Einleitung in die Apostelgeschichte

 

 

Literatur:

Ernst Haenchen, Die Apostelgeschichte, KEK, Göttingen 1965. (zit. als Haenchen)

Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte, EKK, 2 Bd., Neukirchen-Vluyn 1994. (zit. als Pesch)

Jürgen Roloff, Die Apostelgeschichte, NTD, Göttingen 1981. (zit. als Roloff)

Gottfried Schille, Die Apostelgeschichte, ThHNT, Berlin 1983. (zit. als Schille)

Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte, HThKNT, 2 Bd., Freiburg 1980. (zit. als Schneider)

 

 

1.      Der Buchtitel

 

In den meisten (deutschen) Bibelausgaben wird dieses Buch „Apostelgeschichte“ genannt. Wer jedoch eine englisch- oder französischsprachige Bibel aufschlägt, findet es dort unter dem Titel „Taten“ oder „Taten der Apostel“ (Acts, Actes des Apôtres etc.). Tatsächlich ist „Taten der Apostel“ der ursprüngliche Buchtitel. Aber auch dieser Titel stammt nicht vom Verfasser, sondern hat sich erst Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. allgemein durchgesetzt.

 

Damals gab es viele Bücher, in denen die Taten wichtiger Persönlichkeiten geschildert wurden. Da lag es nahe, dem vorliegenden Buch den Titel „Taten der Apostel“ zu geben. Schließlich ist dort viel vom Wirken des Apostels Petrus und von Paulus die Rede.

 

Hätte der Verfasser selbst diesen Titel gewählt? Wir wissen es nicht. Fest steht, dass es sich bei diesem Buch um die Fortsetzung des Lukasevangeliums handelt. Im Vorwort zum Lukasevangelium schreibt der Verfasser, dass er die „unter uns zur Erfüllung gekommenen Ereignisse“ darstellen möchte (Lk.1,1, wörtl. übersetzt). Wenn das auch im zweiten Teil seine Absicht ist, will er nicht einfach die Taten herausragender Persönlichkeiten darstellen, sondern zeigen, dass in dem, was geschehen ist, etwas zur Erfüllung gekommen ist. Dieses „Etwas“ ist natürlich der Wille Gottes.

 

In diesem Sinne betont Jürgen Roloff: „Es geht ihm primär weder um die Taten einzelner Gestalten der christlichen Frühzeit, noch um deren Biographie, sondern um die Darstellung des Handelns Gottes, das zur Entstehung der Kirche aus Juden und Heiden als des Gottesvolkes der Endzeit führt.“ (Roloff, 2).

 

Da sich der Titel „Apostelgeschichte“ aber nun einmal in unserem Sprachgebrauch eingebürgert hat und sich in unseren (deutschen) Bibelübersetzungen findet, ist es sinnvoll, ihn auch weiterhin zu verwenden. Es ist aber wichtig zu wissen, dass er nicht vom Verfasser stammt und vermutlich auch nicht seiner Intention entspricht.

 

 

2.      Die Apostelgeschichte und das Lukasevangelium

 

Aus den Vorworten des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte ergibt sich, dass beide „Berichte“ zusammengehören:

 

Lukas 1,1-4

Apostelgeschichte 1,1-2

(1) Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben,
(2) wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, (3) hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es dir, hochedler Theophilus, der Reihe nach zu schreiben, (4) damit du die Zuverlässigkeit der Dinge erkennst, in denen du unterrichtet worden bist.

(1) Den ersten Bericht habe ich verfasst, Theophilus, von allem, was Jesus angefangen hat, zu tun und auch zu lehren, (2) bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln, die er sich auserwählt, durch den Heiligen Geist Befehl gegeben hatte.

 

Bei der Auslegung der Apostelgeschichte ist daher das Lukasevangelium ein wichtiger Bezugspunkt, z.B. wenn wir uns fragen, wie der Verfasser einen bestimmten Begriff benutzt.

