5       Die Sieben-Posaunen-Visionen (8,6-11,19)

 

Die Posaunen schildern Gottes Gerichtshandeln über die Welt. Neben der Natur sind ausschließlich die Gottlosen betroffen (9,4). Die Posaunen haben deshalb einen anderen Akzent als die Siegel, von denen auch die Gläubigen betroffen sind.

 

Die Vision enthält zahlreiche Motive, die den zehn Plagen ähneln, die Gott vor dem Auszug des Volkes Israel über die Ägypter verhängte:

Plage über die Ägypter

Posaune

1. Plage: Gewässer in Blut verwandelt

2. Posaune: Meer zu Blut (9,8)

3. Posaune: Wasserströme zu Blut (9,10)

2. Plage: Frösche

 

3. Plage: Stechmücken

 

4. Plage: Stechfliegen

 

5. Plage: Viehpest

 

6. Plage: Blattern

 

7. Plage: Hagel (und Feuer)

1. Posaune: Hagel und Feuer (9,7)

8. Plage: Heuschrecken

5. Posaune: Heuschrecken (9,3ff.)

9. Plage: Finsternis

4. Posaune: Der dritte Teil von Sonne, Mond und Sternen verfinstert sich (9,12)

10. Plage: Tötung der Erstgeburt

6. Posaune: Der dritte Teil der Menschheit wird getötet (9,18)

 

Außerdem gibt es deutliche Parallelen zwischen der Posaunenvision und der Vision der Zornesschalen (15,5-16,21), wobei letztere eine Steigerung bringt (Übersicht nach Roloff, 94f.).

 

Posaune

Zornesschale

 

Inhalt

Wirk-

bereich

Auswirkung

Inhalt

Wirk-

bereich

Auswirkung

1

Hagel und Feuer mit Blut vermischt

Erde

ein Drittel der Vegetation verbrennt

böse Geschwüre

Erde

Menschen, die das Zeichen des Tieres anbeten, werden getroffen

2

Wasser wird zu Blut

Meer

ein Drittel der Meerestiere und der Schiffe gehen zugrunde

Wasser wird zu Blut

Meer

alle Meerestiere kommen um

3

Wasser wird zu Wermut

Flüsse und Quellen

viele Menschen sterben

Wasser wird zu Blut

Flüsse, Gewässer und Quellen

die „das Blut von Heiligen und Propheten“ vergossen haben“ bekommen Blut zu trinken

4

Sonne, Mond und Sterne verfinstern sich

Himmel

Tag und Nacht verlieren zu einem Drittel das Licht

die Sonne versengt die Menschen

Himmel

Menschen, die Gott lästerten und die Umkehr verweigerten, verbrennen

5

Sterne fallen auf die Erde, die Unterwelt öffnet sich, giftiger Rauch steigt auf, aus dem Heuschrecken hervorkommen

Unterwelt

Menschen, die das Siegel Gottes nicht tragen, werden gequält

Finsternis

der Thron des Tieres

Reich des Tieres wird verfinstert

6

vier Engel werden losgelassen - Reiterheere branden heran

am großen Fluss Euphrat

ein Drittel der Menschen wird getötet – auch die übrigen kehren nicht um

Könige aus Osten kommen, unreine Geister „wie Frösche“ kommen aus Maul des Drachen

am großen Fluss Euphrat

Die Könige des Erdkreises werden zum Kampf des „großen Tages Gottes“ gesammelt

7

Blitze, Stimmen, Donner, Erdbeben, Hagel

„Tempel Gottes im Himmel“

der Ort Gottes wird sichtbar

Blitze, Stimmen, Donner, Erdbeben, Hagel

laute Stimme vom Tempel im Himmel

die Stadt Babylon wird in drei Teile geteilt, die Städte der Heiden stürzen ein

 

Auch bei den Posaunen stellt sich immer wieder die Frage, ob eine buchstäbliche oder eine symbolische Auslegung angemessen ist. Erneut scheint es sinnvoll, dass nicht vorab zu entscheiden, sondern in Zusammenhang mit der jeweiligen Auslegung des Textes.

 

Adventistische Bibelausleger folgen traditionell dem „Rekapitulationsprinzip“ (vgl. dazu 4.4). Daher beziehen sie die sieben Posaunen i.d.R. auf die Zeitabschnitte, in die sich ihrer Auffassung nach die sieben Siegel (und die 7 Gemeinden) einordnen (vgl. 4.1). Dabei gibt es jedoch z.T. gravierende Unterschiede.

 

Smith

ABC

Böttcher

Wittwer

Makowski

Stefanovic

E. Müller

1

Einfälle der Gothen in des römische Reich (479)

Westgoten, die um 400 n.Chr. das röm. Reich überfallen (788)

Westgoten, die um 400 n.Chr. das röm. Reich überfallen (158)

nationale Katastrophe des jüd. Volkes im Kampf gegen die Römer (63)

Westgoten, die um 400 n.Chr. das röm. Reich überfallen (80)

Untergang der jüd. Nation und Jerusalems (289)

Zerstörung Jerusalems (185)

2

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (481ff.)

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (789)

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (159)

Untergang des röm. Reiches in den Wirren der Völker-wanderung (64)

 

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (80f.)

Untergang des röm. Reiches in den Wirren der Völker-wanderung (291)

Gericht über das röm. Weltreich durch Westgoten und Vandalen (186)

3

Verwüstung des röm. Reiches durch den Hunnen Attila

(485ff)

Verwüstung des röm. Reiches durch den Hunnen Attila

 (789)

Verwüstung des röm. Reiches durch den Hunnen Attila

 (160)

Islam und Abfall im Christentum (66)

Verwüstung des röm. Reiches durch den Hunnen Attila

 (81)

Abfall der mittelalterlichen Kirche (292ff.)

Abfall der mittelalterlichen Kirche (188)

4

Nachfolger Attilas erklärt den Kaiser – das Licht! – für abgesetzt (487ff.)

Absetzung des letzten

röm. Kaisers (789)

Nachfolger Attilas erklärt den Kaiser – das Licht! – für abgesetzt (161f.)

Säkularismus, Atheismus, Aufklärung, Nietzsche, Darwin, Spiritismus, Bibelkritik (68-70)

Nachfolger Attilas erklärt den Kaiser – das Licht! – für abgesetzt (82)

protestantische Orthodoxie, Aufklärung, Säkularismus (296f.)

Humanismus, Gegenreformation, protestantische Orthodoxie (189)

5

Islam (496ff.)

150 Jahre: Türkenherrschaft von 1299-1449 (502f.)

referiert traditionelle adv. Auslegungen ohne sich festzulegen (791f.; 794ff.)

Islam (162f.);

150 Jahre: 622-772 und Türkenherrschaft von 1299-1449 (165)

aus heutiger Sicht zukünftig (71f.)

Islam (84f.)

150 Jahre: Türkenherrschaft von 1299-1449 (85f.)

Säkularismus, Atheismus, New Age, Vormarsch des Islam (306f.);

150 Jahre: gegen Deutung nach Jahr-Tag-Prinzip (301)

Säkularismus, Rationalismus, Bibelkritik (194);

150 Jahre: 1648-1798 (195)

6

Osmanisches Reich von 1449-1840 ; Stunde, Tag, Monat, Jahr nach dem Jahr-Tag-Prinzip als 391 Jahre (503ff.)

referiert traditionelle adv. Auslegungen ohne sich festzulegen (793ff.)

vordringende Mongolenstämme, die ab 15. Jh. zu neuen Kämpfen des Islam gegen die christl. Welt führen (167ff.)

zukünftige religiöse Neubesinnung führt unter Führung des Papstes zu einer repressiven Universalreligion (74); oder: zukünftiger Kreuzzug gegen den Islam für eine Universalreligion (75)

Osmanisches Reich von 1449-1840 ; Stunde, Tag, Monat, Jahr nach dem Jahr-Tag-Prinzip als 391 Jahre (86f.)

Aufkommen des endzeitlichen Babylons und Vorbereitung auf Harmagedon (313)

Aufkommen des endzeitlichen Babylons und Vorbereitung auf Harmagedon (199)

7

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (481ff.)

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (789)

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (159)

Untergang des röm. Reiches in den Wirren der Völker-wanderung (64)

 

Niederlage des röm. Reiches gegen Vandalen (80f.)

Untergang des röm. Reiches in den Wirren der Völker-wanderung (291)

Gericht über das röm. Weltreich durch Westgoten und Vandalen (186)

 

 

5.1    Die ersten sechs Posaunen (8,6-9,21)

 

Die ersten vier Posaunen sind recht kurz und folgen einem klaren Schema („und der Engel posaunte …“ – „und es …“ – „und ein Drittel …“). Die fünfte und sechste Posaune sind sehr viel länger. Vor der siebten Posaune folgt – wie bei der Sieben-Siegel-Vision – ein aus zwei Teilen bestehendes Zwischenstück (10,1-11; 11,1-15).

 

Die ersten vier Posaunen betreffen die Erde, das Meer, die Flüsse bzw. Wasserquellen und den Himmel. Das entspricht der Angabe in 14,7, wo zur Anbetung des Schöpfers aufgerufen wird, „der den Himmel und die Erde und Meer und Wasserquellen gemacht hat!“



Einleitung

 

(6) Und die sieben Engel, welche die sieben Posaunen hatten, machten sich bereit, um zu posaunen.

 

Nachdem der „andere Engel“ sein Werk vollbracht hat – die Gebete der Heiligen zu Gott zu bringen und das Gericht in Gang zu setzen – machen sich die bereits in 8,2 genannten „sieben Engel“, denen „sieben Posaunen gegeben“ worden waren, „bereit, um zu posaunen“.

 

 

Die erste Posaune


(7) Und der erste posaunte: und es kam Hagel und Feuer, mit Blut vermischt, und wurde auf die Erde geworfen. Und der dritte Teil der Erde verbrannte, und der dritte Teil der Bäume verbrannte, und alles grüne Gras verbrannte.

 

In 8,5 war davon die Rede, dass der Engel „das Räucherfass“ nahm, es mit dem „Feuer des Altars“ füllte und auf die Erde „warf“ – was dazu führte, dass dort „Donner und Stimmen und Blitze und ein Erdbeben“ geschahen. Nun ist erneut davon die Rede, dass etwas „auf die Erde geworfen“ wird. „Indem die schaurigen Erscheinungen vom Himmel auf die Erde geschleudert werden, erfüllt sich das, was sich im Hinabwerfen des Feuers vom himmlischen Altar auf die Erde symbolisch vorweg angedeutet hatte.“ (Roloff, 98f.).

 

(7) Nachdem der erste Engel seine Posaune bläst, fallen „Hagel und Feuer, mit Blut vermischt“ auf die Erde. Hagel und Feuer erinnern an die siebte Plage in Ägypten (2.Mos.9,13-35) und stehen auch sonst im Zusammenhang mit dem Gericht Gottes (z.B. Jes.30,30). In einigen Gerichtsschilderungen ist zusätzlich von „Blut“ die Rede (Joel 3,3: „Und ich werde Wunderzeichen geben am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen.“, vgl. Apg.2,19; Hes.38,22: „Und ich werde ins Gericht mit ihm gehen durch Pest und durch Blut. Und einen überschwemmenden Regen und Hagelsteine, Feuer und Schwefel lasse ich auf ihn regnen und auf seine Scharen und auf die vielen Völker, die mit ihm sind.“)


Die Folge ist, dass ein Drittel der Erde, der Bäume und alles Gras verbrennt. Von einem Schaden an der Erde und an den Bäumen war bereits im 7,3 die Rede, als betont wurde, dass vorher die 144.000 an ihren Stirnen versiegelt werden sollen. Nachdem die Versiegelung erfolgt ist, kann das Gericht Gottes beginnen (vgl. 9,5).

 

Das ist natürlich auch ein Indiz dafür, dass die sieben Posaunen nicht parallel zu den sieben Siegeln stehen, sondern ihnen folgen.

 

Das Motiv der Drittelung findet sich auch in anderen Gerichtsankündigungen (Hes.5,12: „Ein Drittel von dir soll an der Pest sterben und in deiner Mitte durch Hunger umkommen; und ein Drittel soll durchs Schwert fallen rings um dich her; und ein Drittel werde ich in alle Winde zerstreuen, und ich werde das Schwert ziehen hinter ihnen her.“; Sach.13,8: „Und es wird im ganzen Land geschehen, spricht der HERR, zwei Teile davon werden ausgerottet, verscheiden, und nur der dritte Teil davon bleibt übrig.“)

 

Der Versuch, die Posaunen parallel zu den Siegeln auf bestimmte historische Epochen von der Urgemeinde bis zur Wiederkunft Jesu zu beziehen, ist eng mit einer symbolischen Auslegung verbunden. Sind die Begriffe „Erde“, „Bäume“ und „Gras“ symbolisch zu verstehen, so dass sie sie dann auf das Volk Israel oder die Menschheit bezogen werden können? Für diese Auffassung werden u.a. folgende Bibeltexte bemüht:

Ps.98,9: „ … Denn er kommt, die Erde zu richten. Er wird die Welt richten in Gerechtigkeit und die Völker in Geradheit.“

Jes.40,6-7: „(6) Eine Stimme spricht: Rufe! Und ich sage: Was soll ich rufen? – Alles Fleisch ist Gras, und all seine Anmut wie die Blume des Feldes. (7) Das Gras ist verdorrt, die Blume ist verwelkt, denn der Hauch des HERRN hat sie angeweht. Fürwahr, das Volk ist Gras.“

Jeremia 11,16-17: „(16) Einen grünen Ölbaum mit schön gewachsener Frucht hatte der HERR dich genannt. Ein großes Geprassel: Feuer hat er an ihn gelegt, und seine Äste brechen ab.(17) Und der HERR der Heerscharen, der dich gepflanzt, hat Unheil über dich beschlossen wegen der Bosheit des Hauses Israel und des Hauses Juda, die sie verübt haben, um mich zu reizen, indem sie dem Baal Rauchopfer darbrachten.“

 

Nun finden sich die Begriffe „Gras“ und „Baum“ auch in der fünften Posaune. Dort können sie nicht als Symbol für Menschen oder das Volk Israel verstanden werden. Schließlich ist dort davon die Rede, dass die Heuschrecken nicht „dem Gras der Erde, auch nicht irgendetwas Grünem, auch nicht irgendeinem Baum Schaden zufügen sollten, sondern den Menschen, die nicht das Siegel Gottes an den Stirnen haben“ (9,4). Anstelle von Gras oder Baum werden die Menschen von Gottes Gericht betroffen sein. Daher ist es nicht möglich, den dritten Teil der Erde, des Grases und der Bäume als Symbole für Menschen bzw. Israel zu interpretieren.

