel (65)

zu Vers 18

„666“

Papstname „Vicarius filii Dei“ (Gematrie) (66)

zukünftig – daher unbekannt (67)

Neron Quesar“ (Gematrie) (68)

Gematrie unzureichend, Zahl als Ausdruck der menschlichen Unvollkommenheit dieser gottfeindlichen Macht. (69)

Offizieller Kaisertitel Domitians: Domitianus Caesar (70)

(1) Uriah Smith geht davon aus, dass das Tier aus der Erde zu den beiden anderen gottfeindlichen Mächten passen muss – aus seiner Sicht zum heidnischen Rom (Drache) und zum päpstlichen Rom (Tier aus dem Meer). Da der „Mohammedanismus“ ein „erloschenes System“ sei, bleibe nur ein Religionssystem übrig – der Protestantismus (551f.). Innerhalb des Protestantismus käme nur das „protestantische Amerika“ in Frage (552).Er begründet dies zunächst mit der außerordentlichen Bedeutung der Vereinigten Staaten (552, vgl. 567-576) und der chronologischen Überlegung, dass diese Macht erst nach der tödlichen Wundes des Tieres auf der Bühne der Weltgeschichte erscheinen kann (554ff.). Fast alle adventistischen Ausleger deuten das zweite Tier direkt auf die USA.

(2) Maier II, 123ff.

(3) Roloff, 140; U. Müller, 253; Wengst, 144.; Holtz, 99; Lichtenberger, 190ff.

(4) Stefanovic, 424.

(5) Pohl, 356.

(6) Tóth, Tier, 57ff.62f.

(7) Bereits aus der Aussage, dass es sich um ein „anderes Tier“ handelt, schlussfolgert Smith, dass sich diese Macht in einer anderen Region dieser Erde – in einem neuen und zuvor unbesetzten Land – entwickeln muss (558-564).  Dass es nicht aus dem Meer, sondern „aus der Erde“ aufsteigt,  deutet er darauf, dass diese Macht nicht aus politischen Machtkämpfen hervorgeht, sondern sich an einem sicheren und friedlichen Ort entfalten kann (564-567). Vgl. Makowski, 116; Wittwer, 103f.; Böttcher, 233; Paulien, Kampf, 113.

(8) Maier II, 100.

(9) Wengst, 145.

(10) Stefanovic, 414.

(11) Pohl, 355.

(12) Roloff, 140: „… wahrscheinlicher ist jedoch der Rückbezug auf 12,12 (‚Wehe der Erde und dem Meer, denn hinabgestiegen ist der Teufel zu euch‘): Seine Macht über Erde und Meer sichert der Drache dadurch, dass er aus jedem dieser Bereiche eine seiner dienstbaren Kreaturen hervorkommen lässt.“

(13) Tóth, Tier, 52-52.

(14) Smith, 577f.; Böttcher, 234; ABC VII, 820.

(15) Maier II, 101.; Pohl, 355.

(16) Roloff, 140: „… Funktionäre des Drachen, deren Tun das Tun der Zeugen Jesu imitiert.“

(17) Smith, 576-582. Ähnlich, aber nur als Interpretationsmöglichkeit erwähnt, ABC VII, 820.

(18) Maier II, 101.

(19) Roloff, 140; Wengst, 146.

(20) Pohl, 355.

(21) Dass das zweite Tier zugleich wie ein Drache redet, deutet Smith auf „Schwindeleien“ der öffentlichen Verwaltung, Stimmengewinne katholischer Parteien, Überheblichkeit der protestantischen Kirchen und Bewegungen wie „Spiritismus, Unglaube, Sozialismus, Freie Liebe, Handwerkervereine, … Kampf der Arbeit gegen das Kapital, Kommunismus“ (582-589).

(22) Maier II, 102. Ähnlich Pohl, 356.

(23) Roloff, 140.

(24) ABC VII, 820.

(25) Wengst, 146.

(26) Wittwer, 104.

(27) Tóth, Tier, 56.

(28) Makowski, 116.; Wittwer, 105. Böttcher, 234.

(29) Maier II, 103.

(30) Roloff, 141.; Wengst, 147.

(31) Pohl, 356f..

(32) Smith, 589-597. Ähnlich Makowski, 116.

(33) Maier II, 107f.

(34) Tóth, Tier, 52.71-75.

(35) Wittwer, 107f.

(36) Pohl, 358.

(37) Smith, 589ff.

(38) Maier II, 107f.

(39) Wengst, 148.

(40) Wittwer, 108.

(41) Paulien, Kampf, 118.

(42) Pohl, 358.

(43) Tóth, Tier, 66.117ff.

(44) Smith, 597-605. Ähnlich Makowski, 117. ABC VII, 822: „… use of the secualar arm to support religious institutions“.

(45)Maier II, 110f.

(46) Roloff, 141; Wengst, 149. U. Müller, 254., Tóth, Tier, 75-84.

(47) Böttcher, 238.

(48) Pohl, 358f.

(49) Wittwer, 106.

(50) Maier II, 110f.

(51) Roloff, 141; U. Müller, 254.

(52) Tóth, Tier, 84ff.97f.

(53) ABC VII, 822.

(54) Maier II, 112.

(55) Wengst, 149f.

(56) Pohl, 359.

(57) Tóth, Tier, 99-118.; Roloff, 142.

(58) Maier II, 112f.

(59) Roloff, 142; Wengst, 150. U. Müller, 254., Tóth, Tier, 119-131.

(60) Pohl, 360.

(61) Smith, 605-620. Weitere vierzig Seiten (620-659) verwendet Smith, um dazustellen, dass sich die mit dem „Malzeichen des Tieres“ verbundenen Ereignisse in seiner Zeit abspielen. Ähnlich Makowski, 119f.; Wittwer, 109f.; Böttcher, 239f.; ABC VII, 822.

(62) Maier II, 113ff.

(63) Roloff, 142f.; Wengst, 151.; U. Müller, 255; Tóth, Tier, 134-154.

(64) Stefanovic, 415.422.426.

(65) Pohl, 362.

(66) Smith, 659-660. Vgl. Wittwer, 110ff.; Böttcher, 230; ABC VII, 823f.; Paulien, Kampf, 142-144.

(67) Maier II, 122.

(68) Roloff, 144f.; U. Müller, 256f.; Wengst, 153.; Lichtenberger, 194.

(69) Stefanovic, 417.428.

(70) Pohl, 367.

 

 

Zusammenfassung: Aus der Erde steigt ein weiteres Tier auf und betreibt Propaganda für das Tier aus dem Meer, damit alle dessen Bild anbeten. Außerdem zwingt es die Menschen dazu, ihre Zugehörigkeit zum Tier aus dem Meer offen zu zeigen. Die Gemeinde soll das Geheimnis des Tieres aus dem Meer durchschauen.

 

 

 

6.4    Das Lamm und die 144.000 (14,1-5)

 

Nachdem in Kapitel 13 die Erfolge der gottfeindlichen Mächte bei der Verfügung der Ungläubigen und der Verfolgung der Gläubigen geschildert werden, richtet sich der Blick nun auf das Volk Gottes. Ein Vergleich mit den Aussagen aus Offenbarung 13 zeigt, dass 14,1-5 ein „Kontrastbild“  zeichnet (Satake, 309. Vgl. Wengst, 243). Während in 13,17f. davon die Rede ist, dass die Ungläubigen sich ein „Malzeichen an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn“ machen, nämlich „den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens“ (13,16f.), tragen die 144.000 „seinen Namen [den Namen des Lammes] und den Namen seines Vaters an ihren Stirnen“ (14,1).

 

(1) Und ich sah: Und siehe, das Lamm stand auf dem Berg Zion und mit ihm 144000, die seinen Namen und den Namen seines Vaters an ihren Stirnen geschrieben trugen. (2) Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel wie das Rauschen vieler Wasser und wie das Rollen eines lauten Donners; und die Stimme, die ich hörte, war wie von Harfensängern, die auf ihren Harfen spielen. (3) Und sie singen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier lebendigen Wesen und den Ältesten; und niemand konnte das Lied lernen als nur die 144000, die von der Erde erkauft waren. (4) Diese sind es, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich; diese sind es, die dem Lamm folgen, wohin es auch geht. Diese sind aus den Menschen als Erstlingsfrucht für Gott und das Lamm erkauft worden. (5) Und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.

