2 Die Sendschreiben an die
sieben Gemeinden (2,1-3,22)
Die Kapitel 2-3 bestehen aus sieben „Sendschreiben“. Jeder der sieben Gemeinden in der Provinz Asia (1,4.11) wird ein solches Schreiben gewidmet.
„Im Spätmittelalter begann sich die kirchengeschichtliche Lektüre unserer Kapitel zu verbreiten, die im 16./17. Jahrhundert zum Höhepunkt gelangen sollte. In dieser Rezeptionsepoche wurde jedes der Sendschreiben einer kirchengeschichtlichen Phase zugeordnet und war die wichtigste Frage, bei welchem der Sendschreiben die Gegenwart angelangt sei. Am wirksamsten wurde das Schema Apostelkirche (vgl. 2,1-7) – Märtyrerkirche (vgl. 2,8-11) – Kirche von Konstantin bis ins Hochmittelalter (vgl. 2,12-17) – Zeitalter der spätmittelalterlichen Konflikte (2,18-29) – Reformationszeit (3,1-6) – Gegenwart (3,7-13). Die Deutung der siebten Gemeinde blieb offen, da sie die Zukunft Christi markierte.“ (Karrer, 374f.).
Auch nach traditioneller adventistischer Auffassung stehen die sieben Gemeinden (zugleich) für sieben Perioden der Kirchengeschichte (ABC VII, 737; Böttcher, 26; Smith, 345f.; Wittwer, 16). Diese Auslegung ist aber inzwischen auch innerhalb adventistischer Bibelausleger nicht mehr selbstverständlich.
E. Müller, 93 schlägt eine „dreifache Lesart des
Textes“ vor: „1. die Sendschreiben beziehen sich auf lokale Gemeinden des 1.
Jahrhunderts n. Chr. 2. die Sendschreiben enthalten wichtige Botschaften für
christliche Gemeinden und Individuen aller Zeitalter; 3. die Sendschreiben sind
zu verstehen im erweiterten Kontext der Apokalypse, auf den sie hindeuten.“
Unklar ist, was mit Punkt 3 gemeint ist. In seinen Ausführungen zur „Anwendung“
der sieben Sendschreiben ist kaum bzw. nicht erkennbar, dass die einzelnen Sendschreiben
sich jeweils auch auf eine Epoche der Kirchengeschichte beziehen sollen
(94ff.).
Stefanovic, 81 betont: „Einige Kommentatoren
verstehen die sieben Botschaften von Offenbarung 2-3 als voraussagende
Prophezeiungen der sieben aufeinander folgenden Perioden der Kirchengeschichte
von den Tages des Johannes bis zum zweiten Kommen … Der Zusammenhang lässt
nicht erkennen, dass die sieben Botschaften beabsichtigen, einen prophetischen
Abriss der Kirchengeschichte zu geben.“
Auch evangelikale Bibelausleger lehnen diese Auffassung ab (Maier I, 254; Zu Vertretern dieser Auffassung außerhalb der adventistischen Tradition vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_Sendschreiben [02.12.2014]. In der modernen Bibelwissenschaft wird diese Auffassung gar nicht mehr vertreten.
Dieser Frage wird nach dem Studium der einzelnen Sendschreiben in einem besonderen Exkurs noch einmal ausführlich nachgegangen. Bei der Auslegung der einzelnen Sendschreiben wird jedoch jeweils darauf hingewiesen, auf welche Periode der Kirchengeschichte sich das jeweilige Sendschreiben nach traditioneller adventistischer Auffassung beziehen sollte.
Alle Sendschreiben sind, von kleinen Abweichungen abgesehen, nach folgendem Schema aufgebaut:
· Schreibbefehl („Dem Engel der Gemeinde in … schreibe: …“)
· Botenformel („Dies sagt der, der …“) mit Beschreibungen Jesu aus Offb.1.
· Situationsbesprechung, i.d.R. mit folgenden Elementen
o Lob (i.d.R. mit „Ich kenne …“ bzw. „ich weiß …“)
o Tadel (z.B. mit „Aber ich habe gegen dich …“ oder „Aber ich habe ein weniges gegen dich …“)
o Aufforderung
o Warnung (z.B. mit „Wenn aber nicht …“)
o Verheißung
· Weckruf („Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“, vgl. z.B. Mt.11,15)
· Überwinderspruch („Wer überwindet, dem …“) – mit Verheißungen aus der Beschreibung der neuen Erde
2.1 Das Sendschreiben an die
Gemeinde Ephesus (2,1-7)
(1)
Dem Engel der Gemeinde in Ephesus schreibe: Dies sagt der, der die sieben
Sterne in seiner Rechten hält, der inmitten der sieben goldenen Leuchter
wandelt: (2) Ich kenne deine Werke und deine Mühe und dein Ausharren, und dass
du Böse nicht ertragen kannst; und du hast die geprüft, die sich Apostel nennen
und es nicht sind, und hast sie als Lügner befunden; (3) und du hast Ausharren
und hast vieles getragen um meines Namens willen und bist nicht müde geworden. (4)
Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast. (5) Denke
nun daran, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke! Wenn
aber nicht, so komme ich zu dir und werde deinen Leuchter von seiner Stelle
wegrücken, wenn du nicht Buße tust. (6) Aber dies hast du, dass du die Werke
der Nikolaiten hasst, die auch ich hasse. (7) Wer ein
Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem werde ich
zu essen geben von dem Baum des Lebens, welcher in dem Paradies Gottes ist.
(1) Das Sendschreiben beginnt mit einem Schreibbefehl an Johannes. Wer aber gibt ihm diesen Befehl? In 1,17ff. hat Jesus Christus das Wort ergriffen. Daher ist zu vermuten, dass er es auch ist, der Johannes zum Schreiben auffordert.
Johannes soll dem „Engel der Gemeinde“ in Ephesus schreiben. Damit sind entweder besondere Personen („Boten“) innerhalb der Gemeinde oder Repräsentanten der Gemeinde in der himmlischen Welt gemeint – oder aber himmlische Boten, die der Gemeinde in irdischen Menschen begegnen (vgl. 1,20).
Adressat des ersten Sendschreibens ist die Gemeinde Ephesus. Der Name Ephesus bedeutet wohl so viel wie „wünschenswert“ (Wittwer, 17).
Ephesus war das
Zentrum der Provinz Asien und schon früh eine Hochburg des Kaiserkults. Dort
befand sich ein Tempel für Kaiser Domitian mit einer Riesenstatue (Karrer,
290).
Ausleger, die die Sendschreiben auf Epochen der Kirchengeschichte beziehen, denken hier an die Christenheit im ersten Jahrhundert.
„Die Gemeinde dieser Stadt steht symbolisch für die Christen des ersten Jahrhunderts. Anfangs hatten sie sich mit Begeisterung für die Verbreitung des christlichen Glaubens eingesetzt … Nun aber war eine gewisse Resignation zu verspüren.“ (Wittwer, 17).
In der Botenformel („Das sagt, der …“) wird darauf Bezug genommen, dass Christus die sieben Sterne in seiner Rechten hält (vgl. 1,16) und unter den sieben goldenen Leuchtern wandelt (1,12f.).
(2f.) Die Situationsbesprechung beginnt mit dem Lob. Als Erstes werden die „Werke“ der Epheser angesprochen. Damit können ganz allgemein gute Taten gemeint sein. Möglichweise ist dabei – wie ein Vergleich mit dem Sendschreiben an Thyatira zeigt – speziell an die Treue zu Gott und die Ablehnung des Götzendienstes gedacht. Den Mitgliedern der Gemeinde in Thyatira wird eine große Bedrängnis angedroht, „wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken“ (2,22). Mit diesen bösen Werken sind konkret „Unzucht zu treiben und Götzenopfer zu essen“ gemeint (2,21).
Zweitens wird die „Mühe“ der Gemeinde herausgestellt. Bei Paulus bezieht sich dieser Begriff speziell auf die Mission (1.Thess.2,9). Hier kann er aber auch ganz allgemein verstanden werden und einfach den Einsatz der Gemeinde meinen.
Drittens wird der Gemeinde „Ausharren“ attestiert. Es geht um Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen in schwierigen Zeiten (vgl. 1,9).
Als Viertes wird gelobt, dass die Gemeinde Ephesus „Böse nicht ertragen“ kann. Das ist vermutlich im Zusammenhang mit Vers 6 zu verstehen, wo die Gemeinde dafür gelobt wird, dass sie die häretischen Nikolaïten hasst (zu Nikolaïten s.u.). Die Bösen nicht zu ertragen hieße dann, keine Irrlehrer zu dulden.
In diesem Sinn ist dann auch die Aussage zu verstehen, dass die Gemeinde Personen „geprüft“ und überführt hat, die mit einem apostolischen Anspruch in Ephesus auftraten. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um Wandermissionare, von denen Ignatius kurze Zeit später in seinem Brief an die Epheser schrieb: „Ich lernte Leute kennen, die mit einer schlechten Lehre auf der Durchreise von dort kamen; ihr ließt diese ihre Saat bei euch nicht ausstreuen …“ (IgnEph.9,1). Nach Didache 11,3-6 erkannte man falsche Apostel damals auch daran, dass sie drei Tage in einer Stadt bzw. einem Haus blieben und Geld annahmen.
Außerdem hat die Gemeinde um Jesu willen „vieles getragen“ und ist „nicht müde geworden“. Johannes denkt wohl an ein „konkretes Geschehen, wohl eine Belastung durch die Außenwelt“. Genaueres aber erfahren wir nicht. Möglicherweise ist gemeint, dass „sich die Gemeinde in Ephesus eine Abgrenzung zum imperialen Kaiserkult bewahrt“ hat (Tóth, Kult, 107).
(4) Nach dem Lob folgt der Tadel. Die Gemeinde Ephesus hat „die erste Liebe“ verlassen. Ist hier die Liebe zu Gott gemeint? Dann geht es um das Nachlassen der ersten Begeisterung im Glauben. Oder geht es um die Liebe zum Mitmenschen, um das Versagen gegenüber dem Liebesgebot, um eine „Frömmigkeit ohne Liebe“ (E. Müller, 97). Weil der Gemeinde in 2,5 geraten wird, die „ersten Werke“ zu tun, ist vermutlich letzteres der Fall.
(5a) Nach dem Tadel folgt eine entsprechende Aufforderung zur Besserung. Mit Hilfe eines Bildes vom einem Stern, der hoch am Himmel stand und dann gefallen ist, wird die Gemeinde aufgerufen, sich auf ihre Anfänge zurückzubesinnen (vgl. 3,3), „Buße“ zu tun, d.h. umzukehren, und die „ersten Werke“ zu tun.
(5b) Die Aufforderung wird durch eine deutliche Warnung bekräftigt. Wenn die Gemeinde nicht umkehrt, wird Gott ihren „Leuchter von seiner Stelle wegrücken“. Gemeint sind die in 1,12f.20 beschriebenen Leuchter, in deren Mitte der Menschensohn steht, und die für die sieben Gemeinde stehen. Wenn also damit gedroht wird, dass der Leuchter der Gemeinde Ephesus weggestoßen wird, ist damit der Ausschluss der Gemeinde aus der Nähe Jesu gemeint.
(6) Nach der Drohung aber folgt ein erneutes Lob. Die Gemeinde Ephesus „hasst“ – wie Gott selbst – die Nikolaiten. Der Name dieser Gruppe ist vielleicht von dem in Apg.6,5 erwähnten Diakon Nikolaus abzuleiten (so auch Wittwer, 18). Jedenfalls waren die Nikolaiten eine christlich-gnostische Gruppe, die durch „Unzucht“ und das Essen von Götzenopferfleisch auffiel (2,14f.20). So werden sie auch von Irenäus beschrieben: „Die Nikolaiten haben als Lehrer Nikolaus, einen von den sieben, welche zuerst von den Aposteln zu Diakonen geweiht wurden. Ihr Leben ist zügellos. Sie lehren, es habe nichts zu bedeuten, wenn man ehebreche oder von den Götzenopfern esse.“ (AdvHaer I, 26,3; vgl. III,11,1). Götzenopferfleisch war problematisch, weil es den Göttern geweiht war bzw. von Tieren stammte, die den Göttern geopfert worden waren. „Unzucht“ ist oft ein Bild für Götzendienst (z.B. Hos.1,2; 4,12f.) – vor allem dann, wenn er mit freizügigem Geschlechtsverkehr verbunden war. Vermutlich standen die Nikolaiten insgesamt der heidnischen Lebensweise und dem Kaiserkult recht tolerant gegenüber (Tóth, Kult, 53).
„Die Kritik an den Wanderaposteln, die von außen nach Ephesus kommen, und die Kritik an den Nikolaiten, die in der Gemeinde leben, doch an ihren Rand gerutscht sind, schmiedet die Gemeinde in ihrer Mitte zusammen. Denn wie unterschiedlich immer die theologischen Meinungen aller Gruppen in Ephesus sein mögen …, in der Ablehnung falschen Handelns sind sie sich … einig.“ (Karrer, 294).
(7) Das Sendschreiben schließt mit einem Weckruf (vgl. Mk.4,9.23) und dem Überwinderspruch ab. Beim Überwinderspruch wird – wie bei den anderen Sendschreiben – eine Verheißung aus der Beschreibung der neuen Erde mitgegeben. In diesem Fall geht es um das Essen vom „Baum des Lebens, welcher in dem Paradies Gottes ist“ (22,2.14). „Die Gabe göttlicher Speise überstrahlt alle irdische Mühe.“ (Karrer, 295).
Zusammenfassung: Die Gemeinde Ephesus hat in schwierigen inneren und äußeren Anfechtungen Kurs gehalten, aber die „erste Liebe“ verlassen. Deshalb soll sie zu ihren Anfängen zurückkehren.
2.2 Das Sendschreiben an die
Gemeinde Smyrna (2,8-11)
(8)
Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Dies sagt der Erste und der
Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde: (9) Ich kenne deine Bedrängnis
und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen,
sie seien Juden, und es nicht sind, sondern eine Synagoge des Satans. (10)
Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige
von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet, und ihr werdet
Bedrängnis haben zehn Tage. Sei treu bis zum Tod! Und ich werde dir den
Siegeskranz des Lebens geben. (11) Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den
Gemeinden sagt! Wer überwindet, wird keinen Schaden erleiden von dem zweiten
Tod.
(8) Der Schreibbefehl entspricht – bis
auf den anderen Adressaten – 2,1. „Smyrna“
kann wohl so viel wie „Myrrhe“ bedeuten (Wittwer, 19). Die Stadt war ein
Zentrum des Kaiserkults und erhielt 26 n. Chr. „nach einem heftigen Wettkampf
mit zehn anderen asiatischen Städten die Erlaubnis zur Errichtung eines Tempels
für den Kaiser, Livia und den Senat“ (Satake, 158.
Vgl. Stefanovic, 118). Für das Verständnis des zweiten Sendschreibens ist
außerdem von Bedeutung, dass es in Smyrna einen hohen jüdischen
Bevölkerungsanteil gab.
Adventistische Bibelausleger, die die Sendschreiben auf Epochen der Kirchengeschichte beziehen, denken dabei an die Christenheit vom zweiten bis vierten Jahrhundert.
