5       Belsazars Gastmahl und die geheimnisvolle Schrift (5,1-30)

 

 

Wer ist „König Belsazar? Nach Aussage des Buches Daniel handelt es sich um einen  Sohn Nebukadezars (5,2.11.13.18.22). „Ein Sohn und Nachfolger mit Namen Belschazzar ist aus der Geschichte nicht bekannt, wohl aber ein durch Keilschrifturkunden bezeugter Belschazzar (…), der als Sohn und Stellvertreter des letzten Babylonierkönigs Nabonid, jedoch ohne Königstitel, während dessen Aufenthalt in Tema alle Regierungsgeschäfte führte.“ (Haag, 47). Belsazars Vater Nabonid war ein Enkel Nebukadnezars und kam durch einen Putsch an die Macht.

 

Die Erzählung schildert ein Ereignis, das unmittelbar vor dem Untergang des babylonischen Weltreiches stattfindet. An vielen Stellen tauchen Motive aus den vorangegangenen Kapiteln des Danielbuchs auf.

 

 

Während eines großen Festmahls trinken Besalzar und sein Hofstaat aus Gefäßen, die Königs Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem nach Babylon gebracht hatte. Daraufhin erscheint eine geheimnisvolle Schrift an der Wand, um deren Bedeutung es in der Erzählung geht.

 

(1) Der König Belsazar machte seinen tausend Gewaltigen ein großes Mahl, und vor den Tausend trank er Wein. (2) Belsazar befahl unter dem Einfluss des Weins, die goldenen und die silbernen Gefäße herbeizubringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem weggenommen hatte, damit der König und seine Gewaltigen, seine Frauen und seine Nebenfrauen daraus tränken. (3) Da brachte man die goldenen Gefäße, die man aus dem Tempel des Hauses Gottes in Jerusalem weggenommen hatte; und der König und seine Gewaltigen, seine Frauen und seine Nebenfrauen tranken daraus. (4) Sie tranken Wein und rühmten die Götter aus Gold und Silber, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein. (5) In demselben Augenblick kamen Finger einer Menschenhand hervor und schrieben dem Leuchter gegenüber auf den Kalk der Wand des königlichen Palastes; und der König sah die Hand, die schrieb. (6) Da veränderte sich die Gesichtsfarbe des Königs, und seine Gedanken erschreckten ihn, und seine Hüftgelenke erschlafften, und seine Knie schlugen aneinander. (7) Der König rief laut, man solle die Beschwörer, die Sterndeuter und die Zeichendeuter hereinbringen. Und der König fing an und sagte zu den Weisen von Babel: Jeder, der diese Schrift lesen und mir ihre Deutung kundtun wird, der darf sich mit Purpur bekleiden, dazu mit einer goldenen Kette um seinen Hals, und er soll als Dritter im Königreich herrschen. (8) Da kamen alle Weisen des Königs herbei; aber sie konnten weder die Schrift lesen noch dem König ihre Deutung mitteilen. (9) Da geriet der König Belsazar in großen Schrecken, und seine Gesichtsfarbe an ihm veränderte sich; und seine Gewaltigen wurden bestürzt.

 

(1) Belsazar hält mit „seinen tausend Gewaltigen“ ein großes Mahl. Bei den „Gewaltigen“ kann es sich um die politische Führungsschicht und/oder um militärische Machthaber handeln.

 

Ein solches Mahl stellt den Glanz der Weltherrschaft Babylons zur Schau, wie ein Bericht aus dem Buch Ester zeigt, in dem ein Mal des Königs Ahasvoros beschrieben wird (Est.1,1-4):

(1) Und es geschah in den Tagen des Ahasveros – das ist der Ahasveros, der von Indien bis nach Kusch über 127 Provinzen regierte –, (2) in jenen Tagen also, als der König Ahasveros auf seinem Königsthron saß, der in der Burg Susa war, (3) im dritten Jahr seiner Regierung, da veranstaltete er ein Gastmahl für all seine Fürsten und Knechte, wobei das Heer von Persien und Medien, die Vornehmen und Fürsten der Provinzen vor ihm waren (4) und wobei er den Reichtum und die Herrlichkeit seines Königreiches und die glänzende Pracht seiner Größe viele Tage lang, 180 Tage, zur Schau stellte.