 

(1) Johannes sieht das „Lamm … auf dem Berg Zion“. Das „Lamm“ ist natürlich Jesus Christus (vgl. 5,6.9ff; 7,9f.14). Der „Berg Zion“ ist zunächst einmal die topographische Bezeichnung für den Südosthügel Jerusalems. Er hat aber große theologische Bedeutung. Zion ist ein Ort der Errettung – vor allem bei den Propheten (z. B. Joel 3,5:  „Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des HERRN anruft, wird errettet werden. Denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Errettung sein, wie der HERR gesprochen hat, und unter den Übriggebliebenen, die der HERR berufen wird.“)

 

Im Mittelpunkt des Interesses aber stehen die „144.000“. Von ihnen war bereits in 7,1-7 die Rede. Gemeint waren die Gläubigen, die vor Gottes Strafgericht über die Erde unter seinen besonderen Schutz gestellt werden. In 7,3 wurde lediglich gesagt, dass sie „an ihren Stirnen“ versiegelt werden. Nun wird offenbart, was auf diesem Siegel steht: Der Name des Lammes und der Name seines Vaters (vgl. 3,12; 22,4). Das ist – wie bereits erwähnt – ein „Kontrastbild“ zu denen, die das „Malzeichen“ tragen.

 

(2-3) Nachdem Johannes das Lamm und die 144.000 auf dem Berg Zion gesehen hat, hört er eine „Stimme aus dem Himmel“ (vgl. 4,1; 7,4; 9,16; 10,4.8; 14,13; 18,4). Johannes vergleicht sie mit dem „Rauschen vieler Wasser“ und dem „Rollen eines lauten Donners“ (vgl. 19,6). Außerdem ist diese himmlische Stimme „wie von Harfensängern, die auf ihren Harfen spielen“. Zu den „Harfensängern“ heißt es dann: „Und sie singen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier lebendigen Wesen und den Ältesten?“.

 

Wer oder was ist die „Stimme aus dem Himmel“? Wenn wir bei der dritten Beschreibung ansetzen – bei den vor dem Thron Gottes und den vier Wesen und den Ältesten singenden „Harfensängern“ –, stellten wir fest: Die „vier lebendigen Wesen“ und die „Ältesten“ können es nicht sein. Schließlich wird vor ihnen gesungen. Sie können deshalb auch nicht gemeint sein, wenn von der „Stimme aus dem Himmel“ die Rede ist, die dem Wasserrauschen und dem Donnergrollen gleicht.

 

Sind es die 144.000 (Smith, 663; ABC VII, 825; Böttcher, 246; Stefanovic, 436.439)? Dagegen spricht, dass es sich um eine „Stimme aus dem Himmel“ handelt. Außerdem ist erst nach der Beschreibung der Stimme (einschließlich des Liedes) davon die Rede, dass die 144.000 „das Lied lernen“; sie singen es also nicht sofort. Deshalb ist zu vermuten, dass es sich bei der „Stimme aus dem Himmel“ um die Stimmen von Engeln bzw. Engelchöre handelt. Dass Engel „vor dem Thron und vor den vier lebendigen Wesen und den Ältesten“ singen, passt außerdem zu der Aussage von 5,11: „Und ich sah: und ich hörte eine Stimme vieler Engel rings um den Thron her und um die lebendigen Wesen und um die Ältesten; und ihre Zahl war Zehntausende mal Zehntausende und Tausende mal Tausende …“ (vgl. U. Müller, 262; Roloff, 148f.; Satake, 310; Pohl, 371).

 

Gesungen wird ein „neues Lied“, also ein Lied, dass das Eingreifen Gottes beschreibt, der alles neu macht (5,9). Interessant ist die Aussage: Die 144.000 können dieses neue Lied „lernen“. Ist dabei daran gedacht, dass die Gemeinde dieses neue Lied jetzt schon in ihren Gottesdiensten anstimmen und damit in gewisser Weise am Gottesdienst im Himmel teilnehmen darf (Roloff, 149)? Fest steht: Nur die 144.000 können dieses Lied lernen.

 

Nun wird endlich etwas darüber gesagt, wer die 144.000 sind. Es sind diejenigen, „die von der Erde erkauft waren“. Gemeint ist natürlich, dass sie durch Jesu Blut „erkauft“ worden sind (vgl. 5,9: „Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen.“). Damit unterscheiden sie sich von denen, die sonst auf Erden wohnen, den Ungläubigen (6,10; 8,13; 11,10; 13,8.14; 17,2.8).


(4-5) Abschließend folgen vier Aussagen, in denen die 144.000 charakterisiert werden.

 

Erstens: „Diese sind es, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich …“

 

Soll hier eine zölibatäre Lebensweise der 144.000 betont werden (U. Müller, 263; Roloff, 149f.; Lichtenberger, 197. Ähnlich Satake, 311)? Als Begründung wird darauf verwiesen, dass Paulus „um der gegenwärtigen Not willen“ die Ehelosigkeit empfahl (1.Kor.7,26) und sich ähnliche Aussagen im Zusammenhang mit der Nachfolge Jesu in den Evangelien finden  (Mt.10,37f.; 19,10-12).

 

Oder soll gesagt werden, dass die 144.000 sich nicht geistlicher Hurerei – also des Götzendienstes – schuldig gemacht haben? Bereits in den Sendschreiben an die Gemeinden war von „Unzucht“ in diesem Sinne die Rede (2,14.20ff.). Kapitel 17 schildert dann die „Hure Babylon“. Dann werden die 144.000 hier als diejenigen herausgestellt, die sich der Verehrung der gottfeindlichen Mächte verweigern (Wengst, 248; Holtz, 103; Smith, 663f.; ABC VII, 826; Böttcher, 247; Wittwer, 114; Stefanovic, 436f.; Pohl, 373; Paulien, Kampf, 161f.).

 

Zweitens: „… die folgen dem Lamm nach, wohin es geht.“  Diese Aussage wird allgemein auf die Leidensnachfolge bezogen (Mk.8,34ff.). Jesus hat sich nicht den Mächtigen gebeugt, sondern hat sein Kreuz auf sich genommen. Die 144.000 folgen ihm auf diesem Weg – besonders in den in Kapitel 13 geschilderten Verfolgungen der Endzeit.

 

Drittens: „…Diese sind aus den Menschen als Erstlingsfrucht für Gott und das Lamm erkauft worden.“ Diese Aussage knüpft zunächst an 14,3 an, wo betont wurde, dass die 144.000 „von der Erde erkauft“ sind. Sie unterscheiden sich von denen, die sonst auf Erden wohnen, den Ungläubigen. Insbesondere ist gemeint: Sie sind „herausgenommen aus der Menge der Menschen, die sich von der Macht des Tieres faszinieren lassen.“ (Wengst, 249).

 

Was aber heißt, dass sie „Erstlingsfrucht für Gott und das Lamm“ sind? Die Erstlingsfrucht gehört Gott gehört (2.Mos.23,19: „Das Erste von den Erstlingen deines Ackers sollst du in das Haus des HERRN, deines Gottes, bringen. …“; vgl. 5.Mos.26,1-11) Bereits im Alten Testament findet sich ein übertragener Gebrauch (Jer.2,3: „Israel war heilig dem HERRN, der Erstling seiner Ernte …“). Der liegt auch hier vor: So wie Gott diesen Teil der Ernte für sich beansprucht, so beansprucht er auch die 144.000 für sich. Die 144.000 gehören Gott und seinem Sohn Jesus Christus. „Niemand darf sich an ihnen vergreifen.“ (Wittwer, 114).

 

Nun handelt es sich bei den Erstlingen um einen Teil der Ernte. „Das wirft die Frage auf, ob es neben diesen noch andere Errette, Erkaufte aus den Menschen für Gott und das Lamm gibt.“ (Lichtenberger, 197).

 

Deshalb haben sich Bibelausleger mit der Frage beschäftigt, was mit dem Rest der Ernte ist und inwiefern sich die 144.000 von den Anderen absetzen. Sind alle Nachfolger Jesu der Endzeit gemeint (Maier II, 137)? Oder geht es um eine besondere Gruppe innerhalb der Nachfolger Jesu? (Pohl, 375.; Satake, 311f.; U. Müller, 264).

