10     Das Buch der Wahrheit und die Rettung des Volkes (10,1-12,13)

 

 

Die Kapitel 10-12 gehören zusammen und berichten von einer weiteren Offenbarung, die Daniel durch ein himmlisches Wesen erhält. Der Abschnitt beginnt mit einer einleitenden Vision, in der er einen „Blick hinter die Kulissen“ werfen darf und über Kämpfe in der himmlischen Welt informiert wird (Dan.10,1-11,1). Anschließend „wird das irdische Geschehen geweissagt, das den Engelkämpfen … entspricht“ (Lebram, 125) – nicht in symbolischer Sprache, sondern unverschlüsselt (11,2-45). In 12,1-3 wird schließlich die Rettung des Volkes angekündigt. Es folgt ein Hinweis auf die Bedeutung des Buches Daniel für die „Zeit des Endes“ (12,4) und eine letzte Vision, in der es um die Frage geht, „wann … das Ende dieser außergewöhnlichen Ereignisse“ ist (12,5-13).

 

 

10.1  Einleitender Blick hinter die Kulissen (10,1-21)

 

Bevor Daniel selbst zu Wort kommt und seine Vision – wie üblich (7,2; 8,1) – in der ersten Person schildert, wird in der dritten Person eine kurze Einführung gegeben (vgl. 7,1).

 

(1) Im dritten Jahr des Kyrus, des Königs von Persien, wurde dem Daniel, der Beltschazar genannt wurde, ein Wort geoffenbart. Und das Wort ist Wahrheit und betrifft eine große Mühsal. Und er verstand das Wort, und Verständnis wurde ihm in dem Gesicht zuteil.

 

(1) Die kurze Einführung nennt Zeit und Empfänger der Offenbarung. Beim „dritten Jahr des Kyrus handelt es sich vermutlich um das Jahr 536 v. Chr. Nun war in 1,21 davon die Rede, dass Daniel „bis zum ersten Jahr des Königs Kyrus blieb. Das muss aber kein Widerspruch sein, sondern einfach zeigen, dass Daniel die folgende Vision am Ende seines Wirkens empfängt, als er bereits nicht mehr in königlichen Diensten steht. Dass dies zur Zeit „des Königs von Persien“ geschieht, passt dazu, dass im Folgenden von einem Kampf mit dem „Fürst des Königsreichs Persien“ die Rede ist (10,13) und alle weiteren Schilderungen in der Zeit der persischen Herrschaft beginnen (11,2).

 

Was wird Daniel offenbart? „Ein Wort“ (vgl. 9,23: „Am Anfang deines Flehens ist ein Wort ergangen, und ich bin gekommen, um es dir mitzuteilen. Denn du bist ein Vielgeliebter. So achte nun auf das Wort und verstehe die Erscheinung.“). Dementsprechend finden sich in Kapitel 11 keine symbolischen Figuren, sondern nüchterne Schilderungen in verständlicher Sprache (vgl. 9,24-27).

 

Die Einführung bekräftigt, dass es sich bei diesem Wort um „Wahrheit“ handelt. Inhaltlich geht es um „eine große Mühsal“, was vor allem in 11,30b-39 deutlich wird.

 

War bei der Vision vom Widder und vom Ziegenbock davon die Rede, dass Daniel das Geschaute nicht verstand (8,27), wird nun betont: „Und er verstand das Wort, und Verständnis wurde ihm in dem Gesicht zuteil.“ Das unterstreicht die besondere Bedeutung dieser letzten und längsten Vision des Buches Daniel.

 

 

In seinem Bericht schildert Daniel zunächst, in welcher Situation er sich vor dieser Offenbarung befindet und dass ihm „ein Mann“ (10,5) erscheint.

 

(2) In jenen Tagen trauerte ich, Daniel, drei volle Wochen. (3) Köstliche Speise aß ich nicht, und weder Fleisch noch Wein kamen in meinen Mund; und ich salbte mich nicht, bis drei volle Wochen um waren. (4) Und am 24. Tag des ersten Monats, da war ich am Ufer des großen Stromes, das ist der Hiddekel. (5) Und ich erhob meine Augen und sah: und siehe, da war ein Mann, in Leinen gekleidet, und seine Hüften waren umgürtet mit Gold von Ufas. (6) Und sein Leib war wie ein Türkis und sein Gesicht wie das Aussehen eines Blitzes. Und seine Augen waren wie Feuerfackeln und seine Arme und seine Füße wie der Anblick von glatter Bronze. Und der Klang seiner Worte war wie der Klang einer Volksmenge. (7) Aber nur ich, Daniel, allein sah die Erscheinung. Die Männer, die bei mir waren, sahen die Erscheinung nicht; doch fiel eine große Angst auf sie, und sie flohen und versteckten sich. (8) Und ich blieb allein übrig und sah diese große Erscheinung. Und es blieb keine Kraft in mir, und meine Gesichtsfarbe veränderte sich an mir bis zur Entstellung, und ich behielt keine Kraft. (9) Und ich hörte den Klang seiner Worte. Und als ich den Klang seiner Worte hörte, lag ich betäubt auf meinem Gesicht, mit meinem Gesicht zur Erde. (10) Und siehe, eine Hand rührte mich an und rüttelte mich auf, so dass ich wieder auf meine Knie und Handflächen kam. (11) Und er sprach zu mir: Daniel, du vielgeliebter Mann! Achte auf die Worte, die ich zu dir rede, und steh an deinem Platz! Denn ich bin jetzt zu dir gesandt. Und als er dieses Wort mit mir redete, stand ich zitternd auf.

 

(2-4) Daniel trauert „drei volle Wochen“ lang. Warum? Die in Vers 12 wiedergegebenen Worte des Engels zeigen den Grund der Trauer Daniels: „Fürchte dich nicht, Daniel! Denn vom ersten Tag an, als du dein Herz darauf gerichtet hast, Verständnis zu erlangen und dich vor deinem Gott zu demütigen, sind deine Worte erhört worden …“ Er trauert, indem er „Verständnis“ sucht und sich vor Gott demütigt.

 

Während der dreiwöchigen Trauerzeit verzichtet er auf „köstliche Speise“ und nimmt „weder Fleisch noch Wein“ zu sich. Außerdem salbt er sich nicht. „Die Salbung des Körpers wurde an Fest- und Freudentagen vollzogen, ihre Unterlassung drückt Demut und Niedergeschlagenheit aus.“ (Lebram, 114).

 

Am Ende der drei Wochen, „am 24. Tag des ersten Monats“, befindet er sich „am Ufer des großen Stromes, das ist der Hiddekel. Mit dem Hiddekel ist vermutlich der Tigris gemeint. Aus der Zeitangabe ist zu schließen, dass Daniel auch während des Passahfestes und des Festes der ungesäuerten Brote getrauert und gefastet hat (2.Mos.12,1-28) – wobei allerdings nicht gesagt wird, dass Daniel diesen Zeitraum bewusst gewählt hat.

 

(5-6) Daniel sieht einen „Mann“. Er wird mit Begriffen beschrieben, die an Schilderungen der himmlischen Welt durch Hesekiel erinnern:

Daniel 10,5-6

Hesekiel

… in Leinen gekleidet …

9,2: Und siehe, sechs Männer kamen aus der Richtung vom oberen Tor, das nach Norden gewandt ist, jeder mit seinem Werkzeug zum Zerschlagen in seiner Hand; und ein Mann war in ihrer Mitte, mit Leinen bekleidet, mit dem Schreibzeug eines Schreibers an seiner Hüfte; und sie kamen und stellten sich neben den bronzenen Altar.

… und seine Hüften waren umgürtet mit Gold von Ufas

1, 27: Und ich sah: Wie der Anblick von glänzendem Metall, wie das Aussehen von Feuer, das ringsum ein Gehäuse hat, war es von dem Aussehen seiner Hüften an aufwärts; und von dem Aussehen seiner Hüften an abwärts sah ich etwas wie das Aussehen von Feuer; und ein Glanz war rings um ihn.

 8,2: Und ich sah: und siehe, eine Gestalt mit dem Aussehen eines Mannes: von seinen Hüften an abwärts Feuer; und von seinen Hüften an aufwärts wie das Aussehen eines Glanzes, wie der Anblick von glänzendem Metall.

 … Und sein Leib war wie ein Türkis …

 

1,16: Das Aussehen der Räder und ihre Verarbeitung war wie der Anblick von Türkis, und die vier hatten ein und dieselbe Gestalt; und ihr Aussehen und ihre Verarbeitung war, wie wenn ein Rad mitten im anderen Rad wäre.

10,9: Und ich sah: Und siehe, vier Räder waren neben den Cherubim, je ein Rad neben je einem Cherub. Und das Aussehen der Räder war wie der Anblick eines Türkis-Steines;

… und sein Gesicht wie das Aussehen eines Blitzes …

 

1,13: Und mitten zwischen den lebenden Wesen war ein Schein wie von brennenden Feuerkohlen; wie ein Schein von Fackeln war das, was zwischen den lebenden Wesen hin– und herfuhr; und das Feuer hatte einen Glanz, und aus dem Feuer fuhren Blitze hervor.

… Und seine Augen waren wie Feuerfackeln …

 

1,13: Und mitten zwischen den lebenden Wesen war ein Schein wie von brennenden Feuerkohlen; wie ein Schein von Fackeln war das, was zwischen den lebenden Wesen hin– und herfuhr; und das Feuer hatte einen Glanz, und aus dem Feuer fuhren Blitze hervor.

… und seine Arme und seine Füße wie der Anblick von glatter Bronze …

 

1,7: Und ihre Beine waren gerade Beine und ihre Fußsohlen wie die Fußsohle eines Kalbes; und sie funkelten wie der Anblick von blanker Bronze.

… Und der Klang seiner Worte war wie der Klang einer Volksmenge …



1,24: Und wenn sie gingen, hörte ich das Rauschen ihrer Flügel wie das Rauschen großer Wasser, wie die Stimme des Allmächtigen, das Rauschen einer Volksmenge, wie das Rauschen eines Heerlagers. Wenn sie still standen, ließen sie ihre Flügel sinken.

 

Der Hinweis auf diese Ähnlichkeiten beantwortet aber noch nicht die Frage, um wen es sich bei dem „Mann“ handelt. In 10,19 redet Daniel ihn mit „mein Herr“ an. Außerdem ist von ihm in 12,6-7 die Rede:

(6) Und einer sagte zu dem in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war: Wann ist das Ende dieser außergewöhnlichen Ereignisse? (7 )Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war, und er erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit! Und wenn die Zerschlagung der Kraft des heiligen Volkes abgeschlossen sein wird, wird alles dies vollendet werden.

 

Weil der „in Leinen gekleidet Mann … bei dem, der ewig lebt“ schwört, kann es sich hier nicht um Gott, sondern nur um einen Engel handeln. Daher gehen die meisten Bibelausleger – auch die adventistischen – davon aus, dass auch hier Gabriel gemeint ist (vgl. 8,16; 9,21). Dafür spricht auch, dass er Daniel – wie in 9,23 – als einen „Vielgeliebten“ anredet (10,11: „Und er sprach zu mir: Daniel, du vielgeliebter Mann! …“). Außerdem erfährt der „Mann“  Unterstützung von „Michael“ (10,13: „… Und siehe, Michael, einer der ersten Fürsten, kam, um mir zu helfen …“), was ebenfalls dafür spricht, dass es sich um einen Engel handelt.

 

(7-10) Nur Daniel sieht „die Erscheinung“ – seine Begleiter nicht. Dennoch fällt „ein Gottesschreck … auf die Begleiter, so dass sie fliehen, ohne etwas gesehen zu haben …“ (Plöger, 148). Daniel selbst bricht angesichts der „Erscheinung“ zusammen und ist wie gelähmt. Er hört den „Mann“ sprechen, liegt dabei aber auf seinem „Gesicht“. Nachdem eine „Hand“  – es handelt sich sicher um die Hand des Engels – ihn anrührt und aufrüttelt, erhebt er sich zumindest wieder vom Boden und kommt auf seine „Knie und Handflächen“. Erst nachdem der Engel ihn mit den Worten „Daniel, du vielgeliebter Mann!“ (vgl. 9,23; 10,19) anspricht und ihn bittet aufzustehen, um auf die Worte zu achten, die er Daniel auszurichten hat, richtet er sich auf – wenn auch „zitternd“.

 

 

Nun ist Daniel bereit, die Botschaft des Engels zu hören.

 

 (12) Und er sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel! Denn vom ersten Tag an, als du dein Herz darauf gerichtet hast, Verständnis zu erlangen und dich vor deinem Gott zu demütigen, sind deine Worte erhört worden. Und um deiner Worte willen bin ich gekommen.(13) Aber der Fürst des Königreichs Persien stand mir 21 Tage entgegen. Und siehe, Michael, einer der ersten Fürsten, kam, um mir zu helfen, und ich wurde dort entbehrlich bei den Königen von Persien. (14) Und ich bin gekommen, um dich verstehen zu lassen, was deinem Volk am Ende der Tage widerfahren wird; denn noch gilt das Gesicht für ferne Tage.(15) Und als er in dieser Weise mit mir redete, richtete ich mein Gesicht zur Erde und verstummte.(16) Und siehe, einer, den Menschenkindern gleich, berührte meine Lippen. Und ich öffnete meinen Mund und redete und sprach zu dem, der vor mir stand: Mein Herr, bei der Erscheinung überfielen mich meine Wehen, und ich habe keine Kraft behalten. (17) Und wie kann der Knecht dieses meines Herrn mit diesem meinem Herrn reden? Und ich – von nun an bleibt keine Kraft mehr in mir, und kein Odem ist in mir übrig.(18) Da rührte er, der im Aussehen wie ein Mensch war, mich wieder an und stärkte mich.(19) Und er sprach: Fürchte dich nicht, du vielgeliebter Mann! Friede sei mit dir! Sei stark, ja, sei stark! Und als er mit mir redete, wurde ich stark und sagte: Mein Herr möge reden! Denn du hast mich gestärkt. (20) Da sprach er: Hast du erkannt, warum ich zu dir gekommen bin? Nun aber kehre ich zurück, um gegen den Fürsten von Persien zu kämpfen. Und wenn ich mit ihm fertig geworden bin, siehe, dann wird der Fürst von Griechenland kommen – (21) doch will ich dir mitteilen, was im Buch der Wahrheit aufgezeichnet ist –, und es gibt keinen einzigen, der mir gegen jene mutig beisteht als nur Michael, euer Fürst.


