3 Die Gerechtigkeit aus
Glauben und die christliche Freiheit (3,1-6,10)
Nachdem Paulus den göttlichen Ursprung und die apostolische Autorität seiner Person und seiner Botschaft herausgestellt hat, nimmt er nun inhaltlich zu den Auffassungen Stellung, die dem von ihm verkündigten Evangelium entgegenstehen.
3.1 Hinweis auf die eigene Erfahrung der Galater (3,1-5)
Er setzt nicht mit einer theologischen Argumentation ein, sondern erinnert die Galater an ihre eigene Erfahrung.
(1) O ihr unverständigen
Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt
war als der Gekreuzigte? (2) Das allein will ich von
euch erfahren: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch
die Predigt vom Glauben? (3) Seid ihr so unverständig?
Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr's denn nun im Fleisch vollenden? (4) Habt ihr denn so vieles
vergeblich erfahren? Wenn es denn vergeblich war! (5) Der euch nun den Geist
darreicht und wirkt solche Taten unter euch, tut er's durch des Gesetzes Werke
oder durch die Predigt vom Glauben?
(1) Paulus beginnt mit einem tiefen Seufzer: „O ihr unverständigen Galater!“ Damit ist „eine an Verstocktheit oder Verbohrtheit grenzende Uneinsichtigkeit“ gemeint (Rohde, 128; vgl. Lk.24,25). Er fragt sich, wer sie so verhext hat. „Es ist dem Apostel unbegreiflich, dass die Galater zur Annahme von Gesetzesforderungen bereit sind, und deshalb scheint es ihm ganz so, als ob sie verzaubert und um das vernünftige Denken gebracht worden seien, als ob sie ohne jede Überlegung handelten.“ (Rohde, 129; vgl. 1,6). Warum? Weil den Galatern „Jesus Christus … als der Gekreuzigte“ verkündigt worden ist (vgl. 1.Kor.1,23; 2,2). Der Gekreuzigte ist ihnen „vor die Augen gemalt“ worden. Damit ist vermutlich nicht eine bildliche Rede gemeint, sondern eine öffentliche und rechtskräftige Bekanntmachung.
(2) Paulus hat eigentlich nur eine einzige Frage, die – wenn die Galater vernünftig darüber nachdenken und ehrlich antworten – eigentlich keine Frage ist: „Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?“ Fest steht, dass der Geist „Taten“ unter ihnen wirkt (3,5). Jetzt müssen die Galater sich nur noch daran erinnern, auf welche Weise sie ihn empfangen haben. Konkret: „…durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?“ „Predigt vom Glauben“ ist die Predigt, die den Glauben zum Inhalt hat. Die Antwort ist klar: Sie haben „den Geist empfangen“, als Paulus ihnen vom Glauben an Jesus Christus gepredigt hat.
(3) Deshalb haben sie den Verstand verloren, wenn sie nach dieser Erfahrung umsatteln. „Im Geist“ anfangen und „im Fleisch“ abschließen? Mit Gottes Kraft starten und dann durch eigene Anstrengung „vollenden“? Möglicherweise war genau das ihre Idee bzw. der nach Galatien gekommenen Lehrer: D Werke des Gesetzes führen zur Vollendung des Glaubens.
(4) Resigniert fragt Paulus, ob ihre bisherigen Erfahrungen „für die Katz“ waren. Sie haben „so vieles … erfahren“. Paulus denkt vermutlich an Wundertaten (vgl. 3,5: „Der euch nun den Geist darreicht und wirkt solche Taten unter euch …“). War das alles „vergeblich“? Er fügt hinzu: „Wenn es denn vergeblich war!“ „Paulus fragt nicht, zwischen Furcht und Hoffnung geteilt, ob soviel Gnade umsonst sein könnte, sondern er versichert streng: sie wird umsonst sein, wenn nicht noch in letzter Sekunde das Steuer herumgeworfen wird.“ (Oepke, 101).
(5) Deshalb
wiederholt er mit Nachdruck die Frage von 3,2: „Der euch nun den Geist darreicht und wirkt solche Taten unter euch,
tut er's durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben?“
„Durch die Art der Fragestellung am Schluss des Verses gibt Paulus den Galatern
zu verstehen, was sie eigentlich schon wissen sollten, dass das gegenwärtige
Wirken Gottes, welches sie noch spüren, nicht in Werken seinen Ausgang genommen
hat, mit denen sie das Gesetz zu erfüllen suchen, sondern von der Verkündigung
des Apostels, die bei ihnen auf Glauben abzielte.“ (Rohde, 135)
3.2 Abraham als Beweis für die Gerechtigkeit aus Glauben (3,6-18)
Nachdem Paulus die Galater an ihre eigene Erfahrung erinnert hat, fügt er diesem Hinweis eine theologische Argumentation hinzu – vermutlich weil er weiß, dass Erfahrungen nicht ausreichen und überdies oft zweideutig sind. Dabei steht Abraham im Mittelpunkt der Überlegungen.
Zunächst stellt er fest, dass Abraham, der Urvater des jüdischen Volkes, ein Mann des Glaubens war und alle, die aus dem Glauben leben, zu ihm gehören.
(6) So hat doch »Abraham Gott geglaubt,
und es wurde ihm gerechnet zur Gerechtigkeit«. (7) Erkennt also: Die aus dem
Glauben sind, das sind Abrahams Kinder. (8) Die Schrift aber hat zuvor
gesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht. Darum hat sie
Abraham zuvor verkündigt: »In dir sollen alle Heiden gesegnet werden.« (9) So werden nun die, die aus
dem Glauben sind, gesegnet mit dem gläubigen Abraham.
(6) Bei Abraham war es genauso, wie die Galater es erfahren haben: entscheidend war sein Glaube. Paulus zitiert 1.Mos.15,5-6: „(5) Und er hieß ihn hinausgehen und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! (6) Abram glaubte dem HERRN und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.“ „Das Erstaunliche an Gen 15,6 ist für Paulus offensichtlich dies, dass es nicht etwa die Erfüllung von Geboten (wie in Hes.18,5ff), sondern der Glaube, und zwar der Glaube allein ist, der Abraham von Gott zur Gerechtigkeit angerechnet wird …“ (Mussner, 215)
(7) Daraus folgt: „Die aus dem Glauben sind, das sind Abrahams
Kinder.“ „Also gerade nicht diejenigen, die sich mit Stolz Söhne Abrahams
nennen, weil sein Blut in ihren Adern rollt und sie dasselbe Bundeszeichen wie
er an ihrem Leibe tragen, den bloßen Glauben aber lassen sie nicht gelten.
Sondern die Glaubensmenschen, die wahrhaft in den Spuren Abrahams wandeln
(Röm.4,12), mögen sie aus der Beschneidung sein oder nicht.“ (OEPKE, 104)
(8) Paulus geht noch einen Schritt weiter. In Vers 7 hatte er gesagt, dass alle, „die aus dem Glauben sind, … Abrahams Kinder“ sind. Nun stellt er fest, die „Schrift“ habe „zuvor gesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht macht“. Zur Begrüßung führt er eine an Abraham ergangene Verheißung an: „In dir sollen alle Heiden gesegnet werden.“ Es handelt sich um eine Kombination zweier Schriftzitate. 1.Mos.12,3: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ 1.Mos.18,18: „da er doch ein großes und mächtiges Volk werden soll und alle Völker auf Erden in ihm gesegnet werden sollen?“
(9) Aufgrund dieser Verheißung steht fest: Alle, „die aus dem Glauben sind“ – also auch die Heiden – , sind „gesegnet mit dem gläubigen Abraham“ und in die heilbringende Segensgemeinschaft der Kinder Abrahams aufgenommen.
Umgekehrt gilt: Wer aus den Werken des Gesetzes lebt, ist unter dem Fluch.
(10) Denn die aus des Gesetzes
Werken leben, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben: »Verflucht
sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem Buch des
Gesetzes, dass er's tue!« (11) Dass aber durchs Gesetz
niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar; denn »der Gerechte wird aus
Glauben leben«. (12) Das
Gesetz aber ist nicht »aus Glauben«, sondern: »der Mensch, der es tut, wird
dadurch leben«. (13) Christus
aber hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für
uns – denn es steht geschrieben: »Verflucht ist jeder, der am Holz hängt«
–, (14) auf
dass der Segen Abrahams zu den Heiden komme durch Christus Jesus und wir den
verheißenen Geist empfingen durch den Glauben.
(10) Während diejenigen, „die aus dem Glauben sind“, gesegnet sind, stehen alle, „die aus des Gesetzes Werken leben …unter dem Fluch“. Paulus begründet das mit dem Schriftwort aus 5.Mos.27,26: „Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er's tue!“ Es reicht nicht, das Gesetz grundsätzlich zu akzeptieren. Es muss in die Tat umgesetzt werden – und zwar vollständig. Wer auf das Gesetz setzt, aber nicht alles tut, was dort geschrieben ist, steht unter dem Fluch des Gesetzes.
(11) Nun ist klar, dass niemand alles tut, was im Gesetz geschrieben ist – also „durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott“. Paulus begründet das nicht mit Erfahrungen oder dem gesunden Menschenverstand, sondern mit einem weiteren Schriftwort – einem Zitat aus dem Buch Habakuk (Hab.2,4), das er so wiedergibt: „der Gerechte wird aus Glauben leben“. Weil man aus Glauben vor Gott gerecht wird, so Paulus, wird niemand „durchs Gesetz … gerecht … vor Gott“.
(12) Das Gesetz ist nämlich nicht „aus Glauben“; es setzt – wie das Zitat aus 3.Mos.18,5 zeigt – vielmehr darauf, dass der Mensch das Leben erlangt, indem er das Gesetzt tut. „Das Gesetz lässt also … keinen Platz für den Glauben, sondern verweist den Menschen auf sich selbst und sein Tun und erlaubt es nicht, die Hoffnung auf Gottes Gabe und Gnade zu setzen. Es verheißt nur dem das Leben, der es vollständig erfüllt. Dessen Unmöglichkeit aber müssen die Galater wissen, damit sie auch die Möglichkeit erkennen, dem Fluch zu entgehen und das Leben zu erlangen.“ (Rohde, 143).
(13) Abgeschlossen wird der Gedanke, dass alle, „die aus des Gesetzes Werken leben …unter dem Fluch“ sind, mit dem Hinweis, dass Christus uns „losgekauft“ hat „von dem Fluch des Gesetzes“. Wie hat er das gemacht? Indem er mit uns getauscht hat (vgl. 2.Kor.5,21). Er wurde „zum Fluch … für uns“. Inwiefern wurde er „zum Fluch … für uns“? Nach dem Gesetz ist jeder, „der am Holz hängt“, verflucht (Zitat aus 5.Mos.21,23). Die Art seines Todes zeigt, dass er für uns „zum Fluch“ wurde und wir vom „Fluch des Gesetzes“ befreit sind.
(14) Damit ist durch Jesus Christus „der Segen Abrahams zu den Heiden“ gekommen (vgl. 3,8-9). Nachdem der Todesfluch des Gesetzes, der auf der ganzen Menschheit lastet, „weggenommen ist, kann nun die Segensverheißung, die Gott einst dem Abraham für die Völker gab, ‚Wirklichkeit werden‘.“ (Mussner, 234f.). Dass dies geschehen ist, so Paulus in Anknüpfung an 3,1-5, können wir daran sehen, dass „wir den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben“.
Das Gesetz kann diese Gerechtigkeit aus Glauben „aus juristischen Gründen“ nicht in Frage stellen.
(15) Brüder und Schwestern, ich
will nach menschlicher Weise reden: Man hebt doch das Testament eines Menschen
nicht auf, wenn es bestätigt ist, noch setzt man etwas hinzu. (16) Nun sind die Verheißungen
Abraham zugesagt und seinem Nachkommen. Es heißt nicht: »und den Nachkommen«,
als wären viele gemeint, sondern es gilt einem: »und deinem Nachkommen« (1.
Mose 22,18), welcher ist Christus. (17) Ich meine aber dies: Das
Testament, das von Gott zuvor bestätigt worden ist, wird nicht aufgehoben durch
das Gesetz, das vierhundertdreißig Jahre danach gegeben wurde, sodass die
Verheißung zurückgenommen würde. (18) Denn wenn das Erbe durch
das Gesetz erworben würde, so würde es nicht durch Verheißung gegeben; Gott
aber hat es Abraham durch Verheißung frei geschenkt.