„Die Gemeinde Smyrna ist ein
treffendes Symbol für die verfolgten Christen zur Zeit des zweiten bis Anfang
des vierten Jahrhunderts. Zwar war der römische Staat gegenüber allen
Religionen tolerant, doch mussten die Bürger dem Kaiser und seinen Bildern Verehrung
und Anbetung entgegenbringen, da er sich als Repräsentant Gottes oder sogar
selbst als Gott betrachtete.“ (Wittwer,
20).
Keine Einigkeit gibt es in
der Frage, ob die Aussagen über die Juden buchstäblich oder symbolisch gedeutet
werden sollen. Zur symbolischen Deutung vgl. Wittwer, 20: „Mit den ‚Juden aus
Satans Synagoge‘ sind nicht wirklich Juden gemeint, sondern Christen, die sich
nicht an das Wort Gottes gebunden fühlten, sondern sich mit dem Heidentum
arrangierten. In der Zeit der Märtyrergemeinde spielten die Juden nämlich keine
Rolle mehr, weil sie 135 n. Chr. durch die Römer aus Palästina vertrieben
worden waren und über die ganze damals bekannte Welt verstreut lebten.“ Zur
buchstäblichen Deutung vgl. Böttcher, 47: „Unter den Gemeindegliedern der
ersten Jahrzehnte gab es offenbar immer einige, die ihre jüdische Herkunft gern
hervorhoben. Sie nannten sich selber ‚Juden‘, wurden aber von Gott zur
‚Synagoge des Teufels‘ gezählt. Gerade in den Synagogen wurden nicht selten
hinterlistige Plänen gegen Christen geschmiedet.“
In der Botenformel wird auf 1,17f. Bezug genommen, wo Christus sich als „der Erste und der Letzte“ vorstellt, der tot war und lebendig geworden ist.
(9) Vers 9 zeigt der Gemeinde, dass Christus ihre Situation kennt und versteht. Sie ist in „Bedrängnis“. Dabei kann es sich um Schwierigkeiten handeln, die sich aus der Ablehnung des Kaiserkults ergaben (Stefanovic, 119). Die andere Möglichkeit ist, dass sie im Zusammenhang mit der „Lästerung“ steht, also mit den Anfeindungen von jüdischer Seite. Bekannt ist, dass die Juden am Martyrium des Polykarp von Smyrna im Jahre 156 n. Chr. beteiligt waren (E. Müller, 101).
Nach dem Hinweis auf die Bedrängnis der Gemeinde ist von ihrer „Armut“ die Rede. Da diese Aussage im Zusammenhang mit anderen äußeren Herausforderungen steht, handelt es sich vermutlich um Armut im buchstäblichen Sinne. Dem wird hinzugefügt, dass die Gemeinde in Wirklichkeit „reich“ ist, was nun vermutlich im übertragenen Sinn zu verstehen ist. Die äußerlich arme Gemeinde ist geistlich reich – und steht damit im Gegensatz zur Gemeinde Laodizea, bei der es genau umgekehrt ist (3,17).
Zur schwierigen Situation der Gemeinde gehört schließlich die „Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und es nicht sind“. Die Christen in Smyrna werden von Juden verleumdet. Entsprechende Berichte finden sich bereits in der Apostelgeschichte des Lukas (Apg.17,5ff.; 18,12ff.).
Nun wird hier nicht nur über Vorkommnisse berichtet, sondern auch ein Aussage über die Gegner der Gemeinde Smyrna gemacht – dass sie sich zwar als Juden bezeichnen, es aber in Wirklichkeit nicht sind. Das wird i.d.R. so verstanden, dass den Juden hier ihr Judesein abgesprochen wird (Roloff, 52; Holtz, 39; U. Müller, 106f.). Auch andere Schriften des Neuen Testaments zeigen den Anspruch der Christen, das wahre Israel zu sein (z.B. Röm.2,28f.; Jak.1,1). Hier aber werden die Juden sogar als „Synagoge des Satans“ bezeichnet. Dabei wird das Selbstverständnis der Juden, Synagoge Gottes zu sein (vgl. 4.Mos.16,3 nach dem Text der LXX, wo Israel als „Synagoge des Herrn“ bezeichnet wird), auf polemische Weise ins Gegenteil verkehrt.
Wengst schlägt folgendes Verständnis vor: „Johannes könnte eine messiasgläubige Gruppe im Blick haben, die sich als jüdisch ausgab, um die dem Judentum gewährten Schutzrechte zu genießen, und dabei Kompromisse mit der Staatsmacht einging“, die ja in der Offenbarung in eine enge Beziehung zu Satan gesetzt wird (Wengst, 89). Ähnlich der Vorschlag Karrers: „Die Menschen, die die Apk dessen bezichtigt, den Namen Juden falsch zu beanspruchen, sind herkunftsmäßig tatsächlich Nichtjuden“ – „weil der jüdische Monotheismus und das jüdische Gesetz beträchtliche Anziehungskraft besaßen“ (Karrer, 303).
(10) Die Gemeinde wird aufgerufen, sich nicht vor den bevorstehenden Leiden zu fürchten. Gleichzeitig wird bestätigt, dass Verfolgungen kommen werden. Dabei handelt es sich – entsprechend der Bezeichnung der Juden als „Synagoge des Satans“ – um Aktivitäten des Teufels, mit denen er die Gemeinde versuchen will.
Der Zeitraum der Bedrängnis wird mit zehn Tagen angegeben. Das ist vielleicht eine Anspielung auf die zehntägige Treueprobe der jungen Israeliten am babylonischen Hof (Dan.1,12.14; so auch Stefanovic, 118). Möglicherweise handelt es sich um eine symbolische Zahl, die ausdrücken soll, dass der Teufel „lediglich einen kurzen Zeitraum … Zugriff auf Gemeindeglieder“ hat, „nicht länger, als man mit den Fingern beider Hände zählen kann“ (Karrer, 305).
Die kirchengeschichtliche
Deutung des Sendschreibens sieht hier nach dem „Jahr-Tag-Prinzip“ einen Hinweis
auf die zehnjährige Verfolgungszeit unter Kaiser Diokletian
(303 bis 313). (Böttcher,
48; Wittwer, 19).
Denen, die bis in den Tod treu sind, wird „die Krone des Lebens“ verheißen. Das Bild kann sich auf den Kranz für den Sieger eines Wettkampfs (1.Kor.9,24f.), auf den Kranz eines siegreichen Kriegsherrn (2.Tim.4,7.8) oder auf die Krone der himmlischen Wesen (4,4.10) beziehen. Inhaltlich ist natürlich das ewige Leben gemeint (vgl. Jak.1,12).
(11) Auch dieses Sendschreiben schließt mit einem Weckruf und dem Überwinderspruch ab. Beim Überwinderspruch wird – wie bei den anderen Sendschreiben – eine Verheißung aus der Beschreibung der neuen Erde mitgegeben. Hier geht es darum, dass den Überwindern der zweite Tod, also der „Feuersee“ (20,14), erspart bleibt. Diese Aussage passt zur Gemeinde Smyrna, weil ihren Mitgliedern der Tod vor Augen steht. Umso wichtiger ist daher die Aussicht, dass vom zweiten und endgültigen Tod keine Gefahr für sie ausgeht.
Zusammenfassung: Die Gemeinde wird verfolgt und mit der Aussicht auf das ewige Leben getröstet.
2.3 Sendschreiben an die Gemeinde
Pergamon (2,12-17)
(12)
Und dem Engel der Gemeinde in Pergamon schreibe: Dies sagt der, der das
zweischneidige, scharfe Schwert hat: (13) Ich weiß, wo du wohnst: wo der Thron
des Satans ist; und du hältst meinen Namen fest und hast den Glauben an mich
nicht verleugnet, auch in den Tagen des Antipas, meines treuen Zeugen, der bei
euch, wo der Satan wohnt, ermordet worden ist. (14) Aber ich habe ein weniges
gegen dich, dass du solche dort hast, welche die Lehre Bileams
festhalten, der den Balak lehrte, eine Falle vor die
Söhne Israels hinzustellen, so dass sie Götzenopfer aßen und Unzucht trieben.
(15) So hast auch du solche, die in gleicher Weise die Lehre der Nikolaiten festhalten. (16) Tu nun Buße! Wenn aber nicht,
so komme ich dir bald und werde Krieg mit ihnen führen mit dem Schwert meines
Mundes. (17) Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer
überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben; und ich werde ihm
einen weißen Stein geben und, auf den Stein geschrieben, einen neuen Namen, den
niemand kennt, als wer ihn empfängt.
(12) Der Schreibbefehl entspricht wieder 2,1. Pergamon war die offizielle Residenz des römischen Statthalters und die berühmteste Stadt der Provinz Asia (Wengst, 57). Auch religiös war sie der Mittelpunkt der Provinz. Pergamon stand an der Spitze des Kaiserkults. Bereits 27 v. Chr. gab es dort ein Heiligtum für Augustus und die Göttin Roma (U. Müller, 110; Roloff, 54; Tóth, Kult, 108ff.). Der Name „Pergamon“ bedeutet wohl so viel wie „hochgelegener Platz“ oder „Burg“ (Wittwer, 21). Die Stadt „ist bis heute durch den hohen Burgberg schon aus der Ferne erkennbar“ (Karrer, 313).
Die traditionelle adventistische Auslegung, in der die sieben Gemeinden für Epochen der Kirchengeschichte stehen, bezieht die Aussagen auf die Christenheit vom vierten bis sechsten Jahrhundert.
„Diese Gemeinde steht für
das Christentum des vierten bis sechsten Jahrhunderts. Im Jahr 313 n. Chr.
hatte Kaiser Konstantin mit der Verfolgung von Christen endgültig Schluss
gemacht. Sie erhielten von ihm die gleichen Rechte wie die nichtchristlichen
Religionen. In den folgenden Jahren räumte er ihnen sogar Sonderrechte ein. Er
hatte sich nämlich entschlossen, das Christentum zur herrschenden Religion im
Römischen Reich zu machen. In seiner Regierungszeit vermischten sich auch Heidentum
und Christentum immer mehr. Am 7. März 321 setzte Kaiser Konstantin
beispielsweise den Tag der Sonne als gesetzlichen Feiertag ein. So besaßen die
Christen nun für einige Jahre zwei Ruhetage, den Sabbat und den Sonntag. Auf
dem Konzil von Laodizea 343-381 n. Chr., bei dem
Konstantin den Vorsitz führte, wurde dann auch von der Kirche die Sonntagsfeier
gesetzlich geregelt und die biblische Sabbatruhe verboten.
In den folgenden Jahren
drang das Heidentum immer stärker in die Kirche ein. Heidnische Tempel wurden
zu christlichen Kirchen, Götterstatuen zu Heiligenbildern umfunktioniert. Man
übernahm beispielsweise die Gewänder, die Kopfbedeckungen, den Hirtenstab und
die Tonsur der heidnischen Priester oder den Gebrauch von Weihwasser, das Beten
in Richtung Osten zur aufgehenden Sonne (siehe die Lage alter Kirchen), die
Prozessionen und den Feldersegen, Gebete für die
Toten oder die Heiligen- und Bilderverehrung.
Jesus spielt auf diese
Vermischung von Christentum und Heidentum an, wenn er in Offenbarung 2,14 an Bileam erinnert … Auch die Christen des vierten
Jahrhunderts ließen sich durch den Einfluss des Heidentums verführen. Nicht nur
die Idee der griechischen Philosophie (siehe Nikolaïten
in Vers 15), sondern auch heidnische Religionen, wie babylonische Mysterienkulte,
die Mutter-Kind-Religionen (Semiramis und Tammuz; Isis und Horus, Venus und Jupiter, Cybele und Deoius) oder der Sonnenkult (Sol Invictus
= die unbesiegbare Sonne) veränderten das Christentum nachhaltig.
Schon die frühen Christen
verstanden unter dem Ort, ‚wo der Thron des Satans‘ ist (Vers 13), die Stadt
Rom (hier verbindet der Text die Verehrung des Schlangengottes mit der
Kaiserkult in Pergamon). Nachdem das Christentum zur Staatsreligion geworden
war, schlug es seinen Sitz dem Thron des römischen Imperiums auf. Nach dem Fall
des politischen Rom übernahm der römische Bischof die Titel und Machtansprüche
des Kaisers: Er sei oberster Priester (Pontifex Maximus),
Stellvertreter des Sohnes Gottes (Vicarius Filii Die) und habe neben der geistlichen auch die
politische Gewalt auf Erden inne.
Als die christliche Kirche
zur Staatsreligion wurde, begann sie Andersdenkende zu verfolgen. Schon 385 n.
Chr. wurden in Trier sechs Christen hingerichtet, weil sie etwas anderes
glaubten, als die Kirche lehrte. Einige Bibelausleger sehen deshalb in dem
treuen Zeugen ‚Antipas‘ (Vers 13) ein Symbol des Widerstandes gegen das
Aufkommen der kirchlichen Hierarchie (anti = gegen; pas = Abkürzung von Pater = Vater) oder einem Mahner zur
Umkehr von einem verkehrten Weg (anteipas =
Widersprecher) …
Auch Jesus ruft diese
Christen in Vers 16 zur Umkehr auf. Andernfalls werde er mit dem ‚Schwert des
Mundes‘ gegen sie kämpfen. Das ist ein deutlicher Hinweis auf die Reformatoren
und ihre Vorläufer, die später mit dem Wort Gottes (Hbr
4,12) diese Vermischung von Christentum und Heidentum bekämpften und zur
biblischen Wahrheit zurückzuführen begannen.“ (Wittwer, 21ff.).
Die Botenformel bezieht sich auf 1,16. Dort stellt Christus sich als der vor, aus dessen Mund ein „zweischneidiges, scharfes Schwert“ hervorgeht. 2,16 knüpft daran an. Dort droht Christus der Gemeinde mit dem Schwert seines Mundes.
(13) Erneut beginnt die Lagebesprechung mit einem Lob. Die Gemeinde hat ihren Glauben trotz großer Anfeindungen nicht verleugnet. Sie befindet sich an einem Ort, an dem der „Thron des Satans“ steht. Das passt dazu, dass Pergamon Hochburg des Kaiserkults war (so auch Stefanovic, 122). Besonders schwierig wurde es, als Antipas dort zum Märtyrer wurde. Nach einer kirchlichen Tradition geschah dies zur Zeit Domitians (so auch Stefanovic, 123).
Wie soll man sich die Verfolgung konkret vorstellen? Das wird in einem Briefwechsel zwischen dem Statthalter Plinius dem Jüngeren und Kaiser Trajan deutlich (um 110 n. Chr.).
Plinius schildert seinen Umgang mit Christen, die wegen ihres Glaubens angezeigt wurden und fragt den Kaiser um Rat:
„(1) Es ist meine Gewohnheit,
Herrscher, alles, worüber ich im Zweifel bin, Dir vorzutragen. Denn wer könnte
besser mein Zaudern lenken oder meinem Unwissen aufhelfen? An Verfahren (cognitiones) gegen Christen habe ich noch nie teilgenommen.
Darum weiß ich auch nicht, was und wieweit man hier
zu strafen und zu untersuchen pflegt. (2) Auch war ich mir einigermaßen
unsicher, ob ein Unterschied [in der Bestrafung] aufgrund des Alters zu machen
sei oder ob man ganz Junge genau so behandeln solle wie Ältere; ob ferner Reue
(paenitentia) Straffreiheit (venia)
bewirke oder ob es einem, der einmal Christ gewesen, gar nichts nütze, wenn er
es nicht mehr ist; ob [schließlich] der bloße [Christen-] Name (nomen ipsum), auch wenn keine
Verbrechen vorliegen, oder [nur] die mit dem Namen zusammenhängenden Verbrechen
bestraft werden müssen.