(12-14)
Zunächst erklärt er Daniel, dass er eigentlich unmittelbar „erhört“ worden ist, dass aber der „Fürst des Königsreichs Persien“ ihn 21 Tage lang – also die ganze Zeit der Trauer Daniels über (10,3) – daran  gehindert hat, zu ihm zu kommen. Erst als „Michael, einer der ersten Fürsten“ ihm zu Hilfe kam, wurde er „entbehrlich bei den Königen von Persien“ und konnte sich Daniel zuwenden.

 

Wer ist „Michael“? Nach 12,1 ist er „der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt“ (vgl. 10,21: „… Michael, euer Fürst.“). Er ist also für das Wohl und den Schutz Israels zuständig. Innerhalb der „Hierarchie“ der Engel ist Michael deshalb „einer der ersten“.

 

Aber gegen wen kämpfen der „Mann“ (bzw. Gabriel) und „Michael“ hier? Wer ist der „Fürst des Königsreichs Persien“? Die meisten Bibelausleger gehen davon aus, dass es sich dabei um einen „Völkerengel“ handelt (auch der ABC erwähnt diese Deutung – mit Hinweis auf Aussagen Ellen Whites, ABC IV, 859; anders Shea II, 169f.; Stefanovic, 386, die an „irdische“ Könige denken). Wie Michael für Israel zuständig ist, gibt es auch Engel, die andere Mächte repräsentieren und für sie eintreten.

 

Diese Vorstellung hat sich möglicherweise aus Ps.82 oder 5.Mos.32,8-9 entwickelt:

Ps.82: (1) Ein Psalm. Von Asaf. Gott steht in der Gottesversammlung, inmitten der Götter richtet er. (2) Bis wann wollt ihr ungerecht richten und die Gottlosen begünstigen?  (3) Schafft Recht dem Geringen und der Waise, dem Elenden und dem Bedürftigen lasst Gerechtigkeit widerfahren! (4) Rettet den Geringen und den Armen, entreißt ihn der Hand der Gottlosen! (5) Sie erkennen nichts und verstehen nichts, im Dunkeln laufen sie umher. Es wanken alle Grundfesten der Erde. (6) Ich sagte zwar: Ihr seid Götter, Söhne des Höchsten seid ihr alle! (7) Doch wie ein Mensch werdet ihr sterben, wie einer der Obersten werdet ihr fallen. (8) Stehe auf, o Gott, richte die Erde! Denn du sollst zum Erbteil haben alle Nationen.

 

Die „Götter“, von denen im Psalm die Rede ist, stehen offenbar für die „Nationen“. Gott versammelt sie, kritisiert sie für das Unrecht und kündigt das Gericht an. Der Psalmist selbst ermutigt Gott dazu, weil er „alle Nationen“ zum „Erbteil“ haben soll.

 

In 5.Mos.32 ist davon die Rede, dass Gott die Grenzen der Völker „nach der Zahl der Söhne Israel“ festgelegt hat (5.Mos.32,8-9: (8) Als der Höchste den Nationen das Erbe austeilte, als er die Menschenkinder voneinander schied, da legte er fest die Grenzen der Völker nach der Zahl der Söhne Israel. (9) Denn der Anteil des HERRN ist sein Volk, Jakob das Maß seines Erbteils.). In der Septuaginta (LXX) wird aber abweichend davon gesprochen, dass Gott die Grenzen der Völker „entsprechend der Zahl der Söhne Gottes“ festgelegt hat (5.Mos.32,8-9, LXX-D: (8) Als der Höchste die Völker aufteilte, während er die Kinder Adams zerstreute, legte er die Grenzen der Volksstämme fest entsprechend der Zahl der Söhne Gottes. (9) Und der Anteil des Herrn wurde sein Volk Jakob, Israel der Gebietsanteil seines Erbbesitzes.). Auch hier gibt es also eine Verbindung zwischen den Völkern und den Söhnen Gottes – wobei die Söhne Gottes i.S.v. Engel verstanden werden können.

 

Der Begriff „Fürst“ (śar)kann auch übermenschliche Gestalten meinen:

Dan.8,11: Selbst bis an den Obersten des Heeres wuchs er empor. Und er nahm ihm das regelmäßige Opfer weg, und die Stätte seines Heiligtums wurde gestürzt.

Dan.8,25: Und wegen seines Verstandes wird er erfolgreich sein, mit Betrug in seiner Hand. Und er wird in seinem Herzen großtun, und unversehens wird er viele vernichten. Und gegen den Fürsten der Fürsten wird er sich auflehnen, aber ohne eine Menschenhand wird er zerbrochen werden.

Dan.10,21: doch will ich dir mitteilen, was im Buch der Wahrheit aufgezeichnet ist –, und es gibt keinen einzigen, der mir gegen jene mutig beisteht als nur Michael, euer Fürst.

Dan.12,1: Und in jener Zeit wird Michael auftreten, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt. Und es wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie sie <noch> nie gewesen ist, seitdem irgendeine Nation entstand bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, den man im Buch aufgeschrieben findet.

Josua 5,14-15: (14) Und er sprach: Nein, sondern ich bin der Oberste des Heeres des HERRN; gerade jetzt bin ich gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde und huldigte ihm und sagte zu ihm: Was redet mein Herr zu seinem Knecht? (15) Da sprach der Oberste des Heeres des HERRN zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilig! Und Josua tat es.

 

Wenn nun von einem Kampf der Engel die Rede ist, ist „daran gedacht, dass die Geschicke der Völker irgendwie von dem Geschehen in der himmlischen Sphäre abhängig sind.“ (Porteous, 127). „Dort oben befinden sich die Engel der verschiedenen Völker (…). Diese Engel kämpfen gegeneinander, und ihre Siege oder Niederlagen entscheiden über das Geschick ihres Volkes.“ (Lebram, 125).

 

Diese Aussagen mögen befremden, ihre Pointe ist aber auch heute von Bedeutung:

„Um die Wichtigkeit geschichtlicher Ereignisse herauszustellen und den Glauben an die göttliche Lenkung der Geschichte zu verteidigen, ist der Gedanke eines Streites engelhafter Repräsentanten heute nicht besonders hilfreich, kann aber als Bezeugung der Wahrheit angesehen werden, dass die Menschen nicht sich selbst überlassen sind in den bitten Kämpfen, die einen so großen Teil der Menschheitsgeschichte auszumachen scheinen.“ (Porteous, 127).

 

Nun erklärt der Engel, dass der „Fürst des Königreichs Persien“ ihm „entgegen“ stand. Warum? Aufgrund des Zusammenhangs liegt die Annahme nahe,

„dass die himmlischen Repräsentanten der jeweils herrschenden Weltmächte die Verbindung zwischen der himmlischen Welt und Israel, jetzt repräsentiert durch den Seher Daniel, unterbrechen wollen. Diese Behinderung muss einen besonderen Grund haben, und vermutlich wird er in V. 14 kurz angedeutet; es soll verhindert werden, dass für die Endzeit bestimmte Verlautbarungen an Israel gelangen. Können die Vertreter der Weltmächte bei allen ihren gegenseitigen Konflikten auch den auf die Endzeit zulaufenden himmlischen Plan … nicht aufhalten, so können sie doch erreichen, dass ohne besonderen himmlischen Zuspruch Israels Glaube zersetzt und seine Kraft zum Ausharren gelähmt wird, so dass Israel ausscheiden könnte, bevor jener Plan zur Durchführung kommt, in dem es selbst eine entscheidende Rolle spielen wird.“ (Plöger, 148).

 

Da der Engel diesen Widerstand mit Hilfe Michaels überwinden konnte, ist er nun zu Daniel gekommen, um ihn „verstehen zu lassen“, was seinem Volk „am Ende der Tage widerfahren wird“. Dabei betont er ausdrücklich, dass dieses „Gesicht … für ferne Tage“ gilt – also nicht für seine Zeit, das dritte Jahr des Königs Kyrus (10,1).

 

(15-19) Diese Worte des Engels überwältigen Daniel. Er richtet sein Gesicht zur Erde und verstummt. Daraufhin kommt „einer, den Menschenkindern gleich“ – gemeint ist vermutlich ein menschenähnlich aussehender Engel – und berührt seine Lippen. Das erinnert an Schilderungen aus den Büchern Jesaja und Jeremia:

Jes.6,6: Da flog einer der Seraphim zu mir; und in seiner Hand war eine glühende Kohle, die er mit einer Zange vom Altar genommen hatte.

Jer.1,9: Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an, und der HERR sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.

 

Daraufhin kann Daniel wieder sprechen und er erklärt dem Engel, dass er angesichts der „Erscheinung“ zusammengebrochen ist: „Mein Herr, bei der Erscheinung überfielen mich meine Wehen, und ich habe keine Kraft behalten.“ (vgl. 10,8: „Und ich blieb allein übrig und sah diese große Erscheinung. Und es blieb keine Kraft in mir, und meine Gesichtsfarbe veränderte sich an mir bis zur Entstellung, und ich behielt keine Kraft.“). Wie soll er („der Knecht dieses meines Herrn“) in der Lage sein, mit dem Engel („meinem Herrn“) zu reden?


Daraufhin wird Daniel ein drittes Mal berührt, gestärkt und mit Worten aufgemuntert – wieder von dem, „der im Aussehen wie ein Mensch“ ist (vgl. 10,16). Als „vielgeliebter Mann“ (vgl. 9,23; 10,11) soll er sich nicht fürchten. Daniel empfängt den Friedensgruß und wird aufgerufen, „stark“ zu sein. Und tatsächlich: Noch während der Engel mit ihm redet, wird Daniel „stark“ und bittet den himmlischen Boten, ihm zu sagen, was er ihm zu sagen hat.

 

(10,20-11,1) Der Engel erklärt Daniel, warum er gekommen ist. Er will ihm „mitteilen, was im Buch der Wahrheit aufgezeichnet ist“. Inhalt dieses Buches ist das, was anschließend in 11,2-12,3 geschildert wird. Das „Buch der Wahrheit“ ist also „ein Bericht über zukünftige Ereignisse“ (Porteous, 129). Hintergrund dieser Ausdrucksweise sind möglicherweise „Schicksalstafeln“, die in Babylon weit verbreitet waren, oder Aussagen, die sich später im Talmud finden, wonach am Neujahrstag die Bücher geöffnet und die Schicksale aufgezeichnet werden (hassana 16b).

 

Nach dieser Mitteilung, so der Engel weiter, wird er in den Himmel zurückkehren, um weiter „gegen den Fürsten von Persien zu kämpfen“ (vgl. 10,13). Sobald er „mit ihm fertig geworden“ ist, „wird der Fürst von Griechenland kommen“. Erneut verweist der Engel auf die Unterstützung „Michaels“, des „Schutzengels“ Israels (vgl. 10,13). In diesem Zusammenhang erklärt er Daniel, dass er „im ersten Jahr des Meders Darius“ umgekehrt den Auftrag  hatte, Michael „Helfer und Schutz“ zu sein.

 

 

10.2  Die Wahrheit über die Geschichte bis zum Endes des Königs des Nordens (11,2-45)

 

Zunächst geht es um Könige der Perser, den Aufstieg Alexanders des Großen und den Zerfall seines Großreiches.

 

(2) Und nun will ich dir die Wahrheit mitteilen: Siehe, noch drei Könige werden in Persien aufstehen, und der vierte wird größeren Reichtum erlangen als alle. Und wenn er durch seinen Reichtum mächtig geworden ist, wird er alles gegen das Königreich Griechenland aufbieten. (3) Und ein tapferer König wird aufstehen, und er wird mit großer Macht herrschen und nach seinem Belieben handeln. (4) Aber sobald er aufgetreten ist, wird sein Königreich zertrümmert und nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden. Doch nicht für seine Nachkommen wird es sein und nicht der Macht entsprechend, mit der er geherrscht hat; denn sein Königreich wird zerstört und anderen zuteil werden, unter Ausschluss von jenen.

 

(2) „Die Wahrheit“, also das, „was im Buch der Wahrheit aufgezeichnet ist“(10,21), beginnt damit, dass „noch drei Könige … in Persien aufstehen“ werden, wobei „der vierte … größeren Reichtum erlangen“ wird „als alle“ anderen persischen Könige vor ihm und auf dieser Grundlage „alles gegen das Königreich Griechenland aufbieten“ wird.

 

Als erster König muss Kyrus gelten, der zur Zeit dieser Offenbarung König von Persien ist (10,1). Die drei Könige, die auf seiner Herrschaft folgen, sind demnach:

·         Kambyses II (528-22)

·         Dareios I Hystaspes (521-486)

·         Xerxes I Ahasveros (485-65)

Weil Kyrus mitzuzählen ist, handelt es sich bei dem vierten König um Xerxes I. „Er sammelte in Persien mehr Macht und ‚größeren Reichtum als alle‘. Man kann sagen, dass Persien unter ihm auf dem Gipfel der Machtentfaltung stand. Er fasste auch den Plan, endlich den selbstständigen Staaten der Griechen … den Todesstoß zu versetzen und sie ins persische Weltreich einzugliedern“ (Maier, 374; vgl. Kessler, 163; Porteous, 132; Smith, 230; Shea II, 172; ABC IV, 864. Andere Ausleger deuten den vierten König jedoch auf Artaxerxes III, z.B. Lebram, 177; Plöger, 158).