 

Letztes ist auch die traditionelle adventistische Auslegung. Am deutlichsten hat das Smith formuliert: „So gelangen die 144.000 hier auf Erden, während der aufgeregten Szenen der letzten Tage, zur Reife für den himmlischen Speicher, da sie ohne den Tod gesehen zu haben in den Himmel versetzt werden und dort eine ganz vorzügliche Stellung einnehmen.“ (Smith, 664). In abgeschwächter Form findet sich diese Interpretation auch bei anderen adventistischen Bibelauslegern (ABC VII, 826f.; Böttcher, 248).

Diese Auslegung ist aber unter adventistischen Bibelauslegern nicht unumstritten: „Der Gedanke ist dabei nicht in erster Linie, dass die 144 000 die Erstlingsfrucht vieler anderer Getreuen Gottes sind, die noch folgen, sondern dass sie Gottes spezieller Anteil sind, abgesondert von der übrigen Menschheit …“ (Paulien, Kampf, 162; Stefanovic, 437).

 

Weil sie das Kontrastbild zu denen bilden, die das Malzeichen des Tieres tragen, handelt es sich bei den 144.000 sicher um alle, die in den Herausforderungen der Endzeit leben und zu Gott gehören.

 

Viertens: „… Und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.“ Diese Aussage knüpft vielleicht an das Bild des Erstlingsopfers an, da diese – wie die anderen Opfer –  „ohne Fehler“ zu sein hatten. Allerdings muss es hier wörtlich heißen: „… und in ihrem Mund wurde keine Lüge gefunden …“ Die Aussage erinnert an Zefanja 3,13: „Der Rest Israels wird kein Unrecht tun und keine Lüge reden, und in ihrem Mund wird keine trügerische Zunge gefunden werden, sondern sie werden weiden und lagern, und niemand wird sie aufschrecken.“

 

Was ist gemeint? Ist das einfach eine übertragene Redeweise mit kultischen Begriffen (Satake, 312; Holtz, 104; U. Müller, 264; Lichtenberger, 198)? Oder geht es um den moralischen Zustand der 144.000 (Roloff, 150; Maier II, 139; ABC VII, 827)?

 

Einige adventistische Bibelausleger haben hinzugefügt, dass Christen durch Jesu Opfertod am Kreuz ohne Falsch bzw. untadelig sind (Böttcher, 249; Wittwer, 114; Paulien, Kampf, 163f.).

 

Eine ganz andere Deutung bezieht diese Aussagen konkret auf die Herausforderungen, in denen sich die 144.000 befinden. Wenn die 144.000 ohne Lüge sind, stehen sie damit im Gegensatz zum Tier aus der Erde, dem „falschen Propheten“ bzw. „Lügenpropheten“ (16,13; 19,20; 20,10; vgl. Stefanovic, 437.439; Paulien, Kampf, 163; Pohl, 376). Untadelig sind die 144.000 auch dadurch, dass sie sich nicht mit Babylon einlassen (Stefanovic, 437.440). Möglicherweise soll auch gesagt werden, dass die 144.000 ihren Glauben in der Verfolgung nicht verleugnen. Tadellosigkeit erweist sich dann „in der Verweigerung gegenüber dem Mitmachen, in der Verweigerung der Anbetung des Tieres in jedweder Form und im treuen Festhalten am Bekenntnis zu Jesus. Johannes will keinen Opportunismus; ihn qualifiziert er als Lüge. Tadellosigkeit erweist sich im widerständigen Ausharren, im durchgehaltenen Widerstand.“ (Wengst, 250).

 

Umstritten ist die zeitliche Einordnung dieses Abschnitts:

 

Befinden sich die 144.000 noch in der Bedrängnis und wird angesichts dieser Herausforderung betont, dass sie nicht auf sich gestellt sind, sondern sich um das Lamm scharen?

„Der Seher sieht die wahre Wirklichkeit – während noch Drache, Tier, Pseudoprophet (das zweite Tier) toben, sind die 144.000 bereits beim Lamm auf dem Zion versammelt. ‚Wirklichkeit‘ und Gegenwirklichkeit, d.h. die ‚Gegenwirklichkeit‘ ist die wahre Wirklichkeit: Es handelt sich also nicht einfach um eine Vorwegnahme der Vollendung, sondern der Blick ‚in den Himmel‘ … offenbart die wahre Wirklichkeit.“ (Lichtenberger, 195; vgl. Roloff, 148; Paulien, Kampf, 160).

 

Oder haben sie die Bedrängnis hinter sich gelassen und sind nun „im Himmel“? (U. Müller, 261; ABC VII, 825; Böttcher, 245; Stefanovic, 439; Satake, 309).

 

Der Hinweis auf ihre Versiegelung, die ja der Bewahrung in der Endzeit dient, und die Tatsache, dass die 144.000 das neue Lied „lernen“, sprechen für die erste Deutung.

 

Zusammenfassung: Den gottfeindlichen Mächten und der von ihnen verführten Menschheit stehen die 144.000 gegenüber. Mittelpunkt ihrer Gemeinschaft ist Jesus Christus. Sie stehen unter Gottes besonderem Schutz, lernen bereits das „neue Lied“ der Befreiung und schwimmen gegen den Strom.

 

 

 

6.5    Die Botschaft der drei Engel (14,6-13)

 

Nach der Schilderung gottfeindlicher Mächte und ihres Kampfes gegen die Gemeinde (Kap.12-13) war der Blick des Sehers von Patmos darauf gerichtet worden, dass die Gläubigen zu Gott gehören (14,1-5). Nun geht es um das Schicksal der Welt und das Schicksal der Gläubigen in dieser Welt. Mit der Formel „Und ich sah“ (vgl. z.B. 13,1.11; 14,1.6.14) beginnt dann ein neuer Abschnitt, in dem der Vollzug des Gerichts geschildert wird (14,14-20).


(6) Und ich sah einen anderen Engel hoch oben am Himmel fliegen, der das ewige Evangelium hatte, um es denen zu verkündigen, die auf der Erde ansässig sind, und jeder Nation und jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk, (7) und er sprach mit lauter Stimme: Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre! Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen. Und betet den an, der den Himmel und die Erde und Meer und Wasserquellen gemacht hat!

 

(6) Erneut sieht Johannes einen „anderen Engel“ (vgl. 7,2; 8,3; 10,1; 14,15.17.18; 18,1). Er fliegt „hoch oben am Himmel“. Das entspricht der Schilderung in 8,13: „Und ich sah, und ich hörte, wie ein Adler mitten durch den Himmel flog und sagte mit großer Stimme: Weh, weh, weh denen, die auf Erden wohnen wegen der anderen Posaunen der drei Engel, die noch blasen sollen!“ Sowohl beim Adler als auch beim „anderen Engel“ geht es darum, dass sie von allen gehört und gesehen werden. Es handelt sich also um ein Geschehen, das die ganze Welt betrifft (Wengst, 185f.).

 

Dabei geht es um „das ewige Evangelium“. Dieser Begriff hat innerhalb des NT eine zentrale Bedeutung und steht bei Paulus für die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu Christi (1.Kor.15,1ff.). In der Offenbarung des Johannes findet sich dieser Begriff nur an dieser Stelle. Daher ist fraglich, ob an dieser Stelle das speziell-christliche Verständnis dieses Begriffs vorausgesetzt werden darf. Naheliegender ist, die Botschaft aus 14,7 als das Evangelium dieses „anderen Engels“ zu verstehen.

 

Die Botschaft des ersten Engels richtet sich an alle, „die auf der Erde ansässig sind“. Nun ist in der Offenbarung des Johannes an verschiedenen Stellen von denen die Rede, „die auf der Erde wohnen“ (6,10; 8,13; 11,10; 13,8.14; 17,2.8). Dieser Begriff meint jeweils die Ungläubigen. So ist zu vermuten, dass hier – trotz der leicht veränderten Wortwahl – ebenfalls die Ungläubigen gemeint sind (Stefanovic, 441f.; anders: Satake, 313).

 

Der Nachtrag „und jeder Nation und jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk“ (vgl. 10,11) unterstreicht die globale Bedeutung der Botschaft.

 

Der „andere Engel“ spricht mit „lauter Stimme“ – wörtlich übersetzt: „Mit großer Stimme“ (vgl. 1,10: 5,12; 7,2.10; 10,3; 14,15.18; 18,2; 19,7). Das ist ein Hinweis auf seine Autorität.