(15) Nach seiner theologischen Argumentation stellt er die Sache nun „nach menschlicher Weise“ dar – konkret: nach menschlicher Rechtsprechung. Dabei hat er das im Judentum gebräuchliche Schlussverfahren „vom Kleineren auf das Größere“ im Hinterkopf. In diesem Fall bedeutet es: Was im weltlichen Bereich gilt, das gilt erst recht bei Gott.
Paulus nimmt auf das Testamentsrecht Bezug und geht von einem Testament aus, das rechtskräftig geworden ist. Ein solches Testament kann von niemandem außer Kraft gesetzt oder mit zusätzlichen Klauseln versehen werden. Es ist unveränderbar.
(16) Die Verheißung, die Abraham von Gott erhalten hat (vgl. 3,8), ist ein solches unveränderbares Testament. Abraham „und seinem Nachkommen“ ist die Verheißung damals fest zugesagt worden. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, dass die Schrift nicht von „den Nachkommen“, also vielen Nachkommen spricht, sondern von „deinem Nachkommen“, also einer einzigen Person. Tatsächlich heißt es in 1.Mos.17,8: „Und ich will dir und deinem Geschlecht nach dir das Land geben …“ In der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (LXX), heißt es an dieser Stelle: „Und ich will dir und deinem Samen …“ Auch hier steht der Singular. Das gibt Paulus die Möglichkeit, den einen Nachkommen mit „Christus“ zu identifizieren, durch den der „der Segen Abrahams zu den Heiden“ gekommen ist (3,14). In ihm als dem Nachkommen Abrahams wird Wirklichkeit, worauf Abraham bereits von Gott Brief und Siegel erhalten hat.
(17) Nun nennt Paulus den entscheidenden Punkt, auf den er mit diesem Vergleich hinaus will: Dieses „Testament“ wird nicht „durch das Gesetz“ aufgehoben, „das vierhundertdreißig Jahre danach“ am Berg Sinai „gegeben wurde“. Das Gesetz kommt „viel zu spät …, um das schon längst rechtskräftig eingesetzte Testament für Abraham und seinen Samen zu annullieren.“ (Becker, 39)
(18) Die Verheißung wäre „zurückgenommen“ worden, wenn man „das Erbe durch das Gesetz“ erwerben müsste. „Nur eines von beiden ist möglich: Entweder man empfängt das Erbe auf Grund einer Verheißung; dann ist es ein gnadenweises Geschenk Gottes. Oder man empfängt es auf Grund des Gesetzes; aber dann muss man es sich durch die Erfüllung der Gesetzesforderungen selbst verdienen.“ (Rohde, 152). Aber es steht fest: „Gott … hat es Abraham durch Verheißung frei geschenkt.“ Und dabei bleibt es.
3.3 Die zeitlich begrenzte Bedeutung des Gesetzes (3,19-29)
Im letzten Abschnitt hatte Paulus mit Hinweis auf Abraham
gesagt: Wer aus dem Glauben lebt, wird gesegnet; wer aus den Werken des
Gesetzes lebt, steht unter dem Fluch. Das Gesetz vom Berg Sinai, das später
gekommen ist, hat nichts daran geändert. Das provoziert die Frage: „Was soll dann das Gesetz“?
Warum wurde es gegeben? Bis wann gilt es? Und von wem stammt es?
(19) Was soll dann das Gesetz?
Es wurde hinzugefügt um der Übertretungen willen, bis der Nachkomme käme, dem
die Verheißung gilt; verordnet wurde es von Engeln durch die Hand eines
Mittlers. (20) Ein
Mittler aber ist nicht Mittler eines Einzigen, Gott aber ist Einer.
(19) Die Verheißung an Abraham, die auf den Glauben aufgebaut ist, wird durch das Gesetz „nicht aufgehoben“ (3,18). Das Gesetz wurde „hinzugefügt“. Nicht als eine zusätzliche Klausel, durch die sich die Abraham gegebene Verheißung ändert. Sondern als etwas, das unabhängig von der Verheißung gilt. Es wurde aus einen bestimmten Grund hinzugefügt – und zwar zeitlich begrenzt.
Das Gesetz „wurde hinzugefügt um der Übertretungen willen“. Was meint Paulus? Soll das Gesetz Gesetzesübertretungen verhindern? Der Gedanke liegt nahe. Aber Paulus macht an anderer Stelle unübersehbar deutlich, dass das Gesetz nicht die Kraft hat, seine Einhaltung zu bewirken und den Menschen am Sündigen zu hindern – vor allem in Röm.7,7-13: (7) Was wollen wir hierzu sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wüsste nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: »Du sollst nicht begehren!« (8) Die Sünde aber nahm das Gebot zum Anlass und erregte in mir Begierden jeder Art; denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. (9) Ich lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, wurde die Sünde lebendig, (10) ich aber starb. Und so fand sich's, dass das Gebot mir den Tod brachte, das doch zum Leben gegeben war. (11) Denn die Sünde nahm das Gebot zum Anlass und betrog mich und tötete mich durch das Gebot. (12) So ist also das Gesetz heilig, und das Gebot ist heilig, gerecht und gut. (13) Ist dann, was doch gut ist, mir zum Tod geworden? Das sei ferne! Sondern die Sünde, auf dass sie als Sünde sichtbar werde, hat mir durch das Gute den Tod gebracht, auf dass die Sünde über alle Maßen sündig werde durchs Gebot.“ Das Gesetz verhindert die „Übertretungen“ nicht, sondern provoziert sie geradezu. Das Gesetz offenbart uns als Übertreter des Gesetzes. Dem entspricht, dass es das nur solange tun soll, „bis der Nachkomme“ kommt, „dem die Verheißung gilt“. Gemeint ist natürlich Jesus Christus (3,16). Bis zu seinem (ersten) Kommen hat das Gesetz die Aufgabe, uns unsere Sündhaftigkeit zu zeigen.
Wie ist das Gesetz gekommen? Erstens: „Verordnet wurde es von Engeln …“ Nach zeitgenössischer jüdischer Auffassung hat Mose das Gesetz nicht direkt von Gott, sondern durch die Engel erhalten. Auch im Neuen Testament findet sich dieser Gedanke noch an drei weiteren Stellen. Apg.7,38: „Dieser ist’s, [Mose] der in der Gemeinde in der Wüste stand zwischen dem Engel, der mit ihm redete auf dem Berge Sinai, und unsern Vätern. Dieser empfing Worte des Lebens, um sie uns weiterzugeben.“ Apg.7,53: „Ihr habt das Gesetz empfangen durch Weisung von Engeln und habt’s nicht gehalten.“ Hebr.2,2: „Denn wenn das Wort fest war, das durch die Engel gesagt ist, und jede Übertretung und jeder Ungehorsam den rechten Lohn empfing …“. Warum greift Paulus diese Auffassung auf? Doch wohl um zu zeigen, dass das Gesetz schon von seinem Ursprung her keine Konkurrenz zu der Verheißung sein kann, die Gott dem Abraham selbst gegeben hat (3,17).
Zweitens: Es kam „durch die Hand eines Mittlers“. Gemeint ist natürlich Mose. Apg.7,37-38: „(37) Dies ist der Mose, der zu den Israeliten gesagt hat: »Einen Propheten wie mich wird euch der Herr, euer Gott, erwecken aus euren Brüdern.« (38) Dieser ist's, der in der Gemeinde in der Wüste stand zwischen dem Engel, der mit ihm redete auf dem Berge Sinai, und unsern Vätern. Er empfing Worte des Lebens, um sie uns weiterzugeben.“ (vgl. 5.Mos.5,5).
(20) In Vers 20 begründet Paulus, warum Mose, der „Mittler“, das Gesetz nicht direkt von Gott, sondern von den Engeln erhalten hat: „Ein Mittler aber ist nicht Mittler eines Einzigen, Gott aber ist Einer.“ Mittler, so wie Paulus und die Galater sie kannten, vertraten nicht einen Einzelnen, sondern eine Mehrheit. „Gott aber ist Einer.“ Also hat Mose nicht Gott, sondern die Vielzahl der Engel vertreten.
„Gott ist nur einer, und wo er seinen einheitlichen Willen zur Ausführung bringt, kann von einem Mittler keine Rede mehr sein. Daraus folgt nun, dass die Gesetzgebung, bei der ja Mittler tätig gewesen sind (…), nicht mit zu der Durchsetzung des in der Verheißung zum Ausdruck kommenden Gotteswillens gehört. Weil aber das Gesetz nicht zum Heilswillen Gottes gehört, so gilt von ihm nicht, dass es für alle Zeiten feststeht und bleibt.“ (Rohde, 158f.).
Aufgrund dieser provozierenden Aussagen stellt sich die Grundsatzfrage: „Ist dann das Gesetz gegen Gottes Verheißungen?“
(21) Wie? Ist dann das Gesetz
gegen Gottes Verheißungen? Das sei ferne! Denn nur, wenn ein Gesetz gegeben
worden wäre, das lebendig machen könnte, käme die Gerechtigkeit wirklich aus
dem Gesetz. (22) Aber
die Schrift hat alles eingeschlossen unter die Sünde, damit die Verheißung
durch den Glauben an Jesus Christus gegeben würde denen, die glauben.
(21) Paulus weist diese Idee als absurd zurück. Warum kann das Gesetz nicht „gegen Gottes Verheißungen“ sein? Weil das Gesetz im Unterschied zur Verheißung gar nicht in der Lage ist, Heil und Leben zu bringen. Nur wenn es das könnte, wäre „das Gesetz gegen Gottes Verheißungen“ bzw. die „Gerechtigkeit“ würde „aus dem Gesetz“ kommen.
(22) Dem ist aber
nicht so. Denn: „Die Schrift hat alles
eingeschlossen unter die Sünde.“ Gemeint ist ein Einschließen, aus dem es
kein Entrinnen gibt – so wie für die Fische im Netz (Lk.5,6). „Alles“ ist „eingeschlossen unter die Sünde“ – alle Menschen sind Gefangene der
Sünde (vgl. Röm.3,9: „… dass alle, Juden
wie Griechen, unter der Sünde sind …“; Röm.3,23: „Sie sind allesamt Sünder …“;
Röm.11,32: „Denn Gott hat alle
eingeschlossen in den Ungehorsam …“).
Welche Bedeutung aber hat hier das Wort „Schrift“? Ist hier das Alte Testament gemeint? Dann wäre gemeint, dass es davon spricht, dass alle Menschen Gefangene der Sünde sind. Vermutlich aber heißt „Schrift“ hier nichts anderes als „Gesetz“. Schließlich will Paulus hier etwas zur Aufgabe des Gesetzes sagen. Außerdem spricht Paulus in Röm.7,6 davon, dass wir vom Gesetz gefangen gehalten wurden: „Nun aber sind wir vom Gesetz frei geworden und dem gestorben, was uns gefangen hielt …“
Warum hat uns das Gesetz „eingeschlossen unter die Sünde“? Das Gesetz tat es, „damit die Verheißung durch den Glauben an Jesus Christus gegeben würde denen, die glauben“. „Wenn es Gott den Menschen unmöglich gemacht hat, sich von der Herrschaft der Sünde aus eigener Kraft zu befreien, so verfolgte er dabei die Absicht, ihnen den Weg der eigenen Gerechtigkeit zu verschließen, damit das Verheißungsgut nur auf Grund des Glaubens an Jesus Christus (…) erlangt werden könnte.“ (Rohde, 160).
Was also soll das Gesetz? Es stellt in keiner Weise die Abrahamverheißung in Frage. Es kann nicht zum Heil führen. Die Engel haben es im Auftrag Gottes gegeben, damit wir in ihm unsere Verlorenheit erkennen. So führt das Gesetz zu Christus. Allein im Glauben an ihm liegt unser Heil.
Nun beschreibt Paulus, wie es war „ehe … der Glaube kam“ und was sich verändert hat, „da nun der Glaube gekommen ist“.
(23) Ehe aber der Glaube kam,
waren wir unter dem Gesetz verwahrt und eingeschlossen, bis der Glaube
offenbart werden sollte. (24) So ist das Gesetz unser
Zuchtmeister gewesen auf Christus hin, damit wir durch den Glauben gerecht
würden.
(25) Da nun der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. (26) Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. (27) Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. (28) Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. (29) Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben.
(23-24) Bevor „der Glaube kam“ waren alle Menschen „unter dem Gesetz verwahrt und eingeschlossen“ (vgl. 3,22). Das Gesetz fungierte als Wächter. „Es hatte darüber zu wachen, dass die Sünde Sünde blieb!“ (Mussner, 255) Und zwar so lange, bis „der Glaube offenbart werden sollte“.