 

Das alles spricht für eine buchstäbliche Auslegung, in der die Schäden an Erde, Bäumen und Gras als Naturkatastrophen verstanden werden (Maier I, 391).



Die zweite Posaune


(8) Und der zweite Engel posaunte: Und etwas wie ein großer feuerflammender Berg wurde ins Meer geworfen; und der dritte Teil des Meeres wurde zu Blut. (9) Und es starb der dritte Teil der Geschöpfe im Meer, die Leben hatten, und der dritte Teil der Schiffe wurde zerstört.

(8-9) Wurde bei der ersten Posaune „Hagel und Feuer, mit Blut vermischt … auf die Erde geworfen“, geht es bei der zweiten Posaune um „etwas wie ein großer feuerflammender Berg“, dass „ins Meer geworfen“ wird.

 

Was ist das – „etwas wie ein großer feuerflammender Berg“? In Jer.51,25f. ist von Babylon als einem „Berg des Verderbens“ die Rede, den Gott „zu einem verbrannten Berg“ machen will. Wenn die zweite Posaune an diese Aussage anknüpft, wäre sicher Rom gemeint, weil „Babylon“ seinerzeit ein Deckname für die damalige Welthauptstadt ist (1.Pt.5,13). Gemeint wäre dann, dass Rom ins Meer geworfen wird, wobei „Meer“ dann natürlich im Sinne von „Völkermeer“ gedeutet werden müsste (E. Müller, 186). Eine andere Möglichkeit ist, dass mit dem „feuerflammenden Berg“ ein Vulkanausbruch (z.B. 2.Mos.19,18) oder Meteorit gemeint ist.

 

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die  Frage, ob „Meer“ im buchstäblichen oder symbolischen Sinne zu verstehen ist. Hier ist noch einmal an 14,7 zu erinnern (s.o.). Dort werden „Himmel“, „Erde“, „Meer“ und „Wasserquellen“ genannt, die – in anderer Reihenfolge – allesamt von den Posaunen betroffen sind. In 14,7 geht es um die Anbetung des Schöpfers („… und betet den an, der … gemacht hat!“), weshalb „Meer“ buchstäblich zu verstehen ist.

 

Weil das Meer von dem großen feuerflammenden Berg getroffen wird, wird der dritte Teil des Meeres zu Blut. Das erinnert an die erste ägyptische Plage (2.Mos.7,14ff.), wenngleich diese sich eher auf die Flüsse bezieht. In der zweiten Zornesschale wird das ganze Meer zu Blut (16,3).

 

Außerdem stirbt ein Drittel der „Geschöpfe im Meer“. In 5,13 ist entsprechend von Geschöpfen „unter der Erde“, „auf dem Meer“ und allem „was in ihnen ist“ die Rede, was für eine buchstäbliche Deutung dieses Ausdrucks spricht – so dass in der dritten Posaune Fische und andere Meerestiere gemeint sind.

 

Abschließend werden die „Schiffe“ erwähnt. Auch von ihnen wird ein Drittel vernichtet. Von Schiffen ist in der Offenbarung des Johannes nur noch in 18,19 die Rede. Auch dieser Paralleltext legt eine buchstäbliche Auslegung nahe.

 

Zusammenfassend kann daher zur zweiten Posaune formuliert werden: „Die Deutung auf realistische Vorgänge  in Umwelt und Natur muss die grundlegende bleiben.“ (Maier I, 394). In der zweiten Posaune geht es um Ereignisse, die die großen Weltmeere in Mitleidenschaft ziehen.

 

 

Die dritte Posaune

(10) Und der dritte Engel posaunte: Und es fiel vom Himmel ein großer Stern, brennend wie eine Fackel, und er fiel auf den dritten Teil der Ströme und auf die Wasserquellen. (11) Und der Name des Sternes heißt »Wermut«; und der dritte Teil der Wasser wurde zu Wermut, und viele der Menschen starben von den Wassern, weil sie bitter gemacht waren.


(10-11)
Bei der dritten Posaune fällt ein „großer Stern, brennend wie eine Fackel“ vom Himmel.

 

Auch dazu gibt es Versuche einer symbolischen Deutung. Sie können daran anknüpften, dass an einigen Stellen des AT Könige als „Sterne“  bezeichnet werden (Ri.5,20; Jes.14,12). Unter adventistischen Bibelauslegern ist unter Bezug auf Jes.14,12-15 die Auslegung verbreitet, dass es sich hier um den vom Himmel fallenden Satan handelt (E. Müller, 187; Stefanovic, 292; Wittwer, 65).

 

Nun wird in Vers 11 der Name des Sterns angegeben: „Wermut“. Nach Aussage des AT ist Wermut bitter und giftig (5.Mos.29,17; Jer.9,14; 23,15; Klg.3,15.19; Am.5,7; 6,12), also lebensgefährlich bzw. tödlich. Dem entspricht, dass in 8,11b von Menschen berichtet wird, die „von den Wassern“, auf die der Stern fiel, „starben … weil sie bitter gemacht waren“.

 

Nach einer ebenfalls unter adventistischen Bibelauslegern verbreiteten Auffassung steht „Wasser“ für „Gott, Jesus, das Heil“ bzw. „die Wahrheit des Evangeliums“ (E. Müller, 187; Stefanovic, 292). Dabei beruft man sich auf Aussagen wie Jes.12,3 (Gott als „Quelle des Heils“), Jer.2,13 (Gott als „Quelle lebendigen Wassers“) oder Joh.7,37 („Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke!“) und deutet die dritte Posaune als Verseuchung der christlichen Wahrheit mit satanischen Irrtümern (E. Müller, 187; vgl. Stefanovic, 293; Wittwer, 65). Bei der Frage, welche historische Epoche dabei gemeint sein könnte, gibt es aber auch unter adventistischen Bibelauslegern keinen Konsens (s.o.).

 

Die buchstäbliche Auslegung kann sich darauf berufen, dass Wasserströme bzw. Wasserquellen in 14,7  – wie Himmel, Erde und Meer, die von den anderen Posaunen betroffen sind – buchstäblich zu verstehen sind (s.o.). Auch der Anklang an die erste ägyptische Plage deutet in diese Richtung (2.Mos.7,14ff.). Dann geht es in der dritten Posaune um verdorbenes Flusswasser.

 

Das gehört auch zu den im 4.Esr.5 geschilderten Zeichen des Endes.

4.Esr.5,1-9: „(1) Die Zeichen aber sind: Siehe, Tage kommen, da werden die Erdenbewohner von gewaltigem Schrecken erfasst, ’das Gebiet‘ der Wahrheit wird verborgen sein, ’und das Land des Glaubens ohne Frucht‘. (2) Da wird der Ungerechtigkeit viel sein, mehr noch, als du jetzt selber siehst, und als du von früher gehört hast. (3) Das Land aber, das du jetzt herrschen siehst, wird wegelose Wüste sein; man wird es verlassen sehen: (4) fristet dir der Höchste das Leben, so wirst du es nach dreien Zeiten in Verwirrung sehen. Da wird plötzlich die Sonne bei Nacht scheinen und der Mond am Tage. (5) Von Bäumen wird Blut träufeln; Steine werden schreien. Die Völker kommen in Aufruhr, die ’Ausgänge‘ in Verwirrung; (6) und zur Herrschaft kommt, den die Erdenbewohner nicht erwarten. Die Vögel wandern aus; (7) das Meer von Sodom bringt Fische hervor und brüllt des Nachts mit einer Stimme, die viele nicht verstehen, aber alle vernehmen. (8) An vielen Orten tut sich der Abgrund auf, und lange Zeit bricht das Feuer hervor. Da verlassen die wilden Tiere ihr Revier. Weiber gebären Missgeburten. (9) Im süßen Wasser findet sich salziges. Freunde bekämpfen einander plötzlich. Da verbirgt sich die Vernunft, und die Weisheit flieht in ihre Kammer …“

 

Auch Gerhard Maier bevorzugt eine buchstäbliche Deutung und sieht hier zukünftige Ereignisse angekündigt und stellt fest: „Wohl kann Offb 8,10f eine globale radioaktive Verseuchung oder einen atomaren Krieg oder eine Zerstörung der Wasserqualität bedeuten, aber was es dann im Einzelfall sein wird, wissen wir nicht.“ (Maier I, 397).

 

 

Die vierte Posaune

(12) Und der vierte Engel posaunte: Und es wurde geschlagen der dritte Teil der Sonne und der dritte Teil des Mondes und der dritte Teil der Sterne, so dass der dritte Teil von ihnen verfinstert wurde und der Tag seinen dritten Teil nicht schien und die Nacht gleicherweise.

 

(12) Von der vierten Posaune sind jeweils der dritte Teil von Sonne und Sternen betroffen, so dass am dritten Teil des Tages und der Nacht kein Licht scheint. Das erinnert an die neunte ägyptische Plage (2.Mos.10,21ff.) und Aussagen über das Strafgericht Gottes in Joel 4,15: „Die Sonne und der Mond verfinstern sich, und die Sterne verlieren ihren Glanz.“ (vgl. Jes.13,10; Hes.32,7). Das legt eine buchstäbliche Deutung nahe. Auch die buchstäbliche Deutung von Himmel in 14,7 spricht dafür (s.o.).

 

Symbolische Deutungen verweisen auf die „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal.3,20) und Jesus als „Licht der Welt“ (Joh.8,12) und sehen in der Verfinsterung unter Verweis auf Joh.1,4-5.9-11; 3,18-21 die Abkehr von der Wahrheit (E. Müller, 188; vgl. Wittwer, 67). Andere adventistische Bibelausleger sehen in der Sonne den Kaiser von Rom und beziehen die vierte Posaune auf dessen Absetzung, nach der im weströmischen Reich nur noch Mond und Sterne (d.h. Senatoren und Konsule) regierten (Makowski, 82).

 


Zwischenstück

 

(13) Und ich sah: Und ich hörte einen Adler hoch oben am Himmel fliegen und mit lauter Stimme sagen: Wehe, wehe, wehe denen, die auf der Erde wohnen, wegen der übrigen Stimmen der Posaune der drei Engel, die posaunen werden!

 

(13) Vor der fünften Posaune sieht Johannes einen Adler, der durch den Zenit des Himmels (vgl. 14,6) fliegt und mit „lauter Stimme“ (in 1,10; 5,2.12; 7,2; 10.3: 14,7.15.18; 19,17 die Stimme eines Engels) von dem warnt, was anschließend kommt. Das spricht dafür, dass die Ereignisse nach den vier Posaunen weiter eskalieren.

 

Der Adler ruft dreimal „wehe!“. Mit dem dreimaligen Wehe-Ruf sind drei Ereignisse gemeint – die drei Wehe (9,12: „Das eine Wehe ist vorüber; siehe, es kommen noch zwei Wehe nach diesen Dingen“; vgl. 11,14). Sie sind mit den anderen Posaunen verbunden (erste Wehe: fünfte Posaune, 9,12; zweite Wehe: vor der siebten Posaune, 11,14; dritte Wehe: siebte Posaune, 11,14). Diese Ereignisse betreffen diejenigen, „die auf der Erde wohnen“. Damit sind die Ungläubigen gemeint (6,10; 11,10; 13,8.12.14; 17,2.8). Dementsprechend wird in der fünften Posaune betont, dass nur diejenigen geschädigt werden, die „nicht das Siegel Gottes an den Stirnen haben“ (9,4).

 

 

Die fünfte Posaune


(1) Und der fünfte Engel posaunte: Und ich sah einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; und es wurde ihm der Schlüssel zum Schlund des Abgrundes gegeben. (2) Und er öffnete den Schlund des Abgrundes; und ein Rauch stieg auf aus dem Schlund wie der Rauch eines großen Ofens, und die Sonne und die Luft wurden von dem Rauch des Schlundes verfinstert. (3) Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken hervor auf die Erde, und es wurde ihnen Macht gegeben, wie die Skorpione der Erde Macht haben. (4) Und es wurde ihnen gesagt, dass sie nicht dem Gras der Erde, auch nicht irgend etwas Grünem, auch nicht irgendeinem Baum Schaden zufügen sollten, sondern den Menschen, die nicht das Siegel Gottes an den Stirnen haben. (5) Und es wurde ihnen der Befehl gegeben, dass sie sie nicht töteten, sondern dass sie fünf Monate gequält würden; und ihre Qual war die Qual eines Skorpions, wenn er einen Menschen sticht. (6) Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und werden ihn nicht finden und werden zu sterben begehren, und der Tod flieht vor ihnen. (7) Und die Gestalten der Heuschrecken waren gleich zum Kampf gerüsteten Pferden, und auf ihren Köpfen war es wie Siegeskränze gleich Gold, und ihre Angesichter waren wie Menschenangesichter; (8) und sie hatten Haare wie Frauenhaare, und ihre Zähne waren wie die von Löwen. (9) Und sie hatten Panzer wie eiserne Panzer, und das Geräusch ihrer Flügel war wie das Geräusch von Wagen mit vielen Pferden, die in den Kampf laufen; (10) und sie haben Schwänze gleich Skorpionen und Stacheln, und ihre Macht ist in ihren Schwänzen, den Menschen fünf Monate zu schaden. (11) Sie haben über sich einen König, den Engel des Abgrundes; sein Name ist auf hebräisch Abaddon, und im Griechischen hat er den Namen Apollyon. (12) Das eine Wehe ist vorüber; siehe, es kommen noch zwei Wehe nach diesen Dingen.