 

Hinzu kommt folgendes: Wenn man das Matthäus-, das Markus- und das Lukasevangelium  miteinander vergleicht, stellt man viele Übereinstimmungen, aber auch einige Unterschiede fest. Beim Lukasevangelium entsteht nun der Eindruck, dass er manches deshalb verändert hat, weil er darauf im zweiten Teil seines Berichts, der Apostelgeschichte, eingeht.

 

So fehlt im Lukasevangelium der Abschnitt „Von Reinheit und Unreinheit“ (Mk.7,1-23; Mt.15,1-20). Das Thema selbst findet sich aber im Zusammenhang mit dem Hauptmann Kornelius (Apg.10).

 

Außerdem fehlt im Lukasevangelium das sog. „Tempelwort“: „Wir hörten ihn sagen: Ich werde diesen Tempel, der mit Händen gemacht ist, abbrechen, und in drei Tagen werde ich einen anderen aufbauen, der nicht mit Händen gemacht ist.“ (Mk.14,58; vgl. Mt.26,61). Es findet sich aber in der Rede des Stephanus: „denn wir haben ihn sagen hören: Dieser Jesus, der Nazoräer, wird diese Stätte zerstören und die Gebräuche verändern, die uns Mose überliefert hat.“ (Apg.6,14).


Auch deshalb lohnt es sich, die Apostelgeschichte im Zusammenhang mit dem Lukasevangelium zu lesen und zu verstehen.

 

 

3.      Der Verfasser

 

Traditionell gilt Lukas als Verfasser des (Lukas)Evangeliums und der Apostelgeschichte. Sein Name wird aber an keiner Stelle als Verfasser genannt.

 

Wie ist die traditionelle Auffassung entstanden? Vermutlich waren folgende Überlegungen entscheidend: In der Apostelgeschichte gibt es einige sog. „Wir-Passagen“ (z.B. Apg. 16,11: „Wir fuhren nun von Troas ab …“). Sie bildeten den Ausgangspunkt der Überlegungen. Man nahm an, dass sich der Verfasser in diesen Berichten nicht selbst namentlich genannt hat und schloss daher alle Personen aus, deren Namen dort erwähnt werden. Schließlich kam man zu der Auffassung, dass nur noch Lukas übrig bleibt, der nach 2.Tim.4,11 Paulus im Gefängnis in Rom beistand und der nach Kol.4,14 von Beruf Arzt war.

 

Diese Rekonstruktion ist möglich, aber unsicher. Hinzu kommt, dass der Verfasser kaum als Paulusschüler gelten kann. So gibt es einige kleine Unterschiede zwischen der Darstellung der Apostelgeschichte und Angaben aus den Paulusbriefen. Während Paulus beispielsweise betont, dass er vor dem „Apostelkonzil“ nur ein einziges mal in Jerusalem gewesen ist (Gal.1,17f; 2,1f.), spricht die Apostelgeschichte von zwei vorangehenden Besuchen (Apg.9,26f.; 11,30). Außerdem wird Paulus in der Apostelgeschichte niemals als „Apostel“ bezeichnet. Auch finden sich in der Apostelgeschichte keine theologischen Aussagen, die für Paulus typisch sind.

 

So kann man eigentlich nur sagen, dass der Verfasser über ein gutes Griechisch verfügte, dass er die Septuaginta (LXX, griechische Übersetzung des AT) kannte, dass er vermutlich nicht von Haus Jude war, aber mit dem hellenistischen Judentum vertraut war und dann zum christlichen Glauben übertrat.

 

 

4.      Wann wurde die Apostelgeschichte geschrieben?

 

Die Apostelgeschichte endet mit dem Bericht über die Ankunft des Paulus in Rom und darüber, dass er dort lediglich unter Hausarrest steht und von seiner Wohnung aus zwei Jahre lang predigen und lehren kann (Apg.28,11-31).

 

Kann man daraus ableiten, dass die Apostelgeschichte in dieser Zeit bzw. kurz danach geschrieben wurde (d.h. um 60 n. Chr.) – jedenfalls vor dem Tod des Apostels Paulus? Es ist allerdings fraglich, ob die Apostelgeschichte nur deshalb an dieser Stelle endet, weil der Verfasser gerade seinen Bericht abgeschlossen hat. Möglicherweise war der Bericht von der Ankunft des Paulus in Rom aus Sicht des Verfassers ein überaus sinnvoller Abschluss – und er sagt nichts darüber aus, wann er geschrieben wurde.

