7.      Die paulinische Mission in Kleinasien und Griechenland (15,35-19,20)

 

7.1    Aufbruch zur Visitationsreise (15,35-41)

 

(35) Paulus aber und Barnabas verweilten in Antiochia und lehrten und verkündigten mit noch vielen anderen das Wort des Herrn. (36) Nach einigen Tagen aber sprach Paulus zu Barnabas: Lass uns nun zurückkehren und die Brüder besuchen in jeder Stadt, in der wir das Wort des Herrn verkündigt haben, und sehen, wie es ihnen geht. (37) Barnabas aber wollte auch Johannes mit dem Beinamen Markus mitnehmen. (38) Paulus aber hielt es für richtig, den nicht mitzunehmen, der aus Pamphylien von ihnen gewichen und nicht mit ihnen gegangen war zu dem Werk. (39) Es entstand nun eine Erbitterung, so daß sie sich voneinander trennten und Barnabas den Markus mitnahm und nach Zypern segelte. (40) Paulus aber wählte sich Silas und zog aus, von den Brüdern der Gnade Gottes befohlen. (41) Er durchzog aber Syrien und Zilizien und stärkte die Gemeinden.


(35-36)
Im Unterschied zu den Abgesandten der Jerusalemer Gemeinde, bleiben Paulus und Barnabas noch in Antiochia. Sie lehren und verkündigen „das Wort des Herrn“ („lehren“ bezieht sich möglicherweise auf die lehrmäßige Unterweisung von Gemeindegliedern, während „verkündigen“ die evangelistische Predigt meint). „Nach einigen Tagen“ aber schlägt Paulus seinem Mitstreiter Barnabas vor, dass sie die von ihnen im Rahmen der in 13,4-14,28 beschriebenen Missionsreise neu gegründeten Gemeinden besuchen.

 

(37-39) Barnabas ist einverstanden, will aber Johannes Markus wieder mitnehmen, der nach Kol.4,10 sein „Vetter“ war. Markus hatte sie zu Beginn ihrer ersten Missionsreise unterstützt (13,5), sich dann aber von ihnen getrennt und war nach Jerusalem zurückgekehrt (13,13). Paulus lehnt den Vorschlag des Barnabas ab. Es kommt zum Streit, in dessen Folge Paulus und Barnabas getrennte Wege gehen. Barnabas und Markus reisen nach Zypern – also in die Heimat des Barnabas (4,36) und die erste Station der gemeinsam mit Paulus absolvierten Missionsreise (13,4-12).

 

(40-41) Nach der Trennung erwählt Paulus sich Silas, einen der beiden Abgesandten der Jerusalemer Gemeinde, zum neuen Mitarbeiter. An dieser Stelle enthält der Bericht der Apostelgeschichte eine Ungereimtheit, weil Silas nach 15,33 bereits nach Jerusalem zurückgekehrt ist.

 

Mit dem Segen der Gemeinde (vgl. 14,26: „…Antiochia, von wo sie der Gnade Gottes befohlen worden waren zu dem Werk, das sie erfüllt hatten.“) begibt sich Paulus mit seinem Mitarbeiter auf die Reise und durchzieht zunächst „Syrien und Zilizien“. Beide Gegenden waren auch Adressaten des Aposteldekretes (15,23: „… Die Apostel und die Ältesten, eure Brüder, an die Brüder aus den Nationen zu Antiochia und in Syrien und Zilizien …“). Daher geht es Paulus auch – oder vor allem – darum, die dortigen Gemeinden über den Beschluss zu informieren (zumal er das nach 16,4 auch im weiteren Verlauf seiner Reise tut). Jedenfalls stärkt er die Gemeinden (vgl. 14,22).

 

 

7.2    In Derbe und Lystra (16,1-5)

 

Von der an der Küste gelegenen Provinz Zilizien ziehen Paulus und Silas durch das Taurusgebirge hindurch nach Lykaonien.

 

(1) Er gelangte aber nach Derbe und Lystra. Und siehe, dort war ein Jünger mit Namen Timotheus, der Sohn einer jüdischen gläubigen Frau, aber eines griechischen Vaters; (2) er hatte ein gutes Zeugnis von den Brüdern in Lystra und Ikonion. (3) Paulus wollte, dass dieser mit ihm ausziehe, und er nahm und beschnitt ihn um der Juden willen, die in jenen Orten waren; denn sie kannten alle seinen Vater, dass er ein Grieche war. (4) Als sie aber die Städte durchzogen, teilten sie ihnen zur Befolgung die Beschlüsse mit, die von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem festgesetzt waren. (5) Die Gemeinden nun wurden im Glauben gefestigt und nahmen täglich an Zahl zu.

 

(1a) Zunächst geht es nach Derbe, der Endstation der ersten Missionsreise (14,20-21), dann nach Lystra, deren vorletzter Station (14,6-20). Während des Aufenthaltes dort werden zwei Dinge wichtig.

 

(1b-3) Erstens: Paulus gewinnt Timotheus als Mitarbeiter. Er gehört zur Christengemeinde in Lystra. Seine Mutter hat jüdische Wurzeln, ist aber zum Glauben an Jesus Christus gekommen (vgl. 2.Tim.1,5: „… ich erinnere mich des ungeheuchelten Glaubens in dir, der zuerst in deiner Großmutter Lois und deiner Mutter Eunike wohnte …“), vermutlich aufgrund der Verkündigung des Paulus in Derbe und Lystra. Überraschenderweise ist sein Vater Grieche. Eine solche Mischehe war nach jüdischem Verständnis verboten.

 

Timotheus hat in den von Paulus gegründeten Gemeinden in Lystra und Ikonion (14,1-7) einen guten Ruf. Deshalb möchte Paulus, dass er ihn auf seinen Missionsreisen begleitet und sein Mitarbeiter wird. Daher beschneidet ihr ihn eigenhändig. Warum? „Um der Juden willen, die in jenen Orten waren; denn sie kannten alle seinen Vater, dass er ein Grieche war.“

 

Wie ist das zu verstehen? Entscheidend ist der noch heute geltende Grundsatz: Jude ist, wer eine jüdische Mutter  hat. Also gilt Timotheus als Jude. Deshalb müsste er eigentlich beschnitten sein.

 

Nun weiß man in Lykaonien, dass Timotheus einen griechischen Vater hat und am achten Tag nach seiner Geburt nicht beschnitten wurde. Wenn nun Paulus einen jüdischen Mitarbeiter hätte, der unbeschnitten ist, wäre das für alle Juden eine Provokation. Schließlich haben sie schon große Mühe zu akzeptieren, dass die  Heiden aus christlicher Sicht nicht beschnitten werden müssen. Paulus beschneidet ihn also nicht, weil er die Beschneidung für heilsnotwendig hält, sondern aus einer nachvollziehbaren Rücksicht auf die Juden (das ist kein Widerspruch zu Gal.2,3, wo Paulus darauf hinweist, dass Titus nicht gezwungen wurde, sich beschneiden zu lassen – weil Titus „ein Grieche ist“).

 

(4-5) Zweitens: Als Paulus, Silas und Timotheus die von Paulus gegründeten Gemeinde besuchen, informieren sie diese über die Beschlüsse des Apostelkonzils (15,23-29). Schließlich war es bei der Gründung dieser Gemeinden im Rahmen der ersten Missionsreise immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Juden gekommen. Hier konnte die Beachtung des Aposteldekretes helfen (vgl. 15,21: „Denn Mose hat von alten Zeiten her in jeder Stadt solche, die ihn predigen, da er an jedem Sabbat in den Synagogen gelesen wird.“). Das führt – zusammen mit anderen Maßnahmen, die hier jedoch nicht erwähnt werden – dazu, dass die Gemeinden „im Glauben gefestigt“ werden und täglich(!) wachsen.

 

Es ist wie bei der ersten Krise der Urgemeinde – als die Witwen der Hellenisten „bei der täglichen Versorgung übersehen wurden“ (6,1). Nachdem das Problem gelöst war, wuchs die Gemeinde (6,7: „Und das Wort Gottes wuchs, und die Zahl der Jünger in Jerusalem mehrte sich sehr …“).

 

 

7.3    Hindernisse in Kleinasien und der Ruf nach Mazedonien (16,6-10)

 

(6) Sie durchzogen aber Phrygien und die galatische Landschaft, nachdem sie von dem Heiligen Geist verhindert worden waren, das Wort in Asien zu reden; (7) als sie aber in die Nähe von Mysien kamen, versuchten sie, nach Bithynien zu reisen, und der Geist Jesu erlaubte es ihnen nicht. (8) Als sie aber an Mysien vorübergezogen waren, gingen sie nach Troas hinab. (9) Und es erschien dem Paulus in der Nacht ein Gesicht: Ein mazedonischer Mann stand da und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! (10) Als er aber das Gesicht gesehen hatte, suchten wir sogleich nach Mazedonien abzureisen, da wir schlossen, dass Gott uns gerufen habe, ihnen das Evangelium zu verkündigen.

 

(6) Von Lystra aus ziehen Paulus, Silas und Timotheus Richtung Nordwesten – nach Phrygien und weiter in „die galatische Landschaft“. Ein besonderer Aufenthalt in Antiochia in Pisidien wird nicht erwähnt. Die Stadt liegt aber auf dem Weg, so dass Paulus vermutlich auch hier kurz Station gemacht haben wird, um die dortige Gemeinde zu besuchen, die er gegründet hat (13,13-52).

 

Von einer Missionstätigkeit in Phrygien und die Städten der galatischen Landschaft wird nichts gesagt. Die kurze Notiz in 18,23 („…er [Paulus] … durchzog der Reihe nach die galatische Landschaft und Phrygien und stärkte die Jünger.“) macht es aber wahrscheinlich, dass sie bei dieser Gelegenheit auch dort das Evangelium verkündigen und Gemeinden gründen.

 

An dieser Stelle ist Lukas aber etwas ganz anderes wichtig: dass der Heilige Geist sie daran gehindert hat, „das Wort in Asien zu reden“.  Mit „Asien“ ist der Westen der heutigen Türkei mit der Hauptstadt Ephesus gemeint. Eigentlich wollen sie in diese Metropole, werden aber stattdessen durch das Wirken des Heiligen Geistes nach Norden abgedrängt.

 

Darüber, wie der Heilige Geist sie daran hindert, nach Westen zu ziehen, wird nichts gesagt. Vermutlich sind einfach konkrete Hindernisse und praktische Schwierigkeiten gemeint, die aber „von ihnen als Wirken des heiligen Geistes gedeutet“ werden, „weil sie ihren missionarischen Auftrag nicht eigenmächtig verstanden (vgl. 13,2.4), sondern als nicht zufälligen, geschichtlich geführten Weg“ (Pesch II, 101).