Einstweilen bin ich mit
denen, die mir als Christen angezeigt wurden, folgendermaßen verfahren: (3) Ich
habe sie gefragt, ob sie Christen seien. Gestanden sie, so habe ich ihnen unter
Androhung der Todesstrafe ein zweites und drittes Mal dieselbe Frage gestellt;
beharrten sie [bei ihrem Geständnis], so habe ich sie [zur Hinrichtung]
abführen lassen. Denn ich zweifelte nicht: Was immer sie gestehen mochten, so
verdienten allein schon ihre Hartnäckigkeit (pertinacia)
und ihr unbeugsamer Starrsinn (inflexibilis obstinatio) Bestrafung. (4) Andere, die einem ähnlichen
Wahnsinn verfallen waren, habe ich, weil sie das römische Bürgerrecht besaßen,
zur Rückführung nach Rom vormerken lassen.
Wie es aber zu gehen pflegt,
nahmen auf das gerichtliche Einschreiten (tractatus)
hin bald die Anschuldigungen zu und kamen weitere Fälle zur Anzeige. (5) Eine
anonyme Anklageschrift wurde vorgelegt, die zahlreiche Namen enthielt. Die
leugneten, Christen zu sein oder es je gewesen zu sein, habe ich entlassen zu
können geglaubt, sobald sie, nach meinem Vorgang, die Götter anriefen und
deinem Bild, das ich mit den Götterstatuen zu diesem Zweck hatte herbeischaffen
lassen, mit Weihrauch und Wein opferten, außerdem noch Christus lästerten -
alles Dinge, zu denen sich, wie es heißt, überzeugte Christen niemals zwingen
lassen. (6) Andere von dem Denunzianten Genannte gaben erst zu, Christen zu
sein, widerriefen aber gleich darauf: sie seien es wohl [einmal] gewesen,
hätten es aber [längst] wieder aufgegeben, [und zwar] manche vor drei, manche
vor [noch] mehr Jahren, ein paar sogar schon vor 20 Jahren. Sie alle haben
ebenfalls deinem Bild sowie den Götterstatuen gehuldigt und Christus
gelästert.
(7) Sie beteuerten jedoch,
ihre ganze Schuld oder auch ihre Verirrung habe darin bestanden, dass sie
gewöhnlich an einem fest gesetzten Tag vor Sonnenaufgang sich versammelt,
Christus als ihrem Gott im Wechsel Lob gesungen (quod
essent soliti stato die ante lucem convenire carmenque Christo quasi deo dicere secum invicem)
und sich mit einem Eid (sacramentum) verpflichtet
hätten – nicht etwa zu irgendeinem Verbrechen, sondern [gerade] zur
Unterlassung von Diebstahl, Raub, Ehebruch, Treulosigkeit und Unterschlagung
von anvertrautem Gut. Danach sei es bei ihnen Brauch gewesen,
auseinanderzugehen und [später] wieder zusammenzukommen, um ein Mahl einzunehmen,
allerdings ein ganz gewöhnliches und unschuldiges; selbst das aber hätten sie
nach meinem Edikt eingestellt, mit dem ich entsprechend deinen Verfügungen das
Bestehen von Hetärien [Vereinen] verboten hatte. (8) Um so mehr hielt ich es für angezeigt, aus zwei
Sklavinnen, sog, >Dienerinnen< (ministrae
[=Diakonissen!]), die Wahrheit unter der Folter herauszubekommen. Ich fand aber
nichts anderes heraus als minderwertigen, maßlosen Aberglauben (superstitio).
(9) Daher setzte ich das
Verfahren aus, um eiligst deinen Rat einzuholen. Mir schien nämlich die Sache
einer Konsultation wert, vor allem um der großen Zahl derer willen, die hierbei
auf dem Spiele stehen [oder: die angeklagt sind]; sind doch zahlreiche
Angehörige jeglichen Alters und Standes, auch beiderlei Geschlechts, von diesen
Untersuchungen betroffen und werden es noch sein, da sich nicht allein in
Städten, sondern auch über die Dörfer und das flache Land hin die Seuche dieses
Aberglaubens ausgebreitet hat.
Dennoch scheint es möglich,
sie einzudämmen und auszurotten. (10) Fest steht jedenfalls, dass man die schon
fast verödeten Tempel wieder zu besuchen beginnt, dass die regelmäßigen Opfer,
die lange unterbrochen waren, wieder aufgenommen werden und das Fleisch der
Opfertiere, für das es eben noch kaum mehr einen Käufer gab, überall wieder
Absatz findet. Demnach ist es leicht vorzustellen, welch große Zahl von
Menschen auf den rechten Weg zu bringen wäre, wenn man nur ihrer [tätigen] Reue
stattgäbe.“ (zit nach: Heiko A. Obermann [Hg.], Kirchen- und Theologiegeschichte
in Quellen, Bd.1, Neukirchen-Vluyn 1977, 14-16).
Kaiser Trajan begrüßt das „differenzierte“ Verhalten seines Statthalters und betont, dass überführte Christen bestraft werden müssten, man aber nicht nach ihnen fahnden solle und anonyme Anzeigen nicht beachtet werden dürften:
„(1) Du hast, mein Secundus,
als du die Fälle derer untersuchtest, die bei dir als Christen angezeigt
wurden, ein völlig korrektes Verfahren eingeschlagen. Denn es läßt sich [in der Tat] nichts allgemein Gültiges verfügen,
das sozusagen als feste Norm gelten könnte. (2) Fahnden soll man nicht
nach ihnen (conquirendi non sunt);
wenn sie aber angezeigt und überführt werden, muß man
sie bestrafen, so jedoch, daß einer, der leugnet,
Christ zu sein, und dies durch die Tat, d. h. durch Vollzug eines Opfers für
unsere Götter, unter Beweis stellt, aufgrund seiner Reue zu begnadigen ist, wie
sehr er auch für die Vergangenheit verdächtig sein mag. Anonyme Anzeigen
dürfen freilich bei keiner Anklage berücksichtigt werden. Denn das wäre ein
äußerst schlechtes Beispiel und entspräche nicht dem Geist unserer Zeit (nec nostri saeculi
est).“ (zit nach: Heiko A. Obermann [Hg.],
Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd.1, Neukirchen-Vluyn 1977,
14-16).
Vermutlich war Trajan „humaner“ als Domitian. Deshalb ist Domitian womöglich auch anonymen Anzeigen nachgegangen (Wengst, 60f.).
Jedenfalls ist Antipas vermutlich aufgrund einer solchen Verfolgung ums Leben gekommen. Er wird als „treuer Zeuge“ bezeichnet, ein Titel, der in 1,5 auch auf Jesus selbst bezogen wird. Soll damit eine Entsprechung „zwischen Jesus und seinen getöteten Zeugen“ hergestellt werden (Wengst, 105)?
(14) Obwohl
die Gemeinde Pergamon trotz des Martyriums des Antipas standhaft geblieben ist,
gibt es einen entscheidenden Schwachpunkt: Sie hat Irrlehrer in ihren Reihen
geduldet. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Leuten die Rede, „welche die Lehre Bileams
festhalten“, durch die Israel dazu verführt wurde, „sodass sie Götzenopfer aßen und Unzucht trieben“.
Die Geschichte Bileams wird in der Offenbarung des Johannes so dargestellt, dass Bileam „den Balak lehrte, einen Fallstrick vor die Söhne Israels zu legen“. Mit den Bileamgeschichten in 4.Mos.22-24 stimmt das nicht überein. Dort wird berichtet, dass der Moabiterkönig Balak den Propheten Bileam engagieren wollte, um das Volk Israel zu verfluchen. Als Bileam kam, konnte er aber nicht anders, als Israel zu segnen.
Eine kritische Bewertung Bileams findet sich jedoch in 4.Mos.31,16: „Siehe, sie [midianitische Frauen] sind ja auf den Rat Bileams den Söhnen Israel ein Anlass geworden, in der Sache mit dem Peor eine Untreue gegen den HERRN zu begehen, so dass die Plage über die Gemeinde des HERRN kam.“ Das bezieht sich auf 4.Mos.25,1f., wo geschildert wird, dass sich die Israeliten mit Moabiterinnen einließen und an deren Opferfeiern teilnahmen. In einem Midrasch, einer rabbinischen Bibelauslegung, wird beschrieben, dass Bileam den Moabitern folgenden Rat gab. „Ihr Gott hasst Unzucht. Macht, dass eure Frauen und eure Töchter sich für sie zur Unzucht hinstellen, und sie werden durch Unzucht überwältigt; ihr Gott legt Hand an sie …“ (sifBam § 147, zit. in Wengst, 78f.).
Von einer Aufforderung Bileams zum Essen von Götzenopferfleisch ist dort nicht die Rede, allerdings davon, dass das Volk zu den Opfern der Midianiter eingeladen wurde und dort auch mit ihnen gegessen hat (4.Mos.25,2). Die Frage des Götzenopferfleisches ist für die Gemeinde Pergamon offenbar so wichtig, dass die Bileamgeschichte in dieser Richtung „aktualisiert“ wird (Wengst, 78f.).
Jedenfalls werden die Unzucht und das Essen vom Götzenopfer getadelt. Unzucht bzw. Hurerei ist ein feststehendes Bild für Götzendienst bzw. Abfall von Gott (z.B. Hes.23,30), kann hier aber auch meinen, dass sie sich – wie die Israeliten damals – mit ungläubigen Frau einlassen (Karrer, 320f.).
Worum aber ging es bei beim Essen von Götzenopfern? Natürlich um das Fleisch der Tiere, die den Göttern geopfert worden waren. Es wurde nicht nur im Tempel verzehrt. Das übriggebliebene Fleisch wurde zusammen mit anderem Fleisch auf dem Markt zum Verkauf angeboten. Der Käufer wusste nicht, ob es sich um das Fleisch von „normalen“ Schlachtungen oder um das Fleisch von Opfertieren handelte – es sei denn, er fragte ausdrücklich nach. Diese Situation beschreibt Paulus in 1.Kor.10,25. Anders war die Lage, wenn alle wussten, dass das Fleisch von Opfertieren stammte. Viele Vereins- und Familienfeiern und auch die Jahresfeiern von Handwerksgilden fanden im Rahmen von Opfermahlen in Tempeln statt (Wengst, 72). Das ist wohl auch der Hintergrund der Aussagen des Apostels Paulus in 1.Kor.8,10. Die Irrlehrer, die in Pergamon auftraten, vertraten offensichtlich die Auffassung, dass die Teilnahme an diesen Tempelfeiern und der damit verbundene Fleischverzehr kein Problem sei. Paulus hatte vor der Teilnahme am Götzendienst gewarnt (1.Kor.10,14ff.), den Verzehr von Götzenopferfleisch eigentlich als unproblematisch betrachtet, sofern das nicht für andere Gemeindeglieder anstößig ist (1.Kor.8,1-13). Auf dem Apostelkonzil aber war von Heidenchristen allerdings die Enthaltung vom Götzenopferfleisch verlangt worden (Apg.15,29).
Warum wird die Sache mit dem Götzenopferfleisch in der Offenbarung des Johannes so stark betont? Einige Bibelausleger führen an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen einem „harten“ und einem „weichen“ Kaiserkult ein (Lichtenberger, 99):
· Der „harte“ Kaiserkult habe das Opfer vor der Statue des Kaisers und die Lossagung von Christus verlangt. In diesem Zusammenhang müsse das Martyrium des Antipas und die Standhaftigkeit der Gemeinde gesehen werden.
· Beim „weichen Kaiserkult“ sei es speziell um das Problem der Teilnahme an Familien- oder Vereinsfeiern im Tempel gegangen. Aus beruflichen Gründen habe vieles dafür gesprochen. Die Christen hätten so Kontakte pflegen und ihre gesellschaftliche Position in der Stadt behalten können. Dabei seien manche, zu der Überzeugung gelangt, dass ihr Bekenntnis zu Christus durch eine Teilnahme an den Feiern nicht in Frage gestellt sei.
Wenn dies der Hintergrund für die Aussagen des Sendschreibens ist, kann man die Botschaft folgendermaßen zusammenfassen: „Für ihn [Johannes] lautet die entscheidende Frage nicht, wie die gegebene Situation mit dem geringst möglichen Schaden überstanden werden kann, sondern wie in ihr die Herrschaft Jesu bezeugt wird, sein Anspruch auf die ganze Welt. Und da gibt es für ihn keinen Kompromiss. Von daher bezeichnet für ihn die Ablehnung des Genusses von Götzenopferfleisch den status confessionis [eine Frage des Glaubensbekenntnisses]. Das ‚Mitmachen‘ ist für ihn in keiner Weise in der Lage, die Herrschaft Jesu zu bezeugen. Es ist für ihn Opportunismus, der im Gegenteil denen die Welt überlässt, die sich Herrschaft über sie anmaßen. In der Verweigerung, im widerständigen Ausharren wird dagegen die Herrschaft Jesu bezeugt.“ (Wengst, 90. Vgl. Paulien, Offenbarung verstehen, 37f.; Karrer, 322).
(15) So wie die „Lehre Bileams“ damals die Israeliten zum Götzenopfer und zur Hurerei verführte, so hat die Gemeinde Pergamon jetzt damit zu tun, dass einige unter ihnen „in gleicher Weise die Lehre der Nikolaïten festhalten“. Von den Nikolaïten war bereits in 2,6 die Rede (s. dort). Ihre Lehre ist also mit der „Lehre Bileams“ vergleichbar.
(16) Nach diesem Tadel überrascht es nicht, dass eine deutliche Aufforderung und eine Drohung folgen. Die Gemeinde soll von ihrem Weg umkehren. Sollte sie das versäumen, wird Christus selbst bald eingreifen und die Irrlehrer mit dem „Schwert“ seines „Mundes“ bekämpfen. Das ist vermutlich ein Anklang an die Bileamgeschichte, da auch Bileam mit dem Schwert umkam (4.Mos.31,8), und entspricht der Selbstvorstellung Jesu in der Botenformel des Sendschreibens (2,12).
(17) Das Sendschreiben endet wieder mit Weckruf und Überwinderspruch. Wer überwindet, dem wird Christus „von dem verborgenen Manna geben“ und „ihm einen weißen Stein geben“.
Mit dem „verborgenen Manna“ ist vermutlich das Manna gemeint, das – wie der Stab Aarons (4.Mose 17,25) – in der Bundeslade verwahrt wurde (2.Mos.16,32-34; vgl. Hbr.9,4). Zum Hintergrund dieser Verheißung gehört vielleicht auch der Bericht von 2.Makk.2,4-8 (Stefanovic, 123). Danach wurde die Lade vor der Zerstörung Jerusalems von Jeremia versteckt und soll erst am Ende der Zeiten wieder ans Licht kommen:
(4) Auch stand in
derselben Schrift, der Prophet habe auf göttlichen Befehl hin ihnen geboten,
dass sie die Stiftshütte und die Bundeslade mitnehmen sollten. als er auszog an
den Berg, auf den Mose gestiegen war und von dem aus er das Erbland Gottes
gesehen hatte. (5) Als Jeremia dorthin
kam, fand er eine Höhle; darin versteckte er die Stiftshütte und die Lade und
den Räucheraltar und verschloss den Eingang. (6) Aber einige Männer, die mit ihm
gegangen waren, traten hinzu und wollten sich am Weg ein Zeichen machen; sie
konnten ihn aber nicht finden. (7) Als das Jeremia erfuhr, tadelte er sie
und sagte: Diese Stätte soll kein Mensch kennen, bis Gott sein Volk wieder
zusammenbringen und ihm gnädig sein wird. (8) Dann wird der Herr dies alles wieder
ans Licht bringen; und dann wird die Herrlichkeit des Herrn und die Wolke
erscheinen, wie sie sich zu Moses Zeiten gezeigt hat und damals, als Salomo
bat, dass die Stätte über die Maßen geheiligt würde. (LB)
Außerdem gab es
im Frühjudentum eine Erwartung, nach der
es am Ende der Zeiten wieder Manna geben wird:
Es wird eine Zeit geschehen,
dass aus der Höhe Mannaschätze wiederum herniederkommen; sie werden zehren
davon in jenen Jahren, weil sie es sind, die ans Ende der Zeit gekommen sind .“ (SyrBar 29,8; zit. in U. Müller, 114).