Diese Wächter- bzw. Aufpasserfunktion verdeutlicht Paulus mit dem Bild vom „Zuchtmeister“ (gr. paidagogos). Der „Zuchtmeister“ war ein reiner „Knabentreiber“. Unterricht zu erteilen gehörte nicht zu seinen Aufgaben. Seine Pflicht war es, die unmündigen Kinder zu überwachen und auf ihr Betragen zu achten. Diese Aufgabe des Gesetzes war aber von vornherein zeitlich begrenzt und auf ihre Ablösung durch Christus ausgerichtet, „damit wir durch den Glauben gerecht“ werden.
(25-26) Jetzt aber, wo in Jesus Christus „der Glaube gekommen ist“, sind wir nicht mehr unter der strengen Aufsicht eines Zuchtmeisters. Der Zuchtmeister hat seine Aufgabe erfüllt. Er kann gehen. Denn jetzt sind wir „durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus“. Richtig übersetzt muss es heißen: „denn ihr alle seid Söhne Gottes …“ (Elberfelder Bibel).
(27) Wie ist das möglich? Wer getauft ist, hat Christus angezogen. Wörtlich heißt es: „denn ihr alle, die ihr in Christus hinein getauft seid …“ (Schlachter Bibel). „Die Taufe erfolgt … ‚in Christus hinein‘. Damit wird aber wohl weniger auf das Untertauchen des Täuflings angespielt, als vielmehr der Übergang von einem Machtbereich in den anderen verdeutlicht. Befand sich der Täufling bisher in dem Machtbereich der Sünde, anderer Götter oder des Gesetzes, also der jüdischen Satzungen und Gebote, so tritt er mit der Taufe in den Machtbereich Christi ein, der nun sein ‚Herr‘ wird.“ (http://www.welt-der-bibel.de/bibliographie.1.4.galater.119.html, Zugriff 16.04.2017)
In Christus hinein getauft zu werden, bedeutet, Christus „anzuziehen“ (vgl. Röm.13,14). Für die ersten Leser des Galaterbriefes war das möglichweise ein Anklang an Mysterienreligionen. Wer die Weihen dieser Religionen empfangen hatte, wurde mit einem göttlichen Gewand bekleidet und gehörte dadurch (angeblich) zu Gott. Ähnlich – aber doch ganz anders – ist derjenige, der in Christus hinein getauft worden ist, „in Christus“ (3,28; vgl. 2,20) bzw. ganz in ihn eingehüllt.
(28) Bei diesem „Gewand“, dass der Getaufte angezogen hat, handelt es sich um ein „Einheitskleid, das die unterscheidenden Zeichen der früheren Existenz wesenlos macht“ (Mussner, 263). Daher heißt es: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau“. Sie sind „allesamt einer“ in Christus. „Die Gläubigen sind in Christus zu einer Person verschmolzen, sofern Christus … sie alle umfasst.“ (Oepke, 126).
(29) Wer Christus, den Nachkommen Abrahams (3,16) angezogen hat, gehört zur Nachkommenschaft Abrahams (vgl. Elberfelder Bibel: „Wenn ihr aber des Christus seid, so seid ihr damit Abrahams Nachkommenschaft …“, wörtlich: „Abrahams Same“). Und Abrahams Nachkommen gilt die Verheißung des Erbes. Deshalb kann keine Rede davon sein, dass man erst durch die Beschneidung, jüdische Lebensweise oder andere zu erfüllende Vorbedingungen das Ziel erreichen kann.
3.4 Von Knechten zu Söhnen (4,1-7)
Auch in diesem Abschnitt vergleicht Paulus die Zeit vor Christus mit dem, was seither gilt (vgl. 3,23-29).
(1) Ich sage aber: Solange der
Erbe unmündig ist, ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, obwohl
er Herr ist über alle Güter; (2) sondern er untersteht
Vormündern und Verwaltern bis zu der Zeit, die der Vater bestimmt hat. (3) So auch wir: Als wir
unmündig waren, waren wir geknechtet unter die Mächte der Welt.
(4) Als aber die Zeit erfüllt
war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz
getan, (5) auf
dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft
empfingen. (6) Weil
ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen,
der da ruft: Abba, lieber Vater! (7) So bist du nun nicht mehr
Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
(1-3) „Paulus hat hier wohl den minderjährigen Sohn eines verstorbenen reichen Mannes im Auge, der der Vormundschaft untersteht, bis er das vom Vater im Testament für die Mündigkeitserklärung festgesetzte Alter erreicht hat.“ (Oepke, 127). Das entspricht hellenistischem Recht. Der für Paulus entscheidende Punkt lautet: Zwischen dem unmündigen Erben und einem Sklaven besteht „kein Unterschied“ – jedenfalls in dem Sinne, dass auch der Erbe Menschen hat, die über ihn bestimmen.
Der Vergleichspunkt besteht darin, dass „wir unmündig waren“ und während dieser Zeit den „Mächten der Welt“ unterstellt waren und von ihnen „geknechtet“ wurden.
Mit den „Mächten der Welt“ – wörtlich: „Elemente der Welt“ – wurden in der Antike die Gestirne bzw. die Sternbilder bezeichnet. Diese Elemente konnten personifiziert und als Götter bzw. Geister verstanden werden, woraus sich die Vorstellung von Gestirngeistern ergab. Diesen „Elementen“ musste die schuldige Verehrung erwiesen werden, indem man ihre Gesetze und Vorschriften peinlich genau beachtete. Den „Mächten der Welt“ untertan zu sein bedeutet an dieser Stelle soviel wie „unter dem Gesetz“ zu sein (4,4).
(4) Das aber hat sich geändert. So wie der Vater im Testament den Zeitpunkt für die Mündigkeit und die freie Verfügungsgewalt seines Sohnes bestimmt hat, gibt es auch im göttlichen Heilsplan einen festgesetzten Zeitpunkt für das Ende der Knechtschaft unter dem Gesetz.
Paulus spricht von dem Punkt, „als … die Zeit erfüllt war“. Diese Redewendung bezeichnet eine von Gott festgesetzte Zeit (vgl. Mk.1,15; Lk.21,24). Als dieser Zeitpunkt gekommen war, „sandte Gott seinen Sohn“. Es folgen zwei Aussagen über seine Menschwerdung.
Erstens: Er wurde „geboren von einer Frau“. „Ohne dass jungfräuliche Geburt im Sinne des Paulus geradezu ausgeschlossen wäre, liegt der Nachdruck auf der menschengleichen Geburt des von Hause aus menschenungleichen Gottessohns.“ (Oepke, 133).
Zweitens: Er wurde „unter das Gesetz getan“. „Mit seiner Geburt trat er in die Situation der anderen ein, die dem Gesetz unterstanden, denn er wurde durch seine Geburt ein Glied des jüdischen Volkes. Er unterstellte sich damit den Forderungen und Bestimmungen des Gesetzes, lieferte sich auch dem Fluch des Gesetzes aus und ließ sich von ihm treffen (Gal.3,10.19). Er wurde durch seine Geburt insofern auch ein Sklave, indem er das Los des unter die gesetzlichen Bestimmungen versklavten, bisher unmündigen Gottesvolkes teilte.“ (Rohde, 172).
(5) Warum sendet Gott seinen Sohn, lässt ihn Mensch werden und dem Gesetz unterstellt sein? Damit er diejenigen, die „unter dem Gesetz sind“, erlöst. In 3,13 hatte Paulus bereits gesagt: „Christus aber hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns …“. Er hat mit uns getauscht – und uns so erlöst. Durch haben wir „die Kindschaft“ – wörtlich: „die Sohnschaft“ – (als eine Art „Adoption“?) empfangen. „Der Gedanke führt zwar eigentlich auf Mündigkeitserklärung. Weil aber im Altertum die Adoption meist an Erwachsenen vollzogen wird, schließt sie die Mündigkeit ein.“ (Oepke, 133)
Gott sendet also seinen Sohn, damit wir die Sohnschaft empfangen. Vielleicht kann man deshalb so weit gehen zu sagen: „Dadurch, dass Gott uns als Söhne annimmt, erlangen wir gegenüber Gott eine Stellung, die Christus schon dadurch hat, dass er Gottes Sohn ist.“ (Rohde, 172).
(6) Unsere Gottessohnschaft ist jedenfalls der Grund, weshalb Gott „den Geist seines Sohnes … in unsre Herzen“ gesandt hat. Der „Geist seines Sohnes“ ist der Geist, den der Sohn schon immer besitzt. Diesen Geist hat Gott nun auch „in unsere Herzen“ gesandt. Dieser Geist, der in uns wohnt, ruft, so wie Christus selbst es getan hat (Mk.14,36): „Abba, lieber Vater“ (vgl. Röm.8,15).
„Dieser Gebetsruf ist Ausdruck eines ganz persönlich-intim verstandenen Verhältnisses des Menschen zu Gott. In ihm kommt die Sohnesrelation zu Gott zur Sprache, die durch den Geist für die Getauften eröffnet ist. So ist der Christ durch den Geist in die ‚Familie‘ Gottes mit einbezogen (…).“ (Mussner, 276).
(7) Wer Gott durch den Geist als Vater anruft, ist „nicht mehr Knecht“ (wörtlich: „Sklave“), sondern „Sohn“ (wie die Elberfelder Bibel richtigerweise übersetzt). Und wer „Sohn“ ist, der ist dann auch „Erbe durch Gott“. „Paulus kommt damit noch einmal auf das zurück, worauf es ihm ankommt: Auf das Erbe, das einst Abraham verheißen war (vgl. Kap. 3,18.29), hat jeder Gläubige Anspruch. Die galatischen Heidenchristen hatten im Besitz des Geistes ein Kindschaftsbewusstsein, welches ihnen auch die judaistischen Gegner nicht absprechen konnten. Die Gegner bestritten aber wahrscheinlich, dass ihnen bereits dadurch der Anspruch auf eine Anwartschaft für das Reich Gottes erwachsen würde. Dem setzt Paulus die klare These entgegen: Wer Gottes Sohn ist, ist dadurch auch Erbe.“ (Rohde, 174).
3.5 Angst und Verzweiflung des Apostel Paulus (4,8-20)
Paulus unterbricht seine theologische Argumentation und spricht direkt über die Gründe, die ihn dazu bewegen, sich mit diesem Brief an die Gemeinden in Galatien zu wenden.
Zu Beginn bezeichnet er die Entwicklungen in Galatien als Rückfall und spricht von seiner Angst, dass seine ganze Arbeit vergeblich war.
(8) Aber zu der Zeit, als ihr
Gott noch nicht kanntet, dientet ihr denen, die ihrer Natur nach nicht Götter
sind. (9) Nun
aber, da ihr Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid, wie wendet
ihr euch dann wieder den schwachen und dürftigen Mächten zu, denen ihr von
Neuem dienen wollt? (10) Ihr
beachtet bestimmte Tage und Monate und Zeiten und Jahre. (11) Ich fürchte für euch, dass
ich vielleicht vergeblich an euch gearbeitet habe.
(8) Durch Christus sind die Galater nicht mehr Sklaven, sondern Söhne und Erben Gottes geworden (4,7). Aber bevor sie Gott kennenlernten, waren sie Sklaven von Göttern, die „ihrer Natur nach“ gar keine Götter sind. Antike Philosophen unterschieden „zwischen Göttern, die ihrem eigentlichen Wesen nach Götter sind, und solchen, die erst durch menschliche Setzung Götter wurden“ (ThWNT IX, 250, vgl. ebd. 256).
(9) Dann aber haben die Galater den einzig wahren Gott erkannt, bzw., wie Paulus sofort korrigiert, der wahre Gott hat sie erkannt. „Es kommt … nicht auf die Stellung an, die der Mensch zu Gott einnimmt, sondern umgekehrt, wie Gott sich zu dem Menschen verhält … Dadurch, dass ein Mensch von Gott erkannt wird, wird eine Gemeinschaft zwischen ihm und Gott hergestellt, durch die dann auch der Mensch Gott kennenlernt.“ (Rohde, 180).
Wenn der einzig wahre Gott sie erkannt hat, und sie dadurch den einzig wahren Gott erkannt haben – wie kann es dann sein, dass sie sich (mit der Beschneidung und anderer Gesetzlichkeit) wieder den „schwachen und dürftigen Mächten“ (wörtl.: „Elemente“, vgl. zu 4,3) zuwenden, um ihnen erneut (wie Sklaven) zu dienen?