 

(3-4) Bei dem König, der „mit großer Macht herrschen und nach seinem Belieben handeln“ wird, dessen  „Königreich“ aber „sobald er aufgetreten ist … zertrümmert und nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden“ wird, handelt es sich eindeutig um Alexander den Großen. Das zeigt auch ein Vergleich mit den Aussagen in Daniel 8:

Dan.8,8: Und der Ziegenbock wurde überaus groß. Und als er stark geworden war, zerbrach das große Horn, und vier ansehnliche Hörner wuchsen an seiner Stelle nach den vier Winden des Himmels hin.

Dan.8,21-22: (21) Und der zottige Ziegenbock ist der König von Griechenland. Und das große Horn, das zwischen seinen Augen war, das ist der erste König. (22) Und dass es zerbrach und dass vier andere an seiner Stelle auftraten, bedeutet: vier Königreiche werden aus der Nation aufstehen, aber nicht mit seiner Macht.

 

Auch die dann folgenden Aussagen passen auf Alexander. „Seine Nachkommen“ haben nichts von seinem Großreich abbekommen. „Zwar hinterließ Alexander bei seinem Tod im Jahre 323 v.Chr. einen kleinen Sohn. Dieser wurde jedoch ermordet.“ (Maier, 375). Auch erreichte keiner seiner Nachfolger die „Macht … mit der er geherrscht hat“. Stattdessen ist folgendes geschehen:  „Sein Königreich wird zerstört und anderen zuteil werden“ – und war „unter Ausschluß von jenen“, d.h. den Nachkommen Alexanders.

 

Diese Entwicklung wird auch in den ersten Versen des ersten Makkabäerbuchs beschrieben:

1.Makk.1,1-8 (LB): (1) Alexander, der Sohn Philipps, König von Makedonien, der zuerst über Griechenland herrschte, ist aus dem Lande Kittim ausgezogen und hat Darius, den König der Perser und Meder, geschlagen und wurde König an seiner statt. (2) Er hat viele Kriege geführt, befestigte Städte erobert und die andern Könige der Erde umgebracht (3) und ist immer weitergezogen bis an die Enden der Erde und hat Beute bei vielen Völkern gemacht, und die Erde musste still sein vor ihm. Da wurde er stolz und sein Herz hochmütig. (4) Er brachte eine gewaltige Heeresmacht zusammen und nahm alle Länder und Reiche ein, und sie mussten ihm Tribut zahlen. (5) Dann aber warf ihn eine Krankheit aufs Lager und er merkte, dass er sterben würde. (6) Da rief er seine Hauptleute zu sich, die mit ihm von Jugend auf erzogen worden waren, und teilte sein Reich noch zu seinen Lebzeiten unter sie auf. (7) Darauf starb Alexander, nachdem er zwölf Jahre regiert hatte. (8) Dann übernahmen seine Hauptleute das Reich, jeder in seinem Gebiet. (9) Nach seinem Tod setzten sie sich die Krone auf und regierten mit ihren Nachkommen lange Zeit, und sie vermehrten die Schlechtigkeit auf Erden.

 

Dass zwischen Xerxes I und Alexander ein größere zeitliche Lücke klafft, erklärt sich vermutlich daraus, dass es in der Darstellung von Kapitel 11 um die Verbindung zu Griechenland geht. Sie ist in 11,2 hergestellt; deshalb kann der Rest entfallen.

 

 

Der nächste Abschnitt schildert Auseinandersetzungen zwischen dem „König des Südens“ und dem „König des Nordens“ – bis ein „Verachteter“ an die Macht kommt (11,21).

 

(5) Und der König des Südens wird mächtig werden, aber auch einer von seinen Obersten, und der wird mächtig sein über ihn hinaus und wird herrschen, seine Herrschaft wird eine große Herrschaft sein. (6) Und nach Jahren werden sie sich verbünden; und die Tochter des Königs des Südens wird zum König des Nordens kommen, um ein Abkommen zu treffen. Aber sie wird die Kraft des Armes nicht behalten, und auch er und sein Arm werden nicht bestehen. Und sie wird dahingegeben werden, sie und die sie kommen ließen, und der, der sie gezeugt, und der, der sie zur Frau genommen hat in jenen Zeiten. (7) Und aus dem Spross ihrer Wurzeln steht einer an seiner Stelle auf. Der wird gegen die Heeresmacht kommen und wird in die Festungen des Königs des Nordens eindringen und mit ihnen nach Belieben verfahren und wird sich als mächtig erweisen. (8) Auch wird er ihre Götter samt ihren gegossenen Bildern und ihren kostbaren Geräten, Silber und Gold, nach Ägypten entführen. Und er wird einige Jahre ablassen vom König des Nordens. (9) Und der wird in das Reich des Königs des Südens kommen, aber wieder in sein Land zurückkehren. (10) Aber seine Söhne werden sich zum Krieg rüsten und eine Menge großer Heere zusammenbringen; und sie wird kommen, kommen und überschwemmen und überfluten und wird dann umkehren. Und sie werden sich wieder rüsten zum Vormarsch bis zu seiner Festung. (11) Und der König des Südens wird zornig werden und wird ausziehen und gegen ihn, den König des Nordens, kämpfen. Und er wird eine große Menge Truppen aufstellen, aber die Menge wird in seine Hand gegeben werden. (12) Und wenn die Menge weggenommen wird, wird sein Herz sich erheben; und er wird Zehntausende niederwerfen, aber nicht mächtig bleiben. (13) Und der König des Nordens wird wiederkommen und eine Menge Truppen aufstellen, größer als die frühere; und nach Ablauf der Zeiten, nach Jahren, wird er mit einem großen Heer und mit großer Ausrüstung kommen. (14) Und in jenen Zeiten werden viele gegen den König des Südens aufstehen; und Gewalttätige deines Volkes werden sich erheben, um das Gesicht zu erfüllen, und sie werden zu Fall kommen. (15) Und der König des Nordens wird kommen und einen Wall aufschütten und eine befestigte Stadt einnehmen. Und die Streitkräfte des Südens werden nicht standhalten, selbst sein auserlesenes Volk nicht. Sie werden keine Kraft haben standzuhalten. (16) Und der, der gegen ihn gekommen ist, wird nach seinem Belieben handeln, und niemand kann vor ihm bestehen. Und im Land der Zierde wird er mit seinem Heer stehen, und Vernichtung wird in seiner Hand sein. (17) Und er wird sein Angesicht darauf richten, in den Besitz seines ganzen Reiches zu kommen, und wird mit ihm ein Abkommen treffen, und eine Tochter von seinen Frauen wird er ihm geben, um es zu verderben. Aber das wird keinen Bestand haben, und es wird ihm nicht gelingen. (18) Und er wird sein Angesicht zu den Inseln wenden und viele einnehmen. Aber ein Feldherr wird seinem Schmähen ein Ende machen; mit einem Fluch wird er ihm sein Schmähen zurückzahlen. (19) Und er wird sein Angesicht den Festungen seines Landes zuwenden und wird stürzen und fallen und nicht mehr zu finden sein. (20) Und es wird an seiner Stelle jemand aufstehen, der einen Eintreiber von Abgaben durch die Herrlichkeit des Königreichs ziehen lässt; aber in wenigen Tagen wird er zerschmettert werden, und zwar weder durch Zorn noch durch Krieg.


(5)
In 11,4 wurde gesagt: Das Reich Alexanders des Großen wird „nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden“ – also nach den vier Himmelsrichtungen (vgl. 8,9).

 

„Das Spiel des Ringens um die Vormacht wird in unserem Kapitel an dem Punkte weiterverfolgt, wo es Israel besonders angeht: der König des Südens und der König des Nordens ringen miteinander.“ (Kessler, 164).

 

Beim „König des Südens“ handelt es sich um den in Ägypten herrschenden Ptolemaios I. Soter (323-284). Er kann seine Macht ausbauen und auch Palästina unter seine Kontrolle bringen. Dabei tut sich sein General Seleukos besonders hervor, der dann aber ein eigenes Reich gründet und als Seleukos I. über Syrien und Babylonien herrscht – und deshalb „über ihn [Ptolemaios] hinaus“ mächtig sein wird.

 

(6) Nachdem es unter den Nachfolgern von Ptolemaios I. Soter und Seleukos I. immer wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, wird Mitte des dritten Jahrhunderts v. Chr. der Versuch unternommen, dass „sie sich verbünden“. Dazu begibt sich „die Tochter des Königs des Südens… zum König des Nordens …, um ein Abkommen zu treffen“. Dabei handelt es sich, wie das Ende von Vers 6 zeigt, um einen Akt der Heiratspolitik (vgl. 2,43: „Dass du das Eisen mit lehmigem Ton vermischt gesehen hast: sie werden sich durch Heiraten untereinander vermischen, aber sie werden nicht aneinander haften, so wie sich Eisen mit Ton nicht mischen lässt.“). Berenike, die Tochter von Ptolemaios II., heiratet Antiochus II., der sich dafür von seiner Frau Laodike trennt.

 

Aber der Plan geht nicht auf. Nach dem Tod von Ptolemaios II., dem „König des Südens“,  nähert sich Antiochus II wieder seiner Ex-Frau an, wird aber von ihr aus Rache vergiftet. Seleukos II, der Sohn der Laodike, wird König. Auch Berenike und ihr Sohn werden umgebracht, ebenso ihr ägyptisches Gefolge. Das ist der Hintergrund für den zweiten Teil von Vers 6: „Aber sie wird die Kraft des Armes nicht behalten, und auch er und sein Arm werden nicht bestehen. Und sie wird dahingegeben werden, sie und die sie kommen ließen, und der, der sie gezeugt, und der, der sie zur Frau genommen hat in jenen Zeiten.“

 

(7-9) Nachfolger von der Nachfolger Ptolemaios II. wird Ptolemaios III. – ein Bruder der Bruder der Berenike. Er ist gemeint, wenn davon die Rede ist, dass „aus dem Spross ihrer Wurzeln … einer an seiner Stelle“ – an Stelle von  Ptolemaios II. – aufsteht.

 

Er „wird gegen die Heeresmacht kommen und wird in die Festungen des Königs des Nordens eindringen und mit ihnen nach Belieben verfahren und wird sich als mächtig erweisen“. Zuerst erobert er Seleukia, den Hafen Antiochias, dann Antiochia selbst und schließlich ganz Nordsyrien – und kann die „Götter“ der Seleuikiden  „samt ihren gegossenen Bildern und ihren kostbaren Geräten, Silber und Gold, nach Ägypten entführen“. Anschließend aber beendet Ptolemaios III. die Kämpfe gegen Seleukos II., den „König des Nordens“.

 

Dann aber fällt der „König des Nordens“ in „das Reich des Königs des Südens“ sein, muss dann „aber wieder in sein Land zurückkehren“. Seleukos II. kann Nordsyrien teilweise zurückerobern. Aber als er weiter südwärts nach Palästina vordringt, wird er schon bald von Ptolemaios III. gestoppt und muss den Rückzug antreten.

 

(10-12) Aber „seine Söhne“ sind erfolgreicher. Gemeint sind Seleukos III (226-23) und sein Bruder Antiochus III. (223-187). Sie rüsten sich zum Krieg, stellen „eine Menge großer Heere“ – vermutlich Söldnertruppen – auf und „überschwemmen und überfluten“ die Gebiete, die bisher von den Ptolemäern kontrolliert wurden. „Der Feldzug des Jahres 219 v. Chr. galt der Rückeroberung von Seleukia, dem Hafen von Antiochia, der in ägyptischer Hand war, seitdem er an Ptolemäus Euergetes gefallen war, und galt darüber hinaus der Sicherung der südlichen phönikischen Küste bis Ptolemais (Akko) … Danach wandte er sich nach Osten, marschierte nach Transjordanien und unterwarf es südwärts bis Rabbat-Ammon … All diese militärischen Operationen werden im Text mit einer Flut verglichen.“ (Porteous, 135).

 

Zwar werden die Seleukiden dann „umkehren“, sich aber schon bald „wieder rüsten zum Vormarsch bis zu seiner [Ptolemaios IV.] Festung“.  „Die letzten Worte des 10. Verses scheinen sich auf den Vormarsch des Antiochus im Frühjahr 217 v.Chr. nach Gaza oder Raphia zu beziehen …“ (Porteous, 135). In einem verzweifelten Kampf besiegt Ptolemaios IV. die Truppen des Antiochus, der zwar eine „große Menge Truppen“ aufgestellt hat, die aber trotzdem die Hände von Ptolemaios IV. gegeben werden. Er kann ca. 4.000 Gefangene machen.

 

Dann aber wird Ptolemaios IV. übermütig und verspielt seinen Sieg. Die „in V. 12 erwähnte Überheblichkeit des Ptolemäers zeigte sich auch in der leichtfertigen Lässigkeit, den Sieg vom Jahre 217 ungenutzt zu lassen.“ (Plöger, 160).

 

(13-15) Nach dem Tod Ptolemaios IV. bereitet Antiochus III. einen weiteren Feldzug gegen Ägypten vor und stellt dafür ein noch größeres Heer auf. „Der Zusammenprall der beiden Heere erfolgte in der Nähe der Jordanquellen bei PanionSkopas [Heerführer der Ptolemäer] wurde geschlagen und flüchtete sich mit dem Rest seines Heeres in die Festung Sidon, während die Herrschaft über Palästina endgültig in die Hände des seleukidischen Königs überging, ein Vorgang, der um 198 v.Chr. seinen Abschluss fand.“ (Porteous, 136).