Ein Grund für den Hinweis auf das
endzeitliche Manna könnte auch sein, dass es das „Gegenprogramm“ zum Verzehr
von Götzenopferfleisch bildet.
Neben dem „verborgenen Manna“ erhalten die Überwinder einen „weißen Stein“ mit einem geheimen „neuen Namen“. Handelt es sich dabei um ein Amulett, auf dem ein zauberkräftiger Name eingraviert ist, der geheim gehalten wird, weil er Macht über Geister und Dämonen verleiht? (U. Müller, 114). Oder geht es um eine Medaille für Sieger? Damals wurde Gladiatoren als Symbol ihrer Freiheit eine Medaille verliehen (Wittwer, 23; Böttcher, 56). Außerdem konnte der Besitz von Siegesmedaillen bestimmte Rechte verleihen, z.B. Recht an Festlichkeiten teilzunehmen (Stefanovic, 123; Satake, 168).
Was aber hat es mit dem „neuen Namen“ auf sich, „den niemand kennt, als wer ihn empfängt?“ Namen zu kennen, hat nach damaligem Verständnis mit Macht und Schutz zu tun (Mk.1,24: 3,11; 5,7). Um welchen Namen geht es? In 19,12f. heißt es vom wiederkommenden Christus, dass er einen Namen trägt, „den niemand kennt als nur er selbst“. Handelt es sich hier also um einen Namen Jesu? Wenn diese Deutung zutrifft, ist gemeint, dass die Träger des weißen Steins Jesu Namen kennen und deshalb unter seinem Schutz stehen bzw. ihres Heils gewiss sind (Lichtenberger, 100).
Die andere Möglichkeit ist, dass es um die Namen der „Überwinder“ geht. Schließlich wird den Erlösten ein neuer Name verheißen (Jes.62,2: „… Und du wirst mit einem neuen Namen genannt werden, den der Mund des HERRN bestimmen wird.“, vgl. Jes.65,15).
Das „verborgene Manna“ und der „weiße Stein“ mit dem geheimnisvollen neuen Namen sind jedenfalls Belohnungen, die am Ende der Zeiten auf die treuen Gläubigen warten.
Zusammenfassung: An einem Ort, der in
der Provinz Asien ein Zentrum des Kaiserkults ist, hat die Gemeinde an ihrem
Glauben festgehalten. Allerdings gibt es in ihren Reihen auch Gemeindeglieder,
die einen Kurs der Anpassung verfolgen. Daher muss die Gemeinde umkehren –
damit Gott die Gemeinde und insbesondere die abgefallenen Gemeindeglieder nicht
zur Rechenschaft ziehen muss. Alle Überwinder werden reich belohnt werden.
2.4 Das Sendschreiben an die
Gemeinde Thyatira (2,18-29)
(18)
Und dem Engel der Gemeinde in Thyatira schreibe: Dies
sagt der Sohn Gottes, der Augen hat wie eine Feuerflamme und Füße gleich glänzendem
Erz: (19) Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen
Dienst und dein Ausharren und weiß, dass deine letzten Werke mehr sind als die
ersten. (20) Aber ich habe gegen dich, dass du das Weib Isebel
gewähren lässt, die sich eine Prophetin nennt und meine Knechte lehrt und
verführt, Unzucht zu treiben und Götzenopfer zu essen.(21) Und ich gab ihr
Zeit, damit sie Buße tue, und sie will nicht Buße tun von ihrer Unzucht.(22)
Siehe, ich werfe sie aufs Bett und die, welche Ehebruch mit ihr treiben, in
große Bedrängnis, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken.(23) Und ihre Kinder
werde ich mit dem Tod töten, und alle Gemeinden werden erkennen, dass ich es
bin, der Nieren und Herzen erforscht; und ich werde euch einem jeden nach euren
Werken geben.(24) Euch aber sage ich, den übrigen in Thyatira,
allen, die diese Lehre nicht haben, welche die Tiefen des Satans, wie sie es
nennen, nicht erkannt haben: Ich werfe keine andere Last auf euch.(25) Doch was
ihr habt, haltet fest, bis ich komme!(26) Und wer überwindet und meine Werke
bis ans Ende bewahrt, dem werde ich Macht über die Nationen geben;(27) und er
wird sie hüten mit eisernem Stab, wie Töpfergefäße zerschmettert werden,(28)
wie auch ich von meinem Vater empfangen habe; und ich werde ihm den Morgenstern
geben.(29) Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
(18) Der Schreibbefehl entspricht wieder 2,1. Der Name „Thyatira“ bedeutet eventuell so viel wie „unermüdliches Opfer“ (Wittwer, 24).
Die Stadt war weniger bedeutend als Ephesus, Smyrna oder Pergamon. „Es handelte sich …um eine Stadt der Kaufleute und Handwerker, organisiert in Handwerksgilden und privaten Vereinen.“ (Wengst, 57). Auch in religiöser Hinsicht tat sich Thyatira nicht besonders hervor. Von einem Tempel für den Kaiserkult ist nichts bekannt. Die in der Apostelgeschichte erwähnte Purpurhändlerin mit Namen Lydia kam aus Thyatira (Apg 16,14).
Die traditionelle adventistische Auslegung der sieben Gemeinden auf Epochen der Kirchengeschichte, bezieht diesen Abschnitt auf die mittelalterliche Kirche.
„Diese Gemeinde ist ein Bild
für die Christen von der Zeit des Mittelalters bis zur Reformation. In diesen
Jahrhunderten entwickelte sich die Kirche weiter von der Bibel weg … Waldenser, Hugenotten, Hussiten und Wicliffianer sind Beispiele für Menschen, die Christus und
seinem Wort treu blieben. Sie weigerten sich, Lehren und Gebräuche anzunehmen,
die nicht dem Wort Gottes entsprachen (Vers 24: ‚Tiefen des Satans‘ – ein Bild
für die heidnischen Mysterienkulte, die katholische Traditionen nachhaltig in
Form und Inhalt beeinflussten). Dafür wurden sie von der Kirche heftig
verfolgt. Tausende fanden in Religionskriegen oder auf den Scheiterhaufen den
Tod. Jesus legte ihnen ‚keine weitere Last auf‘, auf wenn ihre biblische
Erkenntnis nicht vollkommen war … Die Warnung in Vers 23 (wörtlich: ‚mit der
Pest schlagen‘) hat sich … erschreckend erfüllt. Im Mittelalter wurden die Menschen
immer wieder von Pestseuchen heimgesucht.“ (Wittwer, 24ff.).
Die Botenformel bezieht sich auf 1,13-15, wo der Menschensohn, der hier „Sohn Gottes“ genannt wird, dessen „Augen wie eine Feuerflamme“ und dessen „Füße gleich glänzendem Erz, als glühten sie im Ofen“ sind. Die „Augen wie eine Feuerflamme“ sind vermutlich ein Hinweis auf Christi richterliches Wirken (19,12). Das passt dazu, dass dieses Sendschreiben eine kräftige Gerichtsdrohung enthält.
(19) Die Stellungnahme zur Lage der Gemeinde beginnt wieder mit einen Lob. Christus weiß um die „Werke“, die „Liebe“, den „Glauben“, den „Dienst“ und das „Ausharren“ der Gemeinde. In 2,20-23 ist von schlechten „Werken“ die Rede. Dort sind „Unzucht“ und „Götzenopfer“ gemeint. Möglicherweise ist beim Lob der Werke dementsprechend an die Treue zu Gott und die Ablehnung des Götzendienstes gedacht. Der unmittelbare Zusammenhang mit „Liebe“ und „Dienst“ (gemeint sind Hilfsdienste, vgl. Röm.15,31; 2.Kor.8,4; 9,1.12f.;11,8 oder der missionarischer Einsatz, vgl. 1.Kor.16,15) lässt aber eher an gute Taten bzw. Liebeswerke denken (vgl. 2,2). Mit „Geduld“ ist die Standhaftigkeit und das Durchhaltevermögen in schwierigen Zeiten gemeint (vgl. 1,9; 2,3).
Außergewöhnlich ist, dass die Gemeinde Thyatira in ihrem Einsatz und in ihrem Glauben immer mehr wächst. Das unterscheidet sie von der Gemeinde in Ephesus, die dabei ist, die erste Liebe zu verlassen (2,4f.).
(20) Gleichzeitig gibt es jedoch Grund zu Kritik. Auch hier geht es – wie in der Gemeinde Pergamon (2,14f.) – um das Verhalten gegenüber Irrlehrern. Der Gemeinde Thyatira wird sogar ausdrücklich vorgeworfen, eine falsche Prophetin zu dulden, die die Gemeinde zu „Unzucht“ (d.h. Götzendienst und damit verbundene sexuelle Freizügigkeit) und zum Essen von Götzenopfer verführt.
Die Problematik
entspricht also der von Pergamon (vgl. 2,14f.). Allerdings wird im Sendschreiben
an Thyatira „als Erstes die Unmoral erwähnt, bevor
das Problem mit den Mahlzeiten angeschnitten wird. In der Gemeinde Pergamon war
es umgekehrt. Das Hauptproblem in Thyatira scheint
Unzucht (porneia) gewesen zu sein. Vermutlich haben
die Zünfte in Thytira ihre Mitglieder zur Teilnahme
an den Götzenmahlzeiten gezwungen, was zu Unmoral geführt haben mag.“ (E. Müller, 115).
„Ohne die Mitgliedschaft in einer Gilde“ und die Teilnahme an ihren Festen dürfte es auch in Thyatira „äußerst schwierig gewesen sein, … ein Gewerbe zu betreiben“ (E. Müller, 115). Deshalb hatte die falsche Prophetin von Thyatira leichtes Spiel. Sie „vermochte es, ein ethisches Verhalten christlich zu rechtfertigen, das im Einklang blieb mit den Sitten der heidnischen Gesellschaft in der Stadt“ (U. Müller, 118). Möglicherweise tat sie das, indem sie sich auf göttliche Eingebungen berief. Die Prophetin wird hier „Isebel“ genannt. Diese Namensgebung soll an die Gattin von König Ahab erinnern, die Israel zum Götzendienst verführte (1.Kön.16,31ff.; 18,4. 19; 2.Kön.9,22).
(21) Der falschen Prophetin wurde von Christus „Zeit gegeben, Buße zu tun“. Vielleicht ist damit eine Frist zur Umkehr gemeint. Aber „Isebel“ will sich „nicht Buße tun von ihrer Unzucht“.
(22) Deshalb folgt eine deutliche Warnung bzw. die Ankündigung des Gerichts. Das Gericht betrifft zunächst Isebel selbst. Sie wird „aufs Bett“ geworfen, d.h. mit Krankheit bestraft (2.Mos.21,18). Das Bett, in dem die Unzucht stattfindet, ist logischerweise auch der Ort, an dem die Bestrafung erfolgen soll (U. Müller, 119; E. Müller, 116).
Aber auch alle, „welche Ehebruch mit ihr treiben“, werden bestraft. Gemeint sind entweder Mitverantwortliche der häretischen Gruppe (Maier I, 190) oder Gemeindeglieder, die sich haben mitreißen lassen (Roloff, 57). Ihnen wird „große Bedrängnis“ angekündigt, also eine Zeit der Verfolgung (1,9; 2,9f.; 7,14). Wird hier also eine zukünftige Christenverfolgung als Strafe für „geistlichen Ehebruch“ vorhergesagt?
Dieses Schicksal ist jedoch noch nicht endgültig. Die Ankündigung des Gerichts gilt nur für den Fall, dass sie sich nicht bekehren – was umgekehrt bedeutet, dass sie noch eine (letzte) Chance zur Umkehr haben, um dem Gericht zu entgehen.
(23) Hinzu kommt, dass Christus ihre Kinder „mit dem Tod töten“ will. Dabei handelt es sich um einen Hebraismus für „des Todes sterben“. Evtl. ist auch eine tödliche Seuche gemeint (Hes.33,27 LXX).
Der Tod der Kinder Isebels spielt auf die Ermordung der Söhne Ahabs an (2.Kön.10,6-8). Wer aber ist hier gemeint? Geht es um den unmittelbaren Anhängerkreis „Isebels“? (Roloff, 57). Oder ist die nachfolgende Generation der Häretiker gemeint? (Maier I, 190).
Dieses Gericht enthält auch eine wichtige Botschaft an „alle Gemeinden“. Sie sollen erkennen, dass Christus nichts verborgen bleibt und er nach den „Werken“ richtet. In diesem Zusammenhang kommt es dabei offensichtlich vor allem auf das Verhalten gegenüber dem Götzendienst an.
(24) Den „Übrigen“, also denen, die der Lehre der falschen Prophetin nicht gefolgt sind, wird zugesagt, dass Christus ihnen „keine andere Last“ auferlegen will. Ist damit gemeint, treue Gemeindeglieder müssten sich nicht vor göttlichen Strafandrohungen fürchten? (Roloff, 57). Oder ist gemeint, dass sie keine anderen Vorschriften auferlegt bekommen, als Götzenopferfleisch zu meiden (vgl. Apg.15,28f.: „(28) Denn es hat dem Heiligen Geist und uns gut geschienen, keine größere Last auf euch zu legen als diese notwendigen Stücke: (29) euch zu enthalten von Götzenopfern und von Blut und von Ersticktem und von Unzucht …“). (Wengst, 76f.; U. Müller, 120).
Im Zusammenhang mit dieser Verheißung für treue Gemeindeglieder wird der Grundirrtum der Irrlehre noch einmal auf eine kurze Formel gebracht. Danach haben sie behauptet, die „Tiefen des Satans“ erkannt zu haben.
Dazu gibt es zwei Deutungen. Erstens: Die Irrlehrer waren der Auffassung, die „Tiefen Gottes“ erkannt zu haben. Im Sendschreiben an die Gemeinde aber wird dieser Anspruch korrigiert bzw. parodiert und behauptet, dass sie in Wirklichkeit die „Tiefen des Satans“ erkannt haben (vgl. 2,9: Juden als „Synagoge des Satans“ – anstelle ihres Selbstverständnisses als „Synagoge Gottes“).
Was könnten die Irrlehrer mit ihrer Behauptung, die „Tiefen Gottes“ erkannt zu haben, gemeint haben? Vielleicht waren sie der Auffassung, dass ihnen der Götzendienst aufgrund ihres Wissens um den einen Gott nichts anhaben kann.