„Paulus vollzieht … zwei Gleichstellungen: einmal zwischen den Weltelementen und den Göttern der Heiden … und zum anderen zwischen den Weltelementen und der Richtschnur des Judentums, dem Gesetz… Aus diesen beiden Gleichungen ergibt sich für Paulus eine dritte Gleichung: Er stellt heidnische Vielgötterei und jüdischen Gesetzesdienst mit dem Dienst gegenüber den Weltelementen gleich, identifiziert also Rückfall in jüdische Gesetzlichkeit mit Rückfall in heidnischen Polytheismus.“ (Rohde, 180).
(10) Paulus macht den Rückfall der Galater in den sklavischen Gehorsam gegenüber „den schwachen und dürftigen Mächten“ an ihrer Beachtung bestimmter Tage, Monate, Zeiten und Jahre fest. Die Verehrung der „Elemente der Welt“, die als Gestirngeister verstanden werden konnten, war mit einer Kalenderfrömmigkeit verbunden, bei der man sich gleichzeitig auf die in der Tora genannten Tage, Monate, Zeiten und Jahre berief. Das Halten (wörtl.: „beachten“) bestimmter Zeiten meint ein „ängstliches, skrupulöses, sich genau informierendes Beobachten im eigenen Interesse“, was „nicht auf das herkömmliche Feiern des Sabbats oder anderer jüdischer Feste, sondern auf die Rücksichtnahme auf kalendarisch oder astrologisch positiv oder negativ bewertete Zeitpunkte oder Zeitspannen deutet.“ (ThWNT VIII, 148).
(11) Weil die Galater in die Knechtschaft bzw. die Gesetzlichkeit zurückfallen, fürchtet Paulus, dass seine ganz Arbeit – gemeint ist die „Missionsarbeit“ (Röm.16,6.12; 1.Kor.4,12; 15,10.58; 2.Kor.10,15; 11,23; Phil.2,16; Kol.1,29; 1.Thess.2,9; 5,12) – in Galatien vergeblich gewesen ist.
„Dennoch resigniert der Apostel nicht völlig, sondern wendet sich im folgenden in einem neuen Appell an die Galater (…). Er erinnert sie an die Zeiten seiner Missionsarbeit bei ihnen.“ (Mussner, 304).
(12) Werdet doch wie ich, denn
auch ich wurde wie ihr, Brüder und Schwestern, ich bitte euch. Ihr habt mir
kein Leid getan. (13) Ihr
wisst doch, dass ich euch zuvor in Schwachheit des Leibes das Evangelium
gepredigt habe. (14) Und
obwohl meine leibliche Schwäche euch eine Anfechtung war, habt ihr mich nicht
verachtet oder vor mir ausgespuckt, sondern mich wie einen Engel Gottes
aufgenommen, ja wie Christus Jesus. (15) Wie wart ihr dazumal selig
zu preisen! Denn ich bin euer Zeuge: Ihr hättet, wenn es möglich gewesen wäre,
eure Augen ausgerissen und mir gegeben. (16) Bin ich denn damit euer
Feind geworden, dass ich euch die Wahrheit vorhalte?
(12) Paulus bittet die Galater „werdet doch wie ich“ und begründet seine Bitte mit dem Satz „denn auch ich wurde wie ihr“. Was ist gemeint?
In seinen Briefen ruft Paulus die Gemeinden immer wieder dazu auf, seinem Beispiel zu folgen (1.Kor.4,16; 11,1; Phil.3,17; 1.Thess.1,6; 2.Thess.3,7.9). Was aber meint er, wenn er im Galaterbrief dazu aufruft? Möglicherweise ergibt sich das aus seiner Begründung „denn auch ich wurde wie ihr“. Was aber bedeutet dieser Satz? Er erinnert an 1.Kor.9,21: „Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus –, damit ich die ohne Gesetz gewinne.“
Dann ist gemeint: Paulus hat unter den Galater nicht wie ein Jude, sondern wie ein Heide gelebt – und bittet die Galater nun, es ihm gleich zu tun. „Er, der Apostel, einst ein gesetzestreuer Jude, hat alle Erwartungen aufgegeben, durch ein Tun der Werke des Gesetzes gerechtfertigt zu werden. In der Erwartung, das Heil allein durch den Glauben zu erlangen, ist er den Galatern gleich geworden, die aus dem Heidentum ohne jüdisches Gesetz zum Glauben an Jesus Christus gelangt sind. Diese gesetzlosen Heidenchristen sind aber jetzt in der Gefahr, erneut zu Befolgern des Gesetzes zu werden. Dadurch würden sie den gleichen Weg zurückgehen und sich vom Glauben in der gleichen Richtung entfernen, aus der Paulus vom Gesetz her zu ihnen gekommen ist.“ (Rohde, 183).
Paulus fügt seiner Bitte noch einen Nachsatz hinzu: „Ihr habt mir kein Leid getan.“ In Zusammenhang der Bitte kann Folgendes gemeint sein: „Obwohl ich seinerzeit bei euch wie ein ‚Heide‘ und nicht wie ein Jude lebte, habt ihr mir in keiner Weise (…) ein Leid zugefügt. Gedacht ist an die Zeit, da der Apostel sich bei den Galatern befand (…): damals haben die Galater am ‚gesetzlosen‘ Leben des Apostels sich in keiner Weise gestoßen, ihm etwa durch üble Nachrede und Verachtung geschadet, wie es seine Gegner tun. Das kann der Apostel mit Genugtuung feststellen, und der Sinn dieser Feststellung ist: Ihr werdet mir doch auch jetzt kein Leid zufügen!“ (Mussner, 306).
(13-14) Dass sie keinen Anstoß an ihm genommen haben, hat sich damals vor allem daran gezeigt, dass sie sich bei seinem ersten Auftritt in Galatien trotz seiner körperlichen Schwäche nicht davon abhalten ließen, seine Verkündigung anzunehmen. Das war alles andere als selbstverständlich. Seine „leibliche Schwäche“ war „eine Anfechtung“. Inwiefern? Im Rahmen des gesetzlichen Denkens galt Krankheit als Strafe Gottes für die Übertretung des Gesetzes (vgl. Joh.9,2). In der Antike war die Auffassung weit verbreitet, dass kranke Menschen von einem bösen Geist besessen sind. Deshalb wäre es naheliegend gewesen, ihn zu verachten oder sogar – nicht als Akt der Beleidigung, sondern zur Abwehr der bösen Geister – vor ihm auszuspucken (dieser Abwehrritus wurde z.B. bei Epilepsie angewandt; Oepke, 143). Stattdessen haben sie ihn „wie einen Engel Gottes aufgenommen, ja wie Christus Jesus“.
(15-16) Die anschließende Frage lautet wörtlich übersetzt: „Wo ist denn eure Glückseligkeit (bzw. Seligpreisung)?“ Vermutlich ist nicht eine Seligpreisung des Apostels Paulus gemeint, sondern dass sich die Galater selbst selig gepriesen haben (umgangssprachlich: „dass sie sich selbst beglückwünscht haben“), weil Paulus zu ihnen gekommen ist. Zur Begründung erinnert Paulus sie daran, dass sie „wenn es möglich gewesen wäre“, ihre „Augen ausgerissen“ und ihm gegeben hätten (daher wird vermutet, dass die „leibliche Schwäche“ des Apostels Paulus mit Sehstörungen verbunden war). Die Herzlichkeit und das Entgegenkommen der Galater waren einfach unbeschreiblich.
Aber da hat sich etwas verändert. Es ist nicht mehr so wie früher – im Gegenteil. Paulus spürt Ablehnung und Feindschaft und fragt sich, wie es so weit kommen konnte: „Bin ich also euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage?“ (Elberfelder Bibel). „Paulus meint vermutlich, dass infolge der judaistischen Agitation die Galater jetzt die Wahrheit des gesetzesfreien paulinischen Evangeliums anders sehen als früher. Vorher wurden sie von der Überzeugungskraft des gesetzesfreien Evangeliums für Christus gewonnen, aber jetzt meinen sie infolge der gegnerischen Argumentation, Paulus habe ihnen etwas vorenthalten und sie dadurch geschädigt, dass er ihnen verschwieg, sie würden die an Abraham ergangenen Verheißungen nur mit Beschneidung und Beachtung gesetzlicher Bestimmungen erlangen … Die Galater nehmen jetzt … eine andere Haltung zum paulinischen Evangelium ein, und wenn sie den, der ihnen dessen Wahrheit verkündigt hat, jetzt für ihren Feind halten, so kann der Grund dafür nur darin bestehen, dass sie in dieser Verkündigung der Wahrheit jetzt einen Ausdruck der Feindschaft gegen sich sehen. Dass dies so ist, kann Paulus nicht begreifen, und deshalb fragt er die Galater, ob das wirklich der Fall sei.“ (Rohde, 187f.)
Woran kann es liegen, dass das Verhältnis zwischen Paulus und den Gemeinden Galatiens plötzlich voller Spannungen ist? Paulus hat dafür nur eine Erklärung: Das ist das Werk der judaistischen Wanderprediger. Sie haben die Galater umworben und einen Keil zwischen Paulus und die galatischen Gemeinden getrieben. Deshalb spricht er am Ende dieses Abschnittes über richtiges und falsches „Werben“.
(17) Es ist nicht recht, wie
sie um euch werben; sie wollen euch ausschließen, damit ihr dann um sie
werbt. (18) Umworben
zu werden, ist gut, wenn's im Guten geschieht, und zwar immer und nicht nur
dann, wenn ich bei euch bin.
(17) Wie die judaistischen Wanderprediger um die Galater „werben“ (wörtl.: „eifern“), ist es „nicht recht“ (wörtl.: „nicht gut“). Warum nicht? Paulus sagt: „Sie wollen euch ausschließen, damit ihr dann um sie werbt.“ Gemeint ist vermutlich Folgendes: Sie strebten danach, „dass die Galater sich ausschließlich ihnen zuwenden sollten, suchten sie von jeder anderen Gemeinschaft zu lösen und versuchten den Galatern einzureden, Paulus sei ihr Feind.“ (Rohde, 188). So wollten sie erreichen, dass die Galater ihrerseits um sie werben, d.h. sie mit Zustimmung, Lob und Anerkennung überschütten.
(18) Grundsätzlich, so Paulus, ist nichts dagegen einzuwenden, dass die Galater „umworben“ werden. Dass man es als „angenehm empfindet, ist menschlich verständlich und nicht notwendig unsittlich. Allein es kommt auf die Lauterkeit des gegenseitigen Verhältnisses an.“ (Oepke, 144). Unter dieser Voraussetzung kann es jederzeit geschehen. „Es sei gut für die Galater, dass sich immer jemand um sie bemüht mit Eifer; wenn er bei ihnen anwesend ist, würde er es tun, aber wenn es in seiner Abwesenheit ein anderer tut, so habe er nichts dagegen, doch müssten diese Bemühungen im Bereich des Guten (in seinem Sinne) liegen und nicht eigensüchtige Interessen verfolgen, wie es beim Eifer der Judaisten in der Tat der Fall sei.“ (Rohde, 189).
Mit der Anrede „meine Kinder“ setzt Paulus neu an – und drückt seine ganze Verzweiflung über die Entwicklung in den Gemeinde Galatiens aus.
(19) Meine Kinder, die ich
abermals unter Wehen gebäre, bis Christus in euch Gestalt gewinne! – (20) Ich wollte aber, dass ich
jetzt bei euch wäre und mit andrer Stimme zu euch reden könnte; denn ich bin
ratlos euretwegen.
(19) „Der Apostel vergleicht sich … mit einer Mutter, die unter Schmerzen das Leben schenkt. Er hat damals, als er den Galatern das Evangelium unter körperlichen Beschwerden predigte, ihnen sozusagen das Leben gegeben. Dieses Leben haben sie dadurch verloren, dass sie sich wieder dem Gesetz zuwenden wollen. Deshalb muss er erneut Geburtswehen um sie erleiden. Er will … nicht eher ablassen, sich um sie zu sorgen, bis Christus in ihnen Gestalt angenommen hat“ (Rohde, 189). Dass Christus in ihnen „Gestalt“ gewinnen soll, heißt in diesem Zusammenhang vermutlich, „dass nur er ihr Denken“ bestimmen soll, „so dass sie alle an sie gestellten Anforderungen auf ihre Berechtigung zu prüfen vermögen, in diesem Fall die Forderung der Gegner auf Beachtung der jüdischen gesetzlichen Bestimmungen“ (Rohde, 190).