 

(7) Auf ihrem von Gott geführten Weg kommen sie „in die Nähe von Mysien, im Nordwesten der heutigen Türkei, also nördlich der Provinz Asien. Dort angekommen, versuchen sie, „nach Bithynien zu reisen“, das am Schwarzen Meer liegt. Auch hier greift der Heilige Geist ein, der hier „Geist Jesu“ genannt wird. „Lukas versteht die Wendung gewiss dahin, dass Jesus, der den Geist für die Mission verheißen und gegeben hat, durch ihn auch die Missionare lenkt.“ (Pesch II, 101).

 

(8) Daraufhin ziehen sie an Mysien vorbei Richtung Westen und kommen nach Troas, einer im Norden der Ägäis gelegenen Hafenstadt. Wie der Bericht in 20,6-8 zeigt, kommt es auch dort zu einer Gemeindegründung.

 

(9-10) Dort lüftet sich endlich das Rätsel der „göttlichen Reiseleitung“. In der Nacht hat Paulus eine Vision (vgl. 7,31; 9,10.12; 10,3.17.19; 11,5; 12,9; 18,9). Er sieht einen mazedonischen Mann, der vermutlich an seiner Kleidung und/oder an seiner Sprache als solcher zu erkennen ist, und hört ihn rufen: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!“ Paulus, Silas und Timotheus verstehen das als Ruf Gottes, dort das „Evangelium zu verkündigen“, und setzen alle Hebel in Bewegung, um nach Mazedonien zu gelangen.

 

Der Bericht der Apostelgeschichte wechselt an dieser Stelle erstmals in die erste Person Plural („… suchten wir sogleich …“). Ist daraus zu schließen, dass er Verfasser der Apostelgeschichte fortan mit dabei ist? Oder hat Lukas einen Augenzeugenbericht übernommen, der in der ersten Person Plural formuliert war?

 

 

7.4    In Philippi (16,11-40)

 

Erste Station auf europäischem Boden ist Philippi, wo sie schon bald von einer wohlhabenden Frau unterstützt werden.

 

(11) Wir fuhren nun von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake und des folgenden Tages nach Neapolis (12) und von da nach Philippi, das die erste Stadt jenes Teiles von Mazedonien ist, eine Kolonie. In dieser Stadt aber verweilten wir einige Tage. (13) Und am Tag des Sabbats gingen wir hinaus vor das Tor an einen Fluss, wo wir eine Gebetsstätte vermuteten; und wir setzten uns nieder und redeten zu den Frauen, die zusammengekommen waren. (14) Und eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurkrämerin aus der Stadt Thyatira, die Gott anbetete, hörte zu; deren Herz öffnete der Herr, dass sie achtgab auf das, was von Paulus geredet wurde. (15) Als sie aber getauft worden war und ihr Haus, bat sie und sagte: Wenn ihr urteilt, dass ich an den Herrn gläubig sei, so kehrt in mein Haus ein und bleibt! Und sie nötigte uns.

 

(11-12) Nach der Vision (16-9-10) reisen die Missionare unverzüglich ab. Von Troas aus nehmen sie das Schiff und kommen „geradewegs nach Samothrake, einer Insel die auf halbem Weg nach Mazedonien liegt. Gleich am nächsten Tag geht die Reise nach Neapolis weiter, der Hafenstadt Philippis (15 Km vor der Stadt gelegen), und von dort nach Philippi selbst.

 

Philippi war von Oktavian zu einer römischen Kolonie gemacht worden (z.T. wurden hier ausgediente Soldaten angesiedelt). Mazedonien ist damals in vier Bezirke unterteilt. Die Übersetzung von Vers 12 ist nicht ganz eindeutig (entweder: „… die erste Stadt jenes Teiles von Mazodonien …“; oder: „eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien“, Roloff, 241). In einer römischen Kolonie gilt römisches Bürgerrecht.

 

(13) Am Sabbat begeben sie sich „hinaus vor das Tor an einen Fluss“, weil sie dort eine jüdische „Gebetsstätte“ vermuten. Das ist insofern naheliegend, weil für die rituellen Waschungen Wasser benötigt wird. Sie kommen mit den Frauen, die dort zusammengekommen sind, ins Gespräch. Unklar ist, ob es sich um eine „Gebetsstätte“ unter freien Himmel oder um eine kleine Synagoge handelt.

 

(14-15) Unter den Frauen ist auch „eine Frau mit Namen Lydia“. Sie kommt aus Thyatira, Kleinasien, und handelt mit Purpur, das zur Färbung gebraucht wird und eine ausgesprochene Luxusware ist. Lydia ist also eine wohlhabende und unabhängige Frau. Außerdem wird von ihr gesagt, dass sie „Gott anbetete“ – also mit dem jüdischen Glauben sympathisiert, aber nicht zum Judentum übergetreten ist (vgl. 13,43.50; 17,4.17; vgl. die „Gottesfürchtigen“: 2,5; 8,2).

 

Gott öffnet ihr Herz für das, was Paulus ihr zu sagen hat. Sie lässt sich zusammen mit allen, die zu ihrem „Haus“ gehören, taufen (vgl. zur Bekehrung eines ganzen „Hauses“ vgl. 10,2; 11,14; 16,31; 18,8). Zugleich bittet sie die Missionare, in ihrem Haus ihr Quartier aufzuschlagen (vgl. 16,40). Zur Begründung weist sie darauf hin, dass dies nur logisch ist – sofern die Missionare wirklich der Meinung sind, dass sie zum Glauben „an den Herrn“ gekommen ist.

 

 

Aber schon bald geraten die Missionare in Schwierigkeiten.


(16) Es geschah aber, als wir zur Gebetsstätte gingen, dass uns eine Magd begegnete, die einen Wahrsagegeist hatte; sie brachte ihren Herren großen Gewinn durch Wahrsagen. (17) Diese folgte dem Paulus und uns nach und schrie und sprach: Diese Menschen sind Knechte Gottes, des Höchsten, die euch den Weg des Heils verkündigen. (18) Dies aber tat sie viele Tage. Paulus aber wurde unwillig, wandte sich um und sprach zu dem Geist: Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, von ihr auszufahren! Und er fuhr aus zu derselben Stunde.
(19) Als aber ihre Herren sahen, daß die Hoffnung auf ihren Gewinn dahin war, griffen sie Paulus und Silas und schleppten sie auf den Markt zu den Vorstehern. (20) Und sie führten sie zu den Hauptleuten und sprachen: Diese Menschen, die Juden sind, verwirren ganz und gar unsere Stadt (21) und verkündigen Gebräuche, die anzunehmen oder auszuüben uns nicht erlaubt ist, da wir Römer sind. (22) Und die Volksmenge erhob sich zusammen gegen sie, und die Hauptleute rissen ihnen die Kleider ab und befahlen, sie mit Ruten zu schlagen. (23) Und als sie ihnen viele Schläge gegeben hatten, warfen sie sie ins Gefängnis und befahlen dem Kerkermeister, sie sicher zu verwahren. (24) Dieser warf sie, als er solchen Befehl empfangen hatte, in das innere Gefängnis und befestigte ihre Füße im Block.

 

(16-18) Auf dem Weg vom Haus der Lydia zur „Gebetsstätte“ (16,13) werden sie „viele Tage“  lang von einer Frau – einer „Magd“ bzw. Sklavin – mit einem „Wahrsagegeist“ belästigt. „Das hier erscheinenden griechische Wort pythōn war ursprünglich der Name der das delphische Orakel behütenden Schlange …; später wurde es jedoch zur Bezeichnung eines Bauchredners, der, sei es durch Trick, sei es durch echte Inspiration, fremde Stimmen aus sich reden zu lassen vermag. Wir werden uns die Sklavin demnach konkret als Bauchrednerin vorzustellen haben.“ (Roloff, 245). Die „Herren“ der Magd, also ihre Besitzer, nutzen ihre Fähigkeit, „übernatürliche Stimme aus sich reden zu lassen und geheime Orakelsprüche zu verkünden“‘ (ebd.), zu einem einträglichen Geschäft.

 

Die Belästigung der Missionare besteht darin, dass sie den Missionaren auf Schritt und Tritt folgt und dabei laut verkündet, dass sie „Knechte Gottes, des Höchsten“ sind, die „den Weg des Heils verkündigen.“ Das erinnert an Berichte in den Evangelien, in denen Dämonen aus Menschen sprechen und Jesus als den „Heiligen Gottes“ oder als „Sohn Gottes“ bezeichnen (Lk.4,34.41) – aber nicht etwa, um ihren Glauben an ihn zu bezeugen, sondern um Jesus Christus auf diese Weise abzuwehren. Schließlich wird es Paulus zu viel. „Im Namen Jesu Christi“ befiehlt er dem „Geist“, der in der Frau sein Unwesen treibt, „von ihr auszufahren“. Das geschieht dann auch sofort. An dieser Stelle endet der erste „Wir-Bericht“ (ab 20,5 ist dann erneut von „wir“ die Rede).

 

(19-21) Als die Besitzer und Vermarkter der „Magd“ merken, dass ihre Einnahmequelle versiegt ist, ergreifen sie Paulus und Silas und schleppen ihn auf den „Markt“. Das ist offenbar auch der Ort, an dem Gerichtsverhandlungen stattfinden. Dort sind die „Vorsteher“ (das Wort meint hier ganz allgemein Administratoren). An ihrer Spitze stehen die „Hauptleute“ (wörtlich: „Strategen“ = griechischer Begriff für die beiden „Prätoren“, die als oberste Beamte einer Kolonie vorstehen). Sie sind in römischen Kolonien auch für die Gerichtsbarkeit zuständig (http://imperiumromanum.com/staat/magistrat/magistrat_17.htm).

 

Sie „klagen natürlich nicht auf entgangenen Gewinn, sondern auf Unruhestiftung in der Stadt“ (Schneider II, 216). Dabei machen sie sich verbreitete antijudaistische Haltungen zunutze. Sie bezeichnen „diese Menschen“ als „Juden“, die Verwirrung stiften, weil sie Gebräuche propagieren, die sie als Bewohner einer römischen Kolonie nicht als für sie gültig anerkennen oder praktizieren dürfen. Tatsächlich sind Aussagen bekannt, nach denen es Juden, obwohl das Judentum als „erlaubte Religion“ („religio licita“) gilt, verbieten, römische Bürger zum Übertritt zu bewegen (Schille, 346; Haenchen, 436).