 

Interessanterweise gibt es „eine historisch unsichere Überlieferung von der Eroberung Babels, die nach Auskunft antiker Schriftsteller (Xenophon, Kyropädie VII; 5; Herodot, Historien I, 191) und auch des AT (Jes.21,4-9; Jer.51,39.57) während eines festlichen Gelages am Königshof in der Nacht stattgefunden hat …“ (Haag, 47).

 

(2-4) Auf diesem Fest fließt der Wein in Strömen. Das kann gefährliche Auswirkungen haben. Auch dazu gibt es eine Parallel im Buch Ester (Est 1,10-12):

(10) Am siebten Tag, als das Herz des Königs vom Wein fröhlich war, befahl er Mehuman, Biseta, Harbona, Bigta und Abagta, Setar und Karkas, den sieben Eunuchen, die den König Ahasveros persönlich bedienten, (11) die Königin Wasti mit dem königlichen Diadem vor den König kommen zu lassen, um den Völkern und Fürsten ihre Schönheit zu zeigen; denn sie war von schönem Aussehen. (12) Aber die Königin Wasti weigerte sich, auf das Wort des Königs hin zu kommen, das ihr durch die Eunuchen überbracht worden war. Da wurde der König sehr zornig, und sein Zorn entbrannte in ihm.

 

In diesem Fall befiehlt König Belsazar „unter dem Einfluss des Weins, die goldenen und die silbernen Gefäße herbeizubringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel in Jerusalem weggenommen hatte“ (vgl. Dan.1,2). Die „die goldenen und die silbernen Gefäße“ sind Siegestrophäen – allerdings nicht irgendwelche, sondern solche mit religiöser Bedeutung.

 

Indem „der König und seine Gewaltigen, seine Frauen und seine Nebenfrauen“ daraus trinken, feiern sie ihre Überlegenheit über die besiegten Völker. Untrennbar damit verbunden ist, dass sie dabei die Stärke und Macht ihrer eigenen Götter und deren Überlegenheit über die Götter anderer Völker preisen.

 

Der Bericht spricht von Göttern „aus Gold und Silber, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein“. Dabei handelt es sich natürlich um eine polemische Aussage über die Götter Babylons, wie sie z.B. auch im Buch Jesaja zu finden ist, z.B. in Jes.40,18-20:

(18) Mit wem wollt ihr Gott vergleichen, und was für ein Abbild wollt ihr ihm gegenüberstellen? (19) Der Kunsthandwerker gießt das Götterbild, der Goldschmied beschlägt es mit Gold und mit silbernen Ketten vom Goldschmied. (20) Maulbeerholz wählt er, ein Holz, das nicht fault. Er sucht sich einen geschickten Kunsthandwerker, um ein Götterbild aufzustellen, das nicht wackelt.

 

(5-6) „In demselben Augenblick“ als sie ihren Wein aus den heiligen Tempelgeräten trinken und ihre Götter rühmen, erscheinen „Finger einer Menschenhand“. Sie schreibt etwas „dem Leuchter gegenüber auf den Kalk der Wand des königlichen Palastes“. Als der König das sieht, erschreckt er zutiefst. Sein Gesicht wird ganz bleich und er zittert am ganzen Körper.

 

(7-9) Darauf ruft Belsazar seine „Sachverständigen“ zu sich – so wie Nebukadnezar es bei seinen Träumen getan hat (Dan.2,2; 4,3).