 

(7) Seine Botschaft beginnt mit der Aufforderung: „Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre …“. Der Aufruf zur Gottesfurcht findet sich an vielen Stellen des alten und neuen Testaments (5.Mos.13,4; 1.Sam.12,14; Pred.12,13; Ps.31,19; Jes.8,12f.; 2.Kor.5,11; 1.Pt.2,17). In der Offenbarung ist vor allem die Parallele in 15,4 von Bedeutung: „Wer sollte nicht fürchten, Herr, und verherrlichen deinen Namen? Denn du allein bist heilig; denn alle Nationen werden kommen und vor dir anbeten, weil deine gerechten Taten offenbar geworden sind“. Hier wie dort geht es um die Anbetung Gottes, die im Gegensatz zur Anbetung von falschen Göttern und gottfeindlicher Mächte steht (9,20; 13,4.15).

 

Begründet wird der Aufruf zur Anbetung mit dem Hinweis auf das Gericht: „Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen!“  Die „Stunde“ ist „die für etwas bestimmte Zeit“ (ThWNT IX, 678; z.B. Joh.13,1: „Vor dem Passahfest aber, als Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war …“). Dass die Stunde „gekommen“ ist bedeutet: sie ist da (ingressiver Aorist als Anfangspunkt einer Handlung, vgl. 14,15.). Der Engel weist also darauf hin, dass jetzt die für das Gericht bestimmte Zeit gekommen ist, dessen Vollzug dann  im folgenden Abschnitt (14,14ff.) beschrieben wird.

 

Inwiefern ist die Botschaft vom Gericht „Evangelium“? „Es mag seltsam erscheinen, dass die Freudenbotschaft eine Gerichtsansage ist. Für Johannes ist das überhaupt nicht seltsam; und so ist auch klar, dass es für die einen Freudenbotschaft, für die anderen jedoch Schreckensnachricht ist. In diesem Gericht tritt der wirkliche Herr der Welt auf den Plan. Da ist es dann aus mit aller angemaßten Herrschaft. Und diejenigen, die unter dem ständigen Weitergehen usurpierter Herrschaft leiden, können endlich aufatmen, weil damit Schluss ist.“ (Wengst, 186).

 

Im Anschluss an den Hinweis auf das Gericht, der den Aufruf „fürchtet Gott und gebt ihm Ehre“ begründet, folgt ein weiterer Aufruf:  „Und betet den an, der den Himmel und die Erde und Meer und Wasserquellen gemacht hat!“ Er greift Formulierungen aus Ps.146 auf, wo Gott als der bezeichnet wird, „der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was in ihnen ist“ (Ps.146,6) und der davon spricht, dass Gott Recht schafft (z.B. Ps.146,7: „Er schafft Recht den Bedrückten …“; Paulien verneint überraschenderweise, dass Johannes hier auf Psalm 146 anspielt, Kampf, 185ff.).

 

Inhaltlich zielt der Aufruf „und betet den an, der den Himmel und die Erde und Meer und Wasserquellen gemacht hat!“ in die gleiche Richtung wie der Aufruf „fürchtet Gott und gebt ihm Ehre“. Neu ist aber der Hinweis auf den Schöpfergott (vgl. 4,11; 10,6). Dass Gott Schöpfer ist, hat ihn schon immer von falschen Göttern unterschieden (z.B. Jes.40,26ff.) und unterschied ihn z. Zt. des Johannes von den römischen Kaisern, die diesen Anspruch nicht erheben konnten.

 

Abschließend ist zu fragen, ob es sich bei der Botschaft der ersten Engels „nur“ um die Ankündigung des Gerichts handelt (U. Müller, 267) oder auch um einen (letzten) Aufruf zur Bekehrung (Roloff, 152; Satake, 314; Holtz, 105; Wengst, 186; Lichtenberger, 200). Die Aufrufe „Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre … Und betet den an den, der den Himmel und die Erde und Meer und die Wasserquellen gemacht hat!“ legen Letzteres nahe. Dagegen spricht, dass die „Stunde des Gerichts“ bereits „gekommen“ ist und sich hier keine direkte Aufforderung zur Buße findet. Auch bei den Botschaften des zweiten und dritten Engels geht es allein darum, den Ungläubigen ihr Schicksal vor Augen zu führen. Die Forderungen zur Anbetung Gottes wären dann ein Aufruf an die dem Tode geweihten Menschen, dem Gericht Gottes zuzustimmen und die Rechtmäßigkeit der eigenen Bestrafung anzuerkennen (vgl. Jos.7,19; Phil.2,10f.).

 

Zur traditionell-adventistischen Auslegung dieser Verse: Ursprünglich wurde die Botschaft des ersten Engels auf die Verkündigung der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft durch William Miller Mitte des 19. Jahrhunderts bezogen. Diese Auslegung findet sich daher bei Uriah Smith (Smith, 672), aber auch an anderer Stelle (ABC VII, 828). Sie setzt natürlich voraus, dass es sich bei den drei Engeln in Wirklichkeit um Menschen mit einem besonderen Verkündigungsauftrag handelt (Smith, 775; ABC VII, 827; Böttcher, 252; Makowski, 126; Stefanovic, 442). Weitgehende Einigkeit besteht unter adventistischen Auslegern auch darin, dass mit dem hier erwähnten Gericht ein „Untersuchungsgericht im Himmel“ gemeint ist, das der Wiederkunft Jesu vorausgeht (Smith, 678; Makowski, 125f.; Böttcher, 256; ABC VII, 828; Stefanovic, 441; Paulien, Kampf, 181). Sie versuchten auch zu bestimmen, worin sich der Aufruf „Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre“ konkret zeigt, z.B. im Halten der Gebote (Stefanovic, 441) oder in der Abwendung von der Werkgerechtigkeit (Böttcher, 253). Der Aufruf „Und betet den an, der den Himmel und die Erde und Meer und Wasserquellen gemacht hat!“ wird im Hinblick auf den Sabbat (ABC VII, 828; Böttcher, 255f.; Wittwer, 116; Stefanovic, 445; Paulien, Offenbarung verstehen, 193; Paulien, Kampf, 186ff) und die Ablehnung der Evolutionstheorie konkretisiert (ABC VII, 828; Stefanovic, 445; Paulien, Kampf, 189f.).

 

(8) Und ein anderer, zweiter Engel folgte und sprach: Gefallen, gefallen ist das große Babylon, das mit dem Wein seiner leidenschaftlichen Unzucht alle Nationen getränkt hat.

 

(8) Der zweite Engel bringt eine Botschaft über „Babylon“. Innerhalb der Offenbarung des Johannes taucht dieser Begriff an dieser Stelle erstmals auf. Babylon wird als „das große Babylon“ bezeichnet. Andere Ausdrücke sind: „die große Stadt“ (17,18), „Babylon, die große Stadt“ (18,21). Babylon ist also eine Stadt. Nach 17,9 sitzt die „Hure Babylon“ auf sieben Bergen, womit die sieben Hügel Roms gemeint sind. Auch der Hinweis auf den außergewöhnlichen Reichtum Babylons (18,9ff.) weist auf das wirtschaftliche und politische Zentrum der damaligen Welt. Schließlich zeigt 1.Petr.5,13, dass „Babylon“ unter Christen ein anderes Wort für Rom war.

 

Nun wird Babylon als „gefallen“ bezeichnet. Hier geht es um Zerstörung und Vernichtung. Das legt auch die alttestamentliche Parallele aus Jes.21,9 nahe: „Und siehe da, es kam ein Wagenzug von Männern, ein Pferdegespann …. Und er fing an und sprach: Gefallen, gefallen ist Babel, und alle Götzenbilder seiner Götter sind zu Boden geschmettert!“ Dementsprechend ist in 16,19 davon die Rede, dass die große Stadt in drei Teil zerbricht. Es wird sogar gesagt, dass Babylon bereits gefallen „ist“. Die Nutzung der Vergangenheitsform gehört zum prophetischen Redestil (Satake, 357). Dieses Ereignis wird als etwas beschrieben, das bereits geschehen ist. Es wird quasi visionär vorweggenommen (Wengst, 190). Auf diese Weise soll den Lesern versichert werden, dass der Fall Babylons ganz sicher ist (Stefanovic, 526).

 

Der Untergang Babylons wird damit begründet, dass es „alle Nationen“ mit dem „Wein seiner leidenschaftlichen Unzucht … getränkt hat“ (vgl. 17,2; 18,3). „Unzucht“ ist schon in alttestamentlicher Zeit terminus technicus für Götzendienst (z.B. Hes.23,30) und wird in 17,4 mit den Begriffen „Gräuel und Unreinheit“ konkretisiert (vgl. Hes.16, 22; 23,7; Off.2,20).