 

(1) Bei der fünften Posaune fällt ein „Stern“ vom Himmel auf die Erde. Ihm wird eine bestimmte Vollmacht gegeben: „der Schlüssel zum Schlund des Abgrunds“. Dementsprechend wird in 9,2, berichtet, dass er den „Schlund des Abgrunds“ öffnet. Daher gehen alle Bibelausleger davon aus, dass mit dem „Stern“ nicht einfach ein Himmelkörper, sondern eine persönliche Macht, d. h. ein Engel, gemeint ist. Umstritten ist aber, ob es sich dabei um einen Engel Gottes oder um einen gefallenen Engel bzw. Satan handelt.

 

Für die erste Deutung spricht vor allem die Parallele in 20,1, wo Johannes einen „Engel aus dem Himmel“ kommen sieht, der „den Schlüssel des Abgrunds“ in seiner Hand hat. Dort handelt es sich eindeutig um einen Engel Gottes, da dieser den Satan ergreift, für tausend Jahre fesselt und in den Abgrund wirft (20,2f.). Die zweite Deutung beruft sich z.B. auf Luk.10,17f., wo davon die Rede ist, dass Satan wie ein „Blitz“ vom Himmel gefallen ist (U. Müller, 191; Stefanovic, 300).

 

Was ist der „Schlund des Abgrunds“?  Der Begriff „Abgrund“ (gr.: abyssos) bezeichnet in den übrigen Schriften des NT den Ort der Toten (Röm.10,7) und den Ort, an dem die bösen Geister gefangen sind (Lk.8,31, zu dieser Vorstellung vgl. auch 2.Pt.2,4). In der Offenbarung des Johannes findet sich der Begriff noch in 11,7 („… das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt …“), 17,8 („Das Tier … wird aus dem Abgrund heraufsteigen und geht ins Verderben …““), 20,1 („Und ich sah einen Engel aus dem Himmel herabkommen, der den Schlüssel des Abgrunds hatte …“) und 20,3 („… und warf ihn [Satan] in den Abgrund …“). Dementsprechend ist der „Schlund des Abgrunds“ die Verbindung zwischen der Erde und dem Abgrund, die normalerweise verschlossen ist (U. Müller, 193).

 

(2) Als der Engel den Schacht zum Abgrund öffnet, steigt Rauch auf. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Abgrund voll Feuer gedacht ist, so dass die Öffnung des Schachtes das Aufsteigen des Rauchs bewirkt und Sonne und Luft sich verfinstern (U. Müller, 193).

 

(3-6) Aus dem Rauch treten Heuschrecken hervor. Auch sie kommen aus dem Abgrund „auf die Erde“. Die Heuschrecken stehen im Mittelpunkt des in der fünften Posaune beschriebenen Gerichtshandeln Gottes. Sie erinnern an die achte Plage über die Ägypter (2.Mos.10,1-20).

 

Nun aber wird den Heuschrecken „Macht gegeben, wie die Skorpione der Erde Macht haben“. Es handelt sich also nicht um gewöhnliche Heuschrecken. Dazu passt, dass die Heuschrecken nicht Pflanzen und Bäume befallen, sondern Menschen – speziell die Menschen, „die nicht das Siegel Gottes an den Stirnen haben“ (vgl. 7,3), also nicht zu Gott gehören. Sie werden nicht getötet, aber gequält. Diese Qual wird so groß sein, dass die Betroffenen den Tod herbeisehnen (vgl. Jer.8,3). Dieser Wunsch wird ihnen aber  nicht erfüllt werden.

 

Diese Qual soll „fünf Monate“ anhalten. Das ist die übliche Lebensdauer einer Heuschrecke.

 

Unter adventistischen Bibelauslegern ist umstritten, ob diese Zeitangabe nach dem Jahr-Tag-Prinzip (5 Monate = 150 Tage = 150 Jahre) auszulegen ist und welche Zeitperiode ggf. gemeint ist (s.o.). Interessant ist der Hinweis, dass die Sintflut ebenfalls 150 Tage dauerte (1.Mos.7,24; 8,3) und damals ebenfalls nur die Menschen traf, die nicht an Gott glaubten (Wittwer, 71).

 

(7-10) Ab Vers 7 folgt eine nähere Beschreibung der Heuschrecken:

·         Die Aussage, dass sie „zum Kampf gerüsteten Pferden“ ähneln, entspricht Joel 2,4: „Sein Aussehen ist wie das Aussehen von Pferden; und wie Reitpferde, so rennen sie.“ Dort sind ebenfalls Heuschrecken gemeint.

·         Die „Siegeskränze gleich Gold“, die sie auf ihren Köpfen tragen, sollen die Heuschrecken vielleicht als siegreiche Macht kennzeichnen (vgl. 6,2: „… und ihm wurde ein Siegeskranz gegeben, und er zog siegend und um zu siegen.“).

·         Für den Vergleich des Antlitzes von Mensch und Heuschrecke gibt es in der Bibel keine Parallele. In Joel 2,7 findet sich nur ein allgemeiner Vergleich von Mensch und Heuschrecke:  „Wie Helden rennen sie …“

·         Wenn das Haar der Heuschrecken mit Frauenhaar verglichen wird, ist dies vielleicht davon inspiriert, dass Soldaten in der Schlacht ihr Haar lose hängen ließen und steht dann für die „soldatische Kraft“ der Heuschrecken (Maier, 411; Pohl, 257).

·         Der Vergleich ihrer Zähne mit Löwenzähnen fußt erneut auf einer Aussage des Joelbuchs: „Denn eine Nation ist über mein Land heraufgezogen, mächtig und ohne Zahl; ihre Zähne sind Löwenzähne, und sie hat das Gebiss einer Löwin.“(Joel 1,6). Auch hier soll die Macht der Heuschrecken unterstrichen werden.

·         Die Aussage, dass sie „Panzer wie eiserne Panzer“ hatten „enthält ein unübersetzbares Wortspiel mit dem Doppelsinn von thorax (= ‚Brustkorb‘ und ‚Brustpanzer‘ …): ‚Und sie hatten Brustkörbe wie eiserne Brustpanzer.‘“ (U. Müller, 194).

·         Der Vergleich zwischen dem Flügelrasseln der Heuschrecken und Rasseln der Kriegswagen nimmt Joel 2,5 auf: „Wie das Rasseln von Kriegswagen klingt es, hüpfen sie über die Gipfel der Berge; wie das Prasseln der Feuerflamme, die Stoppeln verzehrt; sie sind wie ein mächtiges Volk, zum Kampf gerüstet.“

·         Wie in 9,3.5 wird betont, dass es sich um skorpionartige Heuschrecken handelt. Jetzt wird ausdrücklich auf ihre Schwänze und Stacheln hingewiesen. „Skorpione krümmen beim Angriff den mit zwei Giftdrüsen besetzten Schwanz über den ganzen Rücken hinweg nach vorn zum Stich.“ (Pohl, 255).

 

Diese Vergleiche scheinen nicht untypisch zu sein. So überlieferte der dänische Forschungsreisende Carsten Niebuhr (1777-1815): „Ich hörte aber von einem Araber aus der Wüste in der Gegend von Basra eine besondere Vergleichung der Heuschrecke mit dem Kopfe eines Pferdes, ihre Brust mit der Brust eines Löwen, ihre Füße mit den Füßen eines Kamels, ihren Leib mit dem Leib einer Schlange, ihren Schwanz mit dem Schwanz eines Skorpions, ihre Füllhörner (…) mit den Haaren einer Jungfrau. Kurz, diese Vergleichung scheinet die Offenbarung Johannis 9,7.8.9.10 zu erklären.“ (zit. in Wengst, 183).

 

(11) Abschließend wird betont, dass die Heuschrecken, die aus dem Abgrund kommen, über sich einen König haben – den „Engel des Abgrunds“.

 

Er trägt einen hebräischen Namen: Abaddon. Der Begriff steht im AT parallel zu Totenreich (Hi.26,6: „Nackt liegt der Scheol vor ihm, und keine Hülle hat der Abgrund.“) und tritt auch personifiziert auf (Hi.28,22: „Der Abgrund und der Tod sagen: Nur vom Hörensagen haben wir mit unsern Ohren von ihr gehört.“). Auch der Engel mit Namen Abaddon ist eine solche „Personifizierung des Todes“ (Maier I, 414).

 

Die griechische Übersetzung dieses Namens wird hinzugefügt: Apollyon. Innerhalb des NT kommt dieses Wort nur an dieser Stelle vor. Es bedeutet so viel wie „Verderber“ und ist eine „personifizierende Übersetzung“ von „Abaddon“ (ThWNT, I, 396). Dazu passt, dass der Name evtl. auf den griechischen Gott „Apollon“ anspielt, der auch „als Pestgott und Würgeengel … bekannt ist“ (U. Müller, 195).

 

Aber wer oder was sind denn nun die „Heuschrecken“? Sind wirklich Tiere gemeint? Oder sind sie symbolisch zu verstehen – wofür spricht, dass sie vermutlich bereits im hier zitierten Buch Joel auch militärische Mächte meinen. Und worin bestehen die Qualen, die sie den Menschen bereiten? Dazu gibt es folgende Auffassungen:

·         Beim Auftreten der Heuschrecken handelt es sich um einen militärischen Heerzug. „Ein Heerzug hat in der Tat ‚verheerende‘ Wirkung für die Zivilbevölkerung. Die Menschen werden zwar nicht unbedingt getötet, aber schwer belastet.“ (Wengst, 184).

·         Bei den Heuschrecken geht es um ein dämonisches Heer. Die von ihnen ausgehenden Qualen können nicht näher bestimmt oder in einem geistlichen Sinn gedeutet werden. (Roloff, 103; Holtz, 77; Pohl, 259).

·         Die Heuschrecken sind ein dämonisches Herr und die Qualen der Menschen sind geistlicher Art (Maier I, 416; E. Müller, 194).

·         Bei der Frage, worin diese „geistlichen Qualen“ bestehen, gibt es unter den adventistischen Anhängern dieser Auffassung unterschiedliche Auffassungen (s.o.).

 

(12) Beim Auftreten der Heuschrecken und den von ihr ausgehenden Qualen handelt es sich jedenfalls um das erste „Wehe“. Zwei weitere Wehe kommen noch. Es darf vermutet werden, dass sie eine Steigerung des Gerichts bringen.

 

 

Die sechste Posaune

 

(13) Und der sechste Engel posaunte: Und ich hörte eine Stimme aus den vier Hörnern des goldenen Altars, der vor Gott ist, (14) zu dem sechsten Engel, der die Posaune hatte, sagen: Löse die vier Engel, die an dem großen Strom Euphrat gebunden sind. (15) Und die vier Engel wurden losgebunden, die auf Stunde und Tag und Monat und Jahr gerüstet waren, den dritten Teil der Menschen zu töten. (16) Und die Zahl der Kriegsheere zu Ross war zweimal zehntausend mal zehntausend; ich hörte ihre Zahl. (17) Und so sah ich in der Erscheinung die Rosse und die, welche auf ihnen saßen: sie hatten feurige und hyazinthfarbene und schwefelgelbe Panzer; und die Köpfe der Rosse waren wie Löwenköpfe, und aus ihren Mäulern geht Feuer und Rauch und Schwefel hervor. (18) Von diesen drei Plagen wurde der dritte Teil der Menschen getötet, von dem Feuer und dem Rauch und dem Schwefel, die aus ihren Mäulern hervorkamen. (19) Denn die Macht der Rosse ist in ihrem Maul und in ihren Schwänzen; denn ihre Schwänze sind gleich Schlangen und haben Köpfe, und mit ihnen fügen sie Schaden zu.

(20) Und die Übrigen der Menschen, die durch diese Plagen nicht getötet wurden, taten auch nicht Buße von den Werken ihrer Hände, nicht mehr anzubeten die Dämonen und die goldenen und die silbernen und die bronzenen und die steinernen und die hölzernen Götzenbilder, die weder sehen noch hören noch wandeln können. (21) Und sie taten nicht Buße von ihren Mordtaten, noch von ihren Zaubereien, noch von ihrer Unzucht, noch von ihren Diebstählen.

 

(13) Als der sechste Engel seine Posaune bläst, hört Johannes zunächst nur eine Stimme. Sie kommt aus den „vier Hörnern des goldenen Altars, der vor Gott ist“ und gibt dem sechsten Posaunenengel eine Anweisung. Vermutlich handelt es sich um die Stimme eines Engels (vgl. 5,2; 10,3; 14,7.9; 19,7). Dafür spricht auch, dass in 7,2 ein Engel auftritt, der anderen Engeln „mit lauter Stimme“ einen Auftrag gibt. Sonst müsste man an die Stimme Gottes oder die Stimme Jesu denken. Die Stimme kommt jedenfalls aus der Nähe Gottes.

 

Der goldene Altar, der vor Gott steht, ist der Räucheraltar (vgl. zu 8,3). Auf diesem Altar werden auch die „Gebete aller Heiligen“ dargebracht (8,3). Deshalb kann die Posaunenvision „als besondere Antwort auf die Bitten der Gläubigen“ (U. Müller, 196) verstanden werden: „Bis wann, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest und rächst du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?“


(14) Die Stimme vom Altar befiehlt dem Engel, der die Posaune hat, die vier Engel loszulassen, „die an dem großen Strom Euphrat gebunden sind“. Das erinnert an die vier Engel, die an den „vier Ecken der Erde“ standen und die „vier Winde der Erde“ festhielten (7,1). Sie unterscheiden sich aber insofern, als in 7,1 die Winde von Engeln gehalten werden, während hier die Engel selbst gebunden sind.