Titel (Übers. des aram. Begriffs in der EB)

Belege im Buch Daniel

Beschwörer

2,10.27; 4,4; 5,7; 5,15

Sterndeuter (wörtl.: Chaldäer)

2,5.10; 3,8; 4,4; 5,7.11.30

i.d.R. zusammenfassender Begriff für alle Sachverständigen, vor allem in: 2,5.10; 3,8 (aber in 5,7 nicht)

Zeichendeuter

2,27.34.45; 4,4; 5,7.11

 

Er verspricht „den Weisen von Babylon“ (vgl. 2,12.13.14.18.21.24.27.48; 4,3.15; 5,7.8.15; zusammenfassende Bezeichnung verschiedener Berufsgruppen, die mit Deutung und Beeinflussung der Zukunft befasst sind) eine reiche Belohnung, wenn sie die Schrift an der Wand lesen und für ihn deuten. Wer dazu in der Lage ist, darf sich „mit Purpur kleiden“, also mit königlicher Kleidung (Est.8,15: „Und Mordechai ging von seinem Platz vor dem König hinaus in königlicher Kleidung aus violettem Purpur und weißem Leinen, mit einem großen goldenen Diadem und in einem Mantel aus Byssus und rotem Purpur.“). Außerdem soll er eine goldene Kette um den Hals tragen, was ebenfalls ein Zeichen einer hochgestellten Persönlichkeit ist (vgl. 1.Mos.41,42: „Und der Pharao nahm seinen Siegelring von seiner Hand und steckte ihn an Josefs Hand, und er kleidete ihn in Kleider aus Byssus und legte die goldene Kette um seinen Hals.“). Er soll sogar „als Dritter im Königreich herrschen“. Damit kann gemeint sein, dass er in der Rangfolge nach Nabonid, dem eigentlichen König, und seinem Sohn und Stellvertreter Belsazar stehen soll (Maier, 217; Shea I, 77). Möglicherweise handelt es sich aber einfach um einen babylonischen Beamtentitel (Lebram, 76; vgl. Dan.6,2-3: „(2) Es gefiel Darius, über das Königreich 120 Satrapen einzusetzen, die im ganzen Königreich sein sollten, 3 und über sie drei Minister zu setzen, von denen einer Daniel war, denen jene Satrapen Rechenschaft geben sollten, damit der König keinen Schaden erlitte.“).

 

Die herbeigerufenen Weisen aber können die Schrift nicht lesen – und ihm daher auch nicht die Deutung mitteilen. Daraufhin verstärkt sich die Angst des Königs und auch „seine Gewaltigen“ sind „bestürzt“.

 

 

Daraufhin erscheint „die Königin“. Sie empfiehlt dem König, Daniel herbeizurufen.

 

(10) Auf die Worte des Königs und seiner Gewaltigen hin trat die Königin in das Haus des Trinkgelages. Die Königin begann und sagte: O König, lebe ewig! Lass deine Gedanken dich nicht schrecken, und deine Gesichtsfarbe verändere sich nicht! (11) Es gibt einen Mann in deinem Königreich, in dem der Geist der heiligen Götter ist; und in den Tagen deines Vaters wurden Erleuchtung, Einsicht und Weisheit gleich der Weisheit der Götter bei ihm gefunden. Und der König Nebukadnezar, dein Vater, hat ihn zum Obersten der Wahrsagepriester, der Beschwörer, Sterndeuter und Zeichendeuter eingesetzt; dein Vater, o König! (12) Und zwar deshalb, weil ein außergewöhnlicher Geist und Erkenntnis und Einsicht, Träume zu deuten, Rätsel zu erklären und Knoten zu lösen, bei ihm gefunden wurde, bei Daniel, dem der König den Namen Beltschazar gegeben hat. Deshalb lass jetzt Daniel rufen! Und er wird die Deutung kundtun.

 

(10-12) „Auf die Worte des Königs und seiner Gewaltigen hin“ erscheint die „Königin“ auf dem Trinkgelage. Nun war bereits in Vers 2 von Belsazars „Frauen“ und seinen „Nebenfrauen“ die Rede. Daher handelt es sich vermutlich um seine Mutter, die Frau von König Nabonid. Dafür spricht auch, dass sie sehr gebieterisch gegenüber Belsazar auftritt  und „von seinem Vater in einer Art“ spricht, „die eher eine Mutter vermuten lässt, die zu ihrem Sohn spricht, als eine Frau, die zu ihrem Mann spricht.“ (Jerrery, zit. bei Porteous, 63).