(20) Weil das sein Ziel ist, wünscht er sich nichts sehnlicher, als in Galatien zu sein: „Ich wollte aber, dass ich jetzt bei euch wäre und mit andrer Stimme zu euch reden könnte.“ Was meint Paulus, wenn er sagt, dass er „mit anderer Stimme“ zu ihnen reden will? Will er einen anderen Ton anschlagen – und z.B. laut werden? Es kann aber auch mit „und meine Stimme zu wandeln“ übersetzt werden (so die Elberfelder Bibel). Dann könnte auch gemeint sein, dass er es, wenn er in Galatien wäre, leichter hätte, den richtigen Ton zu treffen. Fest steht jedenfalls, dass er mit den Galatern reden möchte, weil ihn das alles, was in Galatien geschieht, „ratlos“ macht.
3.6 Hagar und Sara: Das Gesetz lehrt die Freiheit (4,21-31)
Obwohl Paulus „ratlos“ ist (4,20), hört er nicht auf zu schreiben. Er versucht einen neuen Schriftbeweis. Diesmal will er mit Hilfe des Gesetzes selbst beweisen, dass Christen nicht unter dem Gesetz leben und greift dazu eine Geschichte aus dem ersten Buch Mose auf.
(21) Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt: Hört ihr nicht das Gesetz? (22) Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd und einen von der Freien. (23) Aber der von der Magd ist nach dem Fleisch geboren worden, der von der Freien aber durch die Verheißung.
(21) Die Galater wollen „unter dem Gesetz“ sein. Möglicherweise ist die Sache noch nicht entschieden, aber sie tendieren in diese Richtung. Deshalb fragt er sie: „Hört ihr nicht das Gesetz?“
(22) Er erinnert sie an die im Gesetz, den fünf Büchern Mose, überlieferte Begebenheit von Hagar, der Sklavin, und Sara, der Frau Abrahams. Mit beiden Frauen hatte Abraham einen Sohn: „Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael.“ (1.Mos.16,15). „Und Sara ward schwanger und gebar dem Abraham in seinem Alter einen Sohn um die Zeit, von der Gott zu ihm geredet hatte.“ (1.Mos.21,2).
„Es geht ihm darum, den Galatern folgendes nahezulegen: Ihnen sei es doch darum zu tun, Abrahams Kinder zu sein. Deshalb müssten sie aber berücksichtigen, dass er mehrere Söhne hatte. Welchem von beiden wollten sie gleichgesetzt werden, dem Ismael oder dem Isaak?“ (Rohde, 193).
(23) Ismael und Isaak haben zwar den gleichen Vater. Trotzdem gibt es hier entscheidende Unterschiede. Ismael, „der von der Magd“, ist „nach dem Fleisch“ geboren worden. Isaak, „der von der Freien“, demgegenüber „durch die Verheißung“. „Nach dem Fleisch“ bedeutet, dass etwas auf irdisch-menschliche Weise (2,20) und durch eigene Anstrengung (3,3) unternommen wird. Hier liegt der Akzent darauf, dass es „ohne Verheißung“ geschieht. Ismael ist aufgrund menschlicher Überlegungen und „Aktivitäten“ gezeugt worden (1.Mos.16,1-4a). Bei Isaak aber war es ganz anders. Dass er geboren wurde, lag allein an Gottes „Verheißung“. Rein menschlich war nichts mehr zu erwarten (1.Mos.17,15-19; 18,10-15; 21,1-7).
Wie deutet Paulus diese Begebenheit?
(24) Das ist bildlich zu
verstehen: Die beiden Frauen sind zwei Bundesschlüsse, einer vom Berg Sinai,
der in die Knechtschaft gebiert; das ist Hagar. (25) Hagar aber bezeichnet den
Berg Sinai in Arabien und ist ein Gleichnis für das jetzige Jerusalem, das mit
seinen Kindern in der Knechtschaft lebt. (26) Aber das Jerusalem, das
droben ist, das ist die Freie; das ist unsre Mutter. (27) Denn es steht geschrieben:
»Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst! Brich in Jubel aus und
jauchze, die du nicht schwanger bist. Denn die Einsame hat viel mehr Kinder,
als die den Mann hat.« (28) Ihr aber, Brüder und
Schwestern, seid wie Isaak Kinder der Verheißung.
(24a) Für Paulus hat diese Geschichte sinnbildliche Bedeutung. Der griechische Grundtext spricht von einer allegorischen Rede. Allegorisch reden, heißt wörtlich übersetzt so viel wie „etwas anderes reden“. Eine Allegorie liegt vor, wenn „ein sprachlicher Ausdruck … einen tieferen Sinn als den buchstäblichen oder unmittelbaren hat“ (RGG, 3. Aufl., Bd. 1, 238). Die allegorische Auslegung wird von Paulus nicht durchgängig praktiziert, ist aber ggf. ein „Mittel, sein neues christozentrisch, ‚staurozentrisches‘ [auf das Kreuz ausgerichtetes] Schriftverständnis durchzuführen“ (ThWNT I, 264).
(24b-25) Welche allegorische Bedeutung hat diese Begebenheit für Paulus? Seiner Meinung nach stehen die beiden Frauen für „zwei Bundesschlüsse“. Hagar, die Sklavin, ist der Bundesschluss „vom Berg Sinai“, der „Nachkommen für die Sklaverei hervorbringt“ (Zürcher Bibel). „Die Sklavin gebiert – nach allgemein geltendem antiken Recht – ihre Kinder in die Leibeigenschaft hinein.“ (Oepke, 148).
„Wie kommt er auf diese Gleichsetzung? Es kann sein, dass die Lautähnlichkeit mit dem arabischen Wort für ‚Fels/Stein‘, ‚hadjar‘, zu dieser Gleichsetzung geführt hat. Dann ist aber auch daran zu denken, dass der Berg Sinai im Gebiet der Nachkommen Hagars liegt (vgl. 1.Mos. 25,12-18; zu den Hagaritern siehe auch 1.Chr.5,10.19; Ps.83,7), wobei jedoch der geographische Begriff ‚Arabien‘ im AT nicht ausdrücklich im Zusammenhang mit den Hagaritern genannt wird.“ (http://www.welt-der-bibel.de/bibliographie.1.4.galater.123.html, Zugriff 18.04.2017).
Dann führt Paulus ein neues Gegensatzpaar ein: „das jetzige Jerusalem“ und „das Jerusalem, das droben ist“. Das jetzige Jerusalem entspricht Hagar bzw. dem Berg Sinai und lebt „mit seinen Kindern in der Knechtschaft“. „Die Verwendung dieses neuen Bezugsrahmens ergibt, dass das irdische, jetzige Jerusalem als der ‚klassische‘ Ort des Gesetzes auf die Seite der Gleichung Sinai = Hagar gehört, denn Jerusalem mit ihren Kindern, also alle Juden und Judaisten, dienen dem Gesetz, wobei der Dienst abwertend als Sklaverei, wie sie Hagar repräsentiert, verstanden ist. Damit ist die eine allegorische Ableitung zum Ziel gebracht: Hagar – Sklaverei – Sinaibund – irdisches Jerusalem gehören zusammen.“ (Becker, 57).
(26-27) Auf der anderen Seite steht „das Jerusalem, das droben ist“. Die Vorstellung ist die, dass das zukünftige „neue Jerusalem“ (Offb.21,1) jetzt schon im Himmel existiert – eine Vorstellung, die wir von jüdischen Zeitgenossen des Apostels Paulus kennen (vgl. Mussner, 325; Oepke, 151). Anklänge daran finden sich in Phil.3,20: „Wir aber sind Bürger im Himmel; woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus …“.
„Das Jerusalem, das droben ist“, ist „die Freie“, also Sara, und „unsere Mutter“. Dass Jerusalem die Mutter der Gläubigen ist, unterstreicht Paulus mit einem Zitat aus Jes.54,1 (er zitiert nach der griechischen Übersetzung des AT, der LXX): „Sei fröhlich, du Unfruchtbare, die du nicht gebierst! Brich in Jubel aus und jauchze, die du nicht schwanger bist. Denn die Einsame hat viel mehr Kinder, als die den Mann hat.“
„Der Prophet Deuterojesaja redet in dem Zitat die Stadt Jerusalem an, die im Exil einer unfruchtbaren Frau gleicht, weil sie ihrer Kinder durch die Zerstörung der Stadt beraubt ist. Er verheißt der Stadt, dass sie wieder reich an Kindern werden soll … Diese Heilsankündigung des Propheten hat Paulus als eine Rede über Sara verstanden und auf die christliche Gemeinde bezogen, in der für ihn das in Erfüllung gegangen ist … Auch das obere Jerusalem steht dem irdischen Jerusalem gegenüber wie eine einsame Frau (Witwe oder Verlassene) der verheirateten. Das Judentum, verkörpert in Hagar, pflanzt sich fort auf dem Wege der natürlichen Geburt. Dieser Weg der Kinderentstehung ist dem oberen Jerusalem versagt. Dennoch ist dieser Stadt verheißen, dass sie mehr Kinder haben soll als das irdische Jerusalem. Die Zahl der Gläubigen des Neuen Bundes soll die des Judentums noch übertreffen. Das kann nur durch Gottes wunderbares Eingreifen und Einwirken geschehen … Darin gleicht das obere Jerusalem der Sara. Sie war zuerst unfruchtbar und kinderlos, aber auf Grund göttlicher Verheißung und göttlichen Einwirkens wurde sie doch noch Isaaks Mutter und damit die Ahnfrau einer großen Nachkommenschaft.“ (Rohde, 202).
(28) Daraus folgt: Alle, die an Jesus Christus glauben, sind „wie Isaak Kinder der Verheißung“ (vgl. 4,21). „Paulus hat ja bei den Söhnen Abrahams einen Unterschied zwischen einem Sohn auf fleischliche Weise (Ismael) und einem Sohn auf Grund der Verheißung (Isaak) gemacht. Nur Isaak wird als Erbe anerkannt (V. 30). So auch in diesem Falle: Die Heidenchristen Galatiens gehören zu den Erben der göttlichen Verheißung, die einst Abraham zugesprochen wurde (vgl. Gal.3,26.29; 4,7), aber nicht die Juden, die von Ismael repräsentiert werden.“ (Rohde, 203).
Abschließend nennt Paulus einen weiteren Vergleichspunkt zwischen der Ismael-Isaak-Geschichte und dem Problem der Gemeinden Galatiens.
(29) Aber wie zu jener Zeit
der, der nach dem Fleisch geboren war, den verfolgte, der nach dem Geist
geboren war, so geht es auch jetzt. (30) Doch was spricht die
Schrift? »Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn; denn der Sohn der Magd soll
nicht erben mit dem Sohn der Freien«. (31) So sind wir nun nicht
Kinder der Magd, sondern der Freien.
(29) Paulus erinnert daran, dass Isaak, „der nach dem Geist geboren war“, von Ismael, „der nach dem Fleisch geboren war“(vgl. 4,23), verfolgt wurde. Einziger biblischer Hinweis darauf ist 1.Mos.21,9: „Und Sara sah den Sohn Hagars, der Ägypterin, den sie Abraham geboren hatte, dass er lachte“ (die Zürcher Bibel übersetzt „spielte“). In schriftgelehrter Auslegung wurde das als ein feindlicher Akt interpretiert. Paulus übernimmt diese Interpretation und betont, dass es – zwischen Juden/Judaisten und Heidenchristen – „so … auch jetzt“ zugeht (vgl. 5,11: „… falls ich weiterhin die Beschneidung verkündigen sollte, was werde ich dann noch verfolgt? …“; 6,12: „… nötigen euch zur Beschneidung - einzig um wegen des Kreuzes Christi keine Verfolgungen erleiden zu müssen.“).
(30) Weil sich hier die Verfolgung Isaaks wiederholt, wird sich auch wiederholen, was damals mit Ismael geschah. Dazu zitiert Paulus das Wort Saras an Abraham (1.Mos.21,10): „Stoß die Magd hinaus mit ihrem Sohn; denn der Sohn der Magd soll nicht erben mit dem Sohn der Freien.“ „Mit diesem Schriftbefehl werden die Galater unmissverständlich aufgefordert, den bei ihnen eingebrochenen ‚Ismael‘ zu ‚vertreiben‘.“ (Mussner, 332).
(31) Die zusammenfassende Schlussfolgerung lautet: „So sind wir nun nicht Kinder der Magd, sondern der Freien.“ „Sie führt über den … ersten Abschluss in V 28 insofern hinaus, als nun der Gedanke der Freiheit (…) wieder betont und damit zurückgeblendet wird auf den Beginn der ‚Allegorie‘ im V 23 …“ (Mussner, 333).
3.7 Aufruf, die Freiheit nicht aufzugeben (5,1-12)
Weil die Galater „Kinder … der Freien“ sind (4,31), sollen sie ihre Freiheit nicht aufgeben.
(1) Zur Freiheit hat uns
Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der
Knechtschaft auflegen!