„Diejenigen, die ‚die Tiefen Gottes‘ erkannt haben, haben damit
vollkommene Erkenntnis. Sie wissen auch, dass es keine Götter in der Welt gibt,
sondern nur den einen Gott (vgl. 1.Kor.8,4). Über diejenigen, die solche
Erkenntnis haben, kann also, wenn sie in einen Tempel gehen, die dort verehrte
Gottheit keine Macht gewinnen, weil es sie gar nicht gibt. Für Johannes ist
solche Argumentation offenbar satanisch. Und so verballhornt er den Anspruch,
die Tiefen Gottes erkannt zu haben, in sein Gegenteil.“ (Wengst,
76; vgl. U. Müller, 119; Roloff, 58; Lichtenberger, 103).
Die zweite Deutung geht davon aus, dass die Irrlehrer tatsächlich proklamierten, die „Tiefen Satans“ erkannt zu haben. Vermutlich waren sie der Meinung, aufgrund dieser Erkenntnis könne ihnen nichts mehr passieren.
„Es ist ‚Gnosis‘ [Erkenntnis], was ihren synkretistischen
[religionsvermischenden] Bestrebungen zugrunde liegt, das ‚erlösende Wissen‘ …
Wer ‚erkannt‘ hat, dass der Geist alles, das Fleisch nichts ist, der kann
überhaupt nicht mehr befleckt werden. Alles leibliche Tun – Geschlechtsverkehr
so gut wie Essen und Trinken – ist etwas rein Äußerliches, Gleichgültiges (vgl.
1.Kor. 6,12ff.), berührt den inneren Menschen nicht. Der rechte ‚Gnostiker‘ muss
geradezu die Gelegenheit suchen und hinabtauchen in ‚die Tiefen des Satans‘. Je
tiefer er dringt, um so mehr wird er den Satan selbst
erkennen in seiner Ohnmacht und Unfähigkeit, ihm etwas anzuhaben, und der
vollkommenen Freiheit, die solche Erkenntnis verleiht, mit Stolz inne werden
(…). Das Schlagwort der Gnostiker … zeigt, wie tief sie ins Heidentum
abgesunken sind.“ (Behm, 23). Vgl. Satake, 173: „Isebel behauptet, dass sie und ihre Anhänger sich das
Mysterium des Satans zueigen gemacht haben und dass sie
jetzt drüber verfügen.“
(25) Denjenigen, die solchen Auffassungen nicht auf dem Leim gegangen sind, wird geraten, das, was sie haben, bis zum zweiten Kommen Christi festzuhalten. Geht es hier allgemein darum, den überlieferten Glauben festzuhalten? (E. Müller, 117; Maier I, 195). Oder ist speziell gemeint, dass die Gemeinde an den „Mindestforderungen“ festhalten soll, wozu die Enthaltung von Götzenopferfleisch gehört? (U. Müller, 120).
(26-28) Ab dem vierten Sendschreiben steht der Überwinderspruch bereits vor dem Weckruf.
„Lenkt der Weckruf in den ersten drei Sendschreiben die Aufmerksamkeit auf die Überwindersprüche …, so lenken die Weckrufe in den folgenden Sendschreiben diese Aufmerksamkeit jeweils neu auf den folgenden Text, zunächst auf das folgende Sendschreiben, dann aber – und dies entscheidend in 3,22 – darüber hinaus auf das Corpus der Apk ab 4,1.“ (Johannes Karrer, Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort, Göttingen 1986, 167).
Den Überwindern, also denen, die bis zum Ende treu bleiben (vgl. 2,25), wird Christus „Macht über die Nationen geben“. Das ist vielleicht ein Hinweis auf das „Tausendjährige Reich“ (20,4).
Dazu gehört, dass die Überwinder die Heiden „hüten mit eisernem Stabe“. So nehmen sie Anteil an der Herrschaft Jesu Christi:
· 12,5: „Und sie gebar einen Sohn, ein männliches Kind, der alle Nationen hüten soll mit eisernem Stab; und ihr Kind wurde entrückt zu Gott und zu seinem Thron.“
· 19,15: „Und aus seinem Mund geht ein scharfes Schwert hervor, damit er mit ihm die Nationen schlage; und er wird sie hüten mit eisernem Stab …“
Dabei sollen die Heiden „wie Töpfergefäße zerschmettert werden“. Das Bild entstammt „altägyptischen Krönungsritualen, bei denen der König durch symbolisches Zerschlagen von Tongefäßen seine Macht über fremde Völker demonstriert“ (U. Müller, 121). Die Überwinder werden „am Ende der Zeiten Gottes Feinde wie schwaches Tongeschirr zerschlagen. Auch dieses Bild ist dem Alten Testament wohl vertraut (vgl. Jes.30,14; 41,25; Jer.19,1ff.; Klgl.4,2)“ (Maier I, 198f.).
Wer „überwindet“ wird also von Christus große Macht empfangen – so wie Christus selbst von seinem Vater „Macht empfangen“ hat.
Außerdem erhalten die Überwinder „den Morgenstern“. Der „Morgenstern“ ist Symbol für Herrschaft (vgl. Jes.14,12, wo es um gestürzte Herrschaft geht). In der Offenbarung des Johannes tritt Jesus Christus selbst als „Morgenstern“ auf: „Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch diese Dinge für die Gemeinden zu bezeugen. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der glänzende Morgenstern.“ (22,16) Gemeint ist also: Christus gibt den Überwindern volle Gemeinschaft mit sich selbst und teil an seiner Macht (U. Müller, 121; Maier I, 200).
(29) Der Weckruf entspricht, obwohl jetzt an anderer Stelle, dem von 2,7.11.17.
Zusammenfassung: Der Einsatz der Gemeinde ist zu loben. Aber sie duldet eine Prophetin, die die Anpassung an Sitten der heidnischen Gesellschaft rechtfertigt. Christus wird sie und alle, die mit ihr verbunden sind, strafen. Dadurch wird die Gemeinde aufwachen. Die treuen Gemeindeglieder dürfen wissen, dass ihnen keine weitere Last aufgebürdet wird und es für sie einfach darauf ankommt, ihren Glauben zu bewahren. Wenn sie das tun, werden sie „Macht … über die Nationen“ erhalten und mit Christus eng verbunden sein.
2.5 Das Sendschreiben an die
Gemeinde Sardes (3,1-6)
(1)
Und dem Engel der Gemeinde in Sardes schreibe: Dies
sagt der, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat: Ich kenne
deine Werke, dass du den Namen hast, dass du lebst, und bist tot. (2) Wach auf
und stärke das übrige, das im Begriff stand zu sterben! Denn ich habe vor
meinem Gott deine Werke nicht als völlig befunden. (3) Denke nun daran, wie du
empfangen und gehört hast, und bewahre es und tue Buße! Wenn du nun nicht
wachst, werde ich kommen wie ein Dieb, und du wirst nicht wissen, zu welcher
Stunde ich über dich kommen werde. (4) Aber du hast einige wenige Namen in Sardes, die ihre Kleider nicht besudelt haben; und sie
werden mit mir einhergehen in weißen Kleidern, denn sie sind es wert. (5) Wer
überwindet, der wird so mit weißen Kleidern bekleidet werden, und ich werde
seinen Namen aus dem Buch des Lebens nicht auslöschen und seinen Namen bekennen
vor meinem Vater und vor seinen Engeln. (6) Wer ein Ohr hat, höre, was der
Geist den Gemeinden sagt!
(1) Der
Schreibbefehl entspricht wieder 2,1. Der Name „Sardes“
bedeutet möglicherweise so viel wie „Erneuerung“, „Überrest“ (Wittwer, 27).
Die traditionell-adventistische Deutung bezieht dieses Sendschreiben auf die Reformation und die anschließende Orthodoxie.
„Die Gemeinde zu Sardes wurde „zu einem Bild der Kirche zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert. Durch die Reformation war der Christenheit neues geistliches Leben geschenkt worden, das sie aber in der Folgezeit nicht gewissenhaft bewahrte … Nach dem Tode Luthers erstarrte die evangelische Kirche mehr und mehr. Statt an der Erneuerung der Gemeinde weiterzuarbeiten, begnügte man sich damit, an den überkommenden Lehren festzuhalten … Wenn wir die Botschaft an Sardes auf die Reformation und die Folgezeit anwenden, erkennen wir, wie genau Jesu mahnende Worte auf diese Zeit zutreffen. Die Reformatoren waren Männer der Hingabe an Gott; ihre Nachfolger aber meinten, die Schlacht sei schon gewonnen. Schließlich klammerten sie sich nur noch an eine tote Orthodoxie (starre Rechtgläubigkeit).“ (Böttcher, 67ff.).
Die Stadt war ein reicher Handelsumschlagplatz. Als 26 n.Chr. elf Städte der Provinz Asia darum stritten, wer einen Tempel für Tiberius, seine Mutter Livia und den Senat errichten darf, betonte Sardes seine historischen, geographischen und wirtschaftlichen Vorzüge (Tacitus, Annalen IV, 55) – unterlag aber in der Endausscheidung gegen Smyrna. Daraufhin förderte die Stadt den Tiberius-Kult vor Ort (Wengst, 58; Tóth, Kult, 112).
In der Botenformel wird auf 1,4 („sieben Geister“) und auf 1,16 („sieben Sterne“). Bezug genommen. Die „sieben Geister“ stehen vor dem Thron Gottes (1,4) und werden als Botschafter „ausgesandt über die ganze Erde“ (5,6). Die „sieben Sterne“ sind die „Engel der sieben Gemeinden“ (1,20).
Im Unterschied zu den meisten der anderen Gemeinden wird Sardes bei der Situationsbeschreibung überhaupt nicht gelobt. Sie wird sofort getadelt. Christus kennt die Werke, also das Glaubensleben bzw. den Lebensstil der Gemeinde (2,2.19). Sie hat „den Namen“, lebendig zu sein. Einen Namen zu haben bedeutet, einen guten Ruf zu haben – also „Rang und Namen“ (vgl. Eph.1,21: „… hoch über jede Gewalt und Macht und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der nicht nur in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen genannt werden wird.“). Sardes hat also den Ruf einer lebendigen Gemeinde. In Wirklichkeit aber ist sie tot.
Inwiefern ist die Gemeinde tot? Aus Vers 2 erfahren wir, dass „das Übrige, das im Begriff stand zu sterben“, gestärkt werden soll und ihre „Werke nicht als völlig befunden“ wurden. Außerdem ist Vers 4 davon die Rede, dass einige Mitglieder der Gemeinde „ihre Kleider nicht besudelt haben“, was nahelegt, dass andere es sehr wohl getan haben. Die Antwort auf die Frage, inwiefern die Gemeinde Sardes tot ist, hängt daher von der Auslegung der Verse 2 und 4 ab.
(2) Nach dem Tadel folgen entsprechende Aufforderungen. Sie beginnen mit dem Aufruf aufzuwachen. Solche Aufrufe stehen oft im Zusammenhang mit dem zweiten Kommen Jesu Christi und ermahnen dazu, für dieses Ereignis bereit zu sein:
· 16,15: „Siehe, ich komme wie ein Dieb. Glückselig, der wacht und seine Kleider bewahrt, damit er nicht nackt umhergehe und man nicht seine Schande sehe!“
· 1.Thess.5,2.6: „Denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn so kommt wie ein Dieb in der Nacht … Also lasst uns nun nicht schlafen wie die übrigen, sondern wachen und nüchtern sein!“
· Mk.13,33-37: „(33) Seht zu, wacht! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit ist. (34) Wie ein Mensch, der außer Landes reiste, sein Haus verließ und seinen Knechten die Vollmacht gab, einem jeden sein Werk, und dem Türhüter einschärfte, dass er wache, (35) so wacht nun! Denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob des Abends oder um Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder frühmorgens, (36) damit er nicht, wenn er plötzlich kommt, euch schlafend finde. (37) Was ich aber euch sage, sage ich allen: Wacht!“
Da in Vers 3b davon die Rede ist, dass Christus für alle, die nicht wachen, überraschend kommen wird, besteht dieser Zusammenhang auch hier. „Wach auf“ ist also eine Aufforderung zur „Stetsbereitschaft“ im Hinblick auf das zweite Kommen Jesu Christi.
Hinzu kommt die Aufforderung: „… stärke das übrige, das im Begriff stand zu sterben! …“ „Stärken“ steht oft im Zusammenhang mit Begriffen wie „aufrichten“, „kräftigen“, „gründen“ oder „ermahnen“ (1.Pt.5,10; 1.Thess.3,2). Worum es dabei konkret geht, kann erst die weitere Auslegung zeigen.
Gestärkt werden soll „das übrige, das im Begriff stand zu sterben!“. „Das Übrige“ meint hier entweder Mitglieder der Gemeinde (vgl. 2,24) oder übriggebliebene gute Werke der Gemeinde (Karrer, 342). Fest steht: Das Gemeindeleben ist dabei, „zu sterben“ – womit hier sicher ein „geistlicher Tod“ gemeint ist.
Die Aufforderung zum Aufwachen und zur Stärkung wird damit begründet, dass Christus die Werke der Gemeinde Sardes vor Gott „nicht als völlig befunden“ hat. Bedeutet dies einfach, dass ihre guten Werke nicht ausreichen? (Roloff, 59). Oder betrachteten sich die Christen in Sardes aufgrund eines falschen Freiheitsverständnisses als vollkommen (vgl. Phil.3,12ff., wo Paulus sich offenbar mit Vollkommenheitsvorstellungen in der Gemeinde Philippi auseinandersetzt) und das Sendschreiben verfolgt daher die Absicht, ihnen diese Illusion zu rauben? (U. Müller, 125).
(3) Die dritte Aufforderung besteht darin, dass die Gemeinde sich an der ursprünglich empfangenen Verkündigung orientieren soll (vgl. 2,5.25). Sie soll diese Botschaft festhalten bzw. bewahren (vgl. 12,17: „… die Gottes Gebote (fest)halten …“; 14,12: „… welche die Gebote Gottes und den Glauben Jesu bewahren.“)
Die Aufforderung wird mit Hilfe einer Warnung bekräftigt, die zur Aufforderung passt. Wer schläft, kann bestohlen werden. Deshalb soll die Gemeinde aufwachen und die Botschaft bewahren. Für den, der nicht wach ist, wird Jesus Christus überraschend kommen („wie ein Dieb“).
Nach Mt.24,42-44 kommt Christus für alle, auch die Gläubigen,
überraschend wie ein Dieb. Deshalb gilt es, zu wachen und bereit zu sein: „42 Wacht also! Denn ihr wisst nicht, an
welchem Tag euer Herr kommt. 43 Das aber erkennt: Wenn der Hausherr gewußt hätte, in welcher Wache der Dieb kommt, so hätte er
wohl gewacht und nicht zugelassen, dass in sein Haus eingebrochen wird. 44
Deshalb seid auch ihr bereit! Denn in der Stunde, in der ihr es nicht meint,
kommt der Sohn des Menschen.“ Nach 1.Thess.5,1-4 sind Christen sich aber sehr
wohl darüber im Klaren, dass Christus eigentlich überraschend wie ein Dieb in
der Nacht kommt. Weil die Gläubigen jedoch nicht „in Finsternis“ sind, wird der Tag der Wiederkunft Jesu nicht wie
ein Dieb über sie kommen: „(1) Was aber
die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, so habt ihr nicht nötig, dass euch
geschrieben wird. (2) Denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn so
kommt wie ein Dieb in der Nacht. (3) Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit!
dann kommt ein plötzliches Verderben über sie, wie die Geburtswehen über die
Schwangere; und sie werden nicht entfliehen. (4) Ihr aber, Brüder, seid nicht
in Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife.“ In Sardes aber läuft die Gemeinde Gefahr, vom Kommen Jesu
Christi überrascht zu werden. Gemeint ist das Kommen Jesu Christi am „Ende“ (2,25.26; anders Karrer, 344, der
hier ein „innerzeitliches Kommen“ Jesu angekündigt sieht).