 

Zur Zeit des Johannes „bildete der Euphrat die Ostgrenze des zivilisierten Reiches und östlich davon erstreckte sich die gefürchtete Herrschaft der schrecklichen Parther (Perser) und ihrer Reiterheere“ (Maier I, 418).

 

Auch das Henochbuch spricht vom Hereinbrechen der Parther – und davon, dass Engel dahinterstehen.

äthHen 56,5-6: „In jenen Tagen werden die Engel sich versammeln und sich nach Osten hin zu den Parthern und Medern wenden, um ihre Könige anzureizen, dass ein Geist der Unruhe über sie kommt, und sie von ihren Thronen aufjagen, dass sie wie Löwen von ihren Lagern und wie hungrige Wölfe unter ihre Herde hervorbrechen. Sie werden heraufziehen und das Land seiner Auserwählten betreten …“ (zit. in U. Müller, 197).

 

(15) Das Lösen der am Euphrat gebundenen Engel „heißt demnach: Die Feinde der Menschenwelt erhalten Zutritt zu dieser Menschenwelt, um sie zu attackieren“ Maier I, 418). Das alles geschieht nach einem genauen Zeitplan. Die Engel waren „auf Stunde und Tag und Monat und Jahr gerüstet“ (wir würden sagen: „auf die Sekunde“), um „den dritten Teil der Menschen zu töten“ (evtl. ein Anklang an die zehnte Plage Ägyptens, 2.Mos.11,1ff.; 12,29ff.).

 

(16) Das Reiterheer ist unüberschaubar groß. Johannes hört ihre Zahl (vgl. 7,4: „Und ich hörte die der Versiegelten …“). Sie lautet: „zweimal zehntausend mal zehntausend“ (EB). Rein rechnerisch ergibt das  200 Millionen. Vielleicht steht dieser Aufdruck aber einfach nur für eine sehr große Zahl (Maier I, 421). „So viel ist jedoch deutlich: Auf die Menschheit kommt hier ein riesiger Angriff zu, dem sie mit eigenen Kräften nicht widerstehen kann.“ (Maier I, 421).

 

(17) Die Verse 17 bis 19 schildern die Reiterheere und die mit ihrem Auftreten verbundenen Plagen. Johannes sieht Rosse und Reiter. Sie haben „feurige und hyazinthfarbene und schwefelgelbe Panzer“. Unklar ist, ob es sich um Panzer für die Pferde oder ihre Reiter handelt. In der Fortsetzung geht es um die „Köpfe der Rosse“, so dass bei den Panzern an die Panzer der Pferde gedacht werden kann.

 

Die Köpfe der Pferde „waren wie Löwenköpfe“. Kombinationen von Tierwesen sind den Menschen der Antike vertraut. Im Löwenbild „symbolisieren sich Kraft und Unüberwindlichkeit“ (Maier I, 423). Aus ihren Mäulern kommt „Feuer und Rauch und Schwefel“. Das kennzeichnet sie als „höllische Wesen“ (U. Müller, 197; vgl. 14,10; 19,20; 20,10; 21,8).

 

(18) Von „diesen drei Plagen“ – Feuer, Rauch und Schwefel – geht eine tödliche Wirkung aus. Ein Drittel der Menschheit wird ihr zum Opfer fallen. Bezieht sich diese Angabe auf alle Menschen oder allein auf die Ungläubigen? Für letztere Auffassung spricht, dass die Gläubigen versiegelt sind (7,1ff.; 9,4). Außerdem spricht 9,20 von den „übrigen der Menschen, die durch diese Plagen nicht getötet wurden“ und betont, dass sie „nicht Buße“ taten. Es geht also um Gottlose. Ein Drittel von ihnen wird getötet; die anderen zwei Drittel bekehren sich dennoch nicht.

 

(19) Bevor es um die Reaktion der Ungläubigen geht, wird die tödliche Wirkung der Pferde begründet. Ihre zerstörerische Kraft ist „in ihrem Maul und in ihren Schwänzen“. Von den Mäulern war bereits in Vers 18 die Rede. Aus ihnen gehen „Feuer und Rauch und Schwefel“ hervor. Sie haben also eine „höllische Wirkung“. Neu ist der Hinweis auf ihre Schwänze, die denen von Schlangen ähneln und dementsprechend Köpfe haben. In 12,4 ist davon die Rede, dass der Drache – gemeint ist der Teufel – mit seinem Schwanz großes Unheil anrichtet. Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Hinweis auf die schlangenähnlichen Schwänze der Pferde diese als „höllische Gewalten“ (ThWNT, V, 580) kennzeichnen soll und  als „weitere Steigerung ihres dämonischen Wesens“ zu verstehen ist (U. Müller, 198).

 

Um welche Macht handelt es sich also bei dem Reiterheer? Die Verse sprechen von einem Gericht Gottes durch den Einfall feindlicher Truppen, die aber mythische und dämonische Dimensionen haben (U. Müller, 197; Lichtenberger, 161; Roloff, 104).

 

Bei adventistischen Bibelauslegern finden sich sowohl Auslegungen auf militärische, als auch auf dämonische Mächte. Damit sind jeweils unterschiedliche Auffassungen über die in dieser Vision angesprochene Zeitepoche verbunden. (s.o.)

 

(20f.) In einer Art Nachtrag wird die Reaktion der Überlebenden geschildert. So, wie sich der Pharao trotz aller Plagen über sein Volk nicht umstimmen ließ (2.Mos.20,10), so bekehren sich die Gottlosen trotz aller über sie hereingebrochenen Katastrophen nicht.

 

In diesem Zusammenhang folgt eine Liste mit „den Werken ihrer Hände“, von denen sie eigentlich hätten ablassen sollen:

·         Die Anbetung der „Dämonen“ meint vermutlich die Teilnahme an heidnischen Kulten. Jedenfalls war Paulus der Auffassung, dass dort den „Dämonen“ geopfert wird (1.Kor.10,20).Vielleicht ist hier speziell der Kaiserkult gemeint.

·         Die Anbetung der „goldenen und … silbernen und … bronzenen und …steinernen und … hölzernen Götzenbilder, die weder sehen noch hören noch wandeln können“ ist eine Übertretung des ersten Gebots (2.Mos.20,2-3). In der Formulierung wird alttestamentliche Polemik gegen den Götzendienst aufgenommen (z.B. Jes.44,9ff.; Ps.115,4ff.).

·         Mord und Diebstahl meinen vermutlich einfach das sechste und achte Gebot.

·         „Unzucht“ kann sich auf das siebte Gebot beziehen, kann aber auch „geistliche Hurerei“ – also Abfall von Gott und Verehrung anderer Götter – bezeichnen.

·         Zauberei gehört zu den Lastern, die im Heidentum üblich sind (Apg.19,18f.). Sie gehört zu den Sünden Babylons (Jes.47,9.12). In 18,23 steht sie im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Macht Babylons: „… Denn deine Kaufleute waren Fürsten auf Erden, und durch deine Zauberei sind verführt worden alle Völker.“

 

Zusammenfassung: Als Antwort auf die Fragen der bedrängten Christen schickt Gott bereits vor der Wiederkunft Jesu Strafgerichte über diese Welt. Wer zu Gott gehört, wird verschont.

 

 

 

5.2    Der Engel mit dem Büchlein (10,1-11)

 

Zwischen der sechsten und siebten Posaune steht – ähnlich wie bei der Siegelreihe – ein aus zwei Abschnitten bestehendes Zwischenstück. Zunächst wird ein Bericht über eine Vision gegeben, in der ein Engel mit einem Büchlein auftritt (10,1-11). Anschließend geht es um „zwei Zeugen“ (11,1-14). Während die Posaunen Gottes Gericht über diese Welt beschreiben, stehen in diesen beiden Abschnitten die Propheten im Mittelpunkt – ihr Auftrag und ihr Schicksal (Maier I, 434; Roloff, 107).

 

(1) Und ich sah einen anderen starken Engel aus dem Himmel herabkommen, bekleidet mit einer Wolke, und der Regenbogen war auf seinem Haupt, und sein Angesicht war wie die Sonne, und seine Füße waren wie Feuersäulen; (2) und er hatte in seiner Hand ein geöffnetes Büchlein. Und er stellte seinen rechten Fuß auf das Meer, den linken aber auf die Erde; (3) und er rief mit lauter Stimme, wie ein Löwe brüllt. Und als er rief, ließen die sieben Donner ihre Stimmen vernehmen. (4) Und als die sieben Donner redeten, wollte ich schreiben; und ich hörte eine Stimme aus dem Himmel sagen: Versiegle, was die sieben Donner geredet haben, und schreibe dies nicht! (5) Und der Engel, den ich auf dem Meer und auf der Erde stehen sah, erhob seine rechte Hand zum Himmel (6) und schwor bei dem, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt, der den Himmel erschuf und das, was in ihm ist, und die Erde und das, was auf ihr ist, und das Meer und das, was in ihm ist: Es wird keine Frist mehr sein, (7) sondern in den Tagen der Stimme des siebenten Engels, wenn er posaunen wird, wird auch das Geheimnis Gottes vollendet sein, wie er es seinen eigenen Knechten, den Propheten, als gute Botschaft verkündigt hat. (8) Und die Stimme, die ich aus dem Himmel hörte, redete wieder mit mir und sprach: Gehe hin, nimm das geöffnete Buch in der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht! (9) Und ich ging zu dem Engel und sagte ihm, er möge mir das Büchlein geben. Und er spricht zu mir: Nimm es und iss es auf! Und es wird deinen Bauch bitter machen, aber in deinem Mund wird es süß sein wie Honig. (10) Und ich nahm das Büchlein aus der Hand des Engels und aß es auf; und es war in meinem Mund süß wie Honig, und als ich es gegessen hatte, wurde mein Bauch bitter gemacht. (11) Und sie sagen mir: Du musst wieder weissagen über Völker und Nationen und Sprachen und viele Könige.

 

(1) Johannes sieht – wie in 5,2 – einen „starken Engel“ vom Himmel herabkommen (vgl. 18,21). Seine Beschreibung erinnert an Schilderungen Gottes. So erscheint Gott auch beim Auszug aus Ägypten in einer „Wolke“ (2.Mos.13,21; 16,10). Nach Hes.1,28 ist die Herrlichkeit Gottes wie ein „Regenbogen“ anzusehen und in den Thronsaalvision sieht Johannes einen „Regenbogen rings um den Thron“ (4,3).

 

Dass sein Antlitz „wie die Sonne“ scheint und seine „Füße … wie Feuersäulen“ sind, erinnert an die Beschreibung Jesu Christi in 1,15f. („… und seine Füße gleich glänzendem Erz, als glühten sie im Ofen … und sein Angesicht war, wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft.“). Deshalb sind manche adventistischen Bibelausleger der Meinung, dass es sich hier um Jesus Christus handelt (ABC VII, 797; Böttcher, 176; Wittwer 76). Andere sind der Auffassung, dass – wie der Text sagt – ein  Engel gemeint ist, ggf. ein Engel mit einem besonderen Rang, der Christus vertritt und mit seiner Autorität auftritt (Stefanovic, 318). Dafür spricht auch, dass es sich in 5,2 bei dem „starken Engel“ nicht um Christus handelt. Dort fragt dieser Engel danach, wer würdig ist, „das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen“. Ab 5,5 wird deutlich, dass allein Christus dazu in der Lage ist. Deshalb kann „starke Engel“ in Kapitel 5 nicht mit Christus identisch sein kann – und ist es daher vermutlich auch in 10,1 nicht.

 

(2-3a) Der Engel hat ein „geöffnetes Büchlein“ in seiner Hand. Es steht ab Vers 8 im Mittelpunkt der Vision und erinnert an eine Vision des Propheten Hesekiel (Hes.2,9-3,3).

 

Der Engel setzt „seinen rechten Fuß auf das Meer, den linken aber auf die Erde“. Das erinnert an Dan.12,6 („Und einer sagte zu dem in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war …“). Dafür spricht auch, dass Offb.10,6 („und schwor bei dem, der von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt …: Es wird keine Frist mehr sein,“) an Dan.12,7 („ … und schwor bei dem, der ewig lebt: Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit …“) anknüpft. Wenn gesagt wird, dass er „seinen rechten Fuß auf das Meer, den linken aber auf die Erde“ setzt, ist wohl gemeint, dass der Engel eine weltweite Bedeutung hat (Roloff, 108).

 

Der Engel schreit „mit lauter  Stimme, wie ein Löwe brüllt“. Auch in 5,2 spricht der „starke Engel“ mit „lauter Stimme“ (vgl. 1,10; 5,12; 7,2.10; 14,7.15.18; 18,2; 19,7). Das „Löwengebrüll“ beschreibt an anderer Stelle die Rede Gottes (Hos.11,10: „… wie ein Löwe er wird brüllen …“, vgl. Am.3,8; Joel 4,16). Es wird also „ein Charakteristikum des Redens Gottes auf den Engel als Gottesboten übertragen“ (Maier I, 438).

 

(3b-4) Als „Echo“ auf das Schreien des Engels erheben die „sieben Donner“ ihre Stimme. Auch die Stimme Gottes wird zuweilen mit einem Donner verglichen (Ps.29,3). Außerdem gehen Donner – wie Blitze und Stimmen – vom Thron Gottes aus (4,5).  Vermutlich sind die „sieben Donner“ etwas ganz Ähnliches wie die sieben Siegel, die sieben Posaunen und sie sieben Schalen. Jedenfalls bringen sie eine Botschaft, die Johannes anschließend aufschreiben will.

 

Da aber ertönt eine „Stimme aus dem Himmel“ (vgl. 14,13) und gebietet ihm Einhalt. Der Befehl zum Schreiben kann in der Johannesoffenbarung von Christus bzw. Gott (1,19; 2,1; 21,5) oder von einem Engel (14,13; 19,9f.) kommen. Insofern ist es möglich, dass es sich auch bei der „Stimme aus dem Himmel“, die dazu aufruft, das Gehörte nicht niederzuschreiben, um die Stimme Christi handelt (Maier I, 439). Das ist aber nicht zwingend (in 14,13 handelt es sich bei der „Stimme aus dem Himmel“ wahrscheinlich um die Stimme eines Engels).