(1) Was versteht Paulus hier unter der „Freiheit“, zu der „Christus befreit“? Es kann nur die Freiheit von den Zwängen des Lebens „unter dem Gesetz“ (vgl. 3,23-4,7), speziell der Beschneidung gemeint sein (vgl. 2,3-4: „(3) Aber selbst Titus, der bei mir war, ein Grieche, wurde nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen. (4) Es hatten sich aber einige falsche Brüder eingedrängt und eingeschlichen, um auszukundschaften unsere Freiheit, die wir in Christus Jesus haben, und uns so zu knechten.“).
Zu dieser ihnen von Christus geschenkten Freiheit sollen sie stehen und sich „nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen“ lassen. Nun handelt es sich bei den Christen in Galatien um Heidenchristen, die vor ihrer Bekehrung nicht „unter dem Gesetz“ vom Sinai standen. Aber sie dienten „den schwachen und dürftigen Mächten“ (4,9) – was für Paulus durchaus damit vergleichbar ist.
Was würde passieren, wenn sie sich beschneiden ließen?
(2) Siehe, ich, Paulus, sage
euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts
nützen. (3) Ich
bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze
Gesetz zu tun schuldig ist. (4) Ihr habt Christus
verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, aus der Gnade seid ihr
herausgefallen.
(2) Bei der nun folgenden Aussage wirft Paulus seine ganze Autorität in die Waagschale, indem er seinen Namen voranstellt: „Siehe, ich, Paulus, sage euch“. Seine Botschaft ist unmissverständlich: Bei der Frage der Beschneidung geht es um Alles oder Nichts – und zwar im Hinblick auf das Heil.
„Zwischen Beschneidung und Christus besteht in diesem Fall, da die Beschneidung als heilsnotwendig angesehen wird, ein sich ausschließender Gegensatz, der keinen Kompromiss ermöglicht. An sich ist die Beschneidung noch kein vom Heil ausschließender Tatbestand (vgl. 5,6 und 1.Kor.7,18f.), wohl aber dann, wenn sie zur conditio sine qua non [Bedingung, ohne die nichts geht] erklärt wird.“ (Rohde, 214).
(3) Außerdem „bezeugt“ Paulus ihnen, dass jeder, „der sich beschneiden lässt, … das ganze Gesetz zu tun schuldig ist“. „Hiermit vertritt Paulus einen Grundsatz, der nach rabbinischer Auffassung für den Vollproselyten gilt (…): Sie sind wie jeder Jude zum Halten des vollständigen jüdischen Gesetzes verpflichtet. An den Verdiensten der Väter haben allerdings die Proselyten keinen Anteil, weil sie nicht leiblich von ihnen abstammen, sondern sie sind ganz auf eigene Verdienste durch das Tun angewiesen.“ (Rohde, 215; vgl. Röm.2,25: „Die Beschneidung nützt etwas, wenn du das Gesetz hältst; hältst du aber das Gesetz nicht, so bist du aus einem Beschnittenen schon ein Unbeschnittener geworden.“). Möglicherweise haben die judaistischen Lehrer diese Konsequenz verschwiegen.
Was meint er damit, dass er das allen, die sich beschneiden lassen, „abermals“ bezeugt? Handelt es sich um eine Bekräftigung der Aussage von Vers 2? Oder bezieht er sich darauf, dass er auf dem Apostelkonzil Ähnliches gesagt hat?
(4) Jedenfalls steht fest: Wer „sich beschneiden lässt“ und deshalb „das ganze Gesetz zu tun schuldig ist“, will „durch das Gesetz gerecht werden“. Damit aber hat er „Christus verloren“ und ist „aus der Gnade … herausgefallen“. „Meinen die Galater mit den Judaisten, Gesetz und Christus verbinden zu können, irren sie zutiefst. Beiden schließen einander aus. Christus ist allein Heilsweg, die Hinwendung zum Gesetz bringt Fluch und Vernichtung.“ (Becker, 61)
Worauf kommt es stattdessen an?
(5) Denn wir warten im Geist
durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die wir hoffen. (6) Denn in Christus Jesus
gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der
durch die Liebe tätig ist.
(5) Christen leben „im Geist“ – also nicht aus eigener Kraft bzw. aus dem „Fleisch“, sondern aus Gottes Kraft (3,3). Sie wollen nicht „durch das Gesetz gerecht werden“ (5,4), sondern „durch den Glauben“. Das ist die Weise, in der Christen „die Hoffnung der Gerechtigkeit erwarten“ (so wörtlich).
Was ist die „Hoffnung der Gerechtigkeit“? Gemeint ist die endgültige Gerechtsprechung im zukünftigen Endgericht. Darauf warten auch die Judaisten. Wer aber das Evangelium richtig verstanden hat, wartet anders darauf – nämlich „im Geist durch den Glauben“, also deutlich „entspannter“.
(6) Warum warten Christen „durch den Glauben“ auf den „Jüngsten Tag“? Weil es bei Christus nicht darauf ankommt, ob man beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern allein auf den Glauben, „der durch die Liebe tätig ist“. „Sich alles von Gott schenken lassen, Gottes Gabe aber weitergeben, ausmünzen in einem wahrhaft sittlichen, von selbstverleugnender Liebe getragenen Leben, ohne dabei nach dinglichem Lohn außer und neben Gott zu schielen – das ist das wahre Christentum. Damit kann man vor Gott bestehen.“ (Oepke, 159).
Auf dieser Grundlage formuliert Paulus eine scharfe und unmissverständliche Verurteilung der judaistischen Lehrer.
(7) Ihr lieft so gut. Wer hat
euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen? (8) Solches Überreden kommt
nicht von dem, der euch berufen hat. (9) Ein wenig Sauerteig
durchsäuert den ganzen Teig. (10) Ich habe das Vertrauen zu
euch in dem Herrn, ihr werdet nicht anders gesinnt sein. Wer euch aber
irremacht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.
(7) Paulus stellt fest, dass die Christen in Galatien eigentlich auf einem guten Weg waren: „Ihr lieft so gut.“ Wenn Paulus im Zusammenhang mit dem Glauben vom „Laufen“ spricht, meint er „eilfertigen Gehorsam“ (ThWNT VIII, 230; vgl. 1.Kor.9,24.26; Phil.2,16; 3,14). Daher stellt sich die Frage, wer sie aufgehalten hat und bewirkt hat, dass sie „der Wahrheit nicht … gehorchen“? Die „Wahrheit“ ist natürlich die „Wahrheit des Evangeliums“, die darin besteht, dass der Mensch nicht aus Werken des Gesetzes, sondern allein durch den Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt wird (vgl. 2,5.14.16).
(8) Die Galater sind „aufgehalten“ bzw. „überredet“ worden. Das kam aber nicht von dem, der sie „berufen hat“. Damit ist entweder Gott (Gal.1,15; 1.Thess.2,12) oder Christus (Röm.1,6) gemeint. Paulus weist „darauf hin, dass die Überredung, die die Galater hindert, der Wahrheit des Evangeliums gegenüber gehorsam zu sein, nicht in Gott ihren Ursprung hat … Ihm sind Überredungskünste fremd, mit denen die Gegner die Galater zur Annahme des jüdischen Gesetzes zu bewegen suchten.“ (Rohde, 221).
(9) Dann warnt Paulus die Galater mit Hilfe eines Sprichworts davor, das Wirken der judaistischen Lehrer zu unterschätzen: „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.“ Meint er, dass bereits eine geringe Anzahl von Unruhestiftern ausreicht? Wahrscheinlich geht es darum, dass es bereits reicht, sich ein klein wenig auf das Gesetz einzulassen – also „schon die Anfänge der Irrlehre, wenn geduldet, sich verhängnisvoll auswirken müssen“ (Oepke, 160; vgl. 5,3).
(10) Obwohl er deutliche Warnungen ausspricht, vertraut er darauf, dass die Galater das genauso sehen werden wie er (wörtlich: „nicht anders denken/urteilen werdet“). Allerdings vertraut er dabei weniger auf die Galater selbst, als auf den „Herrn“, also auf Jesus Christus. Das Vertrauen „erhebt sich nicht auf Grund menschlicher Berechnung und verzichtet deshalb auch auf menschliche Sicherheit, gewinnt aber dadurch die eigentümliche Sicherheit des Glaubens.“ (Bultmann, zit. in Mussner, 357).
Derjenige, der die Christen in Galatein „irremacht“, wird in Gottes Gericht verurteilt werden. Dabei kommt es nicht darauf an, wer jemand ist (vgl. 2,6; zum Gericht ohne Ansehen der Person vgl. Röm.2,11; 1.Petr.1,17). Aufgrund dieses Nachsatzes kann vermutet werden, dass hinter den Judaisten ein „Prominenter“ steht (vgl. 2,12: „… einige von Jakobus …“).
Es folgt ein Wort in eigener Sache – und ein sarkastischer Aufruf an die Irrlehrer.
(11) Ich aber, liebe Brüder,
wenn ich die Beschneidung noch predige, warum leide ich dann Verfolgung? Dann
wäre ja das Ärgernis des Kreuzes aufgehoben! (12) Sollen sie sich doch
gleich verschneiden lassen, die euch aufhetzen!
(11) Geht Paulus hier auf Behauptungen seiner Gegner ein, dass er selbst die Beschneidung predigt oder sie zumindest im Einzelfall befürwortete (vgl. Apg.16,3)? Oder konstruiert Paulus hier einen theoretischen Fall? Fest steht, dass er diese Behauptung bzw. den spekulativen Gedanken mit dem Hinweis auf seine Verfolgung zurückweist. Würde er die Beschneidung predigen, gäbe es keinen Grund, ihn zu verfolgen. Dabei denkt er an Nachstellungen durch die Juden, wie sie in der Apostelgeschichte berichtet werden (Apg.13,50; 14,2-7; 14,19; 17,5-9.13-15; 18,12-17; 21,27-30). Dazu passt, dass die judaistischen Lehrer, die nach Galatien gekommen sind, die dortigen Heidenchristen nach Auffassung des Paulus nur deshalb zur Beschneidung „nötigen …, damit sie nicht um des Kreuzes des Christus willen verfolgt werden“ (6,12).
Würde Paulus die Beschneidung predigen, wäre das „Ärgernis des Kreuzes aufgehoben“ – und kein Jude würde ihn verfolgen. Das Kreuz Jesu Christi stellt allen Selbstruhm des Menschen in Frage (6,12: „Es sei aber fern von mir, mich zu rühmen als allein des Kreuzes unseres Herrn Jesus Christus …“) – und steht damit auch im Gegensatz zu dem Versuch des Menschen, sein Heil „durch das Gesetz“ zu erlangen (vgl. 3,1-2).
(12) Schließlich geht Paulus in Sarkasmus über. So sehr ist er innerlich engagiert. „Sollen sie sich doch gleich verschneiden lassen, die euch aufhetzen!“ (vgl. Phil.3,2). Im Attis- und Kybelekult, der in Galatien seinen Hauptsitz hatte, gab es den Brauch der sakralen Selbstentmannung. Sie wurde während des Frühlingsfestes im Zustand religiöser Raserei vollzogen.
Damit hat Paulus in den Augen seiner Gegner die Grenze zur Blasphemie überschritten. Nicht nur, dass die heilige Beschneidung mit finsterstem Heidentum auf eine Stufe gestellt wird (vgl. 4,8-11). Die Beschneidung war das Zeichen des Volkes Gottes – die „Verschnittenen“ und „Entmannten“ aber waren nach dem Gesetz aus dem Volk Gottes ausgeschlossen (5.Mos.23,2).
3.8 Aufruf, die Freiheit nicht zu missbrauchen, sondern „im Geist“ zu
leben (5,13-24)
„Nachdem Paulus im vorangegangenen Abschnitt die Forderung der Eindringlinge auf Beschneidung gegenüber den galatischen Lesern seines Briefes scharf zurückgewiesen und sie stattdessen ermahnt hat, bei seinem Evangelium und bei der durch dies Evangelium vermittelten Freiheit zu bleiben, sagt er nun, dass die gegebene Freiheit in der Liebe gründet, die eine Frucht des heiligen Geistes ist. Freiheit bedeutet nicht Wandel gemäß den Gelüsten des menschlichen Fleisches, sondern äußert sich in der Liebe beim bereitwilligen Dienst am Nächsten.“ (Rohde, 226).
Zunächst wendet er sich gegen einen missbräuchlichen Umgang mit der Freiheit und ruft dazu auf, einander durch die Liebe zu dienen.