 

(22-24) Die anwesende Volksmenge wendet sich sofort gegen Paulus und Silas. Die „Hauptleute“ reißen ihnen, ohne Verhör und Urteil, die Kleider vom Leib, lassen sie auspeitschen und anschließend ins Gefängnis werden. Dem „Kerkermeister“ wird ausdrücklich befohlen, „sie sicher zu verwahren“. Der setzt diesen Befehl um und sperrt sie in die innerste Sicherheitszelle bzw. das tiefste Kellerloch des Gefängnisses und befestigt „ihre Füße im Block“, so dass eine Flucht völlig ausgeschlossen ist (vgl. die Erzählung über Petrus im Gefängnis, 12,5-6).

 

 

Mitten in der Nacht aber geschieht – wie zuvor bei der Gefangenschaft des Petrus (12,3-17) –ein Wunder.

 

(25) Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobsangen Gott; und die Gefangenen hörten ihnen zu. (26) Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundfesten des Gefängnisses erschüttert wurden; und sofort öffneten sich alle Türen, und aller Fesseln lösten sich. (27) Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf aufwachte und die Türen des Gefängnisses geöffnet sah, zog er das Schwert und wollte sich umbringen, da er meinte, die Gefangenen seien entflohen. (28) Paulus aber rief mit lauter Stimme und sprach: Tu dir kein Leid an! Denn wir sind alle hier. (29) Er aber forderte Licht und sprang hinein; und zitternd fiel er vor Paulus und Silas nieder. (30) Und er führte sie heraus und sprach: Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich errettet werde? (31) Sie aber sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus. (32) Und sie redeten das Wort des Herrn zu ihm samt allen, die in seinem Haus waren. (33) Und er nahm sie in jener Stunde der Nacht zu sich und wusch ihnen die Striemen ab; und er ließ sich taufen und alle die Seinen sogleich. (34) Und er führte sie hinauf in sein Haus, ließ ihnen den Tisch decken und jubelte, an Gott gläubig geworden, mit seinem ganzen Haus.

 

(25-26) Obwohl sie unschuldig im Gefängnis sitzen, singen Paulus und Silas des Nachts ihre Loblieder. Ähnliches berichtet die jüdische Tradition von Josef, der ebenfalls zu Unrecht im Gefängnis saß. Die Mitgefangenen hören ihnen zu – und erfahren so etwas vom Glauben der beiden Missionare.

 

Auf einmal ereignet sich ein großes Erdbeben. Die Grundmauern des Gefängnisses werden erschüttert. Infolgedessen öffnen sich alle Türen. Aber nicht nur das: Es lösen sich auch die Fesseln aller Gefangenen. Spätestens das zeigt, dass es sich um einen übernatürlich-göttlichen Befreiungsakt handelt.

 

(27-34) Als der Gefängnisaufseher mitbekommt, was geschehen ist, will er sich umbringen – weil er davon ausgeht, dass alle Gefangenen geflohen sind und er persönlich dafür haftbar gemacht wird (vgl. 12,19). Paulus kann ihn gerade noch davon abhalten. Er ruft ihm zu, dass alle (!) Gefangenen noch da sind. Daraufhin lässt sich der Kerkermeister eine Fackel geben und springt in das finstere Loch des Gefängnisses hinein. Dort fällt er zitternd „vor Paulus und Silas nieder“. Sowohl sein Zittern als auch sein Kniefall zeigen, dass er die beiden für Gottesmänner hält. Deshalb fragt er sie – nachdem er sie aus dem Gefängnisinneren herausgeführt hat: „Ihr Herren was muss ich tun, dass ich errettet werde?“ Vermutlich geht es ihm darum, vor dem Zorn der Götter bewahrt zu werden, bzw. vor dem Zorn des Gottes, dessen Boten Paulus und Silas offensichtlich sind. Aber Paulus und Silas haben eine ganz einfach und befreiende Botschaft für ihn: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst errettet werden, du und dein Haus.“ Anschließend verkündigen sie ihm und allen, die zu seinem Haus gehören (vgl. 16,15), das „Wort des Herrn“. Daraufhin nimmt der Gefängnisaufseher Paulus und Silas zu sich, versorgt ihre Wunden, lässt sich – zusammen mit den „Seinen“ – taufen, bewirtet sie und ist überglücklich, zum Glauben gefunden zu haben.

 

 

Die ganze Geschichte hat aber noch ein Nachspiel:

 

(35) Als es aber Tag geworden war, sandten die Hauptleute die Rutenträger und sagten: Laß jene Menschen los! (36) Der Kerkermeister aber berichtete dem Paulus diese Worte: Die Hauptleute haben hergesandt, damit ihr losgelassen werdet. So geht denn jetzt hinaus und zieht hin in Frieden! (37) Paulus aber sprach zu ihnen: Nachdem sie uns, die wir Römer sind, öffentlich unverurteilt geschlagen, haben sie uns ins Gefängnis geworfen, und jetzt stoßen sie uns heimlich aus? Nicht doch; sondern lass sie selbst kommen und uns hinausführen! (38) Die Rutenträger aber meldeten diese Worte den Hauptleuten; und sie fürchteten sich, als sie hörten, dass sie Römer seien. (39) Und sie kamen und redeten ihnen zu; und sie führten sie hinaus und baten sie, dass sie aus der Stadt gehen möchten. (40) Als sie aber aus dem Gefängnis herausgegangen waren, gingen sie zu Lydia; und als sie die Brüder gesehen hatten, ermahnten sie sie und zogen weg.

 

(35-36) Am anderen Morgen senden die „Hauptleute“  die „Rutenträger“, also die Gerichtsdiener, die auch die Aufgabe haben, Auspeitschungen vorzunehmen. Sie sollen dem Kerkermeister ausrichten, dass er die beiden Gefangenen freilassen soll. Offenbar haben die „Hauptleute“ eingesehen, dass die rechtliche Grundlage für eine Verurteilung nicht ausreicht. Die Freilassung ist aber mit der Erwartung verbunden, dass sie die Stadt umgehend verlassen. Der Kerkermeister informiert Paulus über diese Entwicklung.

 

(37) Paulus aber teilt den Gerichtsboten mit, dass ihm das nicht ausreicht. Er will sich nicht sang- und klanglos abschieben lassen, sondern besteht auf seiner öffentlichen Rehabilitierung. Es ist für ihn inakzeptabel, dass sie – obwohl sie das römische Bürgerrecht besitzen (vgl. 22,29) und deshalb nicht ausgepeitscht werden dürfen (zumal nicht ohne Prozess und Urteil) – nun „heimlich“ verlassen sollen. Stattdessen fordert er, dass die Hauptleute höchstpersönlich kommen und sie herausführen sollen.

 

(38-39) Als die „Rutenträger“ den „Hauptleuten“ diese Botschaft überbringen, bekommen sie es mit der Angst zu tun – vor allem, als sie hören, dass Paulus und Silas römische Bürger sind. Deshalb erfüllen sie seine Forderung. Sie kommen zum Gefängnis, reden ihnen freundlich zu, führen sie persönlich aus dem Bereich des Gefängnisses hinaus und bitten sie freundlich darum, die Stadt zu verlassen.

 

(40) Bevor sie das tun und weiterziehen, begeben sie sich zum Lydia, wo „die Brüder“ versammelt sind, um sie zu „ermahnen“ bzw. – wie auch übersetzt werden kann – zu „stärken“ (vgl. 14,22).

 

 

7.5    In Thessalonich und Beröa (17,1-15)

 

Von Philippi aus ziehen Paulus und Silas weiter nach Westen.

 

(1) Nachdem sie aber durch Amphipolis und Apollonia gereist waren, kamen sie nach Thessalonich, wo eine Synagoge der Juden war. (2) Nach seiner Gewohnheit aber ging Paulus zu ihnen hinein und unterredete sich an drei Sabbaten mit ihnen aus den Schriften, (3) indem er eröffnete und darlegte, dass der Christus leiden und aus den Toten auferstehen musste und dass dieser der Christus ist: der Jesus, den ich euch verkündige. (4) Und einige von ihnen ließen sich überzeugen und gesellten sich zu Paulus und Silas und eine große Menge von den anbetenden Griechen und nicht wenige der vornehmsten Frauen. (5) Die Juden aber wurden eifersüchtig und nahmen einige böse Männer vom Gassenpöbel zu sich, machten einen Volksauflauf und brachten die Stadt in Aufruhr; und sie traten vor das Haus Jasons und suchten sie unter das Volk zu führen. (6) Als sie sie aber nicht fanden, schleppten sie Jason und einige Brüder vor die Obersten der Stadt und riefen: Diese, die den Erdkreis aufgewiegelt haben, sind auch hierher gekommen, (7) die hat Jason beherbergt; und diese alle handeln gegen die Verordnungen des Kaisers, da sie sagen, dass ein anderer König sei: Jesus. (8) Sie beunruhigten aber die Volksmenge und die Obersten der Stadt, die dies hörten. (9) Und nachdem sie von Jason und den übrigen Bürgschaft genommen hatten, ließen sie sie frei.

 

(1) Paulus und Silas folgen der „Via Egnatia“, der großen Heerstraße, die Rom mit dem Osten des Reiches verbindet. Nach mehreren Tagesreisen von insgesamt 150 Kilometern kommen sie – über Amphipolis und Appolonia – nach Thessalonich, der Hauptstadt der Provinz Mazedonien und Sitz des römischen Prokonsuls. Thessalonich ist eine freie Stadt mit Rats- und Volksversammlung als höchsten Entscheidungsorganen. Die Verwaltung wird von 5 oder 6 Stadtpräfekten („Politarchen“) geleitet.

 

Für die beiden Missionare ist wichtig, dass es dort eine „Synagoge der Juden“ gibt. Die Synagoge ist auch hier der natürliche Anknüpfungspunkt für ihre Missionsarbeit (vgl. 9,20; 13,5.14; 14,1; 17,10.17; 18,4; 19,8; das Fehlen einer Synagoge ist vermutlich der Grund, weshalb Paulus und Silas nicht auch in Amphipolis und Appolonia Station gemacht haben).

 

(2-3) Dort in der Synagoge diskutiert Paulus „an drei Sabbaten mit ihnen“. Möglicherweise hat er auch hier, wie zuvor in Antiochia in Pisidien – die Möglichkeit, „nach dem Vorlesen des Gesetzes und der Propheten … ein Wort der Ermahnung an das Volk“ zu richten (13,15). Dabei weißt er sie mit Hilfe der „Schriften“ zunächst darauf hin, „dass der Christus leiden und aus den Toten auferstehen musste“ (vgl. Lk.24,26.46; Apg 3,18). Anschließend zeigt er ihnen, dass sich dies in Jesus erfüllt hat und er der Christus ist.