 

Jedenfalls befiehlt die Stimme, die Botschaften der sieben Donner zu versiegeln und sie nicht aufzuschreiben. Während normalerweise etwas versiegelt wird, um es für spätere Zeiten aufzubewahren (Dan.12,4: „… versiegele das Buch bis zur Zeit des Endes …“), soll die Versiegelung hier dazu dienen, etwas geheim zu halten. Die Botschaften der sieben Donner sollen nicht einmal aufgeschrieben werden. Deshalb erscheint ihre Versiegelung vordergründig betrachtet überflüssig zu sein. Vermutlich soll beides – die Versiegelung und das Nicht-Aufschreiben – nach dem Motto „doppelt hält besser“ deutlich machen, dass die sieben Donner nicht beachtet werden sollen.

 

Warum? Geht es einfach um Dinge, die Gottes Geheimnis bleiben sollen (Stefanovic, 324 bzw. darum „dass Gott sich eine letzte Offenbarung seiner Macht und Majestät (noch) vorbehält“? (Holtz, 81). Oder geht es um Ereignisse, die „zu schrecklich“ sind, „als das Gott seine Gemeinde damit belasten will?“ (Wittwer, 76). Die Antwort darauf kann nur im Textzusammenhang gefunden werden.

 

(5-7) In der nächsten Szene erhebt der Engel, der auf dem Meer und auf der Erde steht (10,1-2), seine Hand zum Himmel, um bei dem ewigen Gott, dem Schöpfer von Himmel, Erde und Meer und allem was darin ist, zu schwören, dass „keine Frist mehr sein“ wird. Das erinnert an Dan.12,7: „Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war, und er erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit! …“). Angesichts der offensichtlichen Parallelen fällt ein Unterschied besonders ins Auge: Ist in Dan.12,7 von „Zeit, Zeiten und eine(r) halbe Zeit“ die Rede, schwört der Engel nun, dass „keine Frist mehr“ sein soll. Stattdessen „wird … das Geheimnis Gottes“ – gemeint ist Gottes Plan mit der Geschichte (vgl. Dan.2,28: „Aber es ist ein Gott im Himmel, der kann Geheimnisse offenbaren. Der hat dem König Nebukadnezar kundgetan, was in künftigen Zeiten geschehen soll …“; Röm.11,25: „Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist.“) – vollendet sein „in den Tagen der Stimme des siebenten Engels, wenn er posaunen wird“.

 

Wie ist das zu verstehen? Und was hat das mit den sieben Donnern zu tun, die versiegelt und nicht aufgeschrieben werden sollen? Wenn es darum geht, dass fortan „keine Frist“ mehr sein soll, liegt der Gedanke nahe, dass es sich hier um eine Verkürzung der Endzeit handelt, wie sie in Mk.13,20 angekündigt wird: „Und wenn nicht der Herr die Tage verkürzt hätte, würde kein Fleisch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen, die er auserwählt hat, hat er die Tage verkürzt.“ (U. Müller, 201; Wengst, 50f.).

 

Adventistische Bibelausleger haben die Aussage, dass „keine Frist mehr“ sein wird, traditionell so verstanden, dass es keine weiteren „prophetischen Zeitketten“ mehr geben soll (ABC VII, 798.971; Böttcher, 178; Wittwer, 77; Paulien, Kampf, 250). Neuere Auslegungen erwähnen diese Deutung jedoch nur am Rande (Stefanovic, 321) und betonen stattdessen: „Es gibt keinen weiteren Aufschub; die Zeit des Endes … ist nun unwiderruflich in Gang gesetzt.“ (Stefanovic, 325). Dem entspricht, dass die siebte Posaune die Machtübernahme Jesu Christi und das Gericht schildert (11,15ff.).

 

Die Vollendung des Geheimnisses Gottes entspricht dem, „wie er es seinen eigenen Knechten, den Propheten, als gute Botschaft verkündigt hat“. Handelt es sich hier um einen allgemeinen Hinweis auf alttestamentliche und christliche Propheten? (Satake, 256). Oder ist hier speziell die Offenbarung an Johannes bzw. ein Teil dieses Buches gemeint? (Stefanovic, 325f.). Die Offenbarung spricht immer wieder von der Propheten als „Knechten“ (11,18; 22,9). In 1,1 wird Johannes selbst „Knecht“ genannt und nach 22,9 hat er „Brüder“, die ebenfalls „Propheten“ sind. Daher kann sich die Aussage konkret darauf beziehen, dass Gott das Geheimnis seines Plans zur Vollendung der Welt dem Johannes und seinen Mitstreitern verkündigt hat.

 

(8-10) Nachdem es von Vers 4 bis Vers 7 um die „Verkürzung der Zeit“ ging, wendet sich die „Stimme aus dem Himmel“, die ihm den Befehl gegeben hat, die Botschaft der sieben Donner zu versiegeln und nicht aufzuschreiben (V. 4), erneut an Johannes  und gibt ihm einen Auftrag. Er soll „das geöffnete Buch in der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht“ nehmen. Dementsprechend begibt sich Johannes zum Engel und bittet ihn, ihm das Büchlein auszuhändigen.

 

Der Engel antwortet ihm: „Nimm es und iss es auf!“ Das Verschlingen des Buches knüpft möglicherweise an Formulierungen wie in Jer.15,16 an: „Fanden sich Worte von dir, dann habe ich sie gegessen, und deine Worte waren mir zur Wonne und zur Freude meines Herzens …“). Der Engel fordert ihn aber nicht nur dazu auf, das Buch zu essen, sondern kündigt ihm gleichzeitig die damit verbundene Wirkung an: „Und es wird deinen Bauch bitter machen, aber in deinem Mund wird es süß sein wie Honig.“ Beides – die Aufforderung zum Essen und der Hinweis auf die Wirkung – findet sich ganz ähnlich im Buch Hesekiel: „(9) Und ich sah: und siehe, eine Hand war zu mir hin ausgestreckt; und siehe, in ihr befand sich eine Buchrolle. (10) Und er breitete sie vor mir aus, und sie war auf der Vorder– und auf der Rückseite beschrieben; und es waren darauf geschrieben Klagen und Seufzen und Wehgeschrei. (1) Und er sprach zu mir: Menschensohn, was du findest, iss! Iss diese Rolle, und geh hin, rede zum Haus Israel! (2) Und ich öffnete meinen Mund, und er gab mir diese Rolle zu essen. (3) Und er sprach zu mir: Menschensohn, deinem Bauch gib zu essen, und deinen Leib fülle mit dieser Rolle, die ich dir gebe! Und ich aß sie, und sie war in meinem Munde süß wie Honig.“(Hes.2,9-3,3).

 
Was ist mit dem „Büchlein“ gemeint? Wie ist die Aufforderung zum Essen des Büchleins zu verstehen? Und um welche Erfahrung geht es, wenn davon die Rede ist, dass es den „Bauch bitter“ machen und dem „Mund süß“ sein wird?

 

Adventistische Bibelausleger haben diese Beschreibungen auf die Millerbewegung bezogen, die auf der Grundlage des Buches Daniel an die Wiederkunft Jesu im Jahre 1844 glaubte. Süß wie Honig war demnach die Botschaft, die sie aus dem Buch Daniel entnahm; bitter im Magen war die „große Enttäuschung“ darüber, dass  die Wiederkunft Jesu ausblieb (Böttcher, 184; Wittwer, 77f.). Neuere adventistische Auslegungen erwähnen diese Deutung nur am Rande Stefanovic, 331f.; vgl. auch ABC VII, 799. Nach Paulien handelt es sich hier entweder um das Buch der Offenbarung oder um das Buch Daniel, Kampf, 254).

 

Welche Auslegung ist vom Textzusammenhang naheliegend? Danach kann es sich um das in Vers 7 erwähnte „das Geheimnis Gottes“ handeln, seinen „Heilsplan für die Endzeit, dessen sichtbare Erfüllung unmittelbar bevorsteht“ (Roloff, 110).

 

Im Buch Hesekiel wird der Inhalt des Buches als „Klagen und Seufzen und Wehgeschrei“ beschrieben (Hes.2,9). Ist dies auch der Inhalt des „Büchleins“? Dass es den „Bauch bitter“ machen und dem „Mund süß“ sein wird, könnte dann heißen, dass es sich um eine Botschaft des Unheils handelt, die aber für die Gemeinde letztlich eine „gute Botschaft“ ist (zur Botschaft vom Gericht als „Evangelium“ vgl. Offb.14,6-7: „(6) Und ich sah einen anderen Engel hoch oben am Himmel fliegen, der das ewige Evangelium hatte, um es denen zu verkündigen, die auf der Erde ansässig sind, und jeder Nation und jedem Stamm und jeder Sprache und jedem Volk,(7) und er sprach mit lauter Stimme: Fürchtet Gott und gebt ihm Ehre! Denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen …“). Möglich ist auch, dass sich das „Büchlein“ auf 11,1-13 bezieht: Es „schmeckt dem Seher süß wie Honig, da es die Bewahrung der christlichen Gemeinden bekräftigt (z. B. 11,1-2), es wirkt in seinem Buch bitter, weil es auf die Bedrängnisse blickt, die die Gemeinde zu ertragen hat (Martyrium der zwei Propheten).“ (U.  Müller, 203).

 

Vergleichsweise einfach zu verstehen ist die Aufforderung zum Essen des Büchleins. Unmittelbar vor der Vision wird Hesekiel aufgefordert, nicht zu widersprechen: „Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde.“ (Hes.2,8). Insofern kann das Essen des Büchleins so gedeutet werden, dass Johannes die ihm aufgetragene Botschaft „verinnerlichen und sich ganz mit ihr identifizieren“ soll (Maier I, 445).

 

(11) Das Kapitel schließt mit einer Beauftragung: „Du musst wieder weissagen über Völker und Nationen und Sprachen und viele Könige.“ Auch die Vision in Hes.3,4 mündet in einen Auftrag: „Und er sprach zu mir: Menschensohn, auf, geh hin zum Haus Israel und rede mit meinen Worten zu ihnen!“ Während sich der Auftrag Hesekiels auf das „Haus Israel“ bezieht, hat der Auftrag, den Johannes bekommt, universale Bedeutung.

 

Unklar ist, ob der Inhalt seiner Weissagung „über Völker und Nationen und Sprachen und viele Könige“ in den folgenden Kapiteln der Offenbarung zu finden ist – vor allem in den Kapiteln 13, 17 und 18, wo häufig von „Königen“ die Rede ist (Satake, 258; U. Müller, 203) – oder  ob es auch hier um das in Vers 7 erwähnte „Geheimnis Gottes“ geht, das er „seinen eigenen Knechten, den Propheten, als gute Botschaft verkündigt hat“ (Roloff, 110f.).

 

Eindeutig ist aber die Intention des Abschnitts und des letzten Satzes: Er hat die „Funktion, die prophetische Verkündigung des Sehers zu legitimieren“ (Lichtenberger, 165).

 

Zusammenfassung: Inmitten des (Posaunen-)Gerichts offenbart Gott seinen Propheten, dass er die Endzeit „verkürzt“ und ruft sie dazu auf, sich mit seiner Botschaft zu identifizieren und sie weiterzugeben.

 



5.3    Die Vermessung des Tempels und die beiden Zeugen (11,1-14)

 

Das zweite Zwischenstück besteht genaugenommen aus zwei Teilen. In 11,1-2 geht es um die Vermessung des Tempels, ab 11,3 um die zwei Zeugen. Verbunden sind sie durch den Bezug auf Jerusalem.

 

(1) Und es wurde mir ein Rohr, gleich einem Stab, gegeben und gesagt: Steh auf und miss den Tempel Gottes und den Altar und die, welche darin anbeten! (2) Und den Hof, der außerhalb des Tempels ist, lass aus und miss ihn nicht! Denn er ist den Nationen gegeben worden, und sie werden die heilige Stadt zertreten 42 Monate.

 

(1-2) Johannes wird ein Rohr gegeben, das einem Messstab gleicht, und aufgefordert damit „den Tempel Gottes und den Altar und die, welche darin anbeten“ zu messen. Die Aufforderung kommt vermutlich wieder von dem „anderen starken Engel“ (10,1).

 

Das erinnert an eine Vision Hesekiels, in der ein Mann mit einer „Messrute“ den zukünftigen Tempel ausmisst (Hes.40,3ff.), an eine Vision Sachajas, in der ein Mann Jerusalem mit einer „Messschnur“ misst (Sach.2,5-9) und an die Vision aus 21,15-17, in der Johannes einen Engel beschreibt, der „einen Messstab, ein goldenes Rohr“ hatte, „um die Stadt [das neue Jerusalem] zu messen“. Dabei dient das Messen jeweils dazu, die Ausmaße festzustellen.

 

In dieser Vision steht – wie Vers 2 zeigt – jedoch ein anderer Akzent im Mittelpunkt. Es wird betont, dass etwas gemessen wird (Tempel, Altar, Beter) und etwas anderes nicht (äußerer Vorhof). Das, was nicht gemessen wird, „ist den Nationen gegeben [wörtl.: preisgegeben]“. Dementsprechend kann umgekehrt gesagt werden: Was gemessen wird, wird nicht preisgeben. Das Messen hat hier also etwas mit Bewahrung zu tun (E. Müller, 203; U. Müller, 207).

 

Was aber meint Johannes, wenn er vom „Tempel Gottes“, dem „Altar“ und denen, die „darin anbeten“ spricht?