 

„Manche Forscher rechnen mit der Möglichkeit, dass diese Königmutter eine leibliche Tochter Nedukadnezars war. Das würde gut erklären, warum sie gegenüber Belsazer von ‚Nebukadnezar, dein Vater‘ spricht.“ (Maier, 219).

 

Nach dem respektvollen Segenswunsch „O König, lebe ewig!“ versucht sie, ihn zu beruhigen. Er soll sich nicht erschrecken, weil es einen Mann in seinem Königreich gibt, „in dem der Geist der heiligen Götter ist“ (vgl. zu 4,6). Sie betont, dass in der Regierungszeit Nebukadnezars bei diesem Mann „Erleuchtung, Einsicht und Weisheit gleich der Weisheit der Götter“ gefunden wurde, so dass Nebukadnezar ihn „zum Obersten der Wahrsagepriester, der Beschwörer, Sterndeuter und Zeichendeuter eingesetzt“ hat (2,48) – „weil ein außergewöhnlicher Geist und Erkenntnis und Einsicht“ in ihm ist. Die Begriffe „Erleuchtung“ (vgl. 2,22), „Einsicht“, „Weisheit“ (vgl. 2,20.22.30) und „Erkenntnis“ (2,1; 4,31.33 – in 4,31.33 ist der „Verstand“ gemeint) meinen auch die intellektuellen Fähigkeiten Daniels.

 

Aufgrund dieser Qualitäten war Daniel, so die Könginmutter weiter, in der Lage, „Träume zu deuten, Rätsel zu erklären und Knoten zu lösen“. Um die Deutung von Träumen ging es bereits in den Kapiteln 2 und 4. Mit der Erklärung von Rätsel ist vermutlich die Fähigkeit gemeint, Rätselsprüche und prophetische Sätze zu interpretieren. Unklar ist, was mit der Fähigkeit, „Knoten zu lösen“ gemeint ist. Der Begriff „Knoten“ meint an anderer Stelle „Gelenke“ (5,6). Es geht vielleicht darum, verirrende bzw. verwickelte Probleme zu klären.

 

Deshalb empfiehlt die Königmutter ihm, Daniel zu rufen. „Und er wird die Deutung kundtun.“

 

 

Daraufhin wird Daniel vor den König geführt. Bevor Daniel die Schrift an der Wand deutet, kommt es zu einem Dialog zwischen ihm und dem König.

 

(13) Daraufhin wurde Daniel vor den König geführt. Der König fing an und sagte zu Daniel: Bist du Daniel, einer der Weggeführten aus Juda, die der König, mein Vater, aus Juda hergebracht hat? (14) Ich habe von dir gehört, dass der Geist der Götter in dir ist und dass Erleuchtung und Einsicht und außergewöhnliche Weisheit bei dir zu finden sind. (15) Und nun sind die Weisen, die Beschwörer, vor mich geführt worden, damit sie diese Schrift lesen und mir ihre Deutung mitteilen sollten; aber sie können die Deutung der Sache nicht kundtun. (16) Ich habe aber von dir gehört, dass du Deutungen geben und Knoten lösen kannst. Nun, wenn du die Schrift lesen und mir ihre Deutung mitteilen kannst, darfst du dich mit Purpur bekleiden, dazu mit einer goldenen Kette um deinen Hals, und du sollst als Dritter im Königreich herrschen. (17) Da antwortete Daniel und sprach vor dem König: Deine Gaben mögen dir bleiben, und deine Geschenke gib einem anderen! Jedoch werde ich die Schrift dem König lesen und ihm die Deutung mitteilen.