(4) Dem Tadel, den Aufforderungen und der Warnung wird eine Verheißung gegenüber gestellt, die allen gilt, die „ihre Kleider nicht besudelt haben“. Das bedeutet andererseits, dass es in der Gemeinde Sardes Personen gibt, die dies sehr wohl getan haben.
Das Bild von den „besudelten Kleidern“ bringt vermutlich all das auf eine kurze Formel, was Christus an der Gemeinde Sardes auszusetzen hat. Aber was ist gemeint?
In der
Offenbarung des Johannes werden die 144.000 als diejenigen beschrieben, „die sich mit Frauen nicht befleckt haben,
denn sie sind jungfräulich; diese sind es, die dem Lamm folgen, wohin es auch
geht“ (14,4). Im Judasbrief 7f.22f. stehen befleckte Kleider für Unzucht: „(7) wie auch Sodom und Gomorra und die
umliegenden Städte, die in gleicher Weise wie sie Unzucht trieben und hinter
fremdem Fleisch herliefen, als ein Beispiel vorliegen, indem sie die Strafe des
ewigen Feuers erleiden. (8) Ebenso aber beflecken auch diese als Träumende das
Fleisch, die Herrschaft aber verachten sie, Herrlichkeiten aber lästern sie … (22)
Und der einen, die zweifeln, erbarmt euch, (23) rettet sie, indem ihr sie aus
dem Feuer reißt, der anderen aber erbarmt euch mit Furcht, indem ihr sogar das
vom Fleisch befleckte Kleid hasst!“
Wenn es bei den befleckten Kleidern um Unzucht geht, stellt sich die Frage,
ob es in der Gemeinde Sardes eine falsche Sexualmoral
gab (U. Müller, 125; Lichtenberger, 106) oder ob die besudelten Kleider für
Hurerei i.S.v. Götzendienst stehen. Eine weitere Deutungsmöglichkeit besteht
darin, dass die besudelten Kleider ganz allgemein einen gottwidrigen
Lebenswandel meinen (Roloff, 60; Maier I, 212; E. Müller, 125; ABC VII, 757).
Wichtig ist jedenfalls, dass es einige gibt, die ihre Kleider nicht besudelt haben. „Sie sind moralisch und kultisch gerüstet für die Christusbegegnung und werden in weißen Festgewändern mit ihm wandeln …“ (Karrer, 345). Sie werden mit Christus „einhergehen in weißen Kleidern“. Die „weißen Kleider“ sind die Kleider der Erlösten im Reich Gottes (3,5; 7,9.13f.).
(5) Dieses Bild wird im Überwinderspruch aufgegriffen. Hinzu kommt die Verheißung, dass der Name der Überwinder nicht aus dem Lebensbuch, dem Verzeichnis der Erlösten (20,12.15; vgl. Dan.12,1), ausgetilgt wird. Stattdessen wird Christus ihre Namen vor seinem Vater und seinen Engeln bekennen (vgl. Mt.10,32; Lk.12,8).
Diese Verheißung
hat möglicherweise einen aktuellen Bezug: „Die Welt mag in der Gegenwart den
Nachfolgern Jesu verweigern, sich in die Bürgerlisten einzutragen … In der
entscheidenden Bürgerliste, dem Buch oder genauer der Schriftrolle des Lebens
bei Gott stehen die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu, und dort wird Christus
nie ihren Namen löschen.“ (Karrer, 345).
(6) Der abschließende Weckruf entspricht dem von 2,7.
Zusammenfassung: Die Gemeinde Sardes hat einen guten Ruf. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Deshalb muss sie zu dem zurückkehren, was sie zu Beginn gehört hat. Dabei geht es vor allem um Werke, d. h. den christlichen Lebensstil. Glücklicherweise gibt es in der Gemeinde einige, die nicht vom richtigen Weg abgewichen sind. Ihnen gilt die Verheißung des ewigen Lebens – aber auch denen, die „überwinden“.
2.6 Das Sendschreiben an die
Gemeinde Philadelphia (3,7-13)
(7)
Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Dies sagt der Heilige, der
Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, und niemand wird
schließen, und schließt, und niemand wird öffnen: (8) Ich kenne deine Werke.
Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand schließen kann;
denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen
nicht verleugnet.(9) Siehe, ich gebe Leute aus der Synagoge des Satans, von
denen, die sich Juden nennen und es nicht sind, sondern lügen; siehe, ich werde
sie dahin bringen, dass sie kommen und sich niederwerfen vor deinen Füßen und
erkennen, dass ich dich geliebt habe. (10) Weil du das Wort vom Harren auf mich
bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die
über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde
wohnen. (11) Ich komme bald. Halte fest, was du hast, damit niemand deinen
Siegeskranz nehme! (12) Wer überwindet, den werde ich im Tempel meines Gottes
zu einer Säule machen, und er wird nie mehr hinausgehen; und ich werde auf ihn
schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des
neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und meinen
neuen Namen. (13) Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
(7) Der gleichlautende Schreibbefehl
(vgl. 2,1) gilt diesmal dem „Engel der
Gemeinde in Philadelphia“. Die Bedeutung des Namens „Philadelphia“ ist
eindeutig. Er bezeichnet die „brüderliche Liebe“.
Interessanterweise wurde der Name dieser Stadt in antiken Zeiten zweimal geändert. Als Dank für die Hilfe, die Kaiser Tiberius der Stadt nach einer Erdbebenkatastrophe im Jahre 17 n.Chr. zuteilwerden ließ, nannte sie sich „Neokaisareia“. In der Regierungszeit Kaiser Vespasians (Titus Flavius Vespasianus, 69-79 n.Chr.) erhielt sie dann den Namen „Flavia Philadelphia.“ (Tóth, Kult, 112). Zu diesen Namensänderungen passt der Hinweis, dass Christus den Namen des neuen Jerusalems auf die Überwinder schreiben wird (3,12).
Der Kaiserkult ist für Philadelphia nachgewiesen (Tóth, Kult, 113). Außerdem gab es dort eine jüdische Gemeinde. Das zeigt nicht nur 3,9, sondern auch der Brief, den Ignatius an die Philadelphier schrieb (IgnPhil 6,1: „Wenn euch aber jemand Judentum vorträgt, so hört nicht auf ihn! …“).
Nach traditionell-adventistischer Deutung beschreibt dieses Sendschreiben die Zeit der Erweckungsbewegungen im 18. und 19. Jahrhundert.
„Die Philadelphia-Zeit
umfasst die Erweckungsbewegung im Protestantismus während des letzten Teils des
18. Jhr. und des ersten Teils im 19. Jhr., vielleicht von 1755 bis 1844, wo es den Gemeinden
wieder darum ging, die Religion und den Glauben zu einer lebendigen und
persönlichen Sache zu machen … ‚Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und
niemand kann sie zuschließen.‘ (Vers 8). Zwei große Revolutionen, die in
Amerika 1776 und die in Frankreich 1789 veränderten das Denken der Menschen.
Die uneingeschränkte Macht des Papstes und die Macht von Kaiser und Königen wurde gebrochen und musste der Macht des Volkes weichen. Es
war die Geburtsstunde der Demokratie, aber es war auch die Geburtsstunde der
Bibel und der Missionsgesellschaften, die Anfang des 19. Jhr.
den bis heute ungebrochenen Siegeszug der Heiligen Schrift einleiteten … Die
Aussage in Vers 9 ‚… dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen
und erkennen, dass ich dich geliebt habe.‘ mag darauf hinweisen, dass in der
Heimat wie in den entlegensten Gebieten auf unserer Erde bisher gegen Gott
feindselig gesinnte Menschen durch die Verkündigung des Evangeliums und die
Kraft der Liebe Jesu in seiner Gemeinde zu Freunden der Wahrheit wurden und
hinfort Gott die Ehre geben.“ (Makowski, 40ff.).
Die Sendschreiben greifen bei der Botenformel Beschreibungen Jesu aus der Beauftragungsvision (1,12ff.) auf. Das gilt hier nur für das Bild der „Schlüssel“ (1,18). Die Titel „der Heilige“ und „der Wahrhaftige“ finden sich aber dort nicht. Nun beziehen sich die Botenformeln der anderen Sendschreiben ausschließlich auf Christus. Daher ist zu vermuten, dass auch diese beiden Titel Bezeichnungen für Christus sein sollen. Außerdem tauchen sie an anderer Stelle als christologische Titel auf („der Heilige“: vgl. Joh.6,69: „und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.“; „der Wahrhaftige“: vgl. Offb.19,11: „Und ich sah den Himmel geöffnet; und siehe, ein weißes Pferd, und der darauf saß, heißt: Treu und Wahrhaftig, und er richtet und führt Krieg in Gerechtigkeit.“). In 6,10 stehen beide Begriffe noch einmal zusammen: „Und sie [die Märtyrer] riefen mit lauter Stimme und sprachen: Bis wann, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest und rächst du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?“
Das bereits erwähnte dritte Element der Botenformel ist der „Schlüssel Davids, … der öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand wird öffnen“. Hier wird ein Wort aus Jes.22,22 aufgegriffen: „Und ich werde den Schlüssel des Hauses David auf seine Schulter legen. Er wird öffnen, und niemand wird schließen, er wird schließen, und niemand wird öffnen.“ Es bezieht sich ursprünglich auf die Berufung des Hofmeisters Eljakim und seine Vollmacht (vgl. 2.Kön.18,18). Im Sendschreiben an die Gemeinde Philadelphia erhält dieses Wort des Propheten Jesaja jedoch eine neue Bedeutung. Es geht um den Schlüssel zum „neuen Jerusalem“ (3,12), der Stadt Davids. Christus wird also hier als derjenige herausgestellt, der über Teilnahme oder Ausschluss vom himmlischen Jerusalem bzw. vom ewigen Heil entscheidet (U. Müller, 130). Dieses Bild knüpft daher an die Beauftragungsvision an, wo Christus sich als der vorstellt, der die „Schlüssel der Todes und des Hades“ in der Hand hat (1,18), also zwischen Leben und Tod entscheidet.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund für die Wahl dieses Bildes vom Schlüssel und der auf- und zugeschlossenen Tür ist möglicherweise, dass die Christen in Philadelphia aus der Synagoge ausgeschlossen wurden (Satake, 182).
(8) In der Situationsbesprechung wird die Gemeinde für ihre „Werke“, d.h. ihr praktisches Christsein (vgl. 2,2.19; 3,1), gelobt. Es folgt eine Zusage, die das Bild vom Schlüssel, der auf- und zuschließt, aufgreift: „Siehe, ich habe eine geöffnete Tür vor dir gegeben, die niemand schließen kann …“
Gemeint ist nicht eine offene Tür im Sinne missionarischer Möglichkeiten (1.Kor.16,9; 2.Kor.2,12; Kol.4,3; so jedoch die viele adventistische Kommentatoren: ABC VII, 758; Wittwer, 30f.; Stefanovic, 139f.; Makowski, 41). Es geht vielmehr um die Tür zum „neuen Jerusalem“ (3,12) bzw. zum ewigen Leben. Diese Tür kann niemand zuschließen. Das bedeutet: Die Gemeinde soll in der Gewissheit ihrer Erlösung leben.
Beide Deutungen miteinander verbinden E. Müller, 129, und Böttcher, 76.
Smith, 386f. bezieht diese Aussagen auf das Jahr 1844 – das „Eröffnen seines
[Christi] Dienstes im Allerheiligsten, und das Zuschließen mit dem Aufhören
oder Ende seines Dienstes in der ersten Abtheilung, oder dem Heiligen.“ (vgl.
ABC VII, 758).
Anschließend wird diese Zusage begründet. Die Gemeinde hat eine „kleine Kraft“, hat aber dennoch das „Wort bewahrt“ und ihren Glauben an Christus auch in der Verfolgung „nicht verleugnet“ (2,13). Weil in 3,9 erneut von der „Synagoge des Satans“ die Rede ist (vgl. 2,9) agierten vielleicht auch hier Juden als Anstifter der Verfolgung.
(9) Es folgen zwei Verheißungen. Die Erste besteht darin, dass Christus einige Juden dazu bringen wird, vor der Gemeinde niederzufallen und seine Liebe zu ihr zu erkennen. Im Zusammenhang mit den Juden taucht erneut der Begriff „Synagoge des Satans“ auf und die Feststellung, dass sie „sich Juden nennen und es nicht sind“ (2,9, vgl. dort auch den Hinweis auf die verschiedenen Interpretation).
Die Verheißung, dass diese Gegner zur Gemeinde kommen werden, um dort vor ihren Füßen niederzufallen und die Liebe Jesu Christi zu seiner Gemeinde anzuerkennen, knüpft an alttestamentliche Weissagungen an, in denen Ähnliches von den heidnischen Völkern ausgesagt wird:
· Jes.45,14: So spricht der HERR: Der Erwerb Ägyptens und der Handelsgewinn von Kusch und die Sebäer, hochgewachsene Männer, werden zu dir übergehen und dir gehören. Sie werden dir nachfolgen, in Fesseln werden sie zu dir übergehen. Und sie werden sich vor dir niederwerfen, werden zu dir flehen: Ja, bei dir ist Gott. Es gibt keinen sonst, keinen Gott!
·
Jes.49,23: Und Könige werden deine Betreuer sein und
ihre Fürstinnen deine Ammen. Sie werden sich vor dir niederwerfen mit dem
Gesicht zur Erde und den Staub deiner Füße lecken. Da wirst du erkennen, dass
ich der HERR bin: die auf mich hoffen, werden nicht beschämt werden.
· Jes.60,14: Und gebeugt werden zu dir kommen die Söhne deiner Unterdrücker, und alle, die dich geschmäht haben, werden sich niederwerfen zu deinen Fußsohlen. Und sie werden dich nennen: Stadt des HERRN, Zion des Heiligen Israels.
In der Offenbarung des Johannes aber bekommen diese Aussagen einen neuen Sinn. Es wird prophezeit, dass die „Juden“ sich einmal vor der christlichen Gemeinde, dem neuen Gottesvolk, zu Füßen werfen werden. Viele evangelikale Christen glauben an eine endzeitliche Bekehrung der Juden. In diesem Zusammenhang aber ist festzustellen, dass es hier – sofern tatsächlich „Juden“ gemeint sind – um „die endzeitliche Unterwerfung der Juden, keinesfalls aber um ihre kommende Bekehrung zum christlichen Glauben“ geht (U. Müller, 130). Sie sollen erkennen, dass Gott die Gemeinde der Christen liebt (vgl. Jes.43,4).