(13) Ihr aber, Brüder und
Schwestern, seid zur Freiheit berufen. Allein seht zu, dass ihr durch die
Freiheit nicht dem Fleisch Raum gebt, sondern durch die Liebe diene einer dem
andern. (14) Denn
das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: »Liebe deinen Nächsten wie dich
selbst!« (15) Wenn
ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht einer
vom andern aufgefressen werdet.
(13) Die Christen in Galatien sollen die ihnen geschenkte Freiheit nicht aufgeben. Wenn die Lehrer, die nach Galatien gekommen sind, sie zur Beschneidung überreden wollen, kommt das „nicht von dem“, der sie „berufen hat“ (5,8). Gott hat sie „zur Freiheit berufen“.
Nun kommt es darauf an, mit dieser Freiheit angemessen umzugehen – und darauf zu achten, dass man „nicht dem Fleisch Raum“ gibt. Der Begriff „Fleisch“ bezeichnet oft einfach die menschliche Natur und Leiblichkeit (2,16.20; 4,13.14.23.29), kann aber auch – wie hier – die widergöttliche Natur bzw. das sündhafte Streben des Menschen (5,16.17.19.24) meinen. Es geht also darum, dass die Freiheit nicht zu einem „Anlass“ oder einer „günstigen Gelegenheit“ – so kann der sprechende Begriff, der in der Luther-Bibel mit „Raum“ übersetzt wird, auch wiedergegeben werden – für die sündige Natur des Menschen wird. Stattdessen soll „einer dem anderen“ dienen – und zwar „durch die Liebe“.
(14) Paulus begründet seinen Aufruf, dass einer dem anderen durch die Liebe dienen soll, mit dem Hinweis auf das Gesetz. Er lehnt also nicht das Gesetz als solches ab, sondern „nur“ die Gesetzlichkeit der in Galatien aufgetretenen Irrlehrer. Paulus kann das Gesetz sogar gegen sie in Stellung bringen – weil die Liebe im Mittelpunkt des Gesetzes steht und sie diese Liebe ganz offensichtlich vermissen lassen (5,15).
Paulus bezieht sich auf das Gebot der Nächstenliebe aus dem dritten Buch Mose: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“( 3.Mos.19,18).
In diesem „einen Wort“ sieht er „das ganze Gesetz … erfüllt“. Ähnlich – aber ausführlicher – äußert er sich in Röm.13,8-10: „(8) Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. (9) Denn was da gesagt ist: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« (10) Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ Das Gebot der Nächstenliebe ist „das ganze Gesetz“, die wesentliche Zusammenfassung aller Gebote des Gesetzes. Wer dieses Gebot beachtet, hat daher das „ganze Gesetz“ erfüllt.
(15) Das ist alles andere als selbstverständlich. Anstatt einander in Liebe zu dienen, können Christen sich untereinander „beißen“ und „fressen“. Unklar ist, ob Paulus damit auf die aktuelle Situation in Galatien anspielt, oder vor einer bevorstehenden Eskalation warnt. Jedenfalls empfiehlt er ihnen – nicht ohne Ironie – darauf zu achten, dass „nicht einer vom andern aufgefressen“ wird. „Hinter dem … Bild dieses Verses steht die Vorstellung von vorderasiatischen Raubtieren, die sich im Kampf um die Beute gegenseitig anfallen und übel zurichten. Das Ergebnis der gegenseitigen wütenden Bekämpfung kann es nur sein, sich gegenseitig derartig zu verletzen, dass man daran zugrunde geht. Paulus malt also mögliche Konsequenzen einer Handlungsweise aus, die nicht dem Gebot christlicher Nächstenliebe folgt, sondern sich rechthaberisch und egoistisch selbst durchsetzen will.“ (Rohde, 232).
Nun wendet er sich der Frage zu, wie man verhindern kann, „dem Fleisch Raum“ zu geben (5,13).
(16) Ich sage aber: Wandelt im
Geist, so werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. (17) Denn das Fleisch begehrt
auf gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; die sind gegeneinander,
sodass ihr nicht tut, was ihr wollt. (18) Regiert euch aber der
Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetz.
(19) Offenkundig sind aber die
Werke des Fleisches, als da sind: Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, (20) Götzendienst, Zauberei,
Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Spaltungen, (21) Neid, Saufen, Fressen und
dergleichen. Davon habe ich euch vorausgesagt und sage noch einmal voraus: Die
solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.
(22) Die Frucht aber des
Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, (23) Sanftmut, Keuschheit;
gegen all dies steht kein Gesetz.
(24) Die aber Christus Jesus
angehören, die haben ihr Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und
Begierden.
(16) Paulus spricht von einem Lebenswandel „im Geist“. Gemeint ist nicht der Geist des Menschen, sondern der Heilige Geist, den Gott denen, die die Sohnschaft empfangen haben, ins Herz gesandt hat (4,5-6). Dieser Geist macht lebendig (Röm.8,11).
Wer in diesem Geist „wandelt“, wird „das Begehren des Fleisches nicht erfüllen“. Mit „Fleisch“ ist die sündhafte Natur des Menschen gemeint (5,13.17.19.24). Sie zeigt sich im „Begehren“ des Menschen, also darin, dass er selbstsüchtig ist. Der Wandel im Geist macht es Christen möglich, diesen Begierden nicht zu folgen (die Zürcher Bibel übersetzt sinngemäß: „… Führt euer Leben im Geist, und ihr werdet dem Begehren des Fleisches nicht nachgeben!“). Damit stellt Paulus „nicht in Aussicht, dass durch den Wandel vermittels der Macht des Geistes die Christen überhaupt keine Begierden des Fleisches mehr haben werden; aber wenn die Wirkungen des Geistes den Wandel der Christen bestimmen, dann kommt das Verlangen des Fleisches nicht zur Ausführung.“ (Rohde, 233).
(17) Warum führt der Lebenswandel des Christen „im Geist“ dazu, dass er dem „Begehren des Fleisches“ nicht nachgibt? Weil Fleisch und Geist gegeneinander aufbegehren und miteinander im Streit liegen. „Zwischen den beiden besteht ein sich einander ausschließender Gegensatz, so dass dort, wo eine der beiden Mächte die Herrschaft führt, die andere sich nicht betätigen kann.“ (Rohde, 234).
Schlachtfeld dieses Konflikts ist der Mensch. Er kann nicht einfach seinen Intentionen folgen und tun, was er will. „Eine Macht stellt sich jeweils gegen das, wozu die andere den Menschen treiben will. Treibt das Pneuma den Menschen zum Guten, versucht das Fleisch es zu verhindern … Beide kämpfen im Menschen um den Menschen.“ (Mussner, 377).
Das klingt so, als wäre der Kampf aussichtslos. Aber genau das will Paulus ja nicht sagen. Vers 17 begründet Vers 16, wo Paulus behauptet, dass der Wandel im Geist es möglich macht, dem Begehren des Fleisches nicht nachzugeben (vgl. Röm.8,11-12: „(11) Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt. (12) So sind wir nun, liebe Brüder und Schwestern, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben.“). Also ist der Kampf zwischen Geist und Fleisch zwar eine Realität. Die Schlussfolgerung, die daraus zu ziehen ist, besteht aber darin, im Geist zu wandeln und durch den Geist dem Begehren des Fleisches nicht nachzugeben.
(18) Paulus bekräftigt die Aussage, dass wir „im Geist“ dem „Begehren des Fleisches“ nicht nachgeben müssen, mit einem Hinweis darauf, dass wir nicht mehr „unter dem Gesetz“ sind.
Was meint „unter dem Gesetz“? Bevor Christus kam, hatte das Gesetz die Aufgabe, uns in Gewahrsam zu halten (3,23). Inwiefern? Es sollte uns unsere Sünde und damit unsere Erlösungsbedürftigkeit zeigen (Röm.3,20). Durch das Gesetz wurde die Sünde nicht verhindert, sondern erst richtig lebendig (Röm.5,20; 7,9).
Dann aber ist Christus gekommen. Durch seinen Geist wohnt er in uns. Jetzt sind wir nicht mehr „unter dem Gesetz“ (3,25; 4,5). D.h.: Wir werden vom Gesetz nicht unweigerlich zur Sünde verführt. Wir stehen nicht mehr unter dem Zwang zum Sündigen (vgl. Röm.6,14: „Denn die Sünde wird nicht herrschen über euch, weil ihr ja nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.“). Wenn der Christ im Geist wandelt, „so bleibt er dieser Knechtschaft entnommen und kann nun gerade den Gotteswillen, den in seiner Weise auch das Gesetz zum Ausdruck, aber nicht zur Erfüllung brachte, nachleben“ (Oepke, 176).
(19-21) Dem „Begehren des Fleisches“ nicht nachzugeben bedeutet konkret, die folgenden „Werke des Fleisches“ nicht zu tun:
Erstens: Fehlverhalten im sexuellen Bereich:
· „Unzucht“: Gemeint ist vor allem außerehelicher Geschlechtsverkehr (z.B. Mt.5,32; 1.Kor.6,13.18).
· „Unreinheit“: Bei Paulus oft konkret auf den Bereich der Sexualität bezogen (Röm.1,24; 2.Kor.12,21).
· „Ausschweifung“: Gemeint ist wohl konkret geschlechtliche Ausschweifung (Röm.13,13; 2.Kor.12,21).
Zweitens: Eine falsche Gottesverehrung:
· „Götzendienst“: Gemeint ist z.B. auch die Teilnahme an heidnischen Kultmahlen (1.Kor.10,14).
· „Zauberei“: Das griechische Wort meint eigentlich den Gebrauch von Arzneimitteln, aber eben auch von Zaubermitteln und bedeutet daher auch „Zauberei“.
Drittens: Haltungen, die das soziale Leben bedrohen:
· „Feindschaft“: Gemeint ist eine grundsätzliche Gegnerschaft (z.B. Eph.2,14-16).
· „Hader“: Zank und Streit (1.Kor.1,11; Phil.1,15).
· „Eifersucht“: Eifer (Joh.2,17; Röm.10,2) bzw. Eifersucht (Apg.5,17; 13,45; Röm.13,13).
· „Zorn“: leidenschaftliche Wut (Apg.19,28; 2.Kor.12,20).
· „Zank“: Ein Streit, dessen Wurzel selbstsüchtiges Verhalten ist (Phil.1,17; 2,3).
· „Zwietracht“: Uneinigkeit, Entzweiung (Röm.16,17).
· „Spaltungen“ : Parteibildung (Apg.15,5), das Wort bezeichnet später Irrlehrer (Tit.3,10).
· „Neid“: Missgunst (Gal.5,26).
Viertens: Die Unmäßigkeit:
· Saufen: Trinkgelage, Trunksucht (Röm.13,13).
· Fressen: Fressgelage, Schlemmerei (1.Pt.4,3).
· und dergleichen.
Paulus erinnert die Galater daran, was er ihnen bereits bei einem früheren Aufenthalt über die zukünftigen Konsequenzen eines solchen Verhaltens gesagt hat und wiederholt es noch einmal (so richtig die Elberfelder Bibel: „… Von diesen sage ich euch im Voraus, so wie ich vorher sagte …“): „Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.“ (vgl. 1.Kor.6,9). Gemeint sind – wie die Verbform des Partizip Präsens deutlich macht – nicht einzelne Taten, sondern andauernde Handlungen, Grundhaltungen.
Mit diesen Ausführungen weist Paulus „indirekt den Vorwurf zurück, dass er durch die Verkündigung der Freiheit vom Gesetz den Sünden und Lastern Tür und Tor geöffnet hätte“ (Rohde, 244).
(22-23) Den Werken des Fleisches stellt Paulus die „Frucht … des Geistes“ gegenüber. „Dem zersplitterten Vielerlei des Fleischeslebens (…) gegenüber stellt sich die Frucht des Geistes als Einheit dar, die freilich der Mannigfaltigkeit nicht entbehrt.“ (Oepke, 180). Zur Frucht des Geistes gehört:
·
„Liebe“:
Hier ist die Liebe zum Mitmenschen gemeint (5,14).
·
„Freude“:
Hier ist vermutlich ein positives zwischenmenschliches Klima gemeint (vgl.
Röm.14,17).
·
„Friede“:
Der Begriff bezieht sich hier sicher auf den zwischenmenschlichen Bereich (vgl.
Röm.14,17).
·
„Geduld“:
Dazu gehört auch die Geduld gegenüber „schwierigen“ Personen (1.Thess.5,14).
·
„Freundlichkeit“:
Es geht um den freundlichen und herzlichen Umgang miteinander (Eph.4,32).
·
„Güte“:
Der Begriff hat eine ähnliche Bedeutung wie „Freundlichkeit“, ist jedoch mehr
auf Gutsein und Rechtschaffenheit hin nuanciert (2.Thess.1,11).