 

In dieser Phase wird der „König des Südens“ durch Aufstände geschwächt. In diesem Zusammenhang, so wird Daniel durch den Engel erklärt, werden sich auch „Gewalttätige deines Volkes … erheben“ – also bestimmte Kreise Israels, die ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen wollen. Das „kann sich wohl nur auf die politischen Pläne der ‚Gewaltmenschen‘ beziehen, die nach einer langen Zeit politischer Unselbständigkeit durch einen Anschluss an Antiochus politisch wieder ins Spiel kommen möchten …“ (Plöger, 161).

 

Sie werden durch ihr Verhalten „das Gesicht … erfüllen“. Gemeint ist vermutlich, „dass jene, ohne es zu wissen, durch ihr Auftreten die Erfüllung der im Buche Daniel enthaltenen Weissagung und damit ihr eigenes Ende herbeiführen. Sie schwächen nämlich dadurch die ägyptische Herrschaft und arbeiten so der syrischen Besitzergreifung Palästinas in die Hand.“ (Kessler, 167).

 

Ab Vers 14 beziehen adventistische Bibelausleger die Aussagen auf andere Ereignisse als die übrigen Bibelwissenschaftler. Erkenntnisleitendes Interesse ist dabei, dass die Prophezeiungen sich nicht allein auf die Diadochenzeit beziehen, sondern das römische Weltreich gemeint ist:

„Beginning with this verse, interpretations of the remainder of the chapter differ widely. One group of commentators considers that vs. 14–45 continue to narrate the subsequent history of the Seleucid and Ptolemaic kings. Others hold the view that with v. 14 the next great world empire, Rome, enters the scene, and that vs. 14–35 sketch the course of that empire and of the Christian church. (ABC IV, 868)

(Beginnend mit diesem Vers sind die Interpretationen des restlichen Kapitels sehr unterschiedlich. Eine Gruppe von Kommentatoren ist der Ansicht, dass die nachfolgende Geschichte der Seleukiden und Ptolemäer weiter erzählt wird. Andere vertreten die Ansicht, dass mit V. 14 das nächste große Weltreich, Rom, in Erscheinung tritt, und dass V. 14-35 den Verlauf dieses Reiches und der christlichen Kirche skizziert.).

Adventistische Bibelausleger haben Vers 14 auf die Römer bezogen, die 63 v. Chr. die Juden ihrer Unabhängigkeit beraubten und 70 und 135 n.Chr. den Tempel und die Stadt Jerusalem zerstörten (ABC IV, 869). Shea bezieht die Aussage „sie werden zu Fall kommen“ auf die Niederlage von Antiochus IV. (Shea II, 179).

 

In Vers 15 geht es nach vorherrschender Meinung der Bibelausleger wieder um die militärischen Erfolge von Antiochus III. Nach der Niederlage der Ptolomäer zieht sich dessen Heerführer mit den Resten seiner Armee nach Sidon zurück. Aber die Festung wird belagert und nach Aufschüttung eines Walls schließlich erobert. Selbst die Elitentruppen der „Streitkräfte des Südens“ haben dem nichts entgegenzusetzen.

 

Einige adventistische Bibelausleger folgen dieser Deutung (ABC IV, 869; Stefanovic, 418). Shea bezieht diese Aussagen auf eine Militäraktion von Antiochus IV. im Jahr 169 v.Chr. (Shea II, 179).

 

(16) Antiochus III., der „gegen“ den König des Südens „gekommen ist“, „wird nach seinem Belieben handeln, und niemand kann vor ihm bestehen“. Es gibt keinen Widerstand mehr gegen ihn. Auch „im Land der Zierde“, also in Israel (vgl. 8,9; 11,41.45), wird er „mit seinem Heer stehen“ und alle Gegner ausschalten.

 

Adventistische Bibelausleger beziehen diese Aussage i.d.R. auf die Eroberung Palästinas durch die Römer unter der Führung von Pompejus im Jahre 63 v. Chr. (Smith, 243; ABC IV, 869).

 

(17) Dann versucht Antiochus III., das ganze Reich des Königs des Südens unter seine Kontrolle zu bringen. Dazu wird er „mit ihm ein Abkommen treffen, und eine Tochter von seinen Frauen wird er ihm geben, um es zu verderben“. Antiochus III. verheiratet seine Tochter Kleopatra mit Ptolemaios V. (vgl. 11,6; Dan.2,43) und hofft, dadurch in Ägypten Einfluss nehmen zu können. Aber „das wird keinen Bestand haben, und es wird ihm nicht gelingen“ – weil Kleopatra die Partei ihrer neuen Heimat ergreift.

 

Adventistische Bibelausleger beziehen diese Aussagen i.d.R. auf den Versuch der Römer, im 1. Jh. Kontrolle über Ägypten zu gewinnen und auf die Geschichte von Caesar und Kleopatra (Smith, 245ff.; Shea II, 181; Stefanovic, 418).

 

(18-19) Ein Fehlschlag wird auch sein Feldzug gegen die „Inseln“. „Antiochus versuchte …, sich einen möglichst großen Teil der Ostküste des Ägäischen Meeres zu sichern, wobei er auf den Widerstand von Rhodos und Pergamon stieß, die beide mit Rom verbündet waren.“ (Porteous, 137). Ein „Feldherr wird seinem Schmähen ein Ende machen“. Er unterliegt dem römischen Heerführer Lucius Scipio – und muss hohe Tribute aufbringen, Kleinasien räumen und Geiseln nach Rom schicken, darunter seinen Sohn, den späteren Antiochus IV.

 

Um die Tributleistungen zu erbringen, muss er sich „den Festungen seines Landes zuwenden“ – also die eigenen Städte bzw. Tempel plündern. „So schließt die Darstellung über Antiochus III. mit einer beschämenden Szene ab. Der König muss mit Gewalt die reichen Städte und kapitalkräftigen Tempel seines Reiches konfiszieren, um den drückenden Friedensvertrag kompensieren zu können; bei einem solchen Unternehmen findet er in Elam, also weit im Osten seines Reiches, einen unrühmlichen Tod (…).“ (Plöger, 162).

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen auf Kriege von Julius Caesar (Smith, 248; Shea II, 182; ABC IV, 870) und seine Ermordung (Smith, 249; Shea II, 182; ABC IV, 870).

 

(20) Nach dem Tod von Antiochus III. „wird an seiner Stelle jemand aufstehen, der einen Eintreiber von Abgaben durch die Herrlichkeit des Königreichs ziehen lässt“. Gemeint ist Seleukos IV. Philopater, der seinen Minister Heliodor losschickt, um Abgaben einzutreiben, damit der Tribut für die Römer beglichen werden kann (vgl. 2.Makk.3). Er wird aber „in wenigen Tagen … zerschmettert werden“. Diese Aussage wird i.d.R. darauf bezogen, dass Seleukos IV. von Heliodor ermordet wird.

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen i.d.R. auf Kaiser Augustus und die von ihm durchgeführte Volkszählung (Lk.2,1) als Grundlage für das Eintreiben von Steuern (Smith, 249; Shea II, 182f.; ABC IV, 870; Stefanovic, 419).

 

 

Anstelle von Seleukos IV. wird „ein Verachteter aufstehen“ und den Kampf gegen die Ptolemäer in Ägypten fortsetzen.


(21) Und an seiner Stelle wird ein Verachteter aufstehen, auf den man nicht die Würde des Königtums legen wird; und er wird unversehens kommen und sich durch Heucheleien des Königtums bemächtigen. (22) Und die heranflutenden Streitkräfte werden vor ihm weggeschwemmt und zertrümmert werden, ja sogar ein Fürst des Bundes. (23) Denn nachdem er sich mit ihm verbündet hat, wird er betrügerisch handeln und wird hinaufziehen und mit wenig Volk Macht gewinnen.(24) Unversehens wird er in die fetten Gegenden einer Provinz eindringen und tun, was weder seine Väter noch die Väter seiner Väter getan haben: Raub und Plündergut und Besitz wird er ihnen austeilen, und gegen Festungen plant er seine Anschläge, doch nur eine Zeitlang. (25) Und mit einem großen Heer wird er seine Kraft und seinen Mut gegen den König des Südens aufbieten. Und auch der König des Südens wird sich mit einem großen und überaus starken Heer zum Krieg rüsten. Aber er wird nicht standhalten, denn man wird Anschläge gegen ihn planen. (26) Und die, die seine Tafelkost essen, werden ihn zerbrechen; und sein Heer flutet auseinander, und viele werden erschlagen fallen. (27) Und die beiden Könige: ihre Herzen werden auf Bosheit bedacht sein, und an einem Tisch werden sie Lügen reden. Aber es wird nicht gelingen, denn das Ende verzögert sich noch bis zur bestimmten Zeit. (28) Und er wird mit großem Reichtum in sein Land zurückkehren, und sein Herz wird gegen den heiligen Bund gerichtet sein; und er wird entsprechend handeln und in sein Land zurückkehren. (29) Zur bestimmten Zeit wird er wieder nach Süden ziehen, aber es wird beim zweiten Mal nicht so sein wie beim ersten Mal. (30a) Denn Schiffe aus Kittim werden gegen ihn kommen. Und er wird verzagen und umkehren;

 

(21) Nach dem Tod seines Bruders, Seleukos IV., kommt Antiochus IV. an die Macht. Ein „Verachteter“ wird er genannt, weil er von Geburt an nicht die „Würde des Königtums“ besitzt, sondern „unversehens“ an die Macht kommen bzw. sich „durch Heucheleien des Königtums bemächtigen“ wird.

 

„Die Sachlage war folgende: Antiochus, Bruder des Seleukos IV., lebte als Geisel in Rom. Nachfolger des Seleukus wäre rechtmäßig sein Sohn Demetrius gewesen; Seleukos aber tauschte seinen Bruder gegen seinen Sohn aus. Als sich Antiochus auf der Rückreise von Rom nach Athen befand, erreichte ihn die Kunde von der Ermordung seines Bruders. Daraufhin begab er sich eiligst nach Syrien, überwältigte Heliodor, den Mörder seines Bruders, und wurde zum König ausgerufen.“ (Kessler, 168).

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen i.d.R. auf Kaiser Tiberius (Smith, 250; Shea II, 183; ABC IV, 870; Stefanovic, 419).

 

(22-24) Mächte, die sich ihm in den Weg stellen, werden beseitigt (zum Bild von Flut und Überschwemmung vgl. 11,10: „Aber seine Söhne werden sich zum Krieg rüsten und eine Menge großer Heere zusammenbringen; und sie wird kommen, kommen und überschwemmen und überfluten und wird dann umkehren. Und sie werden sich wieder rüsten zum Vormarsch bis zu seiner Festung.“ vgl. auch 11,40).

 

Das betrifft sogar einen „Fürst des Bundes“. Der König wird sich erst mit ihm verbünden, dann aber „betrügerisch handeln“. Die meisten Bibelausleger denken hier, wie in 9,26 („… wird ein Gesalbter ausgerottet werden …“) an die Auseinandersetzungen um das Amt des Hohepriesters. In 2.Makk.4,7ff. wird berichtet, dass sich der griechenfreundliche Jason das Amt von Antiochus IV. erschlich bzw. erkaufte, aber drei Jahre später von seinem Bruder Meleaus abgelöst wurde, der dem König einen höheren Preis für das Amt zahlte (2.Makk.4.23-29).

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussage auf die Kreuzigung Jesu während der Herrschaft des Tiberius (Smith, 253; Shea II, 183f.; ABC IV, 870; Stefanovic, 419).

 

Außerdem wird Antiochus nach Jerusalem „hinaufziehen und mit wenig Volk Macht gewinnen“. Dieser kurze Satz geht nicht in die Einzelheiten, sondern „spricht nur allgemein davon, wie Antiochus mit einer kleinen Schar von Anhängern aufbrach und mit Hilfe der pergamenischen Verbündeten die Herrschaft errang, fast noch ehe die Leute recht begriffen, was vorging.“ (Porteous, 139).

 

Unter adventistischen Bibelauslegern gibt es dazu keine einheitliche Meinung:

„Some commentators have suggested that here Daniel goes back in point of time to the league of assistance and friendship arranged between the Jews and the Romans in 161 b.c. (see Josephus Antiquities xii. 10. 6) … Others, who hold to the chronological continuity of the prophetic narrative of ch. 11, find a reference here to the Roman policy of arranging what today would be called mutual assistance pacts, as, for example, the league of assistance and friendship with the Jews.” (ABC IV, 870f.)

(Einige Kommentatoren haben vorgeschlagen, dass Daniel hier auf die Liga der Hilfe und Freundschaft zwischen den Juden und den Römern im Jahre 161 v. Chr. zurückgreift (siehe Josephus Altertümer XII. 10. 6) … Andere, die an der chronologischen Kontinuität der prophetischen Erzählung von Kap. 11 festhalten, finden hier eine Bezugnahme auf die römische Politik der Gestaltung dessen, was man heute als gegenseitige Hilfspakte bezeichnen würde, wie zum Beispiel die Liga der Hilfe und Freundschaft mit den Juden.)

 

Vers 24 schildert, dass der König „in die fetten Gegenden einer Provinz“ eindringt. Er tat das vermutlich mit der Absicht, sie auszunehmen. Jedenfalls wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er seinen Unterstützern „Raub und Plündergut und Besitz“ austeilt. Außerdem „plant er Anschläge“ gegen „Festungen“. Mit „Festungen“ sind hier vermutlich Tempel gemeint (11,19.31.38f.).