 

Wörtlich ist vom „Wein des Zornes ihrer Unzucht“ die Rede. Das Motiv vom Zorneswein (vgl. 16,19) wurzelt im AT und wird in Jer.25,15-17 auf Babylon bezogen: „(15) Ja, so hat der HERR, der Gott Israels, zu mir gesprochen: Nimm diesen Becher Zornwein aus meiner Hand und gib ihn all den Nationen zu trinken, zu denen ich dich sende, (16) damit sie trinken und taumeln und sich wie toll aufführen wegen des Schwertes, das ich unter sie sende! – (17) Da nahm ich den Becher aus der Hand des HERRN und ließ all die Nationen trinken, zu denen der HERR mich gesandt hatte.“ Bei Jeremia geht es um einen Akt der Strafe. Alle „Nationen“ sollen den Zornwein trinken, damit sie ins Taumeln geraten und leichter ausgeschaltet werden können. So ist auch 14,8 zu verstehen: Babylon hat „alle Nationen“ durch Götzendienst betrunken gemacht (vgl. 17,2: „… mit der die Könige der Erde Unzucht getrieben haben; und die Bewohner der Erde sind trunken geworden von dem Wein ihrer Unzucht.“), was schwerwiegende Folgen für sie hat.

 

Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Jer.25,15-17 und Off.14,8: Während in Jer.25 Gott selbst hinter der Verabreichung des Zornesweins steht und den Propheten mit der Umsetzung beauftragt, handelt es sich bei der Botschaft des zweiten Engels um eine Aktivität Babylons (anders Roloff, 152f., der meint, dass Babylon hier lediglich als Werkzeug Gottes dient).

 

Was also ist die Botschaft des zweiten Engels? Babylon fördert die „Unzucht“, d.h. den Götzendienst und hat dadurch alle Völker betrunken gemacht. Aber Babylon ist bereits zerstört. Letzteres ist die gute Nachricht dieser Botschaft (Holtz, 105).

 

Zur traditionell-adventistischen Auslegung dieser Verse: Ursprünglich wurde die Botschaft des zweiten Engels auf die Ablehnung der Botschaft William Millers durch die protestantischen Kirchen Nordamerikas im Jahre 1844 bezogen (Smith, 693ff.; ABC, VII, 830). Später wurde hinzugefügt, dass die Botschaft des zweiten Engels am Ende der Zeiten immer mehr Bedeutung erlangen wird (ABC VII, 830). Der Begriff „Babylon“ wird dabei nicht im buchstäblichen Sinne auf „die große Stadt“ bezogen, sondern symbolisch gedeutet – auf eine mit der Welt verbundene (Smith, 685) oder vom Evangelium abgefallene Kirche (Böttcher, 259) bzw. auf  alle abgefallenen religiösen Organisationen und ihre Führer (ABC VII, 830) oder ein endzeitliches weltweites religiöses Bündnis, das im Gegensatz zum Evangelium steht (Stefanovic, 447f.). Dementsprechend wird auch der Fall Babylons symbolisch interpretiert – entweder als ein moralischer Abfall (Smith, 689f.), lehrmäßiger Abfall (ABC VII, 830) bzw. „Verwirrung, Werkgerechtigkeit und menschliche Selbstverherrlichung“ (Böttcher, 259). Allerdings gibt es auch die Auslegung, dass es beim Fall Babylons um dessen Zerfall geht und es sich deshalb um eine „gute Nachricht“ handelt (Wittwer, 117). Beim „Zorneswein der Unzucht Babylons“ denken adventistische Bibelausleger an falsche Lehren (Postmillenarismus, Taufe durch Besprechung, Sonntag, unsterbliche Seele, vergeistlichte Wiederkunftserwartung …) als Ursache für moralischen Verfall (Smith, 90), die Vermischung des christlichen Glaubens mit heidnischen Bräuchen (Wittwer, 117) oder die Verbindung von Kirche und Welt bzw. Kirche und Staat (ABC VII, 831). Paulien versteht Babylon als eine zukünftige „christlich-religiöse Institution“, die aus einem Bündnis zwischen dem Papsttum und den freikirchlich-religiös geprägten Vereinigten Staaten von Amerika hervorgehen wird, jetzt aber „noch nicht einmal gebildet worden ist“ (Paulien, Kampf, 202. Das Babylon eine zukünftige Macht ist, begründet er überraschenderweise mit den „Beschreibungen Babylons in den Klagelieder in Kap. 18,9-24, die auf bedeutende weltweise ökonomische Aktivitäten Babylons … hinweisen“, ebd.).

Zur symbolischen Deutung Babylons und seines Falls muss bemerkt werden, dass es sich bei Jerusalem, der „Braut“ (21,2), um das positive Gegenbild zu Babylon, der „Hure“, handelt. Wer Babylon symbolisch deutet, muss dann auch das neue Jerusalem symbolisch deuten.

 

 

(9) Und ein anderer, dritter Engel folgte ihnen und sprach mit lauter Stimme: Wenn jemand das Tier und sein Bild anbetet und ein Malzeichen annimmt an seine Stirn oder an seine Hand, (10) so wird auch er trinken vom Wein des Grimmes Gottes, der unvermischt im Kelch seines Zornes bereitet ist; und er wird mit Feuer und Schwefel gequält werden vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm. (11) Und der Rauch ihrer Qual steigt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit; und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht, die das Tier und sein Bild anbeten, und wenn jemand das Malzeichen seines Namens annimmt.

 

(9) Der dritte Engel offenbart, was mit denen geschehen wird, die „das Tier“ (13,1-10.12; Auslegung s.o.) und „sein Bild“ (13,14f.; Auslegung s.o.) anbeten und das „Malzeichen“ an ihre Stirn oder Hand annehmen (13,16ff.; Auslegung s.o.). Dabei geht es um vier Aussagen.

 

(10) Erstens: Er „wird … trinken vom Wein des Grimmes Gottes, der unvermischt im Kelch seines Zornes bereitet ist …“ Erneut wird das alttestamentliche Motiv des Zornesweines Gottes aufgegriffen (14,8; Jer.25,15ff.; Jes.51,17; Ps.75,9). Im Unterschied zu 14,8 geht es hier nicht um den Zorneswein Babylons, sondern – in direkter Entsprechung zu den alttestamentlichen Texten – um den Zorneswein Gottes. Der Zusammenhang kann vielleicht folgendermaßen formuliert werden: „Wer vom Becher Babylons trinkt, bekommt auch den Becher Gottes zu trinken.“ (Wengst, 193). „Der dritte Engel stellt den Gerichtswein Gottes dem Wein der Hurerei Babylons entgegen.“ (Wittwer, 119).

 

Inhaltlich geht es um Gottes Strafgericht. Es wird ein kompromissloses Gericht sein. Das ist jedenfalls die Intention der Aussage, dass der „Wein des Grimmes Gottes … unvermischt im Kelch seines Zorns bereitet ist“. Das Bild knüpft an die alltägliche Praxis an, Wein mit Wasser zu verdünnen. Das Gericht wird die Gottlosen jedoch in voller Härte treffen. Das zeigen auch die folgenden Ausführungen und dann die „Schalen des Grimmes Gottes“ (16,1ff.).

 

Zweitens: „… und er wird mit Feuer und Schwefel gequält werden vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm.“ In Kapitel 20 wird ausgeführt, dass der Teufel in den „Feuer- und Schwefelsee“ geworfen und dort – zusammen mit dem Tier und dem falschen Propheten – „Tag und Nacht gepeinigt“ wird „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (20,10). Nach dem Weltgericht werden auch diejenigen, deren Namen nicht im „Buch des Lebens“ stehen, dorthin geworfen (20,15). Das Motiv von „Feuer und Schwefel“ ist seit Sodom und Gomorra mit dem göttlichen Gericht verbunden (1.Mos.19,24; vgl. 2.Pt.2,6).

 

Hinzugefügt wird, dass die Gottlosen „vor den heiligen Engeln und vor dem Lamm“ gequält werden. Das knüpft an Aussagen des NT an, in denen von der Beteiligung der Engel am Gericht Gottes die Rede ist (Mt.13,49f.; 16,27; Lk.12,8f.).

 

(11) Drittens: „Und der Rauch von ihrer Qual steigt auf von Ewigkeit zu Ewigkeit …“ Wo Feuer und Schwefel im Spiel sind, steigt natürlich Rauch auf. Auch hier gibt es alttestamentliche Vorbilder (z.B. Jes.34,10 über Edom, an dem Gott Vergeltung geübt hat: „Tag und Nacht erlischt es nicht, ewig steigt sein Rauch empor …“).