(10) In der zweiten Verheißung geht es um die Bewahrung der Gemeinde in der Endzeit. Sie wird damit begründet, dass die Gemeinde Philadelphia Christi „Wort von der Geduld bewahrt“ hat. Dabei kann es sich um ein Wort Jesu handeln, das zur Geduld aufruft (z.B. Mt.24,13: „Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden.“) oder um ein Wort, das Jesus als Vorbild der Geduld darstellt (z.B. 2.Thess.3,5: „Der Herr aber richte eure Herzen auf die Liebe Gottes und auf das Ausharren des Christus!“)
Weil sie das „Wort vom Harren … bewahrt“ hat, soll
die Gemeinde Philadelphia vor der „Stunde
der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die
auf Erden wohnen“ bewahrt werden. Diese Versuchung wird in 13,14
beschrieben: „und es [das „Tier aus der
Erde“] verführt die, welche auf der Erde wohnen, wegen der Zeichen, die vor dem
Tier zu tun ihm gegeben wurde, und es sagt denen, die auf der Erde wohnen, dem
Tier, das die Wunde des Schwertes hat und wieder lebendig geworden ist, ein
Bild zu machen.“
Die Verheißung, vor dieser Situation bewahrt zu werden, entspricht der sechsten Bitte des Vaterunsers: „Und führe uns nicht in Versuchung …“ (Mt.6,13). Dabei geht es nicht darum, dass die Gemeinde die Versuchung besteht. Gott wird gebeten, ihr diese Versuchung zu ersparen (U. Müller, 132).
(11) Weil die Gemeinde Philadelphia ausschließlich gelobt wird, kann sie nur dazu aufgefordert werden: „Halte fest, was du hast …“. Das schließt auch die Glaubensüberlieferungen ein (vgl. 2,25; 3,3). Begründet wird die Aufforderung mit der baldigen Wiederkunft Christi (vgl. 1,1.3; 22,6f.10). Niemand soll der Gemeinde Philadelphia den „Siegeskranz“, d.h. das ewige Leben (2,10), nehmen.
(12) Im Überwinderspruch folgen zwei weitere Verheißungen. Die Erste besteht darin, dass Christus jeden Überwinder zum Pfeiler im Tempel Gottes machen will. Dahinter „steht die Vorstellung des himmlischen Gottestempels, der von Säulen gestützt wird (…). Ähnlich wie die Apostel der Urgemeinde als ‚Säulen‘ in Ansehen standen (Gal 2,9; vgl. Eph. 2,19-22; 1.Pt.2,5) und den ‚Bau‘ der Kirche trugen, so sollen die ‚Überwinder‘ unwiderruflich (…) als ‚Säulen‘ im endzeitlichen ‚Bauwerk‘ der Heilsgemeinde dienen.“ (U. Müller, 132).
Nun wird aber in 21,22 betont, dass es im neuen Jerusalem gar keinen Tempel geben wird, sondern Gott und Christus dort selbst als Tempel fungieren werden. Daher ist die Verheißung, ein Pfeiler im Tempel Gottes zu sein, einfach ein Bild für die unerschütterliche Gemeinschaft mit Gott.
Die zweite Verheißung besteht darin, dass auf die Überwinder drei Namen geschrieben werden – der Name Gottes, der Name des neuen Jerusalems und der neue Name Jesu Christi.
· In 22,4 heißt es von den Bewohnern des neuen Jerusalem: „und sein Name [der Name Gottes] wird an ihren Stirnen sein.“ Damit wird ausgedrückt, dass sie fest zu ihm gehören.
· Das Schreiben des Namens des neuen Jerusalem (21,1.10) „bedeutet die Verleihung des Bürgerrechts dieser Stadt; d.h.: Der Überwinder bekommt einen festen Platz in dem Bereich, in dem das Heil verwirklicht wird.“ (Satake, 184f.).
· Der neue Name Jesu (vgl. 2,17) lautet nach 19,12f.: „Das Wort Gottes“.
Der Empfang dieser Namen hat für den Empfänger entscheidende Bedeutung. „Nach antikem Namenglauben resultiert aus dem Empfang eines neuen Namens ein Wechsel in der Zugehörigkeit des Trägers; er empfängt eine andere Machtstellung, er tritt in eine neue Ordnung ein. So hier der ‚Überwinder‘ … Als Träger des neuen Namens Christi erlangt er eine besondere Auszeichnung (vgl. Jes.62,2): Er hat den Namen, den allein Christus kennt (19,12) und der ihm entscheidende Macht verleiht, weil niemand sonst ihn weiß (U. Müller, 132f.).
(13) Der abschließende Weckruf entspricht dem von 2,7.
Zusammenfassung: Für die Gemeinde steht die Tür zum Heil weit offen – und niemand kann sie schließen. Sie hat in schwierigen Situationen ihren Glauben bewahrt. Bald werden ihre Gegner sich vor ihr demütigen. Außerdem wird die Gemeinde vor der weltweiten Verfolgung bewahrt werden. Daher kommt es für die Gemeinde einzig und allein darauf an, das zu bewahren, was sie hat.
2.7 Das Sendschreiben an die
Gemeinde Laodizea (3,14-22)
(14)
Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Dies
sagt der »Amen« heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung
Gottes: (15) Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch heiß bist. Ach, dass
du kalt oder heiß wärest! (16) Also, weil du lau bist und weder heiß noch kalt,
werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. (17) Weil du sagst: Ich bin reich
und bin reich geworden und brauche nichts!, und nicht weißt, dass du der Elende
und bemitleidenswert und arm und blind und bloß bist, (18) rate ich dir, von
mir im Feuer geläutertes Gold zu kaufen, damit du reich wirst; und weiße
Kleider, damit du bekleidet wirst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar
werde; und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du siehst. (19) Ich
überführe und züchtige alle, die ich liebe. Sei nun eifrig und tu Buße!(20)
Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe an; wenn jemand meine Stimme hört und
die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen und mit ihm essen, und er mit
mir.(21) Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen,
wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater auf seinen Thron gesetzt
habe.(22) Wer ein Ohr hat, höre, was der Geist den Gemeinden sagt!
(14) Auch das letzte Sendschreiben
beginnt mit dem vertrauten Schreibbefehl (vgl. 2,1). Der Name „Laodizea“ bedeutet vermutlich so viel wie „Volk des Gerichts“
oder „gerechtes Volk“ (Wittwer, 32).
Die traditionelle adventistische Deutung bezieht dieses Sendschreiben auf die Christenheit ab Mitte des 19. Jahrhunderts bzw. in der Gegenwart.
„Noch nie wurden … Aussagen
der Bibel so oft angezweifelt wie in unserer Zeit. Nicht nur Theologen, sondern
auch viele gläubige Kirchenmitglieder stellen Gottes Wort häufig in Frage: Der
Schöpfungsbericht sei unwissenschaftlich, die Zehn Gebote würden für Christen
nicht mehr gelten, der Begriff ‚Sünde‘ sei antiquiert, deshalb auch die
moralischen Maßstäbe der Bibel. Ihre Prophezeiungen hätten sich Menschen
ausgedacht. Damit wird alles unglaubwürdig, was den Menschen zur Entscheidung
und Lebensänderung aufruft. Zurück bleibt ein ‚Gott liebt jeden‘ und ‚Jesus
vergibt alles‘, ohne Konsequenzen für das eigene Leben. So wird das lauwarme
Wasser der Stadt Laodizea zum treffenden Symbol für
die Christen unserer Zeit. Ein klares Ja oder Nein gegenüber Jesus wäre
ehrlicher … Immer dringender weist Jesus in seinen Briefen an die sieben
Gemeinden auf sein zweites Kommen hin. Der letzten Gemeinde sagt er
schließlich: ‚Ich stehe vor der Tür‘ (Offb 3,20). Die
Wiederkunft Jesu steht also für die Christen von Laodizea
unmittelbar bevor. Nach ihnen wird es keine weitere christliche Periode mehr
geben. Sie leben in der Endzeit. Der Ausdruck ‚Ich stehe vor der Tür‘ hat aber
auch eine zweite Bedeutung. Eigentlich sollte Jesus nicht vor der Tür stehen,
sondern mitten im Leben der Gläubigen sein.“ (Wittwer, 36).
Laodizea war bekannt für seine Bankhäuser. Vielleicht spielt das Sendschreiben in 3,17f. darauf an, wenn die Rede davon ist, dass die Gemeinde sich für reich hält, aber in Wirklichkeit arm ist und Gold kaufen muss. Die Stadt war so reich, dass sie nach einem Erdbeben Anfang der 60er Jahre des 1. Jh. n. Chr. auf eine Wiederaufbauhilfe von außen verzichten konnte. Bedeutend waren auch die örtlichen Wollmanufakturen. Wenn das Sendschreiben davon spricht, dass die Gemeinde nackt ist und sie dazu auffordert, weiße Kleider anzuziehen (3,17f.), ist das möglicherweise im Anklang daran formuliert. Außerdem war Laodizea Sitz einer Ärzteschule und berühmt für seine Heilmittelherstellung. Letzteres ist vermutlich der Hintergrund für den Aufruf, „Augensalbe“ zu kaufen (3,18). In religiöser Hinsicht ist von Interesse, dass der Kaiserkult auch in Laodizea vertreten war (Tóth, Kult, 114f.).
In der Botenformel wird der Sender des Schreibens mit Hilfe von drei Titeln näher beschrieben. Zunächst heißt es: „Dies sagt, der Amen“ (so wörtlich übersetzt). Als Abschluss eines Gebets taucht „Amen“ in 1,6.7 und 22,20 auf. Hier aber geht es um jemanden, der das „Amen“ in Person ist. In Jes.65,16 ist vom „Gott der Treue“ die Rede. Im Grundtext steht dort das hebräische Wort „Amen“ so dass man diese Wendung auch mit „Gott des Amen“ wiedergeben kann. Inhaltlich bedeutet „Amen“ so viel wie „fest sein“ bzw. „zuverlässig sein“ (wenn es am Ende eines Gebets steht, heißt es so viel wie „so ist/sei es“ oder „so soll es geschehen“). Der Titel „Amen“ soll ausdrücken, dass Christus treu ist und man sich auf seine Zusagen verlassen kann (E. Müller, 133).
Der zweite Titel – „der treue und wahrhaftige Zeuge“ – geht in die gleiche Richtung. Hier wird die Aussage von 1,5 aufgegriffen.
Der dritte Titel, „Anfang der Schöpfung Gottes“, findet sich nur hier. Satake schlägt vor, nicht mit „Anfang“, sondern mit „Herrscher“ zu übersetzen (Satake, 185.187). Rein sprachlich ist das möglich. Entscheiden muss daher der Zusammenhang. Nun bezeichnet sich Christus auch in 21,6 und 22,13 als „Anfang“ (21,6: „…Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende …“; 22,13: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“). Dort ist die Übersetzung „Anfang“ deshalb zwingend, weil gleichzeitig vom „Ende“ die Rede ist. Das spricht dafür, auch in 3,14 mit „Anfang“ zu übersetzen. Außerdem knüpft die Botenformel i.d.R. an Aussagen aus der Berufungsvision an. Dort ist davon die Rede, dass er „der Erste und der Letzte und der Lebendige“ ist. Auch das spricht für die Übersetzung „Anfang“.
Inwiefern aber ist Christus der „Anfang der Schöpfung Gottes“? Diese Aussage wurde zuweilen (auch von adventistischen Bibelauslegern) im Sinne des Arius verstanden, der die Gottgleichheit Christi in Frage stellte und dessen Lehre auf dem Konzil von Nicea (325 n.Chr.) als häretisch verurteilt wurde. Danach wäre gemeint: Christus ist in dem Sinn der „Anfang der Schöpfung Gottes“, dass es sich bei ihm um das erste Schöpfungswerk Gottes handelt.
Unter den adventistischen
Auslegern hat vor allem Uriah Smith arianisches
Gedankengut vertreten: „Moreover he is ‘the beginning
of the creation
of God.’ Not the beginner, but the beginning, of the creation, the first created beeing …” („Darüber hinaus ist er [Christus] ‚der Anfang
der Schöpfung Gottes‘. Nicht der Anfänger, sondern der Anfang der Schöpfung,
das erste geschaffene Wesen …“). (Uriah
Smith, Thoughts, Critical and Practical, on the Book of Revelation, Battle
Creek 1865 zur Stelle).
Meistens aber wird diese Wendung im Sinne der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi interpretiert. So verstanden nahm die Welt in Christus ihren Anfang (z.B. Roloff, 63; Maier I 237). Dafür spricht, dass Christus nicht nur als „Anfang“, sondern auch als „Ende“ bezeichnet wird (21,6; 22,13). Und weil „Ende“ dort nicht bedeutet, dass Christus das abschließende Werk Gottes ist, sondern der, der alles zu einem Ende bringt, kann auch der Begriff „Anfang“ in dem Sinne verstanden werden, dass er den Anfang macht – also die Schöpfung in Gang setzt. „An der Frage, in welcher Weise Jesus der Schöpfung an ihrem ersten Anfang vorausging, ist die Stelle nicht interessiert; ihr geht es vor allem um den Anfang, der er als das Amen Gottes machtvoll zu Beginn der Geschichte, in der Geschichte und jetzt neuschöpferisch in der Gemeinde setzt.“ (Karrer, 363).
Eine weitere Auslegung bezieht die Formulierung „Anfang der Schöpfung Gottes“ nicht auf die Entstehung der Welt, sondern auf die Auferstehung Jesu Christi als Beginn der neuen Schöpfung Gottes. „Als von Gott Auferweckter und in das ewige Leben Hineingenommener ist er der Anfang der neuen Schöpfung …“ (Stefan Alkier, Die Realität der Auferweckung in, nach und mit den Schriften des Neuen Testaments, Tübingen 2009, 180). In diesem Sinne heißt es in Kol.1,18 von Christus: „… Er ist der Anfang, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem den Vorrang hat.“ Dazu passt, dass in der Berufungsvision, auf die sich ja die Botenformel bezieht, von Jesu Auferstehung die Rede ist (1,17f.).
(15) Die Stellungnahme zur Situation der Gemeinde Laodizea besteht aus zwei drastisch formulierten Tadeln. Der Erste wird mit Hilfe des Bildes von kaltem, warmem und lauwarmem Wasser formuliert. Inhaltlich geht es um die „Werke“ der Gemeinde, also ihren Lebensstil (2,2.19; 3,1.8). Der Gemeinde wird vorgeworfen, dass sie „weder kalt noch heiß“ ist. Dabei ist, wie 3,16 zeigt („ausspeien“), an kaltes und warmes Wasser gedacht. In der Regel wird diese Aussage darauf bezogen, dass es in der Nähe von Laodizea heiße Quellen gab, deren Wasser in die Stadt geleitet wurde, und das dort lauwarm ankam.
Karrer, 364, weist auf zwei Alternativvorschläge hin: „Der eine
Vorschlag berücksichtigt das Interesse unseres Sendschreibens am antiken Mal
(es gipfelt in der Mahlfeier mit Christus). Bei einem solchen Mahl gab es kalte
Getränke, um den Durst bei Hitze, und heiße, um ihn bei Kälte zu löschen. Heiße
und kalte Getränke haben daher antik einen positiven Wert. Das lauwarme Getränk
aber schmeckt nicht. Die Gemeinde von Laodizea ist –
erfahren wir bei dieser Deutung – für das Mahl mit Jesus schlecht gerüstet … Noch
plausibler ist der zweite Vorschlag. Er bedient sich – gut eingebettet in das
medizinische Umfeld Laodizeas – der antiken
Physiologie. Diese unterscheidet vier ‚Ausgangspunkte‘, heiß, kalt, feucht und
trocken. Heiß und kalt haben dabei schaffende Kraft.
