4          Hauptteil

 

„Der Dialog Jjobs mit seinen Freunden entfaltet sich nun in drei großen Redegängen (3-11; 12-20; 21-27). Jeder von ihnen besteht aus drei Reden Ijobs, auf die jeweils einer der Freunde antwortet. Im dritten Redegang verstummen am Ende die Freunde, und Ijob hat das letzte Wort.“ (Lubschzyk, Ijob, 39). Nachdem Hiob seine Einsichten noch einmal ausführlich geschildert hat (28-31), meldet sich plötzlich ein junger Weisheitslehrer (32-37). Dann aber ergreift Gott selbst das Wort (38-42).

 

 

4.1       Der erste Redegang (3,1-11,20)

 

„Der erste Redegang führt mit dem heftigen Ausbruch Hiobs am entscheidenden siebten Tag in die sich rasch steigernde Auseinandersetzung des Leidenden mit seinen Freunden hinein. In ihr geht es um die Frage nach dem rechten Verhalten im Leide. Hat Hiob mit seiner leidenschaftlichen Klage recht? Ist es richtig, über das leidvolle Leben zu klagen und Gott wegen seines Handelns am Menschen anzuklagen? Oder erleidet Hiob das Schicksal, das dem Menschen wegen seiner natürlichen Schwäche und Unzulänglichkeit zukommt, so dass er besser daran täte, sich in demütigem Gebet zu Gott hinzuwenden und unter ihn zu beugen? Um diese Frage kreist die Auseinandersetzung in diesem Redegang.“ (Fohrer, 107).

 

 

4.1.1    Die Klage Hiobs (3,1-26)

 

Nach einer Woche des Schweigens bricht es aus Hiob heraus. Mit kräftigen Worten verflucht er den Tag seiner Geburt:

(3,1)    Danach tat Hiob seinen Mund auf

und verfluchte seinen Tag.

(3,2)    Und Hiob sprach:

(3,3)    Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin,

und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt!

(3,4)    Jener Tag soll finster sein,

und Gott droben frage nicht nach ihm!

Kein Glanz soll über ihm scheinen!

(3,5)    Finsternis und Dunkel sollen ihn überwältigen

und düstere Wolken über ihm bleiben,

            und Verfinsterung am Tage mache ihn schrecklich!

(3,6)    Jene Nacht - das Dunkel nehme sie hinweg,

sie soll sich nicht unter den Tagen des Jahres freuen

noch in die Zahl der Monde kommen!

(3,7)    Siehe, jene Nacht sei unfruchtbar

und kein Jauchzen darin!

(3,8)    Es sollen sie verfluchen, die einen Tag verfluchen können,

und die da kundig sind, den Leviatan zu wecken! (1)

(3,9)    Ihre Sterne sollen finster sein in ihrer Dämmerung.

Die Nacht hoffe aufs Licht, doch es komme nicht,

und sie sehe nicht die Wimpern der Morgenröte,

(3,10) weil sie nicht verschlossen hat den Leib meiner Mutter

            und nicht verborgen das Unglück vor meinen Augen!

 

1„Was soll mit dieser Nacht geschehen? Um ihr beizukommen, ruft Hiob bestimmte Leute zu Hilfe, die über besondere Kräfte verfügen und deren Verwünschung daher sicheren Erfolg  verspricht. Es sind die Zauberer, deren beschwörenden Worten man alles zutraut … Den Zauberern wird zunächst zugeschrieben, dass sie einen bestimmten Tag mit einem Fluch belegen … können. … Ferner vermögen sie durch ihre machtvollen Worte den Chaosdrachen Leviathan, den Gott bei der Schöpfung unschädlich gemacht hat, zu wecken und zu neuer Zerstörung aufzureizen.“ (Fohrer, 118f.). Zu „Leviathan“, der wie „Rahab“ zu den von Gott besiegten Chaosmächten des Meeres gehört, vgl. 26,12.13; Ps.74,13.14; 89,10-12; Jes.51,9.

 

Und wenn er schon geboren ist, so Hiob weiter, warum ist er dann nicht wenigstens gleich am Tag einer Geburt gestorben? Dann hätte er seinen Frieden:

(3,11)  Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt?

Warum bin ich nicht umgekommen, als ich aus dem Mutterleib kam?

(3,12)  Warum hat man mich auf den Schoß genommen?

Warum bin ich an den Brüsten gesäugt?

(3,13)  Dann läge ich da und wäre still,

dann schliefe ich und hätte Ruhe

(3,14)  mit den Königen und Ratsherren auf Erden,

die sich Grüfte erbauten,

(3,15)  oder mit den Fürsten, die Gold hatten

und deren Häuser voll Silber waren;

(3,16)  wie eine Fehlgeburt, die man verscharrt hat, hätte ich nie gelebt,

wie Kinder, die das Licht nie gesehen haben.

(3,17) Dort haben die Gottlosen aufgehört mit Toben;

dort ruhen, die viel Mühe gehabt haben.

(3,18)  Da haben die Gefangenen allesamt Frieden

und hören nicht die Stimme des Treibers.

(3,19) Da sind klein und groß gleich,

und der Knecht ist frei von seinem Herrn.

 

Schließlich verdichtet sich Hiobs Fluchen und Fragen zur Anfrage an Gott. Er versteht Gott und die Welt nicht mehr:

 (3,20) Warum gibt Gott das Licht dem Mühseligen

und das Leben den betrübten Herzen

(3,21)  - die auf den Tod warten, und er kommt nicht,

und nach ihm suchen mehr als nach Schätzen,

(3,22) die sich sehr freuten und fröhlich wären,

            wenn sie ein Grab bekämen -,

(3,23) dem Mann, dessen Weg verborgen ist,

dem Gott den Pfad ringsum verzäunt hat?

(3,24) Denn wenn ich essen soll, muss ich seufzen,

und mein Schreien fährt heraus wie Wasser.

(3,25) Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen,

            und wovor mir graute, hat mich getroffen.

(3,26)  Ich hatte keinen Frieden, keine Rast, keine Ruhe,

da kam schon wieder ein Ungemach!

„Die Wette im Himmel scheint in ein unlösbares Dilemma zu führen. Der Versuch, die reine Liebe Ijobs unter Beweis zu stellen, macht Gott für seinen Freund zu einem Fremden, den er nicht mehr versteht.“ (Lubsczyk, 44)