 

Abschließend wird darauf hingewiesen, dass diese Politik „nur eine Zeitlang“ anhalten wird (vgl. 11,33). Diese Worte drücken die „Zuversicht aus, … dass nämlich, so mächtig und erfolgreich dieser seltsame und rätselhafte Tyrann auch ist, seinem Wirken eine Grenze gesetzt ist – von Gott.“ (Porteous, 139).

 

Auch zu Vers 24 gibt es unter adventistischen Bibelauslegern keine einheitliche Meinung. Einige glauben, dass es sich bei der Aussage „nur eine Zeitlang“ um eine Zeitangabe handelt – um ein Jahr, das aus 360 Tagen besteht, die nach dem Jahr-Tag-Prinzip auf 360 Jahre gedeutet werden müssen und sehen in den Ereignissen einen Hinweis auf den Zeitraum, in dem die Stadt Rom als Sitz des Reiches weiterbestehen würde (Smith, 260; ABC IV, 871). Andere beziehen diesen Vers auf Aktivitäten des päpstlichen Rom (Shea II, 189) bzw. die Kreuzzüge (Shea II, 190-198).

 

(25-28) Die folgenden Verse werden allgemein auf den ersten Feldzug des Antiochus gegen Ägypten bezogen. Er wird „mit einem großen Heer … seine Kraft und seinen Mut gegen den König des Südens aufbieten“. Auch der „König des Südens“, gemeint ist Ptolemaios VI., „wird sich mit einem großen und überaus starken Heer zum Krieg rüsten“. Er kann aber „nicht standhalten“. Diese Aussage kann sich darauf beziehen, dass er gegen Antiochus chancenlos ist, Antiochus zum Herrn über Ägypten wird und er sein Vasall. Möglicherweise ist auch gemeint, dass er den Anschlägen, die von seinen eigenen Leuten, „die seine Tafelkost essen“, gegen ihn geplant werden, nicht standhält.

 

Die Verse 25 und 26 können so verstanden werden,

„dass im Jahre 169 zunächst der Ptolemäer losgeschlagen hat, der erfolgreiche Gegenschlag des Antiochus dann zur Eroberung von Pelusium und Memphis führte, wobei der junge König Ptoleäus VI. Philometer, ein Neffe des Antiochus, in die Gewalt seines Oheims fiel und mit einer Art Protektorat des Seleukiden über Ägypten einverstanden war. Da rebellierte Alexandrien gegen diese Abmachung und ersetzte den König durch seinen jüngeren Bruder …“ (Plöger, 163f.).

 

Dementsprechend geht es in Vers 27 darum, dass sich Antiochus und Ptolemaios VI. „an einen Tisch“ setzen, aber Ptolemaios VI insgeheim bereits mit seinem Bruder Ptolemaios VII verhandelt, um sich gemeinsam mit ihm des Antiochus entledigen zu können – und sie in diesem Sinne „Lügen reden“.

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen i.d.R. entweder auf den Kampf zwischen Augustus und Antonius (Smith, 257ff.; ABC IV, 871), Machtkämpfe in den letzten Jahren der Herrschaft von Diokletian (ABC IV, 871f.) oder die Kreuzzüge (Shea II, 190-198).

 

Obwohl er sein Ziel, die Herrschaft über Ägypten zu erlangen, nicht erreicht, wird Antiochus „mit großem Reichtum in sein Land zurückkehren“. Auf seinem Rückzug wird „sein Herz … gegen den heiligen Bund gerichtet sein“ und „er wird entsprechend handeln“. Das entspricht dem Bericht in 1.Makk.1,16-28, der vom ersten Feldzug des Antiochus berichtet und beschreibt, dass er auf dem Rückweg den Jerusalemer Tempel plünderte, ein Blutbad anrichtete und gotteslästerliche Reden hielt.

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen i.d.R. entweder auf die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n.Chr. (Smith, 262; ABC IV, 872), die Bekehrung Konstantins (ABC IV, 872) oder die Kreuzzüge (Shea II, 190-198).

 

(29-30a) „Zur bestimmten Zeit“ (vgl. 11,35) unternimmt Antiochus einen neuen Anlauf, um die Herrschaft über Ägypten zu gewinnen. Dieser Versuch wird aber nicht so erfolgreich sein wie der erste, weil „Schiffe aus Kittim … gegen ihn kommen“ werden. Gemeint sind die Römer (die LXX übersetzt sogar: „Und die Römer werden kommen …“).

 

Höhepunkt dieser Ereignisse ist folgende Szene:

„Eine römische Gesandtschaft unter Führung des Gaius Popilius Laenas forderte Antiochus zum Rückzug auf. Inzwischen hatten nämlich die Römer im Juni 168 v.Chr. den Mazedoniern bei Pydna eine entscheidende Niederlage beigebracht und fühlten sich schon als die Herren des Ostens. Als Antiochus Bedenkzeit ergab, zog Popilius Laenas im Sand um Antiochus einen Kreis und sagte: ‚Hier entscheide dich!‘ Zähneknirschend musste Antiochus vor den gefürchteten Römern weichen und den Rückzug antreten.“ (Maier, 394f.).

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen i.d.R. entweder auf barbarischen Horden, die das Weströmische Reich überfielen und zerschlugen (Smith, 264; ABC IV, 873) oder die Kreuzzüge (Shea II 190-198).

 

 

Nun richtet sich der Kampf des Königs in voller Härte gegen Israel.

 

(30b) er wird umkehren und sein Augenmerk auf die richten, die den heiligen Bund verlassen. (31) Und Streitkräfte von ihm werden dastehen; und sie werden das Heiligtum, die Bergfeste entweihen und werden das regelmäßige Opfer abschaffen und den verwüstenden Greuel aufstellen. (32) Und diejenigen, die sich am Bund schuldig machen, wird er durch glatte Worte zum Abfall verleiten. Aber das Volk, das seinen Gott kennt, wird sich stark erweisen und entsprechend handeln. (33) Und die Verständigen des Volkes werden die Vielen unterweisen; aber sie werden stürzen durch Schwert und Flamme, durch Gefangenschaft und Beraubung – eine Zeitlang. (34) Und während sie stürzen, wird ihnen mit einer kleinen Hilfe geholfen werden. Doch viele werden sich ihnen heuchlerisch anschließen. (35) Und von den Verständigen werden einige stürzen, damit unter ihnen geläutert und geprüft und gereinigt werde bis zur Zeit des Endes. Denn es verzögert sich noch bis zur bestimmten Zeit. (36) Und der König wird nach seinem Belieben handeln, und er wird sich erheben und sich groß machen gegen jeden Gott, und gegen den Gott der Götter wird er unerhörte Reden führen. Und er wird Erfolg haben, bis die Verfluchung vollendet ist, denn das Festbeschlossene wird vollzogen. (37) Und selbst auf den Gott seiner Väter wird er nicht achten, und weder auf den Schatz der Frauen noch auf irgendeinen Gott wird er achten; sondern er wird sich über alles erheben. (38) Und statt dessen wird er den Gott der Festungen ehren. Und den Gott, den seine Väter nicht gekannt haben, wird er mit Gold und mit Silber und mit Edelsteinen und mit Kostbarkeiten ehren. (39) Und er wird gegen die starken Festungen vorgehen mit einem fremden Gott. Wer ihn anerkennt, dem wird er viel Ehre erweisen. Und er wird solchen Leuten Herrschaft verleihen über die vielen und ihnen das Land zum Lohn austeilen.


(30-31)
Auf seinem Rückzug wird er „den heiligen Bund verfluchen und entsprechend handeln“ (vgl. 11,28: „Und er wird mit großem Reichtum in sein Land zurückkehren, und sein Herz wird gegen den heiligen Bund gerichtet sein; und er wird entsprechend handeln und in sein Land zurückkehren.“). Dabei wird er „sein Augenmerk auf die richten, die den heiligen Bund verlassen“ – also die Gruppen des Judentums unterstützen, die sich von ihrem Glauben distanzieren (vgl. 11,32: … die sich am Bund schuldig machen …)

 

Auch zu Vers 30b gibt es unter adventistischen Bibelauslegern keine einheitliche Meinung. Einige sehen darin das Auftreten germanischer Stämme mit einem arianischen Glaubensbekenntnis (Smith, 265), das Wirken Kaiser Justinians (Smith, 265) bzw. Bemühungen des Papsttums, die Heilige Schrift zu unterdrücken bzw. den Gläubigen zu verfolgen (ABC IV, 873). Andere beziehen diesen Vers auf die Kreuzzüge (Shea II, 190-198)

 

Damit sind konkrete Maßnahmen verbunden: „sie werden das Heiligtum, die Bergfeste [wörtlich: die Festung] entweihen und werden das regelmäßige Opfer abschaffen und den verwüstenden Greuel aufstellen“.

 

Das entspricht den Aussagen von Dan.8:

Dan.8,11-13: (11) Selbst bis an den Obersten des Heeres wuchs er empor. Und er nahm ihm das regelmäßige Opfer weg, und die Stätte seines Heiligtums wurde gestürzt. (12) Und ein Opferdienst wurde verbrecherisch gegen das regelmäßige Opfer eingerichtet. Und das Horn warf die Wahrheit zu Boden, und hatte Erfolg. (13) Und ich hörte einen Heiligen reden. Und es sprach ein Heiliger zu jemandem – dem Redenden nämlich –: Bis wann gilt das Gesicht von dem regelmäßigen Opfer und von dem entsetzlichen Verbrechen, dass sowohl das Heiligtum als auch der Opferdienst zur Zertretung preisgegeben sind?

 

Es handelt sich um die Ereignisse, die in 1.Makk.1,29-64 berichtet werden und die folgendermaßen zusammengefasst werden können:

Apollonius, der Steuereintreiber des Antiochus, fällt an einem Sabbat über Jerusalem her, plündert die Stadt, legt Brände, tötet viele Einwohner, reißt die Stadtmauern nieder, befestigt die Davidsburg, woraus die sog. Akra entsteht, legt eine Besatzung dorthin und nimmt viele Gefangene mit. Doch das Schlimmste kam erst noch. Ein Edikt des Antiochus befahl, dass alle zu einem Volk werden sollten, verbot das tägliche Opfer (Tamid), hob die Sabbate und Feste auf, verbot auch die Beschneidung, bestraften den Besitz der heiligen Schriften mit dem Tode und ordnete Bachus (griech. Weingott)-Feste an. Die Gesetzbücher wurden verbrannt. Und am 15. Kislew (Dezember) setzte man eine kleine Platte auf den bisherigen Brandopferalter auf, weiht den heiligen Tempel dem griechischen Gott Zeus und schlachtete auf der neuen Altarplatte die in 3 Mo 11 verbotenen Schweine. Das Schlimmste daran war, dass ein Teil der Judenschaft und der Priester mitmachte.“ (Maier, 395f.).

 

Unter adventistischen Ausleger wird die Entweihung des Heiligtums und der Bergfeste unterschiedlich gedeutet:

Some understand them to apply to the city of Rome, the seat of power in the ancient world, and thus “the sanctuary of strength.” Accordingly, the destructive attacks of barbarian powers are foretold. Others believe that the heavenly sanctuary is the subject under consideration here …” (ABC IV, 873) .

(Manche verstehen, dass sie sich auf die Stadt Rom, den Sitz der Macht in der Antike, und damit ‚das Heiligtum der Kraft‘ beziehen. Dementsprechend werden die zerstörerischen Angriffe der barbarischen Mächte vorhergesagt. Andere glauben, dass das himmlische Heiligtum das Thema ist, um das es hier geht …)

 

Gleiches gilt für die Abschaffung des regelmäßigen Opfers. Smith bezieht es auf die Beseitigung des Heidentums im Jahre 508 (Smith, 266), während Shea diese Aussage auf die katholische Lehre bezieht,  nach der „nur ihr Heer (… d.h. die Priesterschaft) … die Verdienste, die durch das Wirken des himmlischen Hohenpriesters erworben werden, an die Menschen austeilen.“ könne  (Shea II, 200; vgl. ABC IV, 873).

 

Auch zum „verwüstenden Greuel gibt es unterschiedliche Auffassungen. Smith deutet ihn auf das Papsttum (Smith, 271), Shea auf das Bündnis von Kirche und Staat (Shea II, 200).

 

(32-35) In den folgenden Versen geht es um Vorgänge innerhalb des Volkes, das von diesen Maßnahmen betroffen ist bzw. um die unterschiedlichen Reaktionen und Gruppen.

 

Da sind zum einen „diejenigen, die sich am Bund schuldig machen“. In 11,30 werden sie als solche bezeichnet, „die den heiligen Bund verlassen“.  Der König wird sie „durch glatte Worte zum Abfall verführen“. Es handelt sich also um Personen, die ihren bisherigen Glauben verlassen und die sich auf die Religionspolitik des Königs einlassen.

 

Fast alle Bibelwissenschaftler denken hier an die Juden, die sich Mitte des zweiten Jahrhunderts dem Hellenismus geöffnet haben und von denen es in ersten Makkabäuerbuch heißt:

1.Makk.1,11-15 (LB):  (11) Zu dieser Zeit traten in Israel frevelhafte Leute auf; die überredeten viele und sagten: Lasst uns ein Bündnis mit den Völkern ringsum schließen; denn wir haben viel leiden müssen seit der Zeit, da wir uns von den Völkern abgesondert haben. (12) Diese Meinung gefiel ihnen gut. (13) Und einige aus dem Volk entschlossen sich, zum König zu gehen; der gestattete ihnen, heidnische Lebensweisen einzuführen. (14) Da richteten sie in Jerusalem ein Gymnasion her, wie es auch die Heiden hatten, (15) ließen ihre Vorhaut wieder herstellen und fielen vom heiligen Bund ab, passten sich den andern Völkern an und gaben sich dazu her, allen Lastern zu frönen.