 

Von besonderem Interesse ist die Aussage, dass dies „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ - wörtlich: „in Ewigkeiten/Zeitaltern von Ewigkeiten/Zeitaltern“ – geschieht. Wo diese Formel auftaucht, geht es immer um etwas, was ohne Ende ist (4,9-10; 5,13; 22,5). Der Gedanke der ewigen Höllenqualen findet sich – ohne die Formel „von Ewigkeit zu Ewigkeit“, aber inhaltlich eindeutig – bereits beim Propheten Jesaja (Jes.66,24: „Und sie werden hinausgehen und sich die Leichen der Menschen ansehen, die mit mir gebrochen haben. Denn ihr Wurm wird nicht sterben und ihr Feuer nicht verlöschen, und sie werden ein Abscheu sein für alles Fleisch.“). Ein Jesuswort (Markus 9,47-48) sagt dasselbe aus: „(47) Und wenn dein Auge dir Anlaß zur Sünde gibt, so wirf es weg! Es ist besser für dich, einäugig in das Reich Gottes hineinzugehen, als mit zwei Augen in die Hölle geworfen zu werden, (48) »wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt«.“

 

Adventistische Bibelausleger wollen die Formel „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ an dieser Stelle nicht im wörtlichen Sinne verstanden wissen (Smith, 719). Es handele sich um Bilder, die die ewige Gültigkeit des Gerichts betonen, nicht aber dessen ewige Dauer (Wittwer, 119). Als Beleg dafür wird auf Jud.7 verwiesen, wo davon die Rede ist, dass Sodom und Gomorra „die Pein des ewigen Feuers“ leiden – und es doch offensichtlich ist, dass dieses Feuer nicht mehr brennt (Stefanovic, 450; Paulien, Kampf, 213). Außerdem ist darauf hingewiesen worden, dass niemand es in einer Hölle von Feuer und Schwefel lange aushalten könne (ABC VII, 832). Es wird allerdings nicht erklärt, wie dann die Aussagen aus Off.4,9-10; 5,13; 22,5 zu verstehen sind, wo die gleiche Formel die ewige Existenz und Ehre Gottes bzw. die nie endende Herrschaft im Reich Gottes bezeichnet.

 

„Vielleicht fällt der Zugang zu einer solchen Aussage etwas leichter, wenn man sie als Gegenbildung zum Anspruch auf ewige Dauer des Imperum Romanum versteht. Es handelt sich dann wiederum nicht um eine Aussage fürs dogmatische Lehrbuch, gemacht in der ruhigen und abgehobenen Atmosphäre der Studierstube, sondern um eine Kampfansage mitten in einer erbitterten Auseinandersetzung.“ (Wengst, 194).

 

Viertens: „…  und sie haben keine Ruhe Tag und Nacht …“. Diese Aussage setzt den Gedanken der ewigen Höllenqualen fort. Sie entspricht Worten des Propheten Jesaja (Jes.34,9-10: „(9) Und Edoms Bäche verwandeln sich in Pech und sein Boden in Schwefel; und sein Land wird zu brennendem Pech. (10) Tag und Nacht erlischt es nicht, ewig steigt sein Rauch empor. Von Generation zu Generation liegt es in Trümmern, für immer und ewig zieht niemand hindurch.“). Darüber hinaus sind zwei weitere Textbezüge von Interesse. In 4,8 wird von den vier Gestalten vor dem Thron Gottes gesagt: „… und sie hören Tag und Nacht nicht auf zu sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott, Allmächtiger, der war und der ist und der kommt!“ Daher kann formuliert werden: So wie die vier Gestalten ununterbrochen Gott loben, genauso ununterbrochen werden die Gottlosen gequält werden. In 14,13 wird von denen, „die von jetzt an im Herrn sterben“ gesagt: „… sie ruhen von ihren Mühen“. Auf dieser Grundlage kann gesagt werden: Jetzt haben diejenigen, die treu zum Glauben an Christus stehen und deshalb verfolgt werden, keine Ruhe. Aber die Verhältnisse werden sich einmal umkehren: Dann werden diejenigen, die sich in ihrem Glauben bewährt haben, ausruhen, während ihre Gegner Tag und Nacht keine Ruhe mehr finden.

 

Die ersten Adventisten haben die dritte Engelsbotschaft auf die Zeit ab 1850 bezogen, da damals die adventistische Verkündigung des Sabbats als Siegel Gottes und des Sonntags als Malzeichen des Tieres begann (Smith, 711).

 

 

In den abschließenden Versen geht es um das Schicksal der Gläubigen.

 

(12) Hier ist das Ausharren der Heiligen, welche die Gebote Gottes und den Glauben Jesu bewahren. (13) Und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel sagen: Schreibe: Glückselig die Toten, die von jetzt an im Herrn sterben! Ja, spricht der Geist, damit sie ruhen von ihren Mühen, denn ihre Werke folgen ihnen nach.

 

(12) Mit den „Heiligen“ sind entweder einfach gläubige Christen gemeint, oder aber speziell Märtyrer unter ihnen (13,7.10; 16,6; 17,6; 18,24). Der Satz „Hier ist das Ausharren der Heiligen“ muss – wie der Schlusssatz von 13,10 – sinngemäß mit dem Wort „nötig“ ergänzt werden. In der Offenbarung des Johannes ist vom „Ausharren“ vor allem im Zusammenhang mit Bedrängnissen die Rede (1,9; 2,2f.19; 3,10; 13,10).

 

Kennzeichen der Heiligen, die in den Nöten der Endzeit geduldig ausharren, ist das Bewahren der Gebote und des Glaubens.

 

Die Aussage über das Halten der Gebote greift 12,17 auf.

Adventistische Bibelausleger beziehen diese Aussage i.d.R. auf das Sabbatgebot (Smith, 720; Wittwer, 119; ABC VII, 833). Andere verzichten auf diese Zuspitzung (Stefanovic, 454) oder beziehen sie auf das Liebesgebot (Böttcher, 265).

 

Beim Glauben ist nicht der Glaube Jesu, sondern – wie 2,13 zeigt („… und du hältst meinen Namen fest und hast den Glauben an mich nicht verleugnet …“) – der Glaube an Jesus gemeint (so auch Stefanovic, 454; anders Paulien, Kampf, 216f.).

 

(13) Schließlich ertönt eine „Stimme aus dem Himmel (vgl. 10,4.8; 11,12; 14,2; 18,4).  Sie erteilt einen Schreibbefehl (vgl. 1,11.19; 2,1-3,14; 19,9; 21,5) – was ein weiteres Zeichen dafür ist, dass jetzt eine besondere Botschaft folgt. Sie lautet: „Glückselig die Toten, die von jetzt an im Herrn sterben ….“

 

Es handelt sich um eine der sieben Seligpreisungen innerhalb der Offenbarung des Johannes (vgl. 1,3; 16,15; 19,9; 20,6; 22,7.14). Wem gilt sie? Geht es um alle wahren Christen, die sterben (Maier II, 158)? Oder sind speziell die Märtyrer gemeint (Roloff, 153f.; U. Müller, 268; Lichtenberger, 204; Wengst, 268; Pohl, 383; ABC VII, 833; Wittwer, 120; Stefanovic, 455)? Der Zusammenhang mit Vers 12, in dem es um das Ausharren angesichts von Verfolgungen geht, spricht für Letzteres. Dann folgt nach dem Aufruf zum Durchhalten die Verheißung, dass sie trotz eines eventuellen Martyriums glücklich zu preisen sind. Das gilt „von jetzt an“, d.h. „ab sofort“, ab dem Zeitpunkt, an dem diese Seligpreisung vom Himmel herab ertönt – und damit erst recht in den bevorstehenden Verfolgungen.