 

In seinem Vorwort weißt der Verfasser darauf hin, dass es sich hier um den zweiten Teil seines Berichts handelt (Apg.1,1f.). Also muss er nach dem Lukasevangelium, dem ersten Bericht, geschrieben worden sein. Das Vorwort des Lukasevangeliums (Lk.1,1-3) zeigt, dass es ein Werk der dritten Generation ist (Predigt der Apostel – erste schriftliche Berichte/Evangelien – Lukasevangelium). Daher gehen heutzutage die meisten Bibelausleger davon aus, dass die Apostelgeschichte um 80 n. Chr. geschrieben wurde.

 

 

5.      Anliegen des Verfassers

 

Der Verfasser der Apostelgeschichte war mehr als ein „Protokollant“ der frühen Kirchengeschichte. Er hat berichtet, was aus seiner Sicht wichtig war und hat Schwerpunkte gesetzt. Deshalb sollten wir die Apostelgeschichte nicht nur als einen Tatsachenbericht lesen, sondern berücksichtigen, dass der Verfasser bestimmte Anliegen verfolgt hat.

 

Bei der Frage, welche das im Einzelnen waren, ist keine letzte Gewissheit zu gewinnen. Die folgenden Vermutungen sind aber nicht aus der Luft gegriffen, sondern können sich durchaus auf Beobachtungen am Text der Apostelgeschichte stützen:

·         Möchte der Verfasser die Verbindungslinien zwischen dem Leben Jesu und seiner eigenen Zeit, der nachapostolischen Zeit, herausstellen?

·         Will er der Kirche, die anfänglich mit der baldigen Wiederkunft Jesu rechnete, mit dem Hinweis auf das Zeitalter der Kirche bzw. der Mission eine neue Perspektive geben?

·         Betont er, dass die Kirche das „neue Israel“ ist?

·         Möchte er zeigen, dass die Kirche von den Juden verfolgt wurde und keine Gefahr für den römischen Staat ist?

 

Es ist jedenfalls sinnvoll, bei der Lektüre der Apostelgeschichte – mit einer gewissen Vorsicht! – auch die Frage zu stellen, warum der Verfasser diese Ereignisse geschildert hat bzw. warum er sie so geschildert hat, wie er es getan hat.

 

 

6.      Die Quellen des Verfassers

 

Im Vorwort des Lukasevangeliums berichtet der Verfasser, dass er andere Darstellungen des Lebens Jesu kannte:  (1) Da es nun schon viele unternommen haben, einen Bericht von den Ereignissen zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben, (2) wie sie uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind, (3) hat es auch mir gut geschienen, der ich allem von Anfang an genau gefolgt bin, es dir, hochedler Theophilus, der Reihe nach zu schreiben.“ (Lk.1,1-3) Vergleiche mit dem Markusevangelium zeigen, dass er es kannte und benutzt hat.

 

Daher ist es möglich, dass er auch bei der Apostelgeschichte auf mündliche und schriftliche Quellen zurückgegriffen hat. Er erwähnt sie jedoch nicht. Dennoch gehen viele Bibelausleger der Frage nach, an welchen Stellen der Verfasser Quellen benutzt. Dabei handelt es sich jedoch zu einem großen Teil um ein Vermutungsverfahren, dessen Nutzen für das Verständnis der Apostelgeschichte vergleichsweise gering ist (interessant ist aber z.B. die Beobachtung, dass manche Berichte als „Wir-Berichte“ gestaltet sind – und andere nicht).

 

 

7.      Die Apostelgeschichte und der Kanon des NT

 

Bereits im zweiten Jahrhundert n.Chr. wird in anderen Schriften aus der Apostelgeschichte zitiert. Um 200 n.Chr. wird die Apostelgeschichte eindeutig zum Kanon des NT gezählt.

 

 

8.      Übersetzung

 

Vorliegende Auslegung benutzt – wenn nicht anders erwähnt – die Elberfelder Bibel.