(18) Du, o König! Der höchste Gott hatte deinem Vater Nebukadnezar das Königtum und die Größe und die Majestät und die Herrlichkeit verliehen. (19) Und wegen der Größe, die er ihm verliehen hatte, zitterten und fürchteten sich vor ihm alle Völker, Nationen und Sprachen. Er tötete, wen er wollte, er ließ leben, wen er wollte, er erhob, wen er wollte, und er erniedrigte, wen er wollte. (20) Als aber sein Herz sich erhob und sein Geist sich bis zur Vermessenheit verstockte, wurde er vom Thron seines Königtums gestürzt, und man nahm ihm seine Majestät. (21) Und er wurde von den Menschenkindern ausgestoßen, und sein Herz wurde dem der Tiere gleich, und seine Wohnung war bei den Wildeseln. Man gab ihm Gras zu essen wie den Rindern, und sein Leib wurde vom Tau des Himmels benetzt – bis er erkannte, dass der höchste Gott Macht hat über das Königtum der Menschen und dass er darüber einsetzt, wen er will. (22) Und du, Belsazar, sein Sohn, hast dein Herz nicht gedemütigt, obwohl du das alles gewusst hast. (23) Und du hast dich über den Herrn des Himmels erhoben; und man hat die Gefäße seines Hauses vor dich gebracht, und du und deine Gewaltigen, deine Frauen und deine Nebenfrauen, ihr habt Wein daraus getrunken. Und du hast die Götter aus Silber und Gold, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein gerühmt, die nicht sehen und nicht hören und nicht verstehen. Aber den Gott, in dessen Hand dein Odem ist und bei dem alle deine Wege sind, hast du nicht geehrt. (24) Da wurde von ihm diese Hand gesandt und diese Schrift geschrieben.

 

(13-16) „Mit einer Herablassung, die sich lässig doch noch ein wenig des Vergessenen und seiner jüdischen Abkunft erinnert, redet der König Daniel an und erwähnt wohlwollend, was er Rühmenswertes und auch im Blick auf den vorliegenden Fall Schätzbares von ihm gehört hat (V.13.14). Er setzt ihn ins Bild über das Unvermögen seiner Weisen, appelliert an seine Fähigkeit und wiederholt sein großzügiges Belohnungsangebot (V.15.16). Ein König gebärdet sich auch in seiner Verlegenheit gern als der Gönnerhafte und Gebende. Es ist, als ob er Daniel auf die Schulter klopfte und sagte: Nun, kleiner Mann, zeige, was du kannst, es soll dein Schade nicht sein!“ (Kessler, 73)

 

(17) In seiner Antwort verzichtet Daniel, im Unterschied zur Königinmutter (5,10) auf eine höfliche Begrüßungsformel und erklärt, dass er auf alle Belohnung verzichten will und er sie „einem anderen“ zuteilwerden lassen soll, dem König aber nichtsdestotrotz die Schrift vorlesen und deuten wird.

 

(18-21) Zunächst aber äußert sich Daniel zu Nebukadnezar. Er betont, dass „der höchste Gott“ ihm „das Königtum und die Größe und die Majestät und die Herrlichkeit verliehen“ (vgl. 2,37: „Du, o König, du König der Könige, dem der Gott des Himmels die Königsherrschaft, die Macht und die Stärke und die Ehre gegeben hat.“) und ihm so große Macht gegeben hat, dass „alle Völker, Nationen und Sprachen“ vor ihm „zitterten“ und sich vor ihm „fürchteten“. Diese Macht habe sich folgendermaßen gezeigt: „Er tötete, wen er wollte, er ließ leben, wen er wollte, er erhob, wen er wollte, und er erniedrigte, wen er wollte.“

 

Dann aber sei Nebukadnezar überheblich geworden – womit indirekt deutlich wird, dass die in Vers 19 gemachten Aussagen über die Machtfülle Nebukadnezar nicht als Kritik an ihm verstanden werden sollten. Daniel erinnert hier an die in Kapitel 4 geschilderten Ereignisse und gibt sie in einer Kurzfassung wieder. Neu ist die Aussage, dass Nebukadnezar „bei den Wildeseln“ seine „Wohnung“ hatte (vgl. dazu den Vergleich des Volkes Israel mit einer „Wildeselin“ in Jer.2,23-24). Die Erniedrigung Nebukadnezars dient auch nach Vers 21 der Erkenntnis, „dass der höchste Gott Macht hat über das Königtum der Menschen und dass er darüber einsetzt, wen er will“. „Daniels Worte zeigen, dass die Herrscher dieser Welt sich letztlich stets der Herrschaft des wahren Gottes widersetzen und nur die einsichtigsten von ihnen sich ihm unterwerfen.“ (Lebram, 77).