 

Anders Satake, 320: „… unsere Aussage steht in der Mitte zwischen V. 6ff einerseits, wo zum erstenmal in diesem Buch der Fall Babylons thematisiert ist, und der Vision des letzten Gerichts V. 14ff. andererseits; das ‚nun‘ ist dann der Zeitpunkt, an dem die Leser zum ersten Mal eine sichere Aussicht auf das Ende der Geschichte bekommen … Von nun an können die christlichen Toten der Verwirklichung ihres eigenen Heils gewiss sein.“

 

Die Seligpreisung wird durch den „Geist“ bestätigt. In der Offenbarung des Johannes ist der Geist in erster Linie der Geist, der in und durch die Propheten wirkt (19,10; 22,6) und auf diese Weise zur Gemeinde spricht (2,7.11.17.29; 3,6.13.22; 22,17). Im Hinblick auf die Märtyrer lautet seine Botschaft: „Sie sollen ruhen von ihren Mühen …“ Aufgrund des Zusammenhangs ist an ihren vollen Einsatz in Bedrängnis und Verfolgung zu denken. Als Belohnung dafür dürfen sie jetzt ruhen – im Unterschied zu denen, die in den Höllenqualen „keine Ruhe“ haben (14,11).

 

Die Seligpreisung schließt mit einer Begründung: „denn ihre Werke folgen ihnen nach“. Auch hier ist an ihr Durchhaltevermögen zu denken, dass sich in der Bewahrung der Gebote Gottes und des Glaubens an Jesus zeigt (14,12). Was sie getan haben, wird nicht vergessen – erst recht nicht von Gott. Deshalb können sie getrost ruhen – bis sie auferstehen zu ihrem „Los am Ende der Tage“ (Dan.12,13).

 

Zusammenfassung: Weil das Gericht beginnt, rufen drei Engel zur Anerkennung der Größe Gottes auf, geben den Untergang Babylons bekannt und kündigen denen, die sich auf die gottfeindlichen Mächte eingelassen haben, ihre Bestrafung an. Angesichts ihrer Verfolgung werden die Christen zum Durchhalten aufgerufen, d.h. dazu, zu Gottes Geboten zu stehen und an Jesus zu glauben. Eine Stimme vom Himmel verkündigt eine Seligpreisung all derer, die dabei ihr Leben lassen.

 

 

 

6.6    Das Gericht (14,14-20)

 

Der Abschnitt 14,14-20 ist mit dem vorangegangenen eng verbunden. In beiden Abschnitten treten drei Engel auf den Plan. Ihr Auftritt ist jeweils mit dem Gericht Gottes verbunden. In 14,6-13 ging es dabei aber eher um die Ankündigung des Gerichts, während nun der Vollzug des Gerichts geschildert wird.

 

Das geschieht mit Hilfe von zwei Bildern – dem der Getreideernte (14,14-16) und dem der Weinernte (14,17-20). Beide Gerichtsschilderungen folgen einem ähnlichen Aufbau. Eine Person – „einer gleich einem Menschensohn“ bzw. ein „anderer Engel“ tritt auf und hat eine „scharfe Sichel“. Sie wird dann von einem „anderen Engel“ dazu aufgerufen, diese einzusetzen – was dann auch geschieht.

 

(14) Und ich sah: Und siehe, eine weiße Wolke, und auf der Wolke saß einer gleich einem Menschensohn, der auf seinem Haupt einen goldenen Siegeskranz und in seiner Hand eine scharfe Sichel hatte. (15) Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel hervor und rief dem, der auf der Wolke saß, mit lauter Stimme zu: Schicke deine Sichel und ernte! Denn die Stunde des Erntens ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist überreif geworden. (16) Und der auf der Wolke saß, warf seine Sichel auf die Erde, und die Erde wurde abgeerntet.

(17) Und ein anderer Engel kam aus dem Tempel im Himmel hervor, und auch er hatte eine scharfe Sichel. (18) Und ein anderer Engel, der Macht über das Feuer hatte, kam aus dem Altar hervor, und er rief dem, der die scharfe Sichel hatte, mit lauter Stimme zu und sprach: Schicke deine scharfe Sichel und lies die Trauben des Weinstocks der Erde! Denn seine Beeren sind reif geworden. (19) Und der Engel warf seine Sichel auf die Erde und las den Weinstock der Erde ab und warf die Trauben in die große Kelter des Grimmes Gottes. (20) Und die Kelter wurde außerhalb der Stadt getreten, und Blut ging aus der Kelter hervor bis an die Zügel der Pferde, 1600 Stadien weit.

 

(14) Johannes sieht eine „weiße Wolke“. Die Farbe indiziert „himmlische Qualität“ (Wengst, 196; vgl. 1,14; 3,4f.; 4,4; 6,11; 7,9.13f.; 19,11.14; 20,11). Wolken sind oft ein Zeichen der Gegenwart Gottes (z.B. 2.Mos.16,10; Mk.9,7). Außerdem heißt es von der Wiederkunft Jesu: „Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in den Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit.“ (Mk.13,26). Und: „Siehe, er kommt mit den Wolken …“ (1,7).

 

Auf der Wolke sitzt jemand, „gleich einem Menschensohn“. Diese Formulierung greift Dan.7,13 auf: „Ich schaute in Gesichten der Nacht: und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie der Sohn eines Menschen. Und er kam zu dem Alten an Tagen, und man brachte ihn vor ihn.“ Zudem wird Johannes von einer Gestalt „gleich einem Menschensohn“ berufen (Off.1,13). Dabei handelt es sich um Jesus Christus. Außerdem ist der Begriff „Menschensohn“ im NT einer der Hoheitstitel Jesu (z.B. Mt.8,20).

 

Dennoch wird auch die Auffassung vertreten, dass es sich in 14,14 nicht um Jesus Christus, sondern um einen Engel handelt, der einem Menschensohn lediglich gleicht (Maier II, 170). Zur Begründung wird u.a. darauf verwiesen, dass es sich bei den anderen Figuren, die in diesem Abschnitt das Gerichtsgeschehen auslösen, um Engel handelt und es sich nicht mit der Position Jesu Christi vertrage, von einem Engel Befehle zu erhalten (14,15).

 

Der Menschensohn trägt „einen goldenen Siegeskranz“ (vgl. 2,10; 3,11; 4,4.10; 6,2; 9,7; 12,1) und hat „eine scharfe Sichel“ in seiner Hand. Die Krone unterstreicht die Hoheit des Menschensohns. Im Folgenden aber steht die Sichel im Mittelpunkt.

 

(15) Dann tritt ein „anderer Engel“ (vgl. 7,2; 8,3; 10,1; 14,6.17.18; 18,1) „aus dem Tempel hervor“. Aus dem Tempel kommen auch die Engel mit den sieben Plagen (15,5-6). Es handelt sich um den Ort der Gegenwart Gottes (11,19; 15,8). Von dort aus greift Gott in das Weltgeschehen ein (16,1; 16,17).

 

Der „andere Engel“ ruft dem Menschensohn, der auf der Wolke sitzt, „mit lauter Stimme“ (vgl. 1,10; 5,12; 7,2.10; 10,3; 14,7.18; 18,2; 19,7) zu: „Schicke deine Sichel und ernte! Denn die Stunde des Erntens ist gekommen, denn die Ernte der Erde ist überreif geworden.“ Der erste und letzte Teil dieses Aufrufs entspricht den Worten des Propheten Joel: „Leg die Sichel an! Denn die Ernte ist reif …“ (Joel 4,13). Der Mittelteil – „denn die Stunde des Erntens ernten ist gekommen“  – ähnelt Jeremia 51,33: „… Die Tochter Babel ist wie eine Tenne zur Zeit, da man sie stampft. Noch kurze Zeit, dann kommt die Zeit der Ernte für sie.“ Beides sind Gerichtsworte.

 

Die Begründung zum Ansetzen der Sichel lautet: „Denn die Stunde des Erntens ist gekommen …“ Wortwahl und Aussage entsprechen 14,7 („… Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen …“). Der Abschluss des Rufes lautet in exakter Übersetzung: „… denn die Ernte der Erde ist trocken geworden“ (ABC VII, 834). Vielleicht soll damit gesagt werden: „Die Welt ist reif fürs Gericht. Sie ist vertrocknet; da ist keine Lebenskraft mehr drin.“ (Wengst, 197)

 

(16) Der „Menschensohn“ befolgt den Aufruf des „anderen Engels“ und wirft seine Sichel „auf die Erde“ und die Erde wird „abgeerntet“. Um welches Ereignis geht es hier? Einige Bibelausleger beziehen diese Schilderungen nicht auf das Gericht, sondern auf die dem Gericht vorangehende „Rettung der Gläubigen“ (Satake, 323).

 

Bei adventistischen Bibelauslegern ist diese Deutung vorherrschend (ABC VII, 834; Böttcher, 267; Stefanovic, 460; Wittwer, 120f. Wittwer begründet es damit, dass das Getreide symbolisch für die Erlösten stehe, 120).