1.Makk.1,41-52 (LB): (41) König Antiochus erließ ein Gebot für sein ganzes Reich, dass alle zu einem Volk werden (42) und ihre Gesetze aufgeben sollten. Und alle Völker willigten in das Wort des Königs ein. (43) Und auch viele aus Israel willigten ein und opferten den Götzen und entweihten den Sabbat. (44) Auch sandte Antiochus Boten mit Briefen nach Jerusalem und in alle Städte Judäas; in ihnen gebot er, die Gebräuche der Heiden anzunehmen, (45) die Brandopfer, Speisopfer und Sündopfer im Heiligtum einzustellen, Sabbate und andere Feste abzuschaffen, (46) das Heiligtum und das heilige Volk Israel zu entheiligen, (47) Altäre, Tempel und Heiligtümer für die Götzen zu errichten, Schweine und andere unreine Tiere zu opfern. (48) Auch die Beschneidung ihrer Söhne verbot er. So brachte er die Leute dazu, sich in allem mit Unreinheit und Gräuel zu beflecken, (49) damit sie Gottes Gesetz vergäßen und alle seine Rechtsordnungen abschafften. (50) Und wer dem König Antiochus nicht gehorsam wäre, der sollte sterben. (51) Dies Gebot ließ er ausgehen durch sein ganzes Königreich und setzte Aufseher ein, die das ganze Volk zwingen sollten, dies zu halten. Den Städten Judäas befahlen sie zu opfern, Stadt für Stadt. (52) Viele aus dem Volk schlossen sich denen an, die das Gesetz verlassen hatten, und trieben ihr Unwesen im Lande. 

 

Auf der anderen Seite steht „das Volk, das seinen Gott kennt“. Es wird sich in dieser Situation als „stark erweisen und entsprechend handeln“.

 

Dazu tragen auch die „Verständigen des Volkes“ bei, weil sie „die Vielen unterweisen“. Von ihnen heißt es in 12,3, dass sie „die vielen zur Gerechtigkeit gewiesen haben“. Unklar ist, ob es sich bei den „Verständigen“ um einen besonderen Berufsstand handelt. Anzunehmen ist aber, dass sie über die Fähigkeit verfügen, das Volk im Gesetz zu unterrichten und ihm aufzuzeigen, worauf es daher angesichts der aktuellen Herausforderungen ankommt.

 

Das bedeutet aber nicht, dass „die Vielen“ bewahrt werden. Im Gegenteil: „… sie werden stürzen durch Schwert und Flamme, durch Gefangenschaft und Beraubung.“ „Diese Bewegung derer, die ihren Gott kennen, steht unter Druck und Gewalt; das niederhaltende Trommelfeuer von Gewaltmaßnahmen (…) liegt schwer auf Ihnen, so dass mancher ‚dahinfällt‘ in diesem Kampf mit ungleichen Mitteln.“ (Kessler, 171).

 

Das Martyrium des Volkes zur Zeit des Antiochus wird in 1.Makk.1,31-38 ausführlich beschrieben:

(31) Und er plünderte die Stadt, steckte sie in Brand und riss die Häuser und Mauern ringsum nieder. (32) Die Feinde führten Frauen und Kinder weg und raubten das Vieh. (33) Sie befestigten die Stadt Davids mit starken Mauern und Türmen, und machten sie zu ihrer Burg. (34) Dann legten sie eine heidnische Besatzung dorthin, frevelhafte Leute, deren Zahl immer größer wurde. (35) Sie brachten Waffen und Vorräte hinein, und was sie in der Stadt Jerusalem zusammenrafften, brachten sie auf die Burg; damit wurden sie zu einer großen Gefahr. (36) So entstand eine ständige Bedrohung für das Heiligtum und eine schlimme Bedrängnis für Israel. (37) Sie entweihten das Heiligtum und vergossen viel unschuldiges Blut ringsum. (38) Da flohen die Bürger Jerusalems ihretwegen. Die Fremden aber blieben in der Stadt, sodass sie denen fremd wurde, die in ihr geboren waren, und ihre Kinder sie verließen.

 

Tröstend ist der Hinweis, dass dies nur „eine Zeitlang“ andauern wird (vgl. 11,24). Außerdem wird dem Volk während dieser Zeit „mit einer kleinen Hilfe geholfen werden“. Der zweite Teil von Vers 34 zeigt, dass es sich um eine Bewegung handelt, der man sich „anschließen“ kann.

 

Ist hier die von den Makkabäern geführte Widerstandsbewegung gemeint  (Plöger, 165)? Dann wäre gemeint: „Er will nicht undankbar in Abrede stellen, dass dieser mit äußerer Gewalt geführte Kampf eine kleine Hilfe, eine Erleichterung für die Gemeinde in der Zeit des bösen Drucks ist, aber er warnt davor, diesen Kampf als entscheidende Hilfe anzusehen … Seine Hoffnung bleibt offenbar allein auf Gott gerichtet.“ (Kessler, 172). Es kann aber auch an eine breitere Volksbewegung unter der Führung der „Verständigen“ gedacht sein.

 

Fest steht, dass viele „sich ihnen heuchlerisch anschließen werden“. Gemeint ist vermutlich: Daniel

„sieht also, wie es … Mode wird, sich in diese neue Freiheitsfront einzuordnen, wie man nun, da man auch den äußeren Erfolg auf Seiten der Freiheitskämpfer wittert, sich ‚heuchlerich‘ auf diese Seite schlägt, ohne wirklich inneres Verständnis zu haben für die religiösen Beweggründe, aus denen die Bewegung ursprünglich erwachsen ist. In solchen Leuten sieht er einen höchst unerwünschten Zuwachs für das Volk derer, die ihren Gott kennen.“ (Kessler, 172).

 

Deshalb handelt es sich bei der Bewegung unter der Führung der „Verständigen“ wahrscheinlich um eine Bewegung, die „zwar in ihrer Gesetzestreue verharrte und das Martyrium, zu erdulden bereit war, sich aber zur Teilnehme am aktiven Widerstand nicht entschließen konnte“. Wenn diese Annahme richtig ist,

„wird mit den Weisen vielleicht an eine extrem eschatologische Richtung … gedacht sein, der sich der Verfasser selbst zurechnet; in ihr sieht er das wahre Israel verkörpert, das in passivem Ausharren dem Handeln seines Gottes nicht vorgreifen will, um so glühender aber dieses Eingreifen erwartet, das mit der Vernichtung des Antiochus zugleich das Ende der Zeit eröffnet.“ (Plöger, 165).

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen über „das Volk, das seinen Gott kennt“ i.d.R. auf die treuen Gläubigen in mittelalterlicher Zeit, wie die Waldenser, Albigenser und Hugenotten (Smith, 274f.; ABC IV, 874; Stefanovic, 420). Vers 33 wird auf die Verfolgungen in mittelalterlicher Zeit gedeutet (Smith, 275; Shea II, 201; ABC IV, 874). Die „kleine Hilfe“ sieht man in den deutschen Staaten, die die Reformation unterstützen (Smith, 275; ABC IV, 874) und den heuchlerischen Anschluss an die Bewegung in der Halbherzigkeit, mit der die deutschen Staaten die Reformation fördern (Smith, 275).

 

Auch von den „Verständigen“ selbst „werden einige stürzen“. Mit diesem Sturz ist nicht der Abfall von Glauben gemeint; der Begriff „stürzen“ beschreibt vielmehr eine Niederlage:

Dan.11,14: Und in jenen Zeiten werden viele gegen den König des Südens aufstehen; und Gewalttätige deines Volkes werden sich erheben, um das Gesicht zu erfüllen, und sie werden zu Fall kommen.

Dan.11,19: Und er wird sein Angesicht den Festungen seines Landes zuwenden und wird stürzen und fallen und nicht mehr zu finden sein.

Dan.11,33-35: (33) Und die Verständigen des Volkes werden die Vielen unterweisen; aber sie werden stürzen durch Schwert und Flamme, durch Gefangenschaft und Beraubung – eine Zeitlang. (34) Und während sie stürzen, wird ihnen mit einer kleinen Hilfe geholfen werden. Doch viele werden sich ihnen heuchlerisch anschließen. 35 Und von den Verständigen werden einige stürzen, damit unter ihnen geläutert und geprüft und gereinigt werde bis zur Zeit des Endes. Denn es verzögert sich noch bis zur bestimmten Zeit.

Daniel 11,41 (REB): Und er wird in das Land der Zierde eindringen, wobei vieles stürzen wird. Diese aber werden seiner Hand entrinnen: Edom und Moab und die Besten der Söhne Ammon.

 

Die „Verständigen“ bzw. einige von ihnen also das Martyrium erleiden.

 

Ihr Martyrium dient dazu, dass „unter ihnen geläutert und geprüft und gereinigt werde bis zur Zeit des Endes“. Es „sollen durch die Leiden, die gerade vor den Treuen und Frommen nicht Halt machen, die bloßen Mitläufer, die heuchlerisch zu ihr Haltenden abgeschreckt und ausgetrieben werden.“ (Kessler, 173). Diese „Sichtung“ ist auch deshalb notwendig, weil sich das Ende „noch bis zur bestimmten Zeit“ verzögert.

 

Adventistische Ausleger beziehen diese Aussagen auf weitere Verfolgungen, z.B. in England (Smith, 276), und betonen, dass die „Zeit des Endes“ 1798 begonnen habe (Smith, 276; ABC IV, 874f.).

 

(36-39) Nun richtet sich der Blick wieder auf den „König“ und seine Religionspolitik. Er „wird nach seinem Belieben handeln“ (vgl. 11,3), „sich erheben und sich groß machen gegen jeden Gott“ (vgl. 11,37) und gegen den Gott Israels, den „Gott der Götter“ (vgl. 2,47), „unerhörte Reden führen“ (vgl. 7,8.25). Dabei wird er „Erfolg haben“ (vgl. 7,21.25; 8,12.24f.), aber nur so lange, bis die Verfluchung vollendet ist“ (vgl. 8,19). Denn: „das Festbeschlossene wird vollzogen (vgl. 9,26f.).

 

„Among Adventist expositors two views concerning the interpretation of vs. 36–39 have generally been held. One interpretation identifies the power described here as revolutionary France in the year 1789 and following. The other interpretation holds that the power delineated here is the same apostate, persecuting power described in the preceding verses.” (ABC IV, 875).

(Unter den adventistischen Exponenten wurden im Allgemeinen zwei Ansichten über die Interpretation von Vers 36-39 vertreten. Eine Interpretation identifiziert die hier beschriebene Macht als revolutionäres Frankreich im Jahre 1789 und danach. Die andere Interpretation besagt, dass die hier beschriebene Macht die gleiche abtrünnige, verfolgte Macht ist, die in den vorhergehenden Versen beschrieben wurde.)

 

Der König wird „selbst auf den Gott seiner Väter … nicht achten“. „Der Gott der Seleukiden, also der Hauptgott ‚seiner Väter‘, was Apollo. Antiochus ging jedoch dazu über, Zeus in die Mitte zu stellen.“ (Maier, 403). Auch den „Schatz der Frauen“ wird er missachten. Gemeint ist vermutlich der Tammuzkult, der bei den Frauen sehr beliebt war (Hes.8,14). Dieser König wird gar keinen Gott „achten“, sondern „sich über alles erheben“.

 

Zur adventistischen Auslegungsgeschichte:

„Those who believe that France is the power here described see a fulfillment of this passage in the declaration of the revolutionists that marriage was a mere civil contract, that without further formality it could be broken at will by the parties concerned. Those who believe that the papacy is here described see a possible reference to the regard paid to celibacy and virginity by that power.”  (ABC IV, 875)

(Diejenigen, die glauben, dass Frankreich die hier beschriebene Macht ist, sehen eine Erfüllung dieser Passage in der Erklärung der Revolutionäre, dass die Ehe ein bloßer bürgerlicher Vertrag sei, der ohne weitere Formalität von den betroffenen Parteien beliebig gebrochen werden könne. Diejenigen, die glauben, dass das Papsttum hier beschrieben wird, sehen einen möglichen Hinweis auf die Wertschätzung, die diese Macht dem Zölibat und der Jungfräulichkeit entgegenbringt.) (ABC IV, 876)

 

Stattdessen wird er „den Gott der Festungen ehren“. Diesen Gott, „den seine Väter nicht gekannt haben“ (vgl. 11,37), „wird er mit Gold und mit Silber und mit Edelsteinen und mit Kostbarkeiten ehren“. Die meisten Bibelausleger vermuten, „dass Antiochus IV. den Jupiter Capitolinus (griech. Zeus Olympios), dessen Kult er als Geisel in Rom kennengelernt hatte, den einheimischen Göttern, speziell dem von den Frauen verehrten Tammuz (griech. Adonis) vorzog, weil ihm die Macht über alles ging.“ (Haag, 81; vgl. Plöger, 165).

 

Zur adventistischen Auslegungsgeschichte:

Some interpret this verse as referring to the worship of Reason instituted at Paris in 1793 … Others understand a reference here to the prayers directed to the saints and to the Virgin Mary; still others, to Rome’s alliance with civil powers and her studied efforts to get the nations to do her bidding.” (ABC IV, 876).

(Einige interpretieren diesen Vers als Hinweis auf die Anbetung der Vernunft, die 1793 in Paris eingeführt wurde ... Andere verstehen hier einen Hinweis auf die Gebete, die an die Heiligen und an die Jungfrau Maria gerichtet sind; wieder andere auf Roms Bündnis mit den zivilen Mächten und ihre studierten Bemühungen, die Nationen dazu zu bringen, ihr Gebot zu tun.)

 

Also wird er „gegen die starken Festungen vorgehen mit einem fremden Gott“. Mit den „starken Festungen“ sind vermutlich Tempel gemeint (vgl. 11,31: „…und sie werden das Heiligtum, die Bergfeste entweihen …“ – wörtlich: „die Festung“).