 

(4) Einige Juden lassen sich „überzeugen“ und schließen sich Paulus und Silas an. Bei der Gruppe der „anbetenden Griechen“, also bei denjenigen, die mit dem Judentum sympathisieren, aber nicht übergetreten sind (vgl. 13,43.50; 17,17; 18,7), ist der Erfolg ungleich größer. Unter den „anbetenden Griechen“ sind „nicht wenige der vornehmsten Frauen“, die die Synagoge bisher in mancherlei Hinsicht unterstützt haben dürfen.

 

(5) Der missionarische Erfolg der beiden christlichen Missionare lässt die Juden „eifersüchtig“ werden. Mit Hilfe einiger Leute, die sich auf dem Markt herumtreiben (wörtl.: „Marktpöbelleute“), organisieren sie einen „Volksauflauf“ und bringen so die ganze Stadt „in Aufruhr“. Der „Demonstrationszug“ zieht „vor das Haus Jasons“. Aufgrund seines jüdischen Namens handelt es sich vermutlich um einen der wenigen Juden, die von Paulus und Silas für den christlichen Glauben gewonnen wurden. Er hat die beiden christlichen Missionare außerdem in seinem Haus aufgenommen (17,7), weshalb die Demonstranten nun vor seinem Haus stehen. Dort wollen die Juden Paulus und Silas dem Volk vorführen – und den „Volkszorn“ auf sie lenken.

 

(6-7) Weil sie sie aber dort nicht finden – möglicherweise haben Paulus und Silas rechtzeitig Wind von der Sache bekommen und sich versteckt – schleppen sie „Jason und einige Brüder vor die Obersten der Stadt“, vor die auch für die Rechtsprechung zuständigen Stadtpräfekten („Politarchen“). Sie stellen Paulus und Silas als Vertreter einer Bewegung hin, die auf dem ganzen „Erdkreis“ Aufruhr anzettelt und beschuldigen Jason, solche „subversiven Elemente“ dadurch unterstützt zu haben, dass er sie bei sich aufgenommen hat. Konkret werfen sie den christlichen Missionaren und ihren neuen Anhängern vor, die Herrschaft des Kaisers in Frage zu stellen, weil sie Jesus als König verehren.

 

(8-9) Diese Anklage versetzt die anwesende Volksmenge und die „Obersten“ in Aufregung. Die Stadtpräfekten nehmen von Jason und den anderen Christen eine Kaution – sicher verbunden mit der Auflage, Paulus und Silas fortan nicht mehr zu unterstützen – und lassen sie anschließend frei.

 

 

Weil die Kaution im Wiederholungsfalle verfallen wäre und sie davon ausgehen müssen, dass die Juden nicht locker lassen werden (vgl. 17,13), müssen Paulus und Silas die Stadt verlassen.

 

(10) Die Brüder aber sandten sogleich in der Nacht sowohl Paulus als Silas nach Beröa; die gingen, als sie angekommen waren, in die Synagoge der Juden. (11) Diese aber waren edler als die in Thessalonich; sie nahmen mit aller Bereitwilligkeit das Wort auf und untersuchten täglich die Schriften, ob dies sich so verhielte. (12) Viele nun von ihnen glaubten, und von den griechischen vornehmen Frauen und Männern nicht wenige. (13) Als aber die Juden von Thessalonich erfuhren, dass auch in Beröa das Wort Gottes von Paulus verkündigt wurde, kamen sie auch dorthin und beunruhigten und erregten die Volksmengen. (14) Da sandten aber die Brüder sogleich den Paulus fort, dass er nach dem Meer hin gehe. Aber sowohl Silas als Timotheus blieben dort. (15) Die aber den Paulus geleiteten, brachten ihn bis nach Athen; und als sie für Silas und Timotheus Befehl empfangen hatten, dass sie sobald wie möglich zu ihm kommen sollten, reisten sie ab.

 

(10-12) Paulus und Silas werden von den Christen Thessalonichs in das ca. 80 Kilometer entfernte Beröa geschickt. Auch in Beröa begeben sie sich sofort in die dortige „Synagoge der Juden“. Dort ist die Resonanz ganz anders. Sie nehmen die Verkündigung des Paulus „mit aller Bereitwilligkeit … auf“ und prüfen sie anhand der Schrift. Inhaltlich geht es vermutlich um die bereits in 17,2f. genannten Aussagen („unterredete sich an drei Sabbaten mit ihnen aus den Schriften, indem er eröffnete und darlegte, dass der Christus leiden und aus den Toten auferstehen musste und dass dieser der Christus ist: der Jesus, den ich euch verkündige“). Hatten sich in Thessalonich vor allem die „anbetenden Griechen“ und „nicht wenige der vornehmsten Frauen“ dem Evangelium geöffnet (17,4), kommen nun auch viele Juden zum Glauben.

 

(13) Dann aber erfahren die Juden Thessalonichs von der Missionstätigkeit des Paulus – er ist offenbar die zentrale Person – in Beröa und begeben sich dorthin, um ihn zu stoppen. Dazu wiegeln sie erneut die „Volksmengen“ auf (17,5-8).

 

(14-15) Daraufhin senden „die Brüder“, also die neu bekehrten Christen Beröas, Paulus, der besonders gefährdet ist, unverzüglich fort – und zwar „nach dem Meer“, also vermutlich zur Hafenstadt Pydna, damit er von dort mit dem Schiff nach Athen reisen kann. Silas und Timotheus, der hier wieder erwähnt wird, bleiben aber dort.

 

Paulus wird aber nicht allein auf die Reise geschickt, sondern von einigen Brüdern der Gemeinde Beröa begleitet. Als Paulus sie bittet, Silas und Timotheus auszurichten, „sobald wie möglich“ zu ihm zu kommen, reisen sie von Athen nach Beröa zurück. Nach 18,5 treffen Silas und Timotheus aber erst in Korinth wieder mit Paulus zusammen (nach 1.Thess.3,1-2 aber war Timotheus in Athen und wurde von dort aus nach Thessalonich gesandt).

 

 

7.6    Paulus in Athen (17,16-34)

 

Auch in Athen diskutiert Paulus in der Synagoge – vor allem jedoch mit den philosophisch interessierten Griechen. Athen hat damals kaum mehr als 5.000 Einwohner und lebt vor allem von seiner ruhmreichen Vergangenheit als Wiege der Philosophie und der Demokratie.

 

(16) Während aber Paulus sie in Athen erwartete, wurde sein Geist in ihm erregt, da er die Stadt voll von Götzenbildern sah. (17) Er unterredete sich nun in der Synagoge mit den Juden und mit den Anbetern und auf dem Markt an jedem Tag mit denen, die gerade herbeikamen. (18) Aber auch einige der epikureischen und stoischen Philosophen griffen ihn an; und einige sagten: Was will wohl dieser Schwätzer sagen? andere aber: Er scheint ein Verkündiger fremder Götter zu sein, weil er das Evangelium von Jesus und der Auferstehung verkündigte. (19) Und sie ergriffen ihn, führten ihn zum Areopag und sagten: Können wir erfahren, was diese neue Lehre ist, von der du redest? (20) Denn du bringst etwas Fremdes vor unsere Ohren. Wir möchten nun wissen, was das sein mag. (21) Alle Athener aber und die Fremden, die sich da aufhielten, brachten ihre Zeit mit nichts anderem zu, als etwas Neues zu sagen und zu hören.

 

(16-17) Während Paulus in Athen auf Silas und Timotheus wartet (17,15), regt er sich mehr und mehr über die vielen Götterstatue auf, die dort stehen. Er diskutiert nicht nur in der „Synagoge mit den Juden und mit den Anbetern“, den Gottesfürchtigen (vgl. 13,43.50; 17,4; 18,7), sondern auch „auf dem Markt an jedem Tag mit denen, die gerade herbeikamen“.

 

(18) Dabei kommt es auch zu Auseinandersetzungen mit „epikureischen und stoischen Philosophen“. Für die Epikureer ist das Streben nach Lust das wichtigste. Demgegenüber fragen die Stoiker nach dem universalen Prinzip, dass allen Erscheinungen zugrunde liegt und bemühten sich, ihren Platz in einer kosmischen Ordnung zu erkennen und ihn – mit Demut, Gelassenheit und Selbstbeherrschung – auszufüllen.

 

Einige nennen ihn einen „Schwätzer“ (wörtl.:Samenpicker“; gemeint ist jemand, der sich „die geistigen Brocken überall zusammensucht und sie in seine geschwätzige Rede einbaut“, Pesch II, 134). Andere vermuten, dass er ein „Verkündiger fremder Götter“ ist – weil er von „Jesus“ und der „Auferstehung“ spricht, wobei sie „Auferstehung“ (griech.: „Anastasis“) vermutlich  für den Namen einer weiblichen Gottheit halten und daher meinen, dass Paulus ein neues Götterpaar proklamiert.

 

(19) Seine Gesprächspartner führen ihn zum Areopag. Gemeint ist ein 115 Meter hoher Felsen nordwestlich der Akropolis. Dort tagte lange Zeit der oberste Rat, der daher ebenfalls „Areopag“ genannt wurde. Seit der klassischen Zeit tagte er aber nicht mehr auf dem gleichnamigen Felsen, sondern in der am Marktplatz liegenden „Königshalle“. Wird Paulus „aus dem lauten Gewühl des Marktplatzes zu dem stillen Areopag“ geführt (Roloff, 258)? Oder wird er zu einem Gespräch mit der zuständigen Behörde gebeten? Dass er „ergriffen“ wird, spricht für die zweite Möglichkeit (vgl. 16,19; 18,17; 21,30; 21,33), die Tatsache, dass es zu keinem Verhör kommt und die Athener vor allem ihre Neugier befriedigen wollen (17,21) für die erste Möglichkeit.

 

(20-21) Der Grund für die Fortsetzung des Gesprächs an einem anderen Ort oder vor einem Gremium ist jedenfalls, dass Paulus „etwas Fremdes“ verkündigt und die Athener, die an neuen Ideen immer interessiert sind, wissen wollen, was Paulus zu sagen hat.

 

 

Daraufhin hält Paulus eine Rede. Darin geht es, nach einem positiven Einstieg, zunächst um Gott als Schöpfer und Lenker der Welt.

 

(22) Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Männer von Athen, ich sehe, dass ihr in jeder Beziehung den Göttern sehr ergeben seid. (23) Denn als ich umherging und eure Heiligtümer betrachtete, fand ich auch einen Altar, an dem die Aufschrift war: Einem unbekannten Gott. Was ihr nun, ohne es zu kennen, verehrt, das verkündige ich euch. (24) Der Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind, (25) auch wird er nicht von Menschenhänden bedient, als wenn er noch etwas nötig hätte, da er selbst allen Leben und Odem und alles gibt.