Lauwarmes dagegen liegt dazwischen und gehört zu den Purgatoria,
die das Erbrechen erleichtern.“
Worum geht es inhaltlich? Mit dem Begriff „kalt“ können vielleicht Menschen gemeint sein, die „das Evangelium nicht gehört oder keine Entscheidung für Gott getroffen haben“ (E. Müller, 134). In der Situation der Christen Ende des 1. Jahrhunderts ist vermutlich konkret die „Zugehörigkeit zur Welt“ gemeint, „die sich im Abfall von Christus oder schwerer sittlicher Verfehlung äußert“ (U. Müller, 136). „Heiß“ sind dagegen Menschen, die „mit einem geistlichen Feuer und mit Enthusiasmus“ glühen (E. Müller, 134). Dem entspricht, dass die Gemeinde in 3,19 dazu aufgefordert wird „eifrig“ zu sein.
(16) Jetzt aber ist die Gemeinde „weder warm noch heiß“, sondern „lau“. „Sie geht einer klaren Entscheidung aus dem Wege. In ihrer Halbheit scheint sie eine deutliche Abgrenzung von der Welt der heidnischen Gesellschaft zu vermeiden.“ (U. Müller, 136). Wegen ihrer Lauheit wird Christus sie „ausspeien“. Drastische Worte, die man folgendermaßen „in die Vulgärsprache der Gegenwart“ übersetzen kann: „Du bist zum Kotzen, weder Fisch noch Fleisch.“ (Holtz, 52).
Das „Ausspeien“ ist natürlich eine Gerichtshandlung. Schon im AT heißt es: „Und das Land wurde unrein gemacht, und ich suchte seine Schuld an ihm heim, und das Land spie seine Bewohner aus.“ (3.Mos 18,25; vgl. 3.Mos.18,28; 20,22). Im Hinblick auf die Gemeinde Laodizea ist gemeint: „Wie Wasser, das nicht trinkbar ist, spuckt er es aus. Das heißt, er trennt sich von dieser Gemeinde.“ (Maier I, 238f.).
(17) Der zweite Tadel operiert mit den Bildern von Reichtum und Blindheit. Dabei steht die Selbsteinschätzung der Gemeinde im krassen Gegensatz zur Wirklichkeit. Sie hält sich selbst für reich, so dass sie genug hat und nichts braucht (die Formulierung erinnert an Hos.12,9: „… Ich bin doch reich geworden, habe mir ein Vermögen erworben …“). Das knüpft an den wirtschaftlichen Wohlstand der Stadt an, der sich ja auch darin zeigte, dass sie nach dem Erdbeben 60/61 n.Chr. keine staatliche Wiederaufbauhilfe in Anspruch nahm.
Das wird nun auf das religiöse Leben übertragen. Die Gemeinde hält sich geistlich für reich. Aber das ist ein schwerer Irrtum. Sie weiß nicht, dass sie im geistlichen Sinn „der Elende und bemitleidenswert und arm und blind und bloß“ ist. Letzteres ist die Situation derer, die vor Gericht bzw. als Verurteilter und Besiegter da stehen (Nah.3,5: „Siehe, ich will an dich! spricht der HERR der Heerscharen. Ich werde deine Säume aufdecken bis über dein Gesicht und werde die Nationen deine Blöße sehen lassen und die Königreiche deine Schande.“; vgl. Off.17,16). Die Blöße bzw. Nacktheit der Gemeinde zeigt sich aber hier vermutlich konkret in dem Umstand, dass sie keine Kleider des Heils trägt. Jedenfalls besteht die „Therapie“ darin, sich „weiße Kleider“ zu besorgen, also Kleider, die „im Blut des Lammes“ „weiß gemacht“ wurden (7,13f.; vgl. 3,4-5; 19,8).
(18) Dementsprechend wird die Gemeinde dringend dazu aufgefordert, „im Feuer geläutertes Gold“ zu kaufen, um wirklich reich zu werden, weiße Kleider anzuziehen, um nicht nackt da zu stehen und Augensalbe zu kaufen, um wieder sehen zu können.
Mit dem in Feuer geläuterten Gold, um das sich die Gemeinde bemühen soll, ist vermutlich ein Glaube gemeint, der in Verfolgungen Kraft gewonnen hat. So heißt es in 1.Pt.1,6-7: (6) Darin jubelt ihr, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es nötig ist, in mancherlei Versuchungen betrübt worden seid, (7) damit die Bewährung eures Glaubens viel kostbarer befunden wird als die des vergänglichen Goldes, das durch Feuer erprobt wird, zu Lob und Herrlichkeit und Ehre in der Offenbarung Jesu Christi.“ Vielleicht ist es aber auch einfach ein Bild für wirklichen geistlichen Reichtum (E. Müller, 136).
Die gegen die Blöße empfohlenen weißen Kleider stehen für die Vergebung durch das reinigende Blut Jesu Christi. So heißt es in 7,13.14: „(13) Und einer von den Ältesten begann und sprach zu mir: Diese, die mit weißen Gewändern bekleidet sind – wer sind sie, und woher sind sie gekommen? (14) Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind es, die aus der großen Bedrängnis kommen, und sie haben ihre Gewänder gewaschen und sie weiß gemacht im Blut des Lammes.“
Mit der gegen die Blindheit empfohlenen Augensalbe kann der Heilige Geist gemeint sein, „der ihnen mithilfe des Wortes Gottes und ihres Gewissens zur Einsicht ihrer Sünden verhelfen und sie von geistlicher Blindheit heilen würde.“ (E. Müller, 136).
(19) Die Gemeinde soll diese Zurechtweisung und Züchtigung als Ausdruck der Liebe Gottes verstehen, getreu dem Motto aus Spr.3,12: „Denn wen der HERR liebt, den züchtigt er wie ein Vater den Sohn, den er gern hat.“ (vgl. Hbr.12,6). „Strafen darf jedenfalls an unserer Stelle nicht als Strafe im Jüngsten Gericht oder als abschließendes Strafurteil verstanden werden. Es ist vielmehr der unwiderlegbare Aufweis des sündigen Verhaltens von Laodizea und der klare Hinweis auf die Konsequenzen, wenn keine Buße erfolgt.“ (Maier I, 244).
Deshalb soll die Gemeinde umkehren und nicht mehr lau, sondern eifrig sein.
(20) Zur Umkehr soll auch die anschließende Verheißung motivieren. Die darin enthaltenen Elemente (Anklopfen – Aufmachen – Abendmahl) finden sich auch in dem Jesus-Wort aus Lk.12,35-37, das vom wiederkommenden Christus handelt: „(35) Eure Lenden sollen umgürtet und die Lampen brennend sein! (36) Und ihr, seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen mag von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich öffnen. (37) Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend finden wird! Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich umgürten und sie sich zu Tisch legen lassen und wird hinzutreten und sie bedienen.“
Worum aber geht es beim hier erwähnten
Abendmahl? Vermutlich handelt es sich dabei um das himmlische Freudenmahl, wie
es in 19,9 erwähnt wird: „…Glückselig,
die eingeladen sind zum Hochzeitsmahl des Lammes! …“ (vgl. Jes.25,6ff.;
Mt.8,11; Holtz, 53; U. Müller, 138; Roloff, 64).
Holtz und Roloff stellen
dabei auch einen Bezug zum Abendmahl her. Anders Pohl, 164f.:
„Wann geht Jesus ein zu dem, der ihm öffnet? Bei seiner Wiederkunft? Ein
Eingehen des wiederkommenden Herrn zu einzelnen Menschen wird nirgendwo
gelehrt. Oder geschieht dieses Eingehen bei der Feier des Abendmahls? Der Text
spricht … mit einem sehr allgemeinen Wort von einem Gemeinschaftsmahl, das
nicht ohne weiteres auf die Abendmahlsfeier bezogen werden sollte … Er
[Christus] durchschreitet sofort jede Tür, die sich in Buße öffnet. Drinnen
muss nicht erst auf die nächste Abendmahlsfeier gewartet werden.“ Gemeint wäre
dann einfach die persönliche Gemeinschaft mit Christus (vgl. Stefanovic, 145).
(21) Im Überwinderspruch wird der Blick erneut eindeutig auf die zukünftige Welt Gottes gerichtet. Die Überwinder werden mit Christus auf seinem Thron sitzen. Das bezieht sich auf das Millenium, in dem die Überwinder auf Thronen sitzen und mit Christus regieren (20,4-6).
Damit haben sie Anteil am Geschick Jesu Christi, weil auch er überwunden hat (Joh.16,33; 19,30; Off.5,5.9) und zusammen mit seinem Vater auf dem Thron sitzt (vgl. 22,3: „… Und der Thron Gottes und des Lammes wird in ihr [der Stadt] sein …“).
Die ersten Leser
der Offenbarung des Johannes hatten dabei möglicherweise Bilder vor Augen, in
denen die Göttin Roma zusammen mit Augustus auf dem Thron sitzen, um den herum
sich andere Würdenträger befinden. Dann haben sie die Verheißung des Überwinderspruchs folgendermaßen verstanden: „Christus
setzte sich siegreich (…) mit seinem Vater auf dessen Thron. Er nimmt dort aber
nicht wie Augustus den Kranz der Ehre entgegen und grüßt den Sieger neben dem
Thron. Nein, er würdigt die Menschen seiner Gemeinde als Sieger und lädt sie
ein, mit auf dem Thron Platz zu nehmen. Er erhöht sie in ungeahnter,
überwältigender und dadurch weltkritischer Weise. Denn die Gesellschaftsgliederung
der Welt zählt nichts mehr; kein Mitglied der kaiserlichen Familie steht höher
als das geringste Glied der Gemeinde, das den Siegespreis von Jesus erhält.“ (Karrer,
371f.).
(22) Der abschließende Weckruf entspricht dem von 2,7.
Zusammenfassung: Die Gemeinde in Laodizea ist von sich selbst überzeugt. In Wirklichkeit aber ist sie lau. In diesem Zustand ist sie in Gottes Augen wertlos. Ihr wird dringend geraten, sich um wahren Reichtum zu bemühen, ihr Vertrauen auf die Erlösung durch Jesus Christus zu setzen und einen klaren Blick für sich selbst zu gewinnen. Wer sich Jesus öffnet, wird mit ihm Gemeinschaft haben und an seiner Herrschaft teilhaben.
Exkurs: Stehen die sieben Gemeinden (auch) für sieben Perioden der
Kirchengeschichte? Eine Übersicht über die wichtigsten Argumente
Für die Deutung der sieben Gemeinden auf sieben Perioden der Kirchengeschichte werden vor allem die folgenden Argumente genannt:
1.
Die Namen der sieben Gemeinden (vgl. die Namen in der Einzelauslegung) verkörpern die religiösen Züge verschiedene Perioden der Kirchengeschichte.
„Warum wurden aber die sieben besonderen Gemeinden, die genannt sind, dazu ausersehen? Unbestreitbar aus dem Grunde, weil in dem Namen dieser Gemeinden, nach der Worterklärung, die religiösen Züge jener Perioden des evangelischen Zeitalters verkörpert sind, welche sie beziehungsweise vertreten. Aus diesen Gründen verstehen wir unter „den sieben Gemeinden“ nicht bloß die sieben buchstäblichen Gemeinden in Asien, deren Namen angegeben wurden, sondern sieben Perioden der christlichen Kirche, von den Tagen der Apostel bis zum Ende der Prüfungszeit.“ (Smith, 345f.).
2.
Die Zahl Sieben hat eine symbolische Bedeutung und weist auf Vollständigkeit hin. Deshalb geht es um die Geschichte der Kirche bis zum Ende der Zeiten.
Ellen White, Das Wirken der
Apostel, Hamburg 1976, 26: „Die Zahl Sieben weist auf die Vollständigkeit hin
und besagt, dass die Botschaften bis zum Ende der Zeiten reichen, während die
Sinnbilder den Zustand der Gemeinde in den verschiedenen Abschnitten der
Geschichte offenbaren.“ (vgl. Böttcher, 26; ABC VII, 737).
3.
Das Studium der Geschichte zeigt, dass die Botschaften auf Perioden der Kirchengeschichte bezogen werden können (ABC VII, 737).
4.
Weil die anderen Siebenerreihen der Offenbarung nacheinander folgende Ereignisse schildern, die bis zum Ende der Weltgeschichte reichen, ist davon auszugehen, dass dies auch bei den sieben Gemeinden der Fall ist.
Mervyn Maxwell, Gott sorgt, Itzehoe 1987, 78: „Es ist vernünftig,
anzunehmen, dass die Prophezeiungen in der Offenbarung über die sieben Siegel,
die sieben Posaunen – und die sieben Gemeinden – den Prophezeiungen in Daniel
gleichen, also parallel zueinander sind und gemeinsam von den Tagen des
Johannes bis zum Ende der Welt gehen.“
Die Bibelausleger, die dieser Deutung nicht zustimmen, halten diese Argumente für nicht stichhaltig. Außerdem bringen sie folgende Argumente dafür vor, dass sich die Sendschreiben „nur“ auf sieben Gemeinden in der Provinz Asien Ende des 1. Jahrhunderts n.Chr. beziehen:
1.
Die Botschaften an die sieben Gemeinden sind eindeutig auf ihre spezielle Situation Ende des 1. Jahrhunderts bezogen.
Georg Kretschmar, Die
Offenbarung des Johannes. Die Geschichte ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend,
Stuttgart 1985, 33: „Die Situationsbezogenheit der Sendschreiben schließt es
aus, in den Gemeinden gleichsam überzeitliche Idealtypen unterschiedlicher
Verhaltensmöglichkeiten christlicher Gemeinschaften zu finden.“ (Kretschmar,
zit. in Wengst, 53). So handelt es sich z.B. bei den Nikolaïten um eine Gruppe, die zur Zeit der Abfassung der
Offenbarung des Johannes wirkte. Die Nikolaïten
werden aber nicht nur im Sendschreiben an die Gemeinde Ephesus erwähnt (2,6),
sondern auch im Brief an Pergamon (2,15), der von den Vertretern einer
kirchengeschichtlichen Deutung der Sendschreiben auf die Kirche des vierten bis
sechsten Jahrhunderts bezogen wird.
2.
Die Offenbarung des Johannes selbst zeigt, dass sich die Sendschreiben ausschließlich darauf beziehen, was zur Zeit des Johannes in den sieben Gemeinden geschieht.
Maier I, 254: „Die sieben Gemeinden „sind in der Gegenwart und nicht als Erscheinungen der Zukunft angesprochen“. Konkret wird das vor allem an 1,19 und 4,1 festgemacht. Im „Schreibbefehl“ in 1,19 wird unterschieden zwischen dem, „was du gesehen hast“, dem, „was ist“, und dem „was nach diesem geschehen wird“. In 4,1 – also direkt im Anschluss an die Sendschreiben – wird Johannes gezeigt, „was nach diesem geschehen muss“. Also geht es in den Sendschreiben um das „was ist“ – also um die gegenwärtige Situation der angesprochenen Gemeinden Ende des 1. Jahrhunderts und nicht um Aussagen, die für sie in der Zukunft liegen. So auch Stefanovic, 103: „‚Die Dinge, die sind‘ beziehen sich auf die Situation und die Bedürfnisse der sieben örtlichen Gemeinden seiner Zeit. ‚Die Dinge, die nach diesen Dingen geschehen‘ beziehen sich auf die Visionen, die in den Kapiteln 4 bis 22 beschrieben werden.“ (vgl. 98.184).