 

Es ist kaum anzunehmen, dass es hier um den Tempel in Jerusalem geht. Die Frage nach dem Schicksal des Zentrums jüdischen Glaubens passt kaum zu den Themen, die in der Offenbarung im Mittelpunkt des Interesses stehen. Wenn in der Offenbarung vom „Tempel“ die Rede ist, ist immer der „Tempel Gottes im Himmel“ gemeint (3,12; 7,15; 11,19; 14,15; 15,5.6.8; 16,1.17; 21,22). Hinzu kommen die kritischen Äußerungen der Sendschreiben zum Judentum (2,9; 3,9). Deshalb liegt es nahe, dass mit dem „Tempel Gottes“ die Gemeinde gemeint ist. Das entspricht neutestamentlichem Sprachgebrauch (1.Kor.3,16; 2.Kor.6,16; Eph.2,19ff.; vgl. E. Müller, 203; U. Müller, 207; Roloff, 113). Das würde gleichzeitig bedeuten, dass mit dem „Altar“ und denen, die im Tempel „anbeten“, Mitglieder der christlichen Gemeinde gemeint sind. Der Hinweis auf den „Altar“ erinnert an das fünfte Siegel (6,9-10), so dass hier möglicherweise speziell die Märtyrer angesprochen sind, die Gott um sein Eingreifen bitten.

 

Die Aussage wäre dann: Die Gemeinde wird nicht preisgeben, sondern bewahrt. Das passt auch gut dazu, dass die Gläubigen vor den sieben Posaunen versiegelt werden (7,1-17) und die Posaunen nur die Menschen treffen, die nicht versiegelt sind (9,4).

 

Die Auswahl des Bildes vom Tempel bzw. vom Innersten des Tempels hängt vielleicht damit zusammen, dass es unter den Zeloten während des Jüdischen Krieges (66-70 n. Chr.) die verzweifelte Hoffnung gab, im Tempelinneren bewahrt zu bleiben.

Josephus, Jüdischer Krieg, 6, 285: „Die Schuld an ihrem elenden Tode trug ein falscher Prophet, der gerade an diesem Tage dem Volke in der Stadt feierlich erklärt hatte, es sei Gottes Wille, dass sie auf die Tempelhallen hinaufsteigen sollten, um dort die Wunderzeichen seiner rettenden Allmacht zu erfahren.“ 

(zit. in https://de.wikisource.org/wiki/Juedischer_Krieg/Buch_VI_4-10). Vgl. U. Müller, 206f.)

 

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, was mit dem „Hof, der außerhalb des Tempels ist“ – dem „Vorhof der Heiden“ – gemeint ist, der „den Nationen [preis]gegeben worden“ ist, und was die „heilige Stadt“ ist, die „42 Monate“ lang von den Nationen „zertreten“ wird?

 

Auch hier ist fraglich, ob die Offenbarung des Johannes am Schicksal eines bestimmten Bereichs des Jerusalemer  Tempels und der historischen Stadt Jerusalems interessiert ist. Wer oder was kann dann gemeint sein? Die Ungläubigen? Dagegen spricht, dass der „Hof“ und die „heilige Stadt“ gerade von den ungläubigen „Nationen“ verfolgt werden. Bliebe die Deutung auf die Gemeinde. Dann wäre gesagt, dass die Gemeinde verfolgt wird, aber ein Teil von ihnen – symbolisiert durch diejenigen, die sich im Innersten des Tempels befinden – bewahrt wird.

 

Nun wird eine Frist von 42 Monaten genannt. Es wäre also der Zeitraum, innerhalb dessen die Gemeinde verfolgt wird. Das entspricht den anderen Aussagen über diese Frist. An anderer Stelle ist davon die Rede, dass die Verfolgung „eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ (Dan.7,25; 12,7; Off.12,14) bzw. „1260 Tage“ dauern wird (Off.11,3; 13,5). Rein quantitativ ist damit natürlich jeweils der gleiche Zeitraum gemeint. Interessant ist aber folgender Hinweis Pauliens: „Im Buch der Offenbarung bezieht sich eine Zeitperiode, die mit 1260 Tagen bezeichnet wird, auf etwas Positives und auf Gottes Seite in der Auseinandersetzung … Wenn andererseits die Zeitperiode als 42 Monate bezeichnet wird, bezieht sie sich auf etwas Negatives und die Feinde Gottes.“ (Paulien, Kampf, 37).

 

 

Exkurs : Die „42 Monate“ im Buch Daniel und in der Offenbarung des Johannes

Die Texte

Worum geht es?

Dan.7,25: Und er wird Worte reden gegen den Höchsten und wird die Heiligen des Höchsten aufreiben; und er wird danach trachten, Festzeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden in seine Hand gegeben werden für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.

Die „Heiligen des Höchsten“ werden vom kleinen Horn verfolgt.

Dan.12,7: Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war, und er erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit! Und wenn die Zerschlagung der Kraft des heiligen Volkes abgeschlossen sein wird, wird alles dies vollendet werden.

Das Ende der „außergewöhnlichen Ereignisse“  der Endzeit (vgl. Dan.12,6).

Offb.11,2: Und den Hof, der außerhalb des Tempels ist, lass aus und miss ihn nicht! Denn er ist den Nationen gegeben worden, und sie werden die heilige Stadt zertreten 42 Monate.

Zeitraum, in dem die „heilige Stadt“ zertreten ist, während Tempel, Altar und Beter bewahrt werden.

Offb.11,3: Und ich werde meinen zwei Zeugen Vollmacht geben, und sie werden 1260 Tage weissagen, mit Sacktuch bekleidet.

 

Zeitraum, in dem die beiden Zeugen/Propheten wirken (und an deren Ende sie getötet werden).

Offb.12,6: Und die Frau floh in die Wüste, wo sie eine von Gott bereitete Stätte hat, damit man sie dort ernähre 1260 Tage.

Zeitraum, in dem die Gemeinde in der Verfolgung bewahrt wird.

Offb.12,14: Und es wurden der Frau die zwei Flügel des großen Adlers gegeben, damit sie in die Wüste fliege, an ihre Stätte, wo sie ernährt wird eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit, fern vom Angesicht der Schlange.

Zeitraum, in dem die Gemeinde in der Verfolgung bewahrt wird.

Offb.13,5: Und es wurde ihm ein Mund gegeben, der große Dinge und Lästerungen redete; und es wurde ihm Macht gegeben, 42 Monate zu wirken.

Zeitraum, in dem das Tier aus dem Meer, dessen Wunde geheilt ist, sein gottfeindliches Wesen treibt und die Gläubigen verfolgt (13,7).

 

Adventistische Bibelausleger legen die 42 Monate i.d.R. nach dem „Jahr-Tag-Prinzip“ aus und beziehen alle Aussagen auf den Zeitraum von 538-1798:

„In der Prophetie steht häufig ein Tag für ein Jahr (vgl. Hes.4,5.6). So umfassen die 1260 Jahre die Zeit der Unfreiheit, der Verfolgungen und Religionskriege, in denen die christliche Gemeinde schwer gelitten hat. Sie endet 1798 n. Chr. mit dem vorläufigen Ende der Vorherrschaft des Papstes, das seine Machtansprüche ab 538 n. Chr. durchgesetzt hat.“ (Wittwer, 80).

 

Umstritten ist hier nicht nur die Anwendung des Jahr-Tag-Prinzips, sondern auch die Festlegung von Beginn und Ende der 1260 Jahre. Mit welchem Recht setzt man den Beginn der päpstlichen Vorherrschaft für das Jahr 538 an? Und steht die „tödliche Wunde“ (Offb.13,3), die auf die Gefangennahme des Papstes durch Napoleon im Jahr 1798 bezogen wird, am Ende oder am Beginn der 42 Monate?

 

Einige adventistische Bibelausleger lehnen aber eine genaue zeitliche Fixierung der 42 Monate (die sie als 1260 Jahre verstehen) ab und betonen, dass diese Zeitangaben nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Bedeutung haben (Stefanovic, 338).

 

In der Bibelwissenschaft ist die Auffassung vorherrschend, dass sich die 42 Monate im Buch Daniel auf die mit Antiochus IV. verbundenen Ereignisse beziehen und die Offenbarung diese Zeitangaben aufgreift, dabei aber nicht an konkrete Zeiträume denkt. Es handele sich um einen Anklang an bekannte Motive, die zudem nicht quantitativ, sondern qualitativ zu verstehen seien – nämlich einfach als eine Zeit der Bedrängnis und der Bewahrung mitten in der Verfolgung, wie sie der Prophet Elia in der Auseinandersetzung während einer Zeit von dreieinhalb Jahren mit König Ahab erlebt hat (Lk.4,24-26; Jak.5,17; vgl. die Anklänge an Elia in Offb.11,5-6).

 

 

(3) Und ich werde meinen zwei Zeugen Vollmacht geben, und sie werden 1260 Tage weissagen, mit Sacktuch bekleidet.(4) Diese sind die zwei Ölbäume und die zwei Leuchter, die vor dem Herrn der Erde stehen.(5) Und wenn jemand ihnen schaden will, so geht Feuer aus ihrem Mund und verzehrt ihre Feinde; und wenn jemand ihnen schaden will, muss er ebenso getötet werden.(6) Diese haben die Macht, den Himmel zu verschließen, damit während der Tage ihrer Weissagung kein Regen fällt; und sie haben Gewalt über die Wasser, sie in Blut zu verwandeln , und die Erde zu schlagen mit jeder Plage, sooft sie nur wollen. (7) Und wenn sie ihr Zeugnis vollendet haben werden, wird das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt, Krieg mit ihnen führen und wird sie überwinden und sie töten.(8) Und ihr Leichnam wird auf der Straße der großen Stadt liegen, die, geistlich gesprochen, Sodom und Ägypten heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde. (9) Und viele aus den Völkern und Stämmen und Sprachen und Nationen sehen ihren Leichnam drei Tage und einen halben und erlauben nicht, ihre Leichname ins Grab zu legen. (10) Und die auf der Erde wohnen, freuen sich über sie und frohlocken und werden einander Geschenke senden, denn diese zwei Propheten quälten die auf der Erde Wohnenden. (11) Und nach den drei Tagen und einem halben kam der Geist des Lebens aus Gott in sie, und sie stellten sich auf ihre Füße; und große Furcht befiel die, welche sie schauten. (12) Und sie hörten eine laute Stimme aus dem Himmel zu ihnen sagen: Steigt hier herauf! Und sie stiegen in den Himmel hinauf in der Wolke, und es schauten sie ihre Feinde. (13) Und in jener Stunde geschah ein großes Erdbeben, und der zehnte Teil der Stadt fiel, und siebentausend Menschennamen wurden in dem Erdbeben getötet; und die Übrigen gerieten in Furcht und gaben dem Gott des Himmels Ehre. (14) Das zweite Wehe ist vorüber: siehe, das dritte Wehe kommt bald.

 

(3) Mit Vers 3 beginnt eine neue Szene. In ihr geht es um „zwei Zeugen“ und ihr Schicksal. Unklar ist, wer hier als „ich“ spricht. Ist es Christus? (U. Müller, 208). Ist es Gott selbst? (Roloff, 115). Oder sprechen Christus bzw. Gott durch den in 10,1 vorgestellten „starken Engel“? (Maier I, 462).

 

Die „zwei Zeugen“ erhalten die Vollmacht, dass sie „weissagen“.  Gemeint ist natürlich eine prophetische Verkündigung. Daher werden sie in 11,10 auch als „zwei Propheten“ bezeichnet. Sie tragen ein „Sacktuch“. Es symbolisiert Trauer und Buße (Jes.22,12; Jer.4,8; Jon.3,6-8; Mt.11,21). Die „zwei Zeugen“ demonstrieren also bereits durch ihre Kleidung, dass ihr Wirken mit dem Gericht über die gottlosen Menschen verbunden ist. Ihr wirken dauert „1260 Tage“ (vgl. zu 11,2).

 

(4) Vers 4 gibt eine Erklärung zu den zwei Zeugen. „Zwei Ölbäume“ und „zwei Leuchter“ stehen „vor dem Herrn der Erde“. Hier wird eine Vision aus dem vierten Kapitel des Buches Sacharja aufgegriffen, in der von einem Leuchter und zwei Ölbäumen die Rede ist, die vor Gott stehen:  „(1) Und der Engel, der mit mir redete, kam wieder und weckte mich wie einen Mann, der aus seinem Schlaf geweckt wird. (2) Und er sprach zu mir: Was siehst du? Und ich sagte: Ich sehe: und siehe, ein Leuchter ganz aus Gold und sein Ölgefäß oben auf ihm und seine sieben Lampen auf ihm, je sieben Gießröhren für die Lampen, die oben auf ihm sind; (3) und zwei Ölbäume neben ihm, einer zur Rechten des Ölgefäßes und einer auf seiner Linken … (11) Und ich antwortete und sagte zu ihm: Was sind diese zwei Ölbäume zur Rechten des Leuchters und zu seiner Linken? (12) Und ich antwortete zum zweiten Mal und sagte zu ihm: Was sind die beiden Zweigbüschel der Ölbäume, die neben den zwei goldenen Röhren sind, die das Goldöl von sich ausfließen lassen? (13) Und er sprach zu mir: Hast du nicht erkannt, was diese sind? Und ich sagte: Nein, mein Herr. (14) Da sprach er: Dies sind die beiden Gesalbten, die bei dem Herrn der ganzen Erde stehen.“ (Sach.4,1-3.11-14). Im Buch Sacharja beziehen sich diese Aussagen auf den Hohenpriester Jeschua (Sach.3,1-10) und den Statthalter Serubabel (Sach.4,6-10) –  also auf einen Priester und einen König.

 

(5-6) Die Verse 5 und 6 zeigen, dass die zwei Zeugen in prophetischer Vollmacht auftreten. Dazu wird ihr Wirken mit dem von Elia und Mose verglichen:

 

Offenbarung 11

Elia und Mose

(5) Und wenn jemand ihnen schaden will, so geht Feuer aus ihrem Mund und verzehrt ihre Feinde; und wenn jemand ihnen schaden will, muss er ebenso getötet werden.