 

(22-23) Paulus attestiert den Athenern, dass sie überaus gottesfürchtig sind. Er begründet es damit, dass er bei seinem Rundgang auch einen „Altar“ mit der Aufschrift „einem unbekannten Gott“ entdeckt hat. Archäologisch ist ein solcher „Altar“ nicht nachgewiesen worden, antike Schriftsteller berichten aber von Altarinschriften, auf denen von „unbekannten Göttern“ aus fernen Ländern die Rede war. Vermutlich hat Paulus sie einfach in seinem Sinne interpretiert – als unbewusste Verehrung des einen Gottes. Jedenfalls knüpft er daran an, um anschließend anzukündigen, dass er den Athenern nun den Gott verkündigen wird, den sie bisher unwissentlich verehrt haben.

 

(24a) Er nennt den „unbekannten Gott“ den Gott, „der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist“ und der „der Herr des Himmels und der Erde“ ist. Hier klingen Worte des Propheten Jesaja an (Jes.42,5: „So spricht Gott, der HERR, der die Himmel schuf und sie ausspannte, der die Erde ausbreitete und was ihr entsprosst …“; Jes.45,18: „Denn so spricht der HERR, der die Himmel geschaffen hat – er ist Gott –, der die Erde gebildet und sie gemacht hat …“). Interessanterweise verwendet Paulus, bevor er von „Himmel“ und „Erde“ spricht, zunächst den Begriff „Welt“ (gr.: Kosmos), der für die stoischen Philosophie zentral ist.

 

(24b-25) Über diesen Gott, den Schöpfer und Herrn der Welt, sagt Paulus: Er „wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind“. Darauf hatte bereits Stephanus hingewiesen (7,48-50) und dabei aus dem Propheten Jesaja zitiert (Jes.66,1-2). Ähnliche Aussagen finden sich auch in der stoischen Philosophie. So hat z.B. Zenon nach Aussage Plutarchs gelehrt: „Den Göttern soll man keine Heiligtümer erbauen.“ (Moralia 1034b).

 

Ergänzend weißt Paulus darauf hin, dass der Schöpfer und Herr der Welt sich nicht „von Menschenhänden“ bedienen lassen muss – also nicht auf Opfergaben angewiesen ist. Auch dieser Gedanke findet sich sowohl in biblischen Schriften (z.B. Ps.50,8-13), also auch in der griechischen Philosophie („Ein Gott, der ein Gott ist, braucht nichts auf der Welt …“, Euripides, Wahnsinn des Herakles, 1345). Paulus begründet die Sinnlosigkeit der Opfer damit, dass Gott allen alles gibt – also selbst nichts braucht.

 

 

Nachdem er Gott als Schöpfer und Herrn der Welt beschrieben hat, geht Paulus auf das Verhältnis Gottes zum Menschen ein.

 

(26) Und er hat aus einem jede Nation der Menschen gemacht, dass sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, wobei er festgesetzte Zeiten und die Grenzen ihrer Wohnung bestimmt hat, (27) dass sie Gott suchen, ob sie ihn vielleicht tastend fühlen und finden möchten, obwohl er ja nicht fern ist von jedem von uns. (28) Denn in ihm leben und weben und sind wir, wie auch einige eurer Dichter gesagt haben: Denn wir sind auch sein Geschlecht. (29) Da wir nun Gottes Geschlecht sind, sollen wir nicht meinen, dass das Göttliche dem Gold und Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und der Erfindung des Menschen, gleich sei.

 

(26) Zunächst betont Paulus: Gott hat aus einem Menschen alle Völker gemacht und sie dazu bestimmt, auf dem „ganzen Erdboden“ zu wohnen. Dabei hat er auch „festgesetzte Zeiten“ bestimmt, womit vermutlich die Jahreszeiten gemeint sind (vgl. 14,17; andere Möglichkeit: Zeitepochen, in denen bestimmte Völker herrschen). Außerdem hat er die „Grenzen ihrer Wohnung“ bestimmt – den Bereich, in dem die Menschen leben können (vgl. Hi.38,8-11; oder sind Ländergrenzen gemeint?). Davon, dass Gott den Lebensraum des Menschen festgelegt und die Jahreszeiten geschaffen hat, spricht Ps.74,17: „Du hast festgelegt alle Grenzen der Erde. Sommer und Winter, du hast sie geschaffen.“

 

(27) Aber Gott hat die Menschheit nicht nur geschaffen, damit sie die Erde bewohnt, sondern auch damit sie Gott suchen. Davon ist in der Bibel immer wieder die Rede (z.B. Ps. 14,2: „Der HERR hat vom Himmel herniedergeschaut auf die Menschenkinder, um zu sehen, ob ein Verständiger da ist, einer, der Gott sucht!“). Die Suche nach Gott ist aber auch ein Anliegen der griechischen Philosophie – auch wenn sie dabei, im Unterschied zum biblischen Sprachgebrauch, bei dem die Suche nach Gott ein existentieller Akt ist, den intellektuellen Aspekt betonen.

 

Dabei betont Paulus, welche Herausforderung die Suche nach Gott ist. „Die dem Menschen aufgegebene Suche Gottes führt nicht … ohne weiteres zum Ziel. Der Fragesatz [„… ob sie ihn vielleicht tastend fühlen und finden möchten …“] und die Wahl des Verbums ‚ertasten‘ (…), das an die Unsicherheit des Blinden erinnert (…), lassen als zweifelhaft erscheinen, ob sie Gott wirklich – wie er es wünscht – ‚finden‘.“ (Pesch II, 138).

 

Allerdings – so Paulus weiter – hat Gott selbst alles dafür getan, um sich finden zu lassen. Er ist „nicht fern … von jedem von uns“. Eine ähnliche Formulierung findet sich bei Seneca: „Gott ist dir nahe, ist mir dir, ist in dir.“ (Epistolae 41,1).

 

(28) Warum ist Gott nicht weit weg? „Denn in ihm leben und weben und sind wir“. Das „in ihm“ meint Paulus sicher nicht so, dass Gott überall ist und wir deshalb immer schon „in ihm“ sind (Pantheismus), sondern im Sinne von „durch ihn“. In bzw. durch Gott haben wir Leben, Bewegung und Sein.

 

Warum? Weil wir „sein Geschlecht“ sind, also seine Nachkommen sind. Paulus denkt sicher daran, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat (1.Mos.1,26). Auch die Stoa war von der natürlichen Gottesverwandtschaft des Menschen überzeugt und Paulus konnte sich darauf beziehen, dass sich ihre „Dichter“ in diesem Sinne geäußert haben.

 

(29) Wenn wir „Gottes Geschlecht“ sind, ist Gott „nicht fern … von jedem von uns“. Deshalb

„sollen wir nicht meinen, dass das Göttliche dem Gold und Silber oder Stein, einem Gebilde der Kunst und der Erfindung des Menschen, gleich sei“. „Der mit dem Schöpfer in so enger Beziehung stehende Mensch müsste wissen, dass das von ihm selbst Geschaffene dem wahren Gott in keiner Weise zu entsprechen vermag.“ (Roloff, 265)

 

 

Nachdem Paulus ganz allgemein über den „unbekannten Gott“ und das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen gesprochen hat, wird er nun ganz konkret und spricht von Umkehr.

 

(30) Nachdem nun Gott die Zeiten der Unwissenheit übersehen hat, gebietet er jetzt den Menschen, dass sie alle überall Buße tun sollen, (31) weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und er hat allen dadurch den Beweis gegeben, dass er ihn auferweckt hat aus den Toten.

 

(30-31) Paulus stellt fest, dass Gott den Götzendienst bisher als eine Zeit der „Unwissenheit“ ungestraft durchgehen ließ, nun aber alle Menschen überall in der Welt zur Buße, zur Umkehr, aufruft. Dieser Aufruf ist dringend. Gott hat den Tag des Gerichts nämlich schon festgesetzt – und auch denjenigen bestimmt, der es durchführen wird. Gemeint ist natürlich Jesus Christus (vgl. 10,42), dessen Name Paulus aber nicht nennt. Außerdem hat Gott einen untrüglichen „Beweis gegeben“, dass es so kommt: indem er den, der die ganze Welt richten wird, „auferweckt hat aus den Toten“.

 

 

An dieser Stelle scheiden sich die Geister.

 

(32) Als sie aber von Toten-Auferstehung hörten, spotteten die einen, die anderen aber sprachen: Wir wollen dich darüber auch nochmals hören. (33) So ging Paulus aus ihrer Mitte fort. (34) Einige Männer aber schlossen sich ihm an und glaubten, unter denen auch Dionysius war, der Areopagit, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

 

(32-33) Die Aussagen des Paulus über die Toten-Auferstehung überfordern seine Zuhörer, die ihm bis dahin vielleicht in weiten Teilen (Verse 22-29) folgen konnten. Einige haben dafür nur Spott und Hohn übrig; andere vertrösten Paulus auf eine spätere Fortsetzung. Damit ist sein Auftritt beendet.

 

(34) Einige Männer aber schließen sich trotzdem Paulus an und glauben seiner Botschaft. Unter ihnen ist „Dionysius … der Areopagit“ – also ein Mitglied des Aeropags (vgl. zu 19; dass ein Mitglied des Aeropags zum Glauben kommt, wird von manchen Bibelauslegern als Hinweis darauf betrachtet, dass die Szene vor dem „Aeropag“ genannten Gremium stattgefunden hat). Außerdem wird „eine Frau mit Namen Damaris“ genannt, was in einer Männergesellschaft nicht selbstverständlich ist. Neben diese beiden Personen schließen sich noch einige andere Paulus an. Insgesamt aber hat Paulus nur wenig Erfolg in Athen.

 

7.7    In Korinth (18,1-17)

 

Unmittelbar nach dem weitgehend erfolglosen Streitgespräch mit den gelehrten Griechen zieht Paulus nach Korinth weiter.

 

(1) Danach schied er von Athen und kam nach Korinth. (2) Und er fand einen Juden namens Aquila, aus Pontus gebürtig, der kürzlich aus Italien gekommen war, und Priszilla, seine Frau – weil Klaudius befohlen hatte, dass alle Juden sich aus Rom entfernen sollten –. Er ging zu ihnen, (3) und weil er gleichen Handwerks war, blieb er bei ihnen und arbeitete; denn sie waren Zeltmacher ihres Handwerks.