 

Dabei arbeitet er mit „Bestechung“: „Wer ihn anerkennt, dem wird er viel Ehre erweisen. Und er wird solchen Leuten Herrschaft verleihen über die vielen und ihnen das Land zum Lohn austeilen. „Die Verehrung dieses Gottes fördert er mit sehr handfesten Mitteln, indem er Verehrer dieses Gottes durch Landbelohnung und Verleihung von Ehren- und Herrschaftsstellen offen bevorzugt.“ (Kessler, 173f.).

 

Zur adventistischen Auslegungsgeschichte:

„Some understand these words to describe the breakup of the great estates of the nobility of France, and to the selling of these estates by the government to small landholders. It has been estimated that two thirds of the landed property of France was confiscated by the government during the Revolution.

Others believe these words met their fulfillment in papal domination over temporal rulers and in frequent receipts of revenue from them. It has been suggested that the division of the New World between Spain and Portugal by Pope Alexander VI, in 1493, may be considered one example of the fulfillment of this passage.” (ABC IV, 876f.).

(Einige verstehen diese Worte, um die Auflösung der großen Ländereien des französischen Adels und den Verkauf dieser Ländereien durch die Regierung an kleine Landbesitzer zu beschreiben. Es wird geschätzt, dass zwei Drittel des Grundbesitzes Frankreichs während der Revolution von der Regierung beschlagnahmt wurden.

Andere glauben, dass diese Worte ihre Erfüllung in der päpstlichen Herrschaft über die zeitlichen Herrscher und in den häufigen Einnahmen aus ihnen gefunden haben. Es wurde vorgeschlagen, dass die Teilung der Neuen Welt zwischen Spanien und Portugal durch Papst Alexander VI. im Jahre 1493 als ein Beispiel für die Erfüllung dieser Passage angesehen werden kann.)

 

 

Im letzten Abschnitt des 11. Kapitels wird schließlich beschrieben, was „zur Zeit des Endes“ geschehen wird:

 

(40) Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen. Und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten. (41) Und er wird in das Land der Zierde eindringen, wobei vieles stürzen wird. Diese aber werden seiner Hand entrinnen: Edom und Moab und die Besten der Söhne Ammon. (42) Und er wird seine Hand an die Länder legen, und für das Land Ägypten wird es kein Entrinnen geben. (43) Und er wird die Schätze an Gold und Silber und alle Kostbarkeiten Ägyptens in seine Gewalt bringen, und Libyer und Kuschiter werden in seinem Gefolge sein. (44) Aber Gerüchte von Osten und von Norden her werden ihn erschrecken; und er wird mit großem Zorn ausziehen, um viele zu vernichten und an ihnen den Bann zu vollstrecken. (45) Und er wird seine Königszelte aufschlagen zwischen dem Meer und dem Berg der heiligen Zierde. Dann wird er an sein Ende kommen, und niemand wird ihm helfen.

 

(40-43) „Zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm“ – dem „König des Nordens“„zusammenstoßen“. Für den König des Südens geht das nicht gut aus. Der König des Nordens wird „gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen“ und dabei „in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten“ (vgl. 11,10.22).

 

Der König des Nordens wird auch „in das Land der Zierde eindringen“ – also in Israel (vgl. 8,9; 11,16.45) – und dabei „vieles stürzen“, d.h.  besiegen bzw. vernichten (vgl. 11,14.19.33-35). Andere Völker „werden seiner Hand entrinnen: Edom und Moab und die Besten der Söhne Ammon“ – vielleicht weil sie proseleukidisch eingestellt sind (Plöger, 167). „Für das Land Ägypten“ wird es jedoch „kein Entrinnen geben“. Deshalb wird er die Schätze an Gold und Silber und alle Kostbarkeiten Ägyptens in seine Gewalt bringen“ und auch „Libyer und Kuschiter“.

 

(44-45) Dann aber werden ihn beunruhigende Nachrichten aus dem Osten und dem Norden seines Reiches erreichen (vgl. 2.Kön.19,7). Vielleicht ist an rebellierende Völker zu denken (Plöger, 167). Deshalb wird er „mit großem Zorn ausziehen, um viele zu vernichten und an ihnen den Bann zu vollstrecken“. Dabei wird er „seine Königszelte aufschlagen zwischen dem Meer und dem Berg der heiligen Zierde“ (zur „heiligen Zierde“ vgl. 8,9; 11,16.41).

 

Dann aber „wird er an sein Ende kommen, und niemand wird ihm helfen“. Gemeint ist sein plötzlicher Tod, auf den auch Dan.8,25 anspielt („… Und gegen den Fürsten der Fürsten wird er sich auflehnen, aber ohne eine Menschenhand wird er zerbrochen werden.“) und von dem in 1.Makk.6 und 2.Makk.9 berichtet wird (nach 1.Makk.6,5 starb Antiochus in Persien, nach 2.Makk.9,29 „in fremdem Lande in der Wildnis“).

 

Zur adventistischen Auslegungsgeschichte des Abschnitts 11,40-45:

„Seventh-day Adventist expositors who find the career of France during the Revolution the subject of vs. 36–39 hold that Turkey is the king of the north of vs. 40–45. Those who apply vs. 36–39 to the papacy here find a prophetic picture of the climax of its career. Some of the latter group identify the papacy as the king of the north, while others distinguish between the two. A few consider that vs. 40–45 met their fulfillment in the collapse of the Ottoman Empire in 1922.“ (ABC IV, 877).

(Siebenten-Tags-Adventisten, die die Karriere Frankreichs während der Revolution zum Gegenstand von Vers 36-39 machen, halten die Türkei für den König des Nordens von Vers 40-45. Diejenigen, die sich gegen 36-39 auf das Papsttum bewerben, finden hier ein prophetisches Bild vom Höhepunkt seiner Karriere. Einige von ihnen bezeichnen das Papsttum als den König des Nordens, während andere zwischen den beiden unterscheiden. Einige wenige sind der Meinung, dass sie sich mit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1922 gegenüber 40-45 erfüllt haben.)

Shea deutet den „Königs des Südens“ auf den rationalistischer Humanismus, Agnostizismus und Atheismus, der sich vor allem in Frankreich und in der Sowjetunion gezeigt habe (Shea II, 206f.)

 

 

10.3  Die Rettung des Volkes und die Bedeutung des Buches Daniel (12,1-4)

 

(1) Und in jener Zeit wird Michael auftreten, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt. Und es wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie sie noch nie gewesen ist, seitdem irgendeine Nation entstand bis zu jener Zeit. Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden, jeder, den man im Buch aufgeschrieben findet. (2) Und viele von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden aufwachen: die einen zu ewigem Leben und die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu. (3) Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz der Himmelsfeste; und die, welche die vielen zur Gerechtigkeit gewiesen haben, leuchten wie die Sterne immer und ewig.  (4) Und du, Daniel, halte die Worte geheim und versiegle das Buch bis zur Zeit des Endes! Viele werden suchend umherstreifen, und die Erkenntnis wird sich mehren.


(1)
Endlich wird Daniel vom Engel erklärt: „Und in jener Zeit wird dein Volk errettet werden …“. Gemeint ist die Zeit, in der ein letzter Kampf zwischen dem „König des Nordens“ und dem „König des Südens“ stattfinden und der König des Nordens „an sein Ende kommen“ wird – die Zeit, die in 11,40 als „Zeit des Endes“ bezeichnet worden ist.

 

Das „wird eine Zeit der Bedrängnis sein, wie sie noch nie gewesen ist, seitdem irgendeine Nation entstand bis zu jener Zeit“ (vgl. Jer.30,7: „Wehe! Denn groß ist jener Tag, keiner ist wie er, und es ist eine Zeit der Bedrängnis für Jakob; doch wird er aus ihr gerettet werden.“).

 

„In jener Zeit“, in der sich die Konflikte zuspitzen, „wird Michael auftreten, der große Fürst, der für die Söhne deines Volkes eintritt“. In Kapitel 10 erschien Michael als Unterstützer Gabriels im Kampf gegen gegnerische „Fürsten“ bzw. Völkerengel (10,13.21). Er ist der Fürst des Volkes Gottes (10,21) – quasi der Völkerengel Israels – und „einer der ersten Fürsten“ (10,13). Dass er für Israel „eintritt“, ebnet den Weg zu dessen Rettung.

 

Adventistische Bibelausleger deuten Michael auf Jesus Christus und sein Auftreten entsprechend als seine Wiederkunft (Smith, 308; Shea II, 212).

 

Gerettet wird „jeder, den man im Buch aufgeschrieben findet“. Hier handelt es sich nicht um die „Gerichtsakten“ (7,10), sondern um das Verzeichnis derjenigen, die zu Gott gehören – das „Buch des Lebens“ (Ps.69,29: „Sie sollen ausgelöscht werden aus dem Buch des Lebens und nicht eingeschrieben werden mit den Gerechten!“). Der Gedanke, dass nicht das ganze Volk gerettet wird, sondern nur diejenigen, deren Name im „Buch des Lebens“ steht, findet sich bereits in Jes.4,3: „Und es wird geschehen: Wer in Zion übriggeblieben und wer in Jerusalem übriggelassen ist, wird heilig heißen, jeder, der zum Leben aufgeschrieben ist in Jerusalem.“

 

(2) „Rettung aber bedeutet hier … nicht ein Bewahrtwerden vor dem Tode um jeden Preis, ein Bleiben im irdischen Leben, sondern ein Gerettetwerden zu ewigem Leben.“ (Kessler, 178).

 

Es geht um die Menschen, die jetzt „im Land des Staubes schlafen“. Da sie entweder „zu ewigem Leben“ oder  „zu ewigem Abscheu“ „aufwachen“, handelt es sich um Menschen, die verstorben sind. Vom Tod als ein Ort des „Staubes“ ist auch im Buch Hiob die Rede (Hi.7,21: Warum vergibst du mir nicht mein Verbrechen und lässt meine Schuld nicht vorübergehen? Denn nun werde ich mich in den Staub legen, und suchst du nach mir, so bin ich nicht mehr.), ebenso vom Tod als Schlaf (Hi.3,13: Denn dann läge ich jetzt da und wäre still. Ich schliefe – dann hätte ich Ruhe –; 14,12: so legt der Mensch sich hin und steht nicht wieder auf. Bis der Himmel nicht mehr ist, erwacht er nicht und wird nicht aufgeweckt aus seinem Schlaf.). Davon, dass die „Bewohner des Staubes“ aufwachen bzw. auferstehen, spricht Jes.26,19: „Deine Toten werden lebendig, meine Leichen wieder auferstehen. Wacht auf und jubelt, Bewohner des Staubes! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten gebären.“

 

Nun heißt es: „Und viele von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden aufwachen …“. Ist „viele“ hier einfach ein anderes Wort für „alle“? Oder wird nur ein Teil „von denen, die im Land des Staubes schlafen, …  aufwachen“? Wird das „Auferstehungsereignis … nur auf Israel, auf das Volk Michaels, bezogen“ (so Plöger, 171)? Kessler kommentiert: „Es blieb dem neutestamentlichen Zeugnis vorbehalten, aus dem ‚viele‘ ein ‚alle‘ zu machen, wie es in Joh.5,28.29 heißt: ‚Die Stunde kommt, in der alle, die in den Gräbern ruhen…“ (Kessler, 180).

 

Die Auferstehung der Toten ist aber noch nicht alles. Es bedeutet „nur das Aufhören des Totseins und noch nicht den Beginn des ewigen Lebens.“ (Haag, 82). „Die einen“ werden „zu ewigem Leben und die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu“ auferstehen. Es handelt sich also – ohne dass dies ausdrücklich erwähnt wird – um eine Auferstehung zum Weltgericht. „Im Rahmen einer geschichtlich vorgestellten Heilserwartung musste dies Gericht am Ende aller irdischen Ungerechtigkeit und am Beginn einer Zeit der Gerechtigkeit stehen. Dazu ist die Auferstehung nötig, die an sich keine Hoffnung bedeutet, sondern nur das Gericht ermöglicht, das die neue Gerechtigkeit schafft.“ (Lebram, 135).

 

Adventistische Bibelausleger beziehen Dan.12,2 auf eine „besondere Auferstehung“:

„A special resurrection precedes Christ’s second advent. “All who have died in the faith of the third angel’s message” will arise at that time. In addition, those who beheld with mockery Christ’s crucifixion, and those who have most violently opposed the people of God, will be brought forth from their graves to see the fulfillment of the divine promise and the triumph of truth (see GC 637; Rev. 1:7).“ (ABC IV, 878)

(Eine besondere Auferstehung geht dem zweiten Kommen Christi voraus. "Alle, die im Glauben an die dritte Engelsbotschaft gestorben sind", werden zu dieser Zeit auferstehen. Darüber hinaus werden diejenigen, die die Kreuzigung Christi mit Spott gesehen haben, und diejenigen, die sich dem Volk Gottes am heftigsten widersetzt haben, aus ihren Gräbern herausgeführt, um die Erfüllung der göttlichen Verheißung und den Triumph der Wahrheit zu sehen.) Vgl. Smith, 312ff.; Shea II, 213f.; Stefanovic, 440.

 

(3) Unter den „Vielen“ werden die „Verständigen“, die Lehrer des Volkes Gottes (11,33), hervorgehoben – was möglicherweise bedeutet, dass sie im Gericht Gottes besonders ausgezeichnet werden. Jedenfalls werden sie „leuchten wie der Glanz der Himmelsfeste“ bzw. „wie die Sterne immer und ewig“.

 

(4) Abschließend wird Daniel aufgerufen, diese Worte „geheim“ zu halten und das Buch (vgl. 10,21: … Buch der Wahrheit …) „bis zur Zeit des Endes“ zu versiegeln.