2. Kön.1,10-12: (10) Elia aber antwortete und redete zu dem Obersten über fünfzig Mann: Wenn ich ein Mann Gottes bin, so fahre Feuer vom Himmel herab und fresse dich und deine fünfzig Mann! Da fuhr Feuer vom Himmel herab und fraß ihn und seine fünfzig Mann. (11) Und er sandte nochmals zu ihm, einen anderen Obersten über fünfzig Mann mit seinen fünfzig Leuten. Der stieg hinauf und sagte zu ihm: Mann Gottes, so spricht der König: Schnell, komm herunter! (12) Aber Elia antwortete und redete zu ihnen: Wenn ich ein Mann Gottes bin, so fahre Feuer vom Himmel herab und fresse dich und deine fünfzig Mann! Da fuhr Feuer Gottes vom Himmel herab und fraß ihn und seine fünfzig Mann.

(6) Diese haben die Macht, den Himmel zu verschließen, damit während der Tage ihrer Weissagung kein Regen fällt …

1.Kön.17,1: Und Elia, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead, sagte zu Ahab: So wahr der HERR, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe, wenn es in diesen Jahren Tau und Regen geben wird, es sei denn auf mein Wort!

(6) … und sie haben Gewalt über die Wasser, sie in Blut zu verwandeln, und die Erde zu schlagen mit jeder Plage, sooft sie nur wollen.

2.Mos 7,20: Mose und Aaron taten, wie ihnen der Herr geboten hatte, und Mose hob den Stab und schlug ins Wasser, das im Nil war, vor dem Pharao und seinen Großen. Und alles Wasser im Strom wurde in Blut verwandelt.

(2.Mose 7,14-12,33: Zehn Plagen)

 

Dahinter steht vermutlich die Vorstellung, dass die Endzeit der Urzeit entspricht. „Wie ehedem Elia und Mose gottlose Feinde geplagt haben, so am Ende die letzten Zeugen Christi.“ (U. Müller, 211).

 

Wer aber sind die „zwei Zeugen“? In der Bibelwissenschaft gibt es dazu vor allem zwei Deutungen. Die erste Deutung vermutet, dass es sich um (uns unbekannte) Einzelpersonen mit prophetischer Vollmacht handelt (Roloff, 115; U. Müller, 210), die zweite, dass es der prophetische Charakter der Gemeinde gemeint ist (Satake, 265f.).

 

Adventistische Bibelausleger haben die zwei Zeugen traditionell auf das Alte und das Neue Testament gedeutet.

„Die ‚zwei Ölbäume‘ standen zur ‚rechten und linken Seite‘ des goldenen Leuchters. Aus ihnen tropfte ständig Öl in die Schalen von sieben Lampen. Die beiden Ölbäume und die beiden Leuchter … versinnbildlichen das einheitliche Zeugnis des Wortes Gottes. Zwar wird uns Gottes Wort in menschlicher Sprache vermittelt, aber es ist vom Geiste Gottes inspiriert. ‚Von dem Heiligen Geist getrieben haben Menschen im Namen Gottes geredet.‘ (2.Petr.1,21). Schon  David bekannte: ‚Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.‘ (Ps.119,105). Es ist  ‚ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort‘ (2. Petr.1,19). Und Jesus sagte von der Heiligen Schrift: ‚Sie ist es, die von mir zeuget.‘ (Joh.5,39).“ (Böttcher, 192f.).

In diesem Zusammenhang beruft man sich immer wieder auf Aussagen von Ellen White (Der große Kampf, 268):

„Die beiden Zeugen sind somit ein Bild für das uns durch Offenbarung gegebene Wort Gottes. Sie ‚stellen die Schriften des Alten und Neuen Testaments dar. Beide sind wichtige Zeugnisse für den Ursprung und die Fortdauer des Gesetzes Gottes. Beide sind gleichfalls Zeugen für den Heilsplan. Die Vorbilder, die Opfer und die Weissagungen des Alten Testaments weisen auf den kommenden Erlöser hin. Die Evangelien und die Briefe des Neuen Testaments berichten von einem Heiland, der genauso gekommen ist, wie es die Vorbilder und Weissagungen vorhergesagt hatten …  Als die Bibel von kirchlichen und weltlichen Behörden verbannt und ihr Zeugnis verfälscht wurde und man allerlei Versuche unternahm, die Menschen und Dämonen nur ersinnen konnten, um die Gemüter des Volkes von ihr abzulenken; als die, welche es wagten, ihre heiligen Wahrheiten zu verkündigen, gehetzt, verraten, gequält, in Gefängniszellen begraben, um ihres Glaubens willen getötet oder in die Festen der Berge und in die Schluchten und Höhlen der Erde zu fliehen gezwungen wurden, – da weissagten die Zeugen in Säcken.“

 

In neuerer Zeit beziehen einige adventistische Bibelausleger die zwei Zeugen auf die Gemeinde in ihrer königlichen und priesterlichen Funktion und betonen, dass sich die Angriffe der gottfeindlichen Mächte in den Büchern Daniel und Offenbarung nicht auf die Bibel als Buch beschränken, sondern sich auf Gottes Volk, das das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu verkündigt, beziehen (Stefanovic, 345f. 349).

 

(7) Obwohl die zwei Zeugen große Macht haben, werden sie nach der Vollendung ihres Zeugnisses – also nach den 1260 Tagen – überwunden bzw. getötet. Die christlichen Propheten bzw. die prophetische Gemeinde erleidet das Martyrium.

 

Die traditionelle adventistische Deutung der zwei Zeugen geht davon aus, dass hier die Unterdrückung bzw. ein Verbot der Bibel im Zusammenhang mit der französischen Revolution gemeint ist. (Böttcher, 196).

 

Als Verursacher wird „das Tier, das aus dem Abgrund heraufsteigt“ genannt. Der Abgrund ist das Totenreich (9,1). In 17,3 sieht Johannes ein Tier „voller Lästernamen“, das „sieben Köpfe und zehn Hörner“ hat. Dazu wird ihm in 17,8 offenbart, dass dieses Tier „aus dem Abgrund aufsteigen“ wird. Außerdem ist in 13,1 von einem Tier „aus dem Meer“ die Rede, das dem in Kapitel 17 geschilderten Tier gleicht („… das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte, und auf seinen Hörnern zehn Diademe, und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung.“) Daher liegt es nahe, dass es sich bei den in den Kapitel 11, 13 und 17 genannten Tieren „letztlich um dieselbe endzeitliche Macht“ handelt (U. Müller, 212).

 

Die Bibelwissenschaft bezieht diese Aussagen i.d.R. auf die Vorstellung eines wiederkehrenden Nero.

 

Adventistische Bibelausleger haben das in Kapitel 11 beschriebene Tier traditionell auf die Französische Republik bezogen, in deren Anfängen es zu religionsfeindlichen Handlungen kam, die sich auch gegen die Bibel richteten (Böttcher, 195f.).

 

Diese Auslegung wird aber inzwischen auch von adventistischen Bibelauslegern skeptisch betrachtet.

„Die Ansicht, dass die zwei Zeugen die Schriften des Alten Testamentes (oder in einem weiteren Sinn die des Alten und des Neuen Testamentes) darstellen, führt … zu Problemen in der weiteren Auslegung von Offenbarung 11. Über ihr späteres Schicksal wird vorhergesagt, dass sie getötet werden und ihr Leichnam auf der Straße der großen Stadt liegen wird (Offb 11,7c.8a). Dass dies selbst im symbolischen Sinn auf die Bibel zutreffen kann, ist zumindest fraglich.“ (Paulien, Kampf, 346; vgl. ABC, VII, 803; Stefanovic, 354).

Paulien deutet die hier erwähnte „große Stadt“ auf Babylon (348) und sieht in den „zwei Zeugen“ „die treuen Übrigen in der letzten Zeit vor der Wiederkunft“ (349).

 

(8-9) Nachdem die zwei Zeugen getötet worden sind, liegen ihre Leichen „auf der Straße der großen Stadt …, die, geistlich gesprochen, Sodom und Ägypten heißt, wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“. Um welche Stadt geht es?

 

Wenn in der Johannesoffenbarung von der „großen Stadt“ die Rede ist, geht es eigentlich immer um Babylon (14,8; 16,19; 17,18; 18,10.16.18.19.21). Gemeint ist dann natürlich Rom (vgl. 1.Pt.5,13). „Sodom“ findet sich im Alten Testament als Bezeichnung für Jerusalem – und zwar im Zusammenhang mit der Kritik der Propheten am geistlichen Zustand der Stadt (Jes.1,10: „Hört das Wort des HERRN, ihr Anführer von Sodom! …“; vgl. Jer.23,14; Hes.16,46ff.). Dabei geht es vor allem um geistlichen Ehebruch, also Götzendienst (Jer.23,13f,). Unklar ist, was mit dem Hinweis auf „Ägypten“ gemeint ist. Schließlich wird gesagt, dass es sich um die Stadt handelt, „wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde“, was    zumindest zunächst – für Jerusalem spricht. Vers 9 wiederum informiert darüber, dass „viele aus den Völkern und Stämmen und Sprachen und Nationen“ ihre Leichname sehen, was natürlich eher für eine Weltstadt wie Rom spricht.

 

Daher werden folgende Deutungen vertreten:

·         Rom (Roloff, 117).

·         Jerusalem (Satake, 268f.).

·         Jerusalem als „Repräsentantin der gottlosen Welt“ (U. Müller, 213f.).

 

In Vers 13 ist von 7.000 Menschen als einem Zehntel der Bewohner der Stadt die Rede, was nicht auf Rom, sondern auf Jerusalem passt. Daher wird hier vermutlich auf Jerusalem angespielt. Unter adventistischen Bibelauslegern wird überraschenderweise traditionell die Auffassung vertreten, dass Frankreich gemeint sei (s.o.).

 

Die Leichname der zwei Zeugen werden dreieinhalb Tage lang für alle sichtbar auf dem Marktplatz der „großen Stadt“ liegen. Nachdem sie dreieinhalb Jahre Zeugnis gegeben haben, werden anschließend ihre Leichen dreieinhalb Tage lang zu sehen sein. Dabei kann es sich um eine bewusste Anwendung des Jahr-Tag-Prinzips handeln (Stefanovic, 350).

 

Mit Hilfe des Jahr-Tag-Prinzips bezieht die traditionelle adventistische Auslegung die dreieinhalb Tage auf den dreieinhalb Jahre dauernden Zeitabschnitt während der Französischen Revolution (26.11.1793: Abschaffung der Religion – 17.6.1797: Aufhebung der Beschränkungen, Religionsfreiheit). (Böttcher, 197).

 

(10) Der Tod der zwei Zeugen löst bei denen „die auf der Erde wohnen“ – also den Ungläubigen (6,10; 8,13; 13,8.12.14; 17,2.8) – große Freude aus. Das kann als „perverses Gegenstück“ zum Purimfest verstanden werden, das die Juden gefeiert haben, nachdem sie ihre Feinde besiegt und getötet haben (Est.9,13-19; Mounce, zit. in Maier I, 480). Ebenso gut ist es möglich, dass es sich um einen dreieinhalb Tage dauernden „Gegenfeiertag zu Ostern“ handelt (Maier I, 480).

 

(11) Aber der Tod der „zwei Zeugen“ und der damit verbundene Jubel der Gottlosen ist nicht das Ende der Geschichte. Nach dreieinhalb Tagen fährt der „Geist des Lebens aus Gott“ in sie und „sie stellten sich auf ihre Füße“. Diese Beschreibung ihrer Auferstehung weiß Ähnlichkeiten mit Formulierungen des Buches Hesekiel auf: „(5) So spricht der Herr, HERR, zu diesen Gebeinen: Siehe, ich bringe Odem in euch, dass ihr wieder lebendig werdet … (10) Da weissagte ich, wie er mir befohlen hatte; und der Odem kam in sie, und sie wurden wieder lebendig und standen auf ihren Füßen, ein sehr, sehr großes Heer.“

 

Je nachdem, wie man die „zwei Zeugen“ deutet, handelt es sich entweder um die Auferstehung von Einzelpersönlichkeiten oder um die Auferstehung der Gemeinde.

 

Die traditionelle adventistische Auslegung denkt an die „Auferstehung der Bibel“, z.B. durch die Bibelgesellschaften (Böttcher, 197f.).

 

Die Ungläubigen, die dieses Ereignis registrieren, reagieren auf das Wunder der Auferstehung mit großer Furcht. Das ist eine typische Reaktion auf ein unerwartetes Eingreifen Gottes (vgl. 2.Mos.15,16; Ps.105.38; Neh.6,16; Apg.2,43).

 

(12) Nach ihrer Auferstehung hören die zwei Zeugen eine „laute Stimme aus dem Himmel“. Dabei handelt es sich entweder um die Stimme eines Engels (5,2; 7,2; 10,3; 14,7.15.18; 18,2; 19,17), um die Stimme Jesu Christi (1,10; 4,1), eine Stimme aus dem Tempel (16,1) oder die Stimme „vom Thron her“ (21,3).

 

Die Stimme befiehlt den zwei Zeugen, in den Himmel heraufzusteigen. Sie folgen dieser Aufforderung und „stiegen in den Himmel hinauf in der Wolke“. Auch das erinnert an Elia (2.Kön.2,11: „… siehe da: ein feuriger Wagen und feurige Pferde … Und Elia fuhr im Sturmwind auf zum Himmel.“). Vielleicht ist auch an Mose (Jud.9) oder Henoch (1.Mos.5,24) zu denken. Wichtig ist auch die Parallele zur Himmelfahrt Jesu (Apg.1,9: „Und als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Blicken emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.“)


Die Himmelfahrt der zwei Zeugen wird von ihren Feinden bemerkt. Hier liegt vielleicht eine Parallele zu 1,7 vor, wo davon die Rede ist, dass diejenigen, die Jesus gekreuzigt haben – also seine Feinde – ihn bei seiner Wiederkunft sehen werden.

 

Wie sind diese Aussagen zur Himmelfahrt der zwei Zeugen zu verstehen? Auch hier gilt: Je nachdem welche Deutung bzgl. der „zwei Zeugen“ man bevorzugt, handelt es sich entweder um die Himmelfahrt von prophetischen Einzelpersönlichkeiten oder um die Himmelfahrt der Gemeinde.