 

(1) Korinth liegt ca. 70 Kilometer von Athen entfernt an der Landenge, die den Peleponnes und das griechische Festland miteinander verbindet. Die Stadt hat zwei Häfen. Im Westen, zur Adria hin, liegt der Hafen Lecheion, und im Osten, zur Ägäis hin, der Hafen Kenchreä (vgl. Röm.16,1; Apg.18,18). Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. ist die Stadt zerstört worden, wurde aber ca. 100 Jahre später als römische Kolonie wieder aufgebaut und zur Hauptstadt der Provinz Achaja (griechisches Kernland) und Sitz des Prokonsuls gemacht. Korinth wird zu einer Metropole. Ein Zeichen dafür ist das dortige Theater, dass 18.000 Zuschauer fast. Die Bevölkerung ist bunt gemischt.

 

(2-3) In Korinth begegnet Paulus Aquila und seiner Frau Priszilla. Aquila ist Jude und stammt aus Pontus, also von der Südküste des Schwarzen Meeres. Beide sind erst „kürzlich aus Italien gekommen … weil Klaudius befohlen hatte, dass alle Juden sich aus Rom entfernen sollten“. Damit ist ein Edikt des Kaisers Klaudius aus dem Jahr 49 n.Chr. gemeint, über das der römische Geschichtsschreiber Sueton berichtet: „Die Juden, die von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhen stifteten, vertrieb er aus Rom.“ (Claudius 25). Grund der Unruhe innerhalb der jüdischen Bevölkerung Roms war vermutlich die Ausbreitung des Christentums in ihren eigenen Reihen.

 

Aquila und Priszilla sind vermutlich schon vorher zum Glauben an Jesus Christus gekommen. Dafür spricht auch, dass von ihrer Bekehrung durch Paulus nichts gesagt wird.

 

Sie haben in Korinth bereits wieder eine Werkstatt als „Zeltmacher“ eröffnet. Wahrscheinlich verfügen sie über ein bestimmtes Vermögen. Sie nehmen Paulus bei sich auf und geben ihm Arbeit.

 

 

Seine eigentliche Arbeit besteht aber in der Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus.

 

(4) Er unterredete sich aber in der Synagoge an jedem Sabbat und überzeugte Juden und Griechen. (5) Als aber sowohl Silas als auch Timotheus aus Mazedonien herabkamen, wurde Paulus durch das Wort gedrängt und bezeugte den Juden, dass Jesus der Christus sei. (6) Als sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach zu ihnen: Euer Blut komme auf euren Kopf! Ich bin rein; von jetzt an werde ich zu den Nationen gehen. (7) Und er ging von dort fort und kam in das Haus eines Gottesfürchtigen namens Titius Justus, dessen Haus an die Synagoge stieß. (8) Krispus aber, der Vorsteher der Synagoge, glaubte an den Herrn mit seinem ganzen Haus; und viele Korinther, die hörten, wurden gläubig und ließen sich taufen. (9) Der Herr aber sprach durch eine Erscheinung in der Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede, und schweige nicht! (10) Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, dir Böses zu tun; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt. (11) Und er hielt sich ein Jahr und sechs Monate auf und lehrte unter ihnen das Wort Gottes.

 

(4) Auch in Korinth beginnt Paulus seine Verkündigungstätigkeit in der örtlichen Synagoge (vgl. 9,20; 13,5.14; 14,1; 17,2; 17,10-17; 18,19; 19,8). Er ist „an jedem Sabbat“ dort – aufgrund seiner Berufstätigkeit vermutlich „nur“ am Sabbat – und überzeugt „Juden“ und „Griechen“ (Proselyten und/oder „Gottesfürchtige“).

 

(5) Als aber Silas und Timotheus aus Mazedonien eintreffen (vgl. 17,14.16), wird Paulus ganz von der Wortverkündigung in Anspruch genommen (wörtl.: „gedrängt“) und bezeugt „den Juden, dass Jesus der Christus“ ist. Vermutlich haben die beiden finanzielle Unterstützung aus den Gemeinden Mazedoniens mitgebracht (2.Kor.11,9: „Und als ich bei euch war und Mangel litt, fiel ich niemand zur Last – denn meinem Mangel halfen die Brüder ab, die aus Mazedonien kamen …“; vgl. Phil.4,15-16).

 

(6) Erneut lehnen die meisten Juden seine Verkündigung ab und lästern (vgl. 13,45). Daraufhin schüttelt Paulus seine Kleider aus. Diese Zeichenhandlung soll vermutlich den Abbruch der Gemeinschaft ausdrücken. Hinzu kommt die Ankündigung: „Euer Blut komme auf euren Kopf!“ Sie soll ausdrücken, dass sie die Strafe für ihre schuldhafte Ablehnung des Evangeliums tragen müssen. Sich selbst bezeichnet Paulus als „rein“ – weil er seine Pflicht getan und ihnen das Evangelium verkündigt hat (vgl. Apg.20,26-27: „(26) Deshalb bezeuge ich euch am heutigen Tag, dass ich rein bin vom Blut aller; (27) denn ich habe nicht zurückgehalten, euch den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen.“). Abschließend erklärt er, dass er jetzt „zu den Nationen“ geht (diese Aussage bezieht sich aber nur auf Korinth, da Paulus sich in Ephesus erneut an die Juden wendet, vgl. 18,19)


(7-8) Paulus verlässt die Synagoge und begibt sich in das „Haus eines Gottesfürchtigen namens Titius Justus“, das direkt neben der Synagoge liegt – vermutlich nicht, um dort zu wohnen, sondern um dort seine Verkündigung fortzusetzen. Außerdem kommt Krispus, „der Vorsteher der Synagoge“, mit „seinem ganzen Hause“ (vgl. 10,2; 11,14; 16,15.31) zum Glauben an Jesus Christus. Als das bekannt wird, werden weitere Personen gläubig  und lassen sich taufen. Die Bekehrung des Krispus wird vor allem auf die „Griechen“, die zum Umfeld der Synagoge gehörten, Eindruck gemacht haben.

 

(9-10) Aufgrund dieser Entwicklung ist erbitterter Widerstand der Juden zu erwarten. In dieser Situation hat Paulus „eine Erscheinung in der Nacht“. Darin ruft Christus ihm, wie zuvor den alttestamentlichen Propheten, zu: „Fürchte dich nicht!“ (vgl. Jes.41,10-13; 43,5; Jer.1,8). Außerdem fordert er ihn auf, zu reden – und keinesfalls zu schweigen. Zur Begründung weist er darauf hin, dass er mit ihm ist und niemand ihn angreifen und ihm Böses tun soll und dass er „ein großes Volk in dieser Stadt“ hat – sich also in Korinth noch viele Menschen bekehren und der Gemeinde anschließen werden.

 

(11) In einer zusammenfassenden Notiz wird anschließend festgehalten, dass er sich außergewöhnlich lange in Korinth aufhielt – 18 Monate – und dort das Wort verkündigte.

 

 

Der erwartete Konflikt mit den Juden bleibt nicht aus.

 

(12 Als aber Gallio Prokonsul von Achaja war, traten die Juden einmütig gegen Paulus auf und führten ihn vor den Richterstuhl (13) und sagten: Dieser überredet die Menschen, Gott entgegen dem Gesetz zu verehren. (14) Als aber Paulus den Mund öffnen wollte, sagte Gallio zu den Juden: Wenn es ein Unrecht oder eine böse Handlung wäre, o Juden, so hätte ich euch vernünftigerweise ertragen; (15) wenn es aber Streitfragen sind über Worte und Namen und das Gesetz, das ihr habt, so seht ihr selbst zu, über diese Dinge will ich nicht Richter sein. (16) Und er trieb sie von dem Richterstuhl weg. (17) Alle aber ergriffen Sosthenes, den Vorsteher der Synagoge, und schlugen ihn vor dem Richterstuhl; und Gallio bekümmerte sich nicht um dies alles.

 

(12-13) Gallio, der ältere Bruder des Philosophen Seneca,  ist 51/52 „Prokonsul von Achaja. Auf dem Marktplatz hält er von einer Tribüne aus Gericht. Dorthin wird Paulus von seinen jüdischen Gegnern geführt. Sie beschuldigen ihn, andere Menschen dazu zu verführen, „Gott entgegen dem Gesetz zu verehren“. Unklar ist, ob sie das Gesetz des Mose oder die „Verordnungen des Kaisers“ meinen (vgl. 17,7). Möglicherweise ist die Anklage bewusst zweideutig formuliert.

 

(14-16) Aber bevor Paulus sich verteidigen kann, lehnt Gallio die Anklage ab. Zur Begründung weist er darauf hin, dass er sie zuglassen hätte, wenn es um „ein Unrecht oder eine böse Handlung“ gegangen wäre. Da es aber um „Worte und Namen und das Gesetz“ des jüdischen Glaubens gehe, wolle er „nicht Richter sein“. Darauf vertreibt er sie „von dem Richterstuhl weg“. Möglicherweise hat Gallio die Auffassung seines Bruders geteilt, dass die Juden das „abscheulichste Geschlecht“ sind.

 

(17) Die Szene hat ein kurzes Nachspiel. Sosthenes, der „Vorsteher des Synagoge“ wird vor dem Richterstuhl ergriffen und geschlagen. Von wem? Der Bericht spricht von „allen“, womit sicher nicht die Juden, sondern die anderen Anwesenden gemeint sind. „Die Kläger erscheinen als lästige Störenfriede, und die auf der Agora versammelte korinthische Menge lässt ihren antisemitischen Emotionen freien Lauf.“ (Pesch II, 151). Gallio ist das egal; er lässt sie gewähren.

 

Interessanterweise wird ein Mann mit Namen Sosthenes später zusammen mit Paulus als Absender der ersten Korintherbriefs genannt: „Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Sosthenes, der Bruder …“(1.Kor.1,1). Ist auch dieser „Vorsteher des Synagoge“ bald darauf Christ und Mitarbeiter des Paulus geworden?

 

 

7.8    Abschluss der zweiten und Beginn der dritten Missionsreise des Paulus (18,18-23)

 

Von Korinth aus begibt sich Paulus nach Antiochia, seiner Ausgangsbasis (13,1-3; 15,35-41), und schließt damit seine zweite Missionsreise ab.

 

(18) Nachdem aber Paulus noch viele Tage dageblieben war, nahm er Abschied von den Brüdern und segelte nach Syrien ab und mit ihm Priszilla und Aquila, nachdem er sich in Kenchreä das Haupt hatte scheren lassen, denn er hatte ein Gelübde. (19) Sie kamen aber nach Ephesus, und er ließ jene dort zurück; er selbst aber ging in die Synagoge und unterredete sich mit den Juden. (20) Als sie ihn aber baten, dass er längere Zeit bleiben möchte, willigte er nicht ein, (21) sondern nahm Abschied von ihnen und sagte: Ich werde, wenn Gott will, wieder zu euch zurückkehren. Und er fuhr von Ephesus ab. (22) Und als er zu Cäsarea gelandet war, ging er hinauf und begrüßte die Gemeinde und zog hinab nach Antiochia. (23) Und als er einige Zeit dort zugebracht hatte, reiste er ab und durchzog der Reihe nach die galatische Landschaft und Phrygien und stärkte alle Jünger.