 

(22-24) Daniels Ausführungen über Nebukadnezar dienen dazu, Belsazar mit Nebukadnezar zu vergleichen. Daniel wirft Belsazar vor, dass er sich im Unterschied zu Nebukadnezar „nicht gedemütigt“ hat – obwohl er doch um die Erfahrung Nebukadnezars wusste. Stattdessen habe er sich über „den Herrn des Himmels erhoben“ – indem er sich die Tempelgeräte bringen ließ, mit seinen „Gewaltigen“ und seinen „Frauen“ und „Nebenfrauen“ „Wein daraus getrunken“ und die Götzen „aus Silber und Gold, aus Bronze, Eisen, Holz und Stein gerühmt“ hat (5,3-4) – und nicht den Gott, der seinen „Odem“ und seine „Wege“ in seinen Händen hält. Ergänzend zu Vers 4 fügt Daniel hinzu, dass die Götzen „nicht sehen und nicht hören und nicht verstehen“ (vgl. Ps.115,5-7: „(5) Einen Mund haben sie, reden aber nicht. Augen haben sie, sehen aber nicht. (6) Ohren haben sie, hören aber nicht. Eine Nase haben sie, riechen aber nicht. (7) Sie haben Hände, tasten aber nicht; Füße, gehen aber nicht. Keinen Laut geben sie mit ihrer Kehle.“).

 

Weil Belsazar sich auf diese Weise „über den Herrn des Himmels erhoben“ hat, so stellt Daniel abschließend und bevor er dann die Schrift liest und deutet fest, hat Gott „diese Hand gesandt und diese Schrift geschrieben“.

 

 

Dann folgt die Verlesung und Deutung der Schrift an der Wand.

 

(25) Und dies ist die Schrift, die geschrieben wurde: Mene, mene, tekel upharsin. (26) Dies ist die Deutung des Wortes: Mene – Gott hat dein Königtum gezählt und macht ihm ein Ende. (27) Tekel – du bist auf der Waage gewogen und zu leicht befunden worden. (28) Peres – dein Königreich wird zerteilt und den Medern und Persern gegeben.

 

(25) Die Worte lauten: Mene, mene, tekel upharsin“. Dabei handelt es sich um eine „Aufzählung von Gewichts- und Währungseinheiten“ (Haag, 51).  Mene  kommt von „Mine“. Eine „Mine“ sind 50 oder 60 Schekel [https://de.wikipedia.org/wiki/Mine_(Gewichtseinheit); Zugriff 2.5.2018]. Tekel meint entsprechend den „Schekel“ und upharsin vermutlich eine „halbe Mine“.

 

Entscheidend ist nun, dass es sich bei diesen Bezeichnungen für Gewichts- und Währungseinheiten um Begriffe handelt, die auch wörtlich übersetzt werden können (vgl. z.B. das britische „Pfund“). Mene bedeutet „gezählt“, tekel heißt „gewogen“ und upharsin kann mit „geteilt“ übersetzt werden (daher auch die Bedeutung „halbe Mine“).

 

(26-28) Nun erklärt Daniel dem König die tiefere Bedeutung, die diese Begriffe in diesem Fall haben.

Begriff

Erläuterung Daniels

Bedeutung der Erläuterung Daniels

Mene

Gott hat dein Königtum gezählt und macht ihm ein Ende.

Dass sein „Königtum gezählt“ ist, bedeutet entweder, dass seine Tage gezählt sind oder dass Gott es geprüft hat (Kessler, 74). Die Konsequenz ist ein beiden Fällen gleich: Gott macht seinem Königreich „ein Ende“.

Tekel

du bist auf der Waage gewogen und zu leicht befunden worden.