 

Von der „Zeit des Endes“ spricht das Buch Daniel noch an folgenden Stellen:

Dan.8,17: Und er trat an den Ort, wo ich stand; und als er herantrat, erschrak ich und fiel nieder auf mein Angesicht. Er aber sprach zu mir: Merke auf, Menschensohn! Denn das Gesicht gilt für die Zeit des Endes.

Dan.8,19: Und er sagte: Siehe, ich will dich erkennen lassen, was am Ende der Verfluchung geschehen wird; denn es gilt für die festgesetzte Zeit des Endes.

Dan.9,26: Und nach den 62 Wochen wird ein Gesalbter ausgerottet werden und wird keine Hilfe finden. Und das Volk eines kommenden Fürsten wird die Stadt und das Heiligtum zerstören, und sein Ende ist in einer Überflutung; und bis zum Ende ist Krieg, fest beschlossene Verwüstungen.

Dan.11,6: Und nach Jahren werden sie sich verbünden; und die Tochter des Königs des Südens wird zum König des Nordens kommen, um ein Abkommen zu treffen. Aber sie wird die Kraft des Armes nicht behalten, und auch er und sein Arm werden nicht bestehen. Und sie wird dahingegeben werden, sie und die sie kommen ließen, und der, der sie gezeugt, und der, der sie zur Frau genommen hat in jenen Zeiten.

Dan.11,35: Und von den Verständigen werden einige stürzen, damit unter ihnen geläutert und geprüft und gereinigt werde bis zur Zeit des Endes. Denn es verzögert sich noch bis zur bestimmten Zeit.

Dan.11,40: Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm zusammenstoßen, und der König des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen. Und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten.

Dan.12,9: Und er sagte: Geh hin, Daniel! Denn die Worte sollen geheimgehalten und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes.

 

Dass Daniel das Buch versiegeln soll zeigt, dass die Erfüllung der darin beschriebenen Ereignisse nicht unmittelbar bevorsteht. Das wird durch einen Vergleich mit der Offenbarung des Johannes deutlich, die nicht versiegelt werden soll, weil die Zeit „nahe“ ist (Offb. 22,10: „Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches! Denn die Zeit ist nahe.“).

 

Zur „Zeit des Endes“ aber wird dieses Buch wichtig werden. Dann werden „viele … suchend umherstreifen“. Das erinnert an Am.8,12: „Und sie werden wanken von Meer zu Meer und vom Norden bis zum Osten. Sie werden umherschweifen, um das Wort des HERRN zu suchen, und werden es nicht finden.“ Die Suche, von der Vers 4 spricht, wird aber nicht vergeblich sein: „… und die Erkenntnis wird sich mehren“. Gemeint ist also: „Viele werden … aufgeregt über das Ende Aufschluss verlangen, doch wird ihnen die rechte Einsicht erst durch das an Daniel ergangene Offenbarungswort zuteil.“ (Haag, 82).

 

Adventistische Bibelausleger beziehen die vermehrte „Erkenntnis“ auf die moderne Wissenschaft und/oder die zunehmende Beschäftigung mit den apokalyptischen Schriften der Bibel (Smith, 325; ABC IV, 879).

 

 

10.4  Epilog zur Frage „Wann?“

 

(5) Und ich, Daniel, sah: Und siehe, zwei andere standen da, einer hier am Ufer des Stromes und einer dort am Ufer des Stromes. (6) Und einer sagte zu dem in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war: Wann ist das Ende dieser außergewöhnlichen Ereignisse? (7) Und ich hörte den in Leinen gekleideten Mann, der oben über dem Wasser des Stromes war, und er erhob seine Rechte und seine Linke zum Himmel und schwor bei dem, der ewig lebt: Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit! Und wenn die Zerschlagung der Kraft des heiligen Volkes abgeschlossen sein wird, wird alles dies vollendet werden. (8) Und ich hörte es, aber ich verstand es nicht; und ich sagte: Mein Herr, was wird der Ausgang davon sein? (9) Und er sagte: Geh hin, Daniel! Denn die Worte sollen geheimgehalten und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes. (10) Viele werden geprüft und gereinigt und geläutert werden. Aber die Gottlosen werden weiter gottlos handeln. Und die Gottlosen werden es alle nicht verstehen, die Verständigen aber werden es verstehen.(11) Und von der Zeit an, in der das regelmäßige Opfer abgeschafft wird, um den verwüstenden Greuel einzusetzen, sind es 1 290 Tage. (12) Glücklich, wer ausharrt und 1 335 Tage erreicht! (13) Du aber geh hin auf das Ende zu! Und du wirst ruhen und wirst auferstehen zu deinem Los am Ende der Tage.


(5-7)
Daniel sieht auf beiden Seiten des Flusses, an dessen Ufer er selbst steht (10,4), jeweils einen Engel stehen. Er wird Zeuge eines Gesprächs (vgl. Dan.8,13-14), dass sie mit dem „in Leinen gekleideten Mann“ führen, der sich „oben über dem Wasser des Stromes“ befindet und der Daniel zu Beginn der Vision begegnet ist (10,5: „Und ich erhob meine Augen und sah: und siehe, da war ein Mann, in Leinen gekleidet …“).

 

Einer der beiden Engel fragt den „in Leinen gekleideten Mann“: „Wann ist das Ende dieser außergewöhnlichen Ereignisse?“ Er antwortet ihm mit einem „beidhändigen Schwur“: „Zeit, Zeiten und eine halbe Zeit!“. Das entspricht der Aussage von Dan.7,25: „… und sie werden in seine Hand gegeben werden für eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit.“ Bei den dreieinhalb Zeiten handelt es sich also um eine Zeit der Bedrängnis. Das zeigt auch der anschließende Satz: „Und wenn die Zerschlagung der Kraft des heiligen Volkes abgeschlossen sein wird, wird alles dies vollendet werden.“ Gemeint ist also: Wenn die dreieinhalb Zeiten dauernde Verfolgung abgeschlossen ist, kommt das „Ende“.

 

(8-10) Daniel hört zwar die Antwort, aber er versteht sie nicht. Deshalb fragt er nach – bei dem „in Leinen gekleideten Mann“, den er, wie in Dan.10,16 mit „mein Herr“ anspricht. Seine Frage lautet: „Mein Herr, was wird der Ausgang davon sein?“ Offenbar möchte er wissen, „was denn das letzte von all den angekündigten Ereignissen vor dem Ende“ ist (Haag, 83) bzw. „woran der Eintritt der letzten großen Wendung erkannt werden“ kann (Kessler, 182).

 

„Auf die nachgeschobene Frage, was denn das letzte von all den angekündigten Ereignissen vor dem Ende sei, gibt der himmlische Bote einen ablehnenden Bescheid, indem er auf den Abschluss des Offenbarungswortes und dessen Versiegelung verweist.“ (Haag, 83; zur „Versiegelung“ vgl. 12,4)

 

Die Aussage, dass es „bis zur Zeit des Endes“ geheim gehalten wird, heißt möglichweise:  „Erst in der Endzeit wird die wahre Dauer der Frist vor dem Ende bekannt werden.“ (Lebram, 136f.).

 

Was Daniel aber jetzt schon wissen kann und soll ist, dass „viele … geprüft und gereinigt und geläutert werden“ (vgl. 11,35: Und von den Verständigen werden einige stürzen, damit unter ihnen geläutert und geprüft und gereinigt werde bis zur Zeit des Endes …). Für die „Verständigen“  – und sicher auch für die „vielen“, die sie unterweisen (vgl. 11,33; 12,3) – ist das eine Chance. Sie „werden es verstehen“. Sie werden „Einsicht in den Sinn der ihnen auferlegten Zeit der Läuterung (2.Makk.6,12-17) gewinnen und so eine Stütze für das Bestehen der Glaubensprüfung besitzen“ (Haag, 83). Anders „die Gottlosen“. Sie „werden es alle nicht verstehen“ und deshalb auch „weiter gottlos handeln“.

 

(11-12) Dann folgen doch zwei Zeitangaben. Sie sind offenbar „als eine Art Hilfe bei der Bemühung um diese Einsicht … gedacht“ (Haag, 83).

 

Die erste Zeitangabe lautet: „Und von der Zeit an, in der das regelmäßige Opfer abgeschafft wird“ (8,11-13; 11,31), um an seiner Stelle „den verwüstenden Greuel einzusetzen“ (vgl. 9,27; 11,31), „sind es 1 290 Tage“. Der Anfangspunkt dieser Zeit wird genannt; über den Endpunkt wird aber nicht näheres gesagt. Klar ist allerdings, dass es alles mit dem „Ende dieser außergewöhnlichen Ereignisse“ (12,6) bzw. der „Zeit des Endes“ (12,9) zu tun hat.

 

Möglicherweise kann man hier „unter Zugrundelegung einer Berechnungsweise, die das Mondjahr mit 354 Tagen und das dazugehörige Schaltjahr mit 384 Tagen ansetzt, in den 1290 Tagen einen Hinweis auf die Zeitspanne sehen, die sich von der Abschaffung des täglichen Opfers und der Aufstellung des unheilvollen Greuels im Tempel (15. Kislev 167 n.Chr.) bis hin zu der Feier des Wochenfestes im Anschluss an die Reinigung des Heiligtums (6. Siwan 163 v.Chr.) erstreckt hat (1.Makk.5,34; 2.Makk.12,31).“ (Haag, 83).

 

Unter adventistischen Bibelauslegern werden dazu folgende Auffassungen vertreten:

„Those who hold to the view that the ‘daily’ represents ‘paganism’ (see on ch. 8:11) subtract 1290 from 1798 and arrive at the date 508. They see in the events surrounding this date, such as the conversion of Clovis, the king of the Franks, to the Catholic faith, and in the victory over the Goths, an important stage in the establishment of the supremacy of the Catholic Church in the West.

Those who hold to the view that the ‚daily’ refers to the continual priestly ministry of Christ in the heavenly sanctuary and to the true worship of Christ in the gospel age (see on ch. 8:11) find no satisfactory explanation of this text. They believe that this is one of those Scripture passages on which future study will shed further light.“ (ABC IV, 881).

(Wer an der Auffassung festhält, dass das ‚Tägliche‘ das ‚Heidentum‘ darstellt (siehe Kap. 8:11), zieht 1290 von 1798 ab und kommt auf das Datum 508. Sie sehen in den Ereignissen um dieses Datum, wie der Bekehrung von Clovis, dem König der Franken, zum katholischen Glauben, und im Sieg über die Goten eine wichtige Etappe bei der Errichtung der Vorherrschaft der katholischen Kirche im Westen.

Wer an der Auffassung festhält, dass sich das ‚Tägliche‘ auf das ständige priesterliche Wirken Christi im himmlischen Heiligtum und auf die wahre Anbetung Christi im Zeitalter des Evangeliums bezieht (siehe Kap. 8,11), findet keine befriedigende Erklärung für diesen Text. Sie glauben, dass dies eine jener Bibelstellen ist, über die das zukünftige Studium weiteres Licht werfen wird.)

 

Die zweite Zeitangabe lautet: „Glücklich, wer ausharrt und 1 335 Tage erreicht!“. Hier ist vorgeschlagen worden, diese Frist darauf zu beziehen „dass der Entschluss zur Reinigung des Heiligtums an dem Tag des Trauerfastens gefasst wurde, das man zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels durch Nebukadnezar (7. Ab 164 v.Chr.) beging (1.Makk.4,36-51), und dass der Endpunkt dieser Zeitspanne mit dem Sieg über Nikanor (13. Adar 160 v.Chr.) zusammenfiel (1.Makk.7,26-50)“ (Haag, 83).

 

Adventistischen Bibelauslegern sind, sofern sie die erste Zeitangabe auf die Zeit zwischen 508 und 1798 beziehen, dazu folgender Auffassung:

„If the 1290 and the 1335 days begin at the same time, the latter period reaches to the year 1843, a significant date in relationship to the great advent awakening in America, generally known as the Millerite movement.” (ABC IV, 881)

(Wenn die 1290er und die 1335er Tage gleichzeitig beginnen, reicht die letzte Periode bis ins Jahr 1843, ein bedeutendes Datum im Zusammenhang mit dem großen Aufbruch in Amerika, allgemein bekannt als die Millerbewegung.)

 

(13) Für Daniel selbst sind diese Zeitangaben ohne Bedeutung. Für ihn gilt die Botschaft: „Du aber geh hin auf das Ende zu!“ Was ist „das Ende“? Gemeint ist: „Und du wirst ruhen und wirst auferstehen zu deinem Los am Ende der Tage.“ „Daniel soll sich auf das Ende vorbereiten, das er nach der Grabesruhe in der Auferstehung erreicht.“ (Lebram, 122). Auch er „wird teilhaben an der großen Vollendung des Zeitalters. Und so wird die Vergangenheit ebenso wie die Gegenwart teilhaben an der herrlichen Zukunft.“ (Porteous, 145).

 

 

Zusammenfassung: Die Geschichte ist voller blutiger Konflikte. Auch das Volk Gottes wird in Mitleidenschaft gezogen. Die imperialistischen Mächte kennen keine Grenzen und bekämpfen daher auch Gott und alle, die an ihn glauben. Die Gläubigen geraten immer wieder in große Schwierigkeiten. Trotzdem hält Gott die Welt in seinen Händen und regiert mit Hilfe seiner Engel hinter den Kulissen. Diejenigen, denen Gott diese Einsicht geschenkt hat und die daher „verständig“ sind, haben deshalb die wichtige Aufgabe, Gottes Volk in diesen Auseinandersetzungen den richtigen Weg zu weisen. Dieser Weg führt selbst dann zum Ziel, wenn er mit dem Martyrium verbunden ist – weil die Toten auferstehen werden und alle, die Gott treu geblieben sind, in das ewige Leben eingehen.