 

(18) Der erste Teil des Satzes („nachdem aber Paulus noch viele Tage dageblieben war …“) unterstreicht, dass Paulus sich auch nach dem in 18,12-17 geschilderten Vorfall frei in Korinth bewegen kann. Dann aber nimmt Paulus „Abschied von den Brüdern“ und segelt Richtung Syrien, dessen Hauptstadt Antiochia ist. Dabei nimmt er Priszilla und Aquila mit, die er in Korinth kennengelernt hatte (18,2-3).

 

Unmittelbar vor dem Antritt der Reise lässt sich Paulus in Kenchreä, dem in Richtung der Ägäis gelegenen Hafen Korinths, aufgrund eines Gelübdes „das Haupt scheren“.

 

Vermutlich handelt es sich hier um ein Nasiräer-Gelübde, das in 4.Mos.6,1-21 beschrieben wird. Wer ein solches Gelübde ablegt, tut das, um sich für eine bestimmte Zeit Gott in besonderer Weise zu weihen (4.Mos.6,2). Damit sind eine Reihe von Auflagen verbunden, vor allem der Verzicht auf alkoholische Getränke (4.Mos.6,3.4). Außerdem ist es ihm verboten, Tote zu berühren (4.Mos.6,6-12; die Berührung von Toten macht nach 4.Mos.19,11 „unrein“). Als äußeres Zeichen seiner Weihe darf er sich während der Zeit des Gelübdes nicht die Haare schneiden (4.Mos.6,5). Abgeschlossen wird das Gelübde mit Opfern, die am „Zelt der Begegnung“ bzw. am Tempel zu vollziehen sind (4.Mos.6,13ff). Dabei schneidet sich der Nasiräer die Haare und verbrennt sie zusammen mit den Opfern (4.Mos.6,18).

 

Nun lässt Paulus sich das Haupt bereits in Kenchreä scheren. Auch sagt der Bericht der Apostelgeschichte nichts davon, dass Paulus im Jerusalemer Tempel opfert. Eine Reise nach Jerusalem ist aber möglicherweise in 18,22 angedeutet (s. dort). Die Deutung, dass es sich bei dem Gelübde des Paulus um ein Nasiräer-Gelübde handelt, ist also nicht ganz sicher. Allerdings gibt es keine andere befriedigende Erklärung. Einige Bibelausleger erklären die Ungereimtheiten mit der Vermutung, dass Lukas mit den Einzelheiten des Nasiräer-Gelübdes nicht vertraut war (Roloff, 276; Schille, 368).

 

(19-21) Erste Station der Reise in Ephesus, die Hauptstadt der Provinz Asia. Paulus wollte diese Gegend bereits früher besuchen, war aber durch den Heiligen Geist daran gehindert worden (16,6). Aber auch jetzt ist Ephesus nur ein Zwischenstopp. Zwar besucht Paulus auch – wie üblich (9,20; 13,5.14; 14,1; 17,2; 17,10-17; 18,4; 19,8) – die Synagoge. Dort wird er freundlich aufgenommen und gebeten, länger zu bleiben. Dennoch nimmt er „Abschied von ihnen“, verspricht aber, „wenn Gott will“ (vgl. 1.Kor.4,19; 16,7; Hbr.6,3; Jak.4,15) zurückzukehren (zur Rückkehr nach Ephesus vgl. 19,1). Priszilla und Aquila aber lässt er in Ephesus zurück – möglicherweise damit sie die Mission in Ephesus vorbereiten.

 

(22) Überraschenderweise fährt Paulus von Ephesus aus nicht direkt nach Antiochia, sondern nach Cäsarea. Nach seiner  Ankunft geht er „hinauf“ und begrüßt „die Gemeinde“. Ist damit die Gemeinde von Cäsarea gemeint (vgl. Apg.10)? Möglicherweise ist die Jerusalemer Urgemeinde gemeint. Jedenfalls wird sie zuweilen schlicht als „die Gemeinde“ bezeichnet (8,3). Auch dass Paulus „hinauf“ geht, ist ein Indiz für Jerusalem (11,2; 21,12.15; 24,11; 25,1-9). Endstation der Reise ist allerdings Antiochia.

 

(23) Paulus verweilt eine gewisse Zeit in Antiochia. Dann aber startet er seine dritte Missionsreise. Zunächst zieht er wieder durch „die galatische Landschaft und Phrygien“ (vgl. 16,6), um die dortigen Gemeinden zu stärken (vgl. 14,22; 15,41).

 

 

7.9    Apollos in Ephesus und Korinth (18,24-28)

 

Bevor der Bericht über das Wirken des Paulus weitergeht (19,1ff.), gibt Lukas einen kurzen Zwischenbericht über Apollos, der in Ephesus und später in Korinth wirkt.

 

(24) Ein Jude aber mit Namen Apollos, aus Alexandria gebürtig, ein beredter Mann, der mächtig war in den Schriften, kam nach Ephesus. (25) Dieser war im Weg des Herrn unterwiesen, und, brennend im Geist, redete und lehrte er sorgfältig die Dinge von Jesus, obwohl er nur die Taufe des Johannes kannte. (26) Und dieser fing an, freimütig in der Synagoge zu reden. Als aber Priszilla und Aquila ihn hörten, nahmen sie ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes genauer aus. (27) Als er aber nach Achaja reisen wollte, schrieben die Brüder den Jüngern und ermahnten sie, ihn aufzunehmen. Dieser war, als er hinkam, den Glaubenden durch die Gnade sehr behilflich; (28) denn kräftig widerlegte er die Juden öffentlich, indem er durch die Schriften bewies, dass Jesus der Christus ist.

 

(24-25) Bevor Paulus – wie versprochen (18,21) – nach Ephesus zurückkehrt, kommt Apollos vorbei. Er hat jüdischen Wurzeln und stammt aus Alexandria, einer Hochburg jüdischen Lebens außerhalb Palästinas. Apollos ist ein Mann des Wortes und in der Heiligen Schrift bewandert. Den christlichen Glauben – den „Weg des Herrn“ (vgl. 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22) – hat er kennengelernt und angenommen.

 

Er ist „brennend im Geist“ (vgl. Röm.12,11). Der Heilige Geist wirkt in ihm und macht ihn zu einem engagierten – und sorgfältigen – Verkündiger der „Dinge von Jesus“ (wörtl.: er lehrt „das über Jesus“). Dabei kennt er nur die „Taufe des Johannes“, also die „Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden“ (Lk.3,3; Apg.19,4) – und nicht die Taufe mit dem Heiligen Geist (vgl. 19,2ff.).

 

(26) Wie zuvor Paulus, predigt nun auch Apollos in der Synagoge zu Ephesus (18,19-20) – und zwar mit Freimut (9,27f.; 13,46; 14,3; 19,8; 26,26). Priszilla und Aquila sind Augen- und Ohrenzeugen seiner Verkündigung – offenbar halten sie nach dem Weggang des Paulus den Kontakt zur Synagoge – und nehmen ihn „zu sich“ (gemeint ist vermutlich, dass sie ihn in ihre Unterkunft aufnehmen, vgl. 28,2). Außerdem legen sie „ihm den Weg Gottes genauer aus“. Daher handelt es sich wahrscheinlich um Einsichten, die auch sie selbst durch Paulus gewonnen haben (18,2-3).

 

(27-28) Als Apollos nach Achaja, vor allem in die dortige Hauptstadt Korinth (19,1), weiterreisen will, geben die „Brüder“ – inzwischen hat sich in Ephesus offenbar eine Gemeinde gebildet – ihm ein Empfehlungsschreiben an die dortigen „Jünger“ mit. Apollos ist der Gemeinde Korinth „durch die Gnade  also durch die Gaben, die Gott ihm geschenkt hat sehr behilflich“ (zur Gnade als Gabe, die Gott schenkt vgl. Eph.4,7: „Jedem einzelnen von uns aber ist die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi gegeben worden.“). Mit Hilfe seiner rhetorischen und intellektuellen Fähigkeiten (18,24f.) kann er die Juden widerlegen und ihnen aus der Heiligen Schrift beweisen, „dass Jesus der Christus ist“ (9,22; 17,3; 18,5). Da das Verhältnis der Christen zur Synagoge nachhaltig gestört ist (18,4-17), tut er das „öffentlich“.



7.10  Paulus in Ephesus (19,1-20)

 

Als Paulus in Ephesus eintrifft, trifft er auf „Jünger“, die „auf die Taufe des Johannes“ getauft worden sind.

 

(1) Es geschah aber, während Apollos in Korinth war, dass Paulus, nachdem er die höher gelegenen Gegenden durchzogen hatte, nach Ephesus kam. Und er fand einige Jünger (2) und sprach zu ihnen: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid? Sie aber sprachen zu ihm: Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist überhaupt da ist. (3) Und er sprach: Worauf seid ihr denn getauft worden? Sie aber sagten: Auf die Taufe des Johannes. (4) Paulus aber sprach: Johannes hat mit der Taufe der Buße getauft, indem er dem Volk sagte, dass sie an den glauben sollten, der nach ihm komme, das ist an Jesus. (5) Als sie es aber gehört hatten, ließen sie sich auf den Namen des Herrn Jesus taufen; (6) und als Paulus ihnen die Hände aufgelegt hatte, kam der Heilige Geist auf sie, und sie redeten in Sprachen und weissagten. (7) Es waren aber insgesamt etwa zwölf Männer.


(1)
Während Apollos auf eigenen Wunsch in Korinth ist (18,27-28), kommt Paulus – nachdem er das Hochland Richtung Westen durchreist hat (18,23) – nach Ephesus. Dort begegnen ihm zunächst „einige Jünger“. Wenn in der Apostelgeschichte von „Jüngern“ die Rede ist, sind stets Christen gemeint (z.B. 6,1.2).

 

(2) Paulus ist sich aber nicht sicher, ob sie tatsächlich Christen sind. Deshalb befragt er sie. Dabei wird der Empfang des Heiligen Geistes zum Test: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid?“ (zum Heiligen Geist als Kennzeichen wahren Christseins vgl. 8,15-17; 10,47). Sie antworten ihm, dass sie vom Heiligen Geist noch nicht einmal gehört haben.

 

(3) Daraufhin fragt Paulus nach: „Worauf seid ihr denn getauft worden?“ Die Frage ist deshalb naheliegend, weil die christliche Taufe mit dem Empfang des Heiligen Geistes verbunden ist (2,38; vgl. Lk.3,16). Sie antworten ihm: „Auf die Taufe des Johannes“ (Lukas will offenbar vermeiden, von einer „Taufe auf Johannes“ zu sprechen – und spricht daher davon, dass sie „auf die Taufe des Johannes“ „getauft worden“ sind).