 

Demgegenüber ist festzustellen: Aufgrund der Bedeutung von Joel 4,13 und der Parallelität zu Vers 17-19 sowie der deutlichen Gerichtsaussage in Vers 15, die dem Sinne nach Vers 7 entspricht, kann die Weizenernte nur das Vernichtungsgericht an den Ungläubigen, nicht aber die Heilsaktion an den Gläubigen meinen.“ (U. Müller, 270; vgl. Maier II, 172). Ergänzend kann darauf hingewiesen werden, dass „die Erde“ abgeerntet wird und es sich bei denen, „die auf der Erde wohnen“, nicht um Erlöste, sondern um die Ungläubigen handelt  (6,10; 8,13; 11,10; 13,8.14; 14,6; 17,2.8).

 

(17) Die zweite Gerichtsschilderung ist ähnlich aufgebaut. Aber anstelle der Gestalt, die „gleich einem Menschensohn“ ist, erscheint nun ein „anderer Engel“. Er sitzt auch nicht auf einer Wolke, sondern kommt „aus dem Tempel im Himmel hervor“. Auch der in Vers 15 erwähnte Engel kam „aus dem Tempel“. Hier wird ergänzend bemerkt, dass es sich um den „Tempel im Himmel“ handelt. Der Engel hat – wie zuvor der Menschensohn – eine Sichel in der Hand.

 

(18) Mit ganz ähnlichen Worten wie in 14,15 wird dieser Engel– wie der Menschensohn – von einem anderen Engel dazu aufgerufen, seine Sichel anzusetzen und die Ernte durchzuführen. Er kommt „aus dem Altar hervor“. Nach 6,9f. befinden sich „unter dem Altar die Seelen derer, die geschlachtet worden waren um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses willen, das sie hatten“, die Gott eindringlich darum bitten, ihr But zu rächen. Um diese „Gebete aller Heiligen“ geht es auch in 8,3-5. Dort werden sie auf dem „goldenen Altar …, der vor dem Thron ist“ dargebracht (zum Altar vgl. auch 9,13; 16,7). Anschließend füllt der Engel das Räuchergefäß mit „Feuer des Altars“ und schüttet es auf die Erde. Dem entspricht hier die Aussage, dass der andere Engel „Macht über das Feuer“ hat. Diese Parallelen deuten darauf hin, dass „die Durchführung des Gerichts in 14,17-20 … als göttliche Antwort auf die Gebete der Heiligen zu deuten“ ist. (U. Müller, 270.).

 

(19) Der Engel gehorcht dem Befehl des anderen Engels (vgl. 14,16). Die Schilderung des Erntens bzw. des Gerichts ist aber deutlich umfangreicher als bei der Schilderung des Gerichts im Bild der Getreideernte.

 

Zunächst folgt der Hinweis, dass die Trauben „in die große Kelter des Grimmes Gottes“ geworfen werden. Das entspricht dem zweiten Teil von Joel 4,13: „… Kommt, stampft! Denn die Kelter ist voll, die Kelterkufen fließen über. Denn groß ist ihre Bosheit.“ Außerdem ist in vielen weiteren Gerichtsschilderungen von einer „Kelter“ die Rede (Jes.63,1-6; Jer.25,30; Klg.1,5; vgl. Off.19,15).

 

Die „große Kelter“ ist die Kelter „des Grimmes Gottes“. Auch die Verbindung von Kelter und Grimm bzw. Zorn Gottes hat alttestamentliche Vorbilder (Jes.63,3; vgl. Off.19,15). Der Begriff „Grimm Gottes“ steht nicht für Gefühlsaufwallungen, sondern bezeichnet einfach Gottes Gerichtshandeln (15,1; 16; vgl. Röm.1,18).

 

(20) Auch der Hinweis, dass die Kelter „draußen vor der Stadt getreten“ wird, hat einen Bezug zum Buch Joel. Nach Joel 4,2 will Gott alle Heiden „ins Tal Joschafat hinabführen“ und „dort mit ihnen ins Gericht gehen“. Diese Ortsangabe findet sich auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wort von Joel 4,13, das in 14,18 zitiert wird (Joel 4,12-14: „(12) Die Nationen sollen sich aufmachen und hinaufziehen ins Tal Joschafat! Denn dort werde ich sitzen, um alle Nationen ringsumher zu richten. (13) Legt die Sichel an! Denn die Ernte ist reif. Kommt, stampft! Denn die Kelter ist voll, die Kelterkufen fließen über. Denn groß ist ihre Bosheit. (14) Scharen über Scharen im Tal der Entscheidung; denn nahe ist der Tag des HERRN im Tal der Entscheidung.“).

 

Der Zusammenhang von Blut und Kelter ist schon durch das Bild der Weinernte vorgegeben, findet sich aber auch in Jes.63,3: „Ich habe die Kelter allein getreten, und von den Völkern war kein Mensch bei mir. Ich zertrat sie in meinem Zorn und zerstampfte sie in meiner Erregung. Und ihr Saft spritzte auf meine Kleider, und ich besudelte mein ganzes Gewand.“

 

Vgl. Jes.63,2-3 nach LXX-D: „(2) Warum sind deine Gewänder rot und seine Kleider wie von getretener Kelter, (3) voll von zertretener (Keltermasse)? Und niemand von den Völkerschaften ist auf meiner Seite, und ich trat sie nieder im Zorn und zerstampfte sie wie Erde und ließ ihr Blut zur Erde hinabrinnen.“

 

Abschließend wird das Ausmaß des Blutvergießens beim Gericht Gottes beschrieben. Das Blut reicht „bis an die Zügel der Pferde, 1600 Stadien weit“. Diese Angabe entspricht den Aussagen des Henochbuchs: „(1) In jenen Tagen werden die Väter mit ihren Söhnen an einem Ort erschlagen werden, und Brüder einer mit dem anderen getötet fallen, bis es von ihrem Blute strömt dem Strome gleich. (2) Denn ein Mann wird seine Hand nicht mitleidig zurückhalten, seinen Sohn oder Enkel zu erschlagen; der Sünder wird seine Hand nicht zurückhalten, seinen verehrtesten Bruder zu töten. Vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang werden Sie einander hinmorden. (3) Ein Ross wird bis an seine Brust im Blute der Sünder waten und ein Wagen bis zu seiner Höhe einsinken.“ (äthHen 100,1-3;  vgl. ABC VII, 834; Stefanovic, 458).

 

Tausendsechshundert Stadien entsprechen ca. 300 Kilometern. Sofern die Angabe symbolisch zu verstehen ist, handelt es sich um „das mit 100 multiplizierter Quadrat von 4. Die Vier aber bezeichnet die ganze Welt … Die Zahl 1600 macht also deutlich, dass das Gericht Gottes umfassend sein wird.“ (Wengst, 200).

 

Die Schilderung eines solch übergroßen Blutvergießens mag befremdlich wirken. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass dem Blut der Gottlosen das Blut der Märtyrer gegenübersteht (vgl. zu 14,18). Die gottfeindlichen Mächte richten unter den Gläubigen ein Blutbad an (17,6; 18,24). Deshalb kann zu der Darstellung in 14,19f. gesagt werden: „In diesem so blutrünstig scheinenden Vergeltungswunsch fällt auf Rom zurück, was es selbst angerichtet hat und weiter anrichtet.“ (Wengst, 200). Der Wunsch nach Rache, von dem schon in 6,9 die Rede war, wird erfüllt (vgl.19,2).

 

„Die Vision des Johannes mit dem gewaltigen Strom von Blut erweist sich so als klagender und anklagender Protest gegen das tatsächliche Niedermetzeln von Menschen und das Vergießen ihres Blutes. Nur wer in diesen Protest laut und vernehmlich einstimmt, dürfte ein Recht haben, sich über die Rachephantasien des Johannes zu ereifern. Aber für diejenigen, die wirklich über das tatsächlich vergossene Blut schreien, erübrigt es sich vielleicht, sich über das visionäre zu erregen. Es könnte ja sein, dass gerade diese Visionen, die die Vergeltung Gott anheimstellen, einmal dazu ermutigen, die Erinnerung an das tatsächliche Unrecht protestierend wach zu halten, und zum anderen davor bewahren, selbst blutige Rache vollziehen zu wollen.“ (Wengst, 200).


Zusammenfassung: Gott erhört den Schrei der Verfolgten und hält Gericht.