„Hier tritt der Gedanke der Prüfung noch klarer in Erscheinung, und zwar in einer religionsgeschichtlich interessanten Form. Der Gedanke des Gewogenwerdens stammt aus der ägyptischen Religion und bezieht sich dort auf die Toten, die vor Osiris, dem Totenrichter, zu erscheinen haben. ‚Der Tote, der in diese Halle (des Totenrichters) eintritt, wird von der Göttin der Wahrheit empfangen; dann nehmen Horus und Anubis sein Herz und prüfen auf der Waage, ob es leichter sei als die Wahrheit. Thot aber, der Schreiber der Götter, notiert das Resultat auf seinem Schreibzeug und teilt es dem Osiris mit.‘ (…). (Kessler, 75)

Peres

(Einzahl von pharsin / Grundstamm upharsin)

dein Königreich wird zerteilt und den Medern und Persern gegeben.

Dieses Wort „nimmt die erste Drohung auf“ [„… macht ihm ein Ende …“] und wird in der Deutung des Unheils bestimmter [„zerteilt und den Medern und Persern gegeben“]“ (Kessler, 75). Möglicherweise handelt es sich auch um ein Wortspiel: peres ‚zerteilt‘ erinnert auch an paras, was auf  Hebräisch Persien oder Perser bedeutet.“ (Kessler, 74).

 

 

Der Schluss ist schnell erzählt:

 

(29) Daraufhin gab Belsazar Befehl, und man bekleidete Daniel mit Purpur, dazu mit einer goldenen Kette um seinen Hals; und man rief über ihn aus, dass er der Drittmächtigste im Königreich sei. – (30) In derselben Nacht wurde Belsazar, der chaldäische König, getötet.

(1) Und Darius, der Meder, übernahm die Königsherrschaft, als er 62 Jahre alt war.

 

(29) Nachdem Daniel den König über die Schrift und seine Bedeutung informiert hat, gibt dieser den Befehl, Daniel so zu belohnen, wie er es den Weisen von Babel (5,7) und auch Daniel selbst (5,16) versprochen hat. Offenbar lässt Daniel sich das gefallen – obwohl er die Belohnung zuvor abgelehnt hatte (5,17).

 

Im Unterschied zu dem Berichten in den Kapiteln 2 bis 4 endet der Bericht nicht damit, dass der König sich Gott zuwendet bzw. bekehrt (vgl. 2,46-47; 3,28-30; 4,31-34).

 

(30) Stattdessen wird berichtet, dass Belsazar noch „in derselben Nacht … getötet“ wurde. Dazu passt „eine historisch unsichere Überlieferung von der Eroberung Babels, die nach Auskunft antiker Schriftsteller (Xenophon, Kyropädie VII; 5; Herodot, Historien I, 191) und auch des AT (Jes.21,4-9; Jer.51,39.57) während eines festlichen Gelages am Königshof in der Nacht stattgefunden hat …“ (Haag, 47).

 

(1) An seiner Stelle übernimmt „Darius, der Meder, … die Königsherrschaft“. Vom Meder Darius ist auch in 9,1 die Rede (s. die Auslegung dort).

 

Eine Inschrift erzählt, dass Kyros die Stadt einnahm und König Nabonid in seiner Hand gab: „Ohne jegliche Schlacht ließ er (nämlich Marduk) ihn (nämlich Kyros) in seine Stadt einziehen und ersparte dadurch Babylon jegliches Elend. Er gab Nabonid, den König, der ihn (nämlich Marduk) nicht anbetete in seine (nämlich des Kyros) Hand.“ (Pritchard, ANET, 315f.; zit in Porteous, 60f.)

 

 

Zusammenfassung: Während andere Herrscher bereit waren zu erkennen, „dass der höchste Gott Macht hat über das Königtum der Menschen und dass er darüber einsetzt, wen er will“, hat Belsazar sein „Herz nicht gedemütigt“. Wenn die Mächtigen Gott verhöhnen, muss Gott eingreifen. Deshalb verkündet er sein Urteil über Belsazar und vollstreckt es.