 

Handelt es sich also um „Jünger“ Johannes des Täufers (Lk.5,33; 11,1; Joh.3,25-26)? Oder geht es um Christen, denen – wie zuvor Apollos (18,25) – etwas Entscheidendes fehlt?  Die Bibelausleger sind da geteilter Meinung.

 

(4) Paulus nutzt jedenfalls Johannes den Täufer als Argument. Er hat „mit der Taufe der Buße getauft“ (vgl. Lk.3,3) und „dem Volk“ doch selbst gesagt, „dass sie an den glauben sollten, der nach ihm komme“ – also „an Jesus“ (vgl. Lk.3,16). M.a.W.: „Wer … Johannes und seine Taufe anerkennt …, der muss auch – gewissermaßen im Gehorsam zu Johannes – an Jesus glauben.“ (Schneider, II, 264).

 

(5-7) Daraufhin lassen sie sich „auf den Namen des Herrn Jesus taufen“. Als Paulus ihnen –während oder kurz nach der Taufe – die Hände auflegt, kommt dementsprechend „der Heilige Geist auf sie“. Das zeigt sich daran, dass sie „in Sprachen“ bzw. in Zungen reden und prophetisch reden (zur Zungenrede als Zeichen des Geistempfangs vgl. 2,4.18; 10,46f.). Dabei handelt es sich um „etwa zwölf Männer“ (die Zahlenangabe hat hier vermutlich keine symbolische Bedeutung).

 

 

Die Begegnung mit diesen zwölf Männern ist aber nur der Beginn seiner Tätigkeit in Ephesus.

 

(8) Er ging aber in die Synagoge und sprach freimütig drei Monate lang, indem er sich unterredete und sie von den Dingen des Reiches Gottes überzeugte. (9) Als aber einige sich verhärteten und ungehorsam blieben und vor der Menge schlecht redeten von dem Weg, trennte er sich von ihnen und sonderte die Jünger ab und unterredete sich täglich in der Schule des Tyrannus. (10) Dies aber geschah zwei Jahre lang, so dass alle, die in Asien wohnten, sowohl Juden als auch Griechen, das Wort des Herrn hörten.

 

(8) Nach seiner Rückkehr nach Ephesus begibt sich Paulus wieder in die Synagoge, die ihn damals freundlich aufgenommen und ihn gebeten hatte, längere Zeit zu bleiben (18,19-20). Drei Monate lang kann er mit den Besuchern der Synagoge diskutieren und sie von seiner Botschaft überzeugen. Er spricht von den „Dingen des Reiches Gottes“ – wobei es natürlich immer um Jesus Christus geht (vgl. 28,31: „er predigte das Reich Gottes und lehrte die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betreffen …“; vgl. 8,12; 28,23).

 

(9) Einige aber reagieren ablehnend und bleiben „ungehorsam“ (Ungehorsam als Unglaube, vgl. 14,2). Außerdem reden sie vor den anderen Besuchern der Synagoge „schlecht … von dem Weg“ („Weg“ ist eine Bezeichnung der Christen: 9,2; 18,25; 19,23; 22,4; 24,14.22). Daraufhin bricht Paulus den Kontakt mit ihnen ab und verlässt mit denen, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen sind  („Jünger“ = Christen), die Synagoge. Stattdessen unterrichtet er nun „täglich in der Schule des Tyrannus, womit vermutlich ein (Hör)Saal gemeint ist, der einem Lehrer mit Namen Tyrannus gehört (oder ein Gebäude, das unter diesem Namen bekannt ist).

 

(10) Zwei Jahre lang kann er dort den christlichen Glauben darlegen. Dadurch können alle, die in der Provinz Asien wohnen, „das Wort des Herrn hören“„sowohl Juden als auch Griechen“ (vgl. 14,1; 18,4). Von der Hauptstadt Ephesus aus wird also auch die Umgebung mit dem Evangelium erreicht. Insgesamt arbeitet Paulus ca. drei Jahre in Ephesus (20,31).

 

 

Dabei wirkt Paulus nicht nur als Lehrer, sondern auch als Wundertäter.

 

(11) Und ungewöhnliche Wunderwerke tat Gott durch die Hände des Paulus, (12) so dass man sogar Schweißtücher oder Schurze von seinem Leib weg auf die Kranken legte und die Krankheiten von ihnen wichen und die bösen Geister ausfuhren.

 

(11) Es geschehen „ungewöhnliche Wunderwerke“. Der Text sagt ausdrücklich, dass Gott sie vollbracht hat. Paulus ist „nur“ Werkzeug. In diesem Sinne geschehen die Wunder „durch die Hände des Paulus“ (vgl. 5,12; 14,3). Das ist vermutlich so verstehen, dass Paulus anderen Menschen die Hände auflegt.

 

(12) Aufgrund dieser Wunder legt „man sogar Schweißtücher oder Schurze von seinem Leib weg auf die Kranken“. Und das mit Erfolg: Menschen werden von ihren Krankheiten geheilt und Dämonen fahren aus von ihnen. Gott wirkt also nicht nur durch das Wort des Paulus oder seine Hände, sondern auch durch Dinge, auf die seine Leiblichkeit ausgestrahlt ist (vgl. 5,15, wo von der heilenden Wirkung des Schattens des Petrus die Rede ist).

 

 

„Der große exorzistische Erfolg des Paulus veranlasst umherziehende jüdische Exorzisten …

zu einem Versuch, sich bei ihren Exorzismen des Namens Jesu zu bedienen.“ (Pesch II, 172).

 

(13) Aber auch einige von den umherziehenden jüdischen Beschwörern unternahmen es, über die, welche böse Geister hatten, den Namen des Herrn Jesus anzurufen, indem sie sagten: Ich beschwöre euch bei dem Jesus, den Paulus predigt! (14) Es waren aber sieben Söhne eines jüdischen Hohenpriesters Skevas, die dies taten. (15) Der böse Geist aber antwortete und sprach zu ihnen: Jesus kenne ich, und von Paulus weiß ich. Aber ihr, wer seid ihr? (16) Und der Mensch, in dem der böse Geist war, sprang auf sie los und bezwang sie miteinander und überwältigte sie, so dass sie nackt und verwundet aus jenem Haus entflohen. (17) Dies aber wurde allen bekannt, sowohl Juden als auch Griechen, die zu Ephesus wohnten; und Furcht fiel auf sie alle, und der Name des Herrn Jesus wurde erhoben.


(13-14) Bei den „umherziehenden jüdischen Beschwörern“ handelt es sich um „sieben Söhne eines jüdischen Hohenpriesters Skevas“. Ein Hohepriester gleichen Namens ist nicht bekannt.  Möglicherweise handelt es sich nicht um einen Hohenpriester im engeren Sinn, sondern einen Priester mit leitenden Aufgaben innerhalb der Priesterschaft.

 

Die Exorzisten gehen davon aus, dass sie böse Geister beschwören bzw. austreiben können, indem sie die Namen besonderer Personen bzw. Mächte nennen. Tatsächlich haben Archäologen einen spätantiken Zauberpapyrus mit dem Satz „ich beschwöre dich bei Jesus, dem Gott der Hebräer“ entdeckt. Der Zauberspruch der sieben Exorzisten lautet: „Ich beschwöre euch bei dem Jesus, den Paulus predigt!“

 

(15)  Die Antwort des Dämons zeigt: Er „‚kennt‘ Jesus, d.h. er erkennt ihn in seiner Herrschermacht an und weiß sich ihr ausgeliefert, und er ‚weiß von‘ Paulus, d.h. er weiß, dass Paulus der allein legitimierte Vertreter der Macht Jesu ist.“ (Roloff, 286). Die sieben Exorzisten aber kennt er nicht – was so viel bedeutet, dass sie bedeutungslos sind und er sie nicht fürchten muss.

 

(16) Deshalb geht der Mensch, der von dem Dämon besessen ist, „auf sie los“ und überwältigt sie. Die Exorzisten müssen „nackt und verwundet“ fliehen – und ähneln damit den Menschen, die von einem bösen Geist besessen sind (vgl. Lk.8,27).

 

Das zeigt: Der Name Jesu „wirkt nur, wenn er von Christen angerufen wird.“ (Haenchen, 499). Der Versuch, Jesus zu eigenen Zwecken zu benutzen, geht gründlich schief (vgl. den Bericht über Simon, den Zauberer; 8,18-24).

 

(17) Dieses Ereignis spricht sich bei Juden und Griechen in Ephesus schnell herum. Auf alle, die davon erfahren, fällt ein „heiliger Schrecken“ (Lk.1,12.65; 5,25; Apg.2,43). Außerdem wird dadurch „der Name des Herrn Jesus … erhoben“. Gemeint ist, dass sein Name „groß gemacht“ und „verherrlicht wird“ (vgl. Phil.1,20: „… Christus an meinem Leib groß gemacht werden wird, sei es durch Leben oder durch Tod.“).

 

 

Dieses dramatische Ereignis bewirkt auch Veränderungen innerhalb der Gemeinde.

 

(18) Viele aber von denen, die gläubig geworden waren, kamen und bekannten und gestanden ihre Taten. (19) Zahlreiche aber von denen, die Zauberei getrieben hatten, trugen die Bücher zusammen und verbrannten sie vor allen; und sie berechneten ihren Wert und kamen auf fünfzigtausend Silberdrachmen. (20) So wuchs das Wort des Herrn mit Macht und erwies sich kräftig.


(18-19)
Für viele Gläubige ist dies der Anlass, „nun ihrerseits ihre magischen Praktiken, die sie mit ihrer Bekehrung noch nicht abgelegt hatten, vor Paulus und der Gemeindeversammlung offen einzugestehen.“ (Pesch II, 173). Außerdem bringen viele von ihnen ihre Zauberbücher und verbrennen sie vor der Gemeinde. Der Wert dieser Bücher wird mit „fünfzigtausend Silberdrachmen“ angegeben – ein ungeheurer Wert, weil ein Silberdrachme damals der allgemein übliche Tageslohn ist.

 

(20) Der Bericht endet mit einer zusammenfassenden Notiz über die Erfolge in Ephesus. „Das Wort des Herrn“, gemeint ist die Verkündigung des Botschaft vom Herrn Jesus Christus, erhält Zulauf und erweist sich als kräftig bzw. überzeugend (vgl. die anderen zusammenfassenden Notizen über missionarische Erfolge und das Wachstum der Gemeinde: 5,41-42; 6,7; 9,31; 12,24; 15,35).