 

Die traditionelle adventistische Deutung denkt in diesem Zusammenhang an eine „Himmelfahrt der Bibel“ – und sieht eine solche „Himmelfahrt der Bibel“ in der Erhöhung der Bibel nach ihrer Unterdrückung durch die Französische Revolution (ABC VII, 804).

 

(13) Zeitgleich mit der Himmelfahrt der zwei Zeugen findet in der Stadt ein großes Erdbeben statt. Gemeint ist die in 11,8 erwähnte „große Stadt“ (zur Auslegung s. dort). Nach der Offenbarung des Johannes geschehen Erdbeben als Begleiterscheinungen der Offenbarung Gottes (8,5; 11,19), aber auch im Zusammenhang mit dem sechsten Siegel (6,12) und der siebten Zornesschale (16,18).

 

Adventistische Bibelausleger haben dieses Erdbeben traditionell auf die turbulenten Ereignisse im Zusammenhang mit der Französischen Revolution gedeutet (ABC VII, 804).

 

Bei diesem Erdbeben stürzt „der zehnte Teil der Stadt“; und „siebentausend Menschennamen“ kommen ums Leben. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Jerusalems im 1. Jahrhundert n.Chr.

 

Adventistische Bibelausleger haben den „zehnten Teil der Stadt“ auf Frankreich bezogen und zur Begründung angeführt, dass es sich bei Frankreich um eines der zehn Königreiche handelt, die nach Dan.7,24 aus dem untergegangenen römischen Reich entstanden seien (ABC VII, 804).

 

Diejenigen, die diese Katastrophe überstehen – sie werden „die Übrigen“ genannt (vgl. 12,17) – erschrecken und geben „dem Gott des Himmels Ehre“. Die Kombination von Gottesfurcht und Ehrerbietung ihm gegenüber findet sich auch in 14,7 („Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre …“).

 

Umstritten ist, ob hier von einer weltweiten Bekehrung die Rede ist. Einige Bibelausleger bejahen das (Holtz, 87; Roloff, 118; Stefanovic, 353).

 

Andere verweisen auf Aussagen wie die in 9,20f., nach denen sich die Übrigen nicht bekehren (vgl. 16,9.11). Außerdem ginge es in diesem Abschnitt nicht um das Geschick der Ungläubigen, sondern um das der zwei Zeugen. Gemeint wäre dann: „Die beiden Zeugen handeln nicht als Bußprediger gegenüber den ‚Bewohnern der Erde‘. Ziel der ganzen Darstellung ist nicht eine Botschaft über das Schicksal dieser Menschen, sondern über das Geschick der Zeugen Christi, die siegreich bleiben trotz der Feindseligkeit ihrer Gegner.“ (U. Müller, 216).

 

(14) Mit der Vision über die beiden Zeugen ist „das zweite Wehe … vorüber“. Das erste Wehe bestand aus der fünften Posaune (9,12). Demnach ist die sechste Posaune – zusammen mit den Zwischenstücken, die vor der siebten Posaune kommen – als zweite Wehe anzusehen.

 

Gleichzeitig wird „das dritte Wehe“ angekündigt. Es besteht entweder aus der siebten Posaune, die in 11,15-19 folgt (ABC VII, 804), oder aus der siebten Posaune und einschließlich der Visionen bzw. Endzeitszenarien, die aus der Öffnung der siebten Posaune erwachsen (Müller, 218; Lichtenberger 172, Satake, 272).

 

Maier II, 56 hat vorgeschlagen, das dritte Wehe auf 12,12 zu beziehen („… Wehe der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist zu euch hinabgekommen und hat große Wut, da er weiß, dass er nur eine kurze Zeit hat.“) und bis 13,18 dauern zu lassen.

 

Zusammenfassung: „Während der endzeitlichen Drangsalssituation der 1260 Tage (…) werden standhafte Zeugen der christlichen Gemeinde ihre Botschaft ausrichten. Sie werden zwar zunächst unter Gottes Schutz stehen (Vers 5), doch werden sie am Ende dem satanischen Widersacher erliegen und den Märtyrertod erleiden. Gott aber wird sich zu ihnen bekennen und sie zu eschatologischem Heil auferwecken.“ (U. Müller, 217).

 

 

 

5.4    Die siebte Posaune (11,15-19)

 

Nach den beiden Zwischenstücken (10,1-11; 11,1-14) folgt schließlich die siebte Posaune (vgl. den Aufbau der Sieben-Siegel-Vision, 6,1-8,5). Mit ihr wird „das Geheimnis Gottes vollendet sein“ (10,7).

 

(15) Und der siebente Engel posaunte: und es geschahen laute Stimmen im Himmel, die sprachen: Das Reich der Welt ist unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit. (16) Und die vierundzwanzig Ältesten, die vor Gott auf ihren Thronen sitzen, fielen auf ihre Angesichter und beteten Gott an (17) und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der ist und der war, dass du deine große Macht ergriffen und deine Herrschaft angetreten hast. (18) Und die Nationen sind zornig gewesen, und dein Zorn ist gekommen und die Zeit der Toten, dass sie gerichtet werden und dass du den Lohn gibst deinen Knechten, den Propheten, und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, den Kleinen und den Großen, und die du verdirbst, welche die Erde verderben. (19) Und der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet, und die Lade seines Bundes wurde in seinem Tempel gesehen; und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner und ein Erdbeben und ein großer Hagel.

 

(15) Als der siebte Engel seine Posaune bläst, erheben sich „laute Stimmen im Himmel“. Da es sich hier um mehrere Stimmen handelt, kann es nicht die Stimme Jesu Christi (1,10; 4,1), eine Stimme aus dem Tempel (16,1) oder die Stimme „vom Thron her“ (21,3) sein. Möglicherweise handelt es sich um einen Chor von Engelstimmen (5,2; 7,2; 10,3; 14,7.15.18; 18,2; 19,17) oder die Stimme der Erlösten im Himmel (7,9f.; 12,10; 19,1) (U. Müller, 223). Denkbar ist auch, dass hier die „vier Wesen“ gemeint sind, weil sie in der Thronsaalvision vor den 24 Ältesten das Wort ergreifen (4,8-11) (ThWNT IX, 291).

 

Die großen Stimmen proklamieren: „Das Reich der Welt ist unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Eine ganz ähnliche Formulierung findet sich wenig später in 12,10: „Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes und die Macht seines Christus gekommen …“  Gott und Christus übernehmen die Weltherrschaft. Damit geht eine Hoffnung aus alttestamentlicher Zeit in Erfüllung, wie sie z.B. im Buch Obadja (Obd.21: „… Und die Königsherrschaft wird dem HERRN gehören.“) oder im Buch Daniel (Dan.2,44: „Und in den Tagen dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das ewig nicht zerstört werden wird …“) formuliert wird.

 

(16-17) In einer Art Wechselgesang antworten die 24 Ältesten (4,4) auf diese Proklamation mit einem Dankgebet und fallen dazu vor Gott nieder (vgl. 4,11; 7,11f.). In ihrem Gebet sprechen sie Gott als „Pantokrator“ (Allherrscher, EB: „Allmächtiger“) an und als den, „der ist und der war“. Im Vergleich zu 1,4.8 und 4,8 („… der ist und der war und der kommt …“) fehlt hier die Aussage über das Kommen Gottes – vermutlich deshalb, weil 11,17 das Kommen Gottes voraussetzt. Dementsprechend wird der Dank an Gott damit begründet, dass er seine Herrschaft „angetreten“ hat (vgl. 11,15).

 

(18) Die Machtübernahme Gottes wird in Vers 18 geschildert. Zunächst ist vom „Zorn“ der „Nationen“ die Rede. Dabei ist vor allem an das „Tier aus dem Meer“ und das Tier „aus der Erde“ zu denken, die im Auftrag des Drachen wirken, von dem es in 12,17 heißt: „Und der Drache wurde zornig über die Frau und ging hin, Krieg zu führen gegen die Übrigen von ihrer Nachkommenschaft …“ (vgl. 12,12). Ihr Zorn besteht darin, dass sie sich über Gott erheben (vgl. Ps.2,1ff.).

 

Damit ist jetzt Schluss. Nun ist der „Zorn [Gottes] … gekommen“. Er wird mit den „sieben Plagen … vollendet“ (15,1; vgl. 16,1.19). Nun ist auch die „Zeit der Toten“ gekommen, „dass sie gerichtet werden“. Das Gericht über die Toten wird in 20,12ff. ausführlich beschrieben. Es betrifft die Ungläubigen.

 

Während die Toten gerichtet werden, erhalten andere ihren „Lohn“, das ewige Leben (vgl. 2.Joh.8: „Seht auf euch selbst, damit ihr nicht verliert, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangt.“). Dabei werden verschiedene Personengruppen erwähnt. Zunächst ist von den „Knechten, den Propheten“ die Rede (10,7; 22,9; vgl. 1,1). Dann werden die „Heiligen“ genannt. Dieser Begriff bezieht sich entweder auf alle Christen (Röm.1,7; 2.Kor.1,1) oder speziell auf die Verfolgten bzw. die Märtyrer (16,6: „… das Blut der Heiligen“; vgl. 17,6; 18,24).  Schließlich ist von denen die Rede, die Gottes Namen fürchten, also die Gottes Größe anerkennen (15,4: „Wer sollte nicht fürchten, Herr, und verherrlichen deinen Namen? …“). Wenn dabei von „den Kleinen und den Großen“ die Rede ist, soll das vermutlich heißen, dass alle Gottesfürchtigen eingeschlossen sind – unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung (vgl. 13,16; 19,18).

 

Abschließend ist davon die Rede, dass Gott diejenigen vernichten wird, „welche die Erde verderben“. Hier ist natürlich nicht an Umweltverschmutzer gedacht, sondern an „die große Hure …, welche die Erde mit ihrer Unzucht verdarb“ (19,2).

 

So ergibt sich aus 11,18 eine Art „Inhaltsverzeichnis“ für die kommenden Visionsreihen (Tóth, Kult, 369. Auch Paulien spricht hier von einer „Zusammenfassung der zweiten Hälfte … als Vorschau“, kommt aber zu einer etwas anderen Einteilung der Texte, Kampf, 14ff.).

Off 11,18

Stichwortverweise in Off 12-22

Literarische Einheit

(1) Nationen wurden zornig

(1) Drache wurde zornig (12,17)

Off 12-13

(2) Gottes Zorn ist gekommen

(2) Zorn/Grimm Gottes (15,1; 16,1)

Off 14-18

(3) Zeit des Totengerichts

(3) Totengericht (20,12)

Off 20

(4) Lohn für Heilige/Propheten

(4) Lohn für die Heiligen (22,11.12)

Off 21-22

(5) Gericht an den Erdenverderbern

(5) Hure als Erdenverderberin gerichtet (19,2)

Off 19

Daraus folgt: „Durchaus berechtigt kündigt so des gewaltigen Engels Schwur in Off 10,7 die Vollendung des Geheimnisses Gottes beim Ton der siebten Posaune an, intoniert doch der Schall der letzten Posaune die ganze Symphonie der kommenden Ereignisse, die erst mit den letzten Zeilen des Buches ausklingen.“ (Tóth, Kult, 370).

 

(19) Vers 19 besteht aus zwei Aussagen. Zunächst heißt es: „Und der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet, und die Lade seines Bundes wurde in seinem Tempel gesehen …“ Das entspricht erst einmal der Aussage in 15,5f.: „Danach sah ich: Es wurde aufgetan der Tempel, die Stiftshütte im Himmel, und aus dem Tempel kamen die sieben Engel, die die sieben Plagen hatten …“ Dort steht die Aussage von der Öffnung des Tempels also im Zusammenhang mit den „sieben Plagen“, Gottes Gerichtshandeln. Ähnlich ist das in 11,19, da in 11,18 davon die Rede ist, dass Gottes „Zorn“ gekommen ist. Die Öffnung des Tempels im Himmel ist also ein Zeichen dafür, „dass die Zeit der Vollendung anbricht“ (U. Müller, 225).

 

In 11,19 wird die Sichtbarwerdung der Bundeslade besonders betont. Nach dem Bericht des zweiten Makkabäerbuchs hat Jeremia die Bundeslade vor den Feinden versteckt und prophezeit, dass sie erst dann wiederentdeckt werden soll, wenn Gott sein Volk wieder zusammenführt und seine Herrschaft erscheint (2.Makk.2,4-8). Später wurde die Wiederentdeckung der Bundeslade zu einem entscheidenden Zeichen des Kommens Gottes, von dem in 11,15-18 gesprochen wird (zahlreiche Belegstellen bei Tóth, Kult, 372ff.).

 

Adventistische Bibelausleger haben im Zusammenhang mit der Sichtbarwerdung der Bundeslade traditionell  an die Zehn Gebote gedacht, die sich in der Lade befinden (Smith, 531f.; ABC VII, 806). Im Text selbst ist jedoch nicht davon die Rede und in neueren adventistischen Auslegungen kommt dieser Aspekt daher auch nicht mehr überall vor (Stefanovic, 359, 361f.; Anders Paulien, Kampf, 21: „Ich schlage vor, dass der Hauptgrund, dass die Lade des Bundes an diesem Punkt des Buches der Offenbarung auftaucht, die Beziehung zu den Zehn Geboten ist.“)

 

In 11,19b heißt es dann: „… und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner und ein Erdbeben und ein großer Hagel.“ Dabei handelt es sich nicht nur um Phänomene, die üblicherweise mit einer Gotteserscheinung verbunden sind (4,5; 8,5; vgl. 2.Mos.19,16-19), sondern auch um eine Vorschau auf die siebte Zornesschale, in der die Menschen von Blitzen, Stimmen, Donnern, Erdbeben und Hagel getroffen werden (16,17-21).

 

Zusammenfassung: Gott hat die Herrschaft übernommen und vollzieht die „letzten Dinge“.