·
„Treue“:
Der Begriff wird an anderer Stelle mit „Glauben“ übersetzt. Gemeint ist hier
aber Treue bzw. Zutrauen (1.Thess.4,2; 13,7).
·
„Sanftmut“:
vgl. Gal.6,1
·
„Keuschheit“:
Der Begriff meint so viel wie „Selbstbeherrschung“
und ist nicht allein auf den sexuellen Bereich bezogen (1.Kor.9,25).
Stand im Anschluss an die Liste der „Werke des Fleisches“ der Nachsatz „die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben“ (wörtlich: „die das so Beschaffene Tuenden das Reich Gottes nicht erben werden“), so heißt es nach der Aufzählung der verschiedenen Aspekte der „Frucht des Geistes“: „Gegen all dies steht kein Gesetz.“ (wörtlich: „gegen das so Beschaffene ist das Gesetz nicht“). Die Wortwahl zeigt, dass es sich hier um einen Parallelismus handelt – genauer: um einen antithetischen Parallelismus. Wer die Werke des Fleisches tut, kommt nicht in das Reich Gottes. Anders diejenigen, bei denen sich die Frucht des Geistes zeigt: Sie sind nicht vom Verdammungsurteil des Gesetzes (Röm.2,12: „… wird Gott sie nach dem Gesetz verurteilen.“), das vom Reich Gottes ausschließt, betroffen. Das gilt auch deshalb, weil die Liebe die Erfüllung des Gesetzes ist (5,14).
(24) Abschließend nimmt Paulus noch einmal zur Frage Stellung, wie verhindert wird, „dem Fleisch Raum“ zu geben (5,13). In den Versen 16 und 18 hatte er vom Wandel im Geist bzw. davon gesprochen, dass wir vom Geist regiert werden. Nun fügt er den Hinweis hinzu, dass alle, die „Christus Jesus angehören… ihr Fleisch gekreuzigt“ haben „samt den Leidenschaften und Begierden“. Fleisch und Geist „sind gegeneinander“. Aber weil das „Fleisch“ (in der Taufe?) bereits gekreuzigt ist und Christen „im Geist“ leben und sich von ihm regieren lassen, ist es kein Traumbild, wenn Paulus dazu aufruft, einander durch die Liebe zu dienen (5,13).
3.9 Das Leben im Geist: praktische Beispiele und Ermahnungen (5,25-6,6)
Nachdem Paulus klargestellt hat, dass Christen „durch die Freiheit nicht dem Fleisch Raum“ geben, sondern „im Geist“ leben und mit der „Frucht des Geistes“ die Grundlinien des christlichen Lebensstils aufgezeigt hat, wird er nun konkret.
Nach einem grundsätzlichen Hinweis zur „Praxisrelevanz“ wendet Paulus sich gegen konkurrierendes Verhalten innerhalb der Gemeinde – und plädiert dafür, dass sich die Mitglieder der Gemeinde gegenseitig unterstützen.
(5,25) Wenn wir im Geist leben,
so lasst uns auch im Geist wandeln. (5,26) Lasst uns nicht nach
eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. (6,1) Brüder und Schwestern,
wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder
zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich
selbst, dass du nicht auch versucht werdest. (6,2) Einer trage des andern
Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (6,3) Denn wenn jemand meint, er
sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. (6,4) Ein jeder aber prüfe sein
eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht
gegenüber einem andern. (6,5) Denn ein jeder wird seine
eigene Last tragen. (6,6) Wer aber unterrichtet wird
im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Gütern.
(5,25) Christen leben „im Geist“ (5,16). „Das ist aber nicht nur Geschenk, sondern auch Auftrag. Das Wollen und Handeln muss der Grundlage unseres Lebens entsprechen.“ (Rohde, 253).
(5,26) Konkret bedeutet das z.B., innerhalb der Gemeinde nicht auf eigene Ehre aus zu sein. Das geschieht, wenn man sich gegenseitig herausfordert – also sich gegenseitig beweisen will, dass man besser und frömmer als der Andere ist. Und es geschieht, wo man neidisch aufeinander ist.
„Die Neigung der Galater zur Annahme des Gesetzes machte eine solche Warnung durchaus nötig. Der Gegensatz von Gruppen in der Gemeinde (Gal.5,15) konnte sie leicht dazu verführen, wechselseitig die eigenen Vorzüge hervorzuheben. Gerade für die, die dabei waren, zur Beobachtung gesetzlicher Bestimmungen überzugehen, lag es nahe, sich über die anderen zu erheben, sich ihnen gegenüber des Gesetzes zu rühmen …“ (Rohde, 254).
„Man rühmt sich selbst, wie gesetzestreu man sich doch verhält, fordert sich gegenseitig zu noch mehr Gesetzestreue heraus und ist neidisch, wenn man sieht, dass jemand die Satzungen und Gebote noch genauer befolgt als man selbst. Paulus hält die Grundlage, auf der solches Prahlen, Herausfordern und Beneiden geschieht, jedoch für nichtig. Nicht das peinlich genaue Befolgen der Satzungen und Gebote hält er für wesentlich, sondern die Nächstenliebe.“ (http://www.welt-der-bibel.de/bibliographie.1.4.galater.127.html, Zugriff 22.04.2017)
(6,1-2) Anstatt in Konkurrenz miteinander zu leben, sollen sie einander helfen – auch und gerade dann, wenn ihr Mitbruder/ihre Mitschwester „von einer Verfehlung ereilt wird“.
Der Begriff „Verfehlung“ kann andeuten, dass Paulus hier nicht an eine schwere Sünde, sondern an einen „Fehltritt“ oder „Ausrutscher“ denkt. In einer Gemeinde, die von Konkurrenzdenken beherrscht werden, kann das böse Folgen haben.
Das Wort, das die Luther-Bibel mit „ereilt“ übersetzt, bedeutet auch „antreffen“. Folglich ergeben sich zwei Interpretationsmöglichkeiten …: a) Der Mensch - vermutlich ein Christ - wird von einem Glaubensgenossen bei einer Verfehlung ertappt. b) Der Mensch wird durch seine eigene Verfehlung überrascht. (http://www.welt-der-bibel.de/bibliographie.1.4.galater.128.html, Zugriff 22.04.2017).
Wie sollen Christen, die „geistlich“ sind, mit den Verfehlungen ihrer Mitchristen umgehen? Sanftmütig! Paulus will hier diejenigen, die sich vom Geist leiten lassen – und nicht über das Gesetz das Heil zu erlangen versuchen – „darauf aufmerksam machen, dass der Geist auf andere Weise leitet als das Gesetz. Während das Gesetz einen Übertreter richtet und aburteilt, ist es die Aufgabe der vom Geist geleiteten Christen, dem Übertreter zu helfen, sich wieder aufzurichten.“ (Rohde, 259).
Dabei soll der Christ, der seinem Mitchristen hilft, gleichzeitig darauf achten, dass er nicht selbst in Versuchung gerät. Bei dieser Warnung geht es auch – oder vor allem? – darum, dass das „Bewusstsein der eigenen Versuchbarkeit … ihn desto mehr befähigen“ wird, „über den Bruder milde zu urteilen und damit geschickter, ihm zu helfen“ (Rohde, 259).
Dahinter steht der Grundsatz: „Einer trage des andern Last“. Mit „Last“ ist hier die Sünde bzw. „Verfehlung“ des Mitchristen gemeint; mit „tragen“ das Helfen mit „sanftmütigem Geist“. So können die Galater „das Gesetz Christi erfüllen“. Das „Gesetz Christi erfüllen“ heißt, nach dem Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ zu handeln, weil in diesem einen Wort „das ganze Gesetz … erfüllt“ ist (5,14).
„Während das Gesetz des Mose an die Sünde Gericht und Strafe
knüpft, gehört zu der Ordnung Christi, dass dem gefallenen Mitchristen geholfen
wird: Die Last der Sünde wird mit Unterstützung der Mitchristen getragen und
dadurch die Möglichkeit eröffnet, sie zu überwinden.“ (Rohde, 260)
(6,3-5) Weil in der Gemeinde die Gefahr gegenseitiger Konkurrenz besteht (5,26) und es nicht selbstverständlich ist, „des andern Last“ zu tragen, begründet Paulus seine Forderung und wendet sich an diejenigen, die sich über ihre Mitchristen, die „von einer Verfehlung ereilt“ wurden, überheben: „… wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.“ „Wer sich nun doch für besser hält als die anderen und von da aus den geforderten Dienst weigert oder hochfahrenden Sinnes tut, der betrügt, betört sich selbst.“ (Oepke, 189).
Was soll der tun, der sich für besser hält und Gefahr läuft, sich selbst zu betrügen? Paulus sagt: „Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. …“ „Nur die eigene Leistung kann der Maßstab sein, an dem jeder sich messen soll, nicht die Leistung anderer.“ (Rohde, 262). Sich nicht mit den Anderen vergleichen und dann getreu dem Motto „Unter den Blinden ist der Einäugige König“ für gut halten. Sich stattdessen ausschließlich „an die eigene Nase fassen“.
Warum ist es wichtig, sich „an die eigene Nase zu fassen“? Weil jeder „seine eigene Last tragen wird“. Gemeint ist das zukünftige Gericht. Dort „wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben“ (Röm.14,12).
Weil jeder für sich selbst vor Gott Rechenschaft ablegen muss, gibt es keinen Grund, sich mit den Mitchristen zu vergleichen und sich ihnen gegenüber hervorzuheben. Stattdessen kommt es darauf an, einander zu unterstützen.
(6,6) Dazu gehört auch die finanzielle Unterstützung derer, die „im Wort“ unterrichten, durch diejenigen, die unterrichtet werden. Sie sollen ihren Lehrern „Anteil an allen Gütern“ geben (vgl. 1.Kor.9,7-14). „Paulus zählt also zum geistlichen Leben der Gemeinde auch die Sorge um den Unterhalt der Lehrer.“ (Becker, 76).
3.10 Schlussfolgerungen (6,7-10)
Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den in Galatien aufgekommenen Lehren begann mit einer Gegenüberstellung von „Fleisch“ und „Geist“ (3,1-5). So endet sie nun auch. Dabei weist Paulus auf die damit verbundenen ewigen Konsequenzen hin und ruft dazu auf, einander Gutes zu tun.
(7) Irret euch nicht! Gott
lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. (8) Wer
auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber
auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.
(9) Lasst uns aber Gutes tun und nicht
müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht
nachlassen. (10) Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun
an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.
(7) Die Galater sollen sich nicht täuschen. Gott lässt sich nicht verächtlich behandeln. Zur Begründung verweist Paulus auf eine geläufige Weisheit: „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ (Hi.4,8; Spr.22,8; 2.Kor.9,6). (8) Bei ihrer Anwendung auf die konkrete Situation in Galatien variiert Paulus das Bild insofern, als es nicht auf die Beschaffenheit der Aussaat, sondern des Bodens ankommt. Es geht um die ewigen Konsequenzen, die es hat, wenn man „auf sein Fleisch sät“ oder „auf den Geist sät“ – das „Verderben“ (andere Übersetzung: „Vergänglichkeit“, Röm.8,21, oder „Verweslichkeit“ 1.Kor.15,42.50) bzw. das „ewige Leben“.
(9) Paulus nutzt das Bild von Saat und Ernte nicht nur im Hinblick auf das Leben „im Fleisch“ bzw. „im Geist“, sondern auch, um die Galater aufzurufen, „Gutes“ zu tun. Wenn sie das tun, werden sie „zu seiner Zeit“ (Elberfelder Bibel: „zur bestimmten Zeit“) auch „ernten“. Die Saat besteht dementsprechend im „Gutes tun“. Mit der „Ernte“ ist hier, wie zuvor in Vers 8, der ewige Lohn gemeint. Er winkt allen, die nicht vorher „nachlassen“.
(10) Daraus folgt der Aufruf, „solange wir noch Zeit haben …Gutes“ zu tun (vgl. Eph.5,16: „…kauft die Zeit aus …“). Adressaten der guten Taten sind grundsätzlich alle Menschen. Ihr besonderes Augenmerk sollen die Galater aber auf die „Hausgenossen des Glaubens“ (Elberfelder Bibel) richten. Das entspricht 5,13: „… durch die Liebe diene einer dem andern …“ „Das bedeutet nicht Verengung der Nächstenliebe zur Bruderliebe …, sondern Aktualisierung des Liebesgebotes für den Kreis, der sich ihm in einzigartiger Weise unterstellt weiß.“ (